Jabber im Kampf der Messenger

31.05.2001 von RAINER GAERTNER 
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Während sich AOL und Microsoft um die Zukunft und Vorherrschaft der Webpager streiten, reift mit Jabber eine mächtige Open-Source-Alternative heran.

Eine Armada von engagierten Programmierern will den Etablierten der Branche das Fürchten lehren. Geht es nach der eingeschworenen Jabber-Community, dann sind das offene Jabber-Protokoll und dessen Anwendungen nicht mehr aufzuhalten. Denn es gibt im Markt der Instant Messenger zu viele Systeme und keine Standards. So ist eine einfache Kommunikation der unterschiedlichen Systeme kaum möglich.

Vor ein paar Jahren hatten wir es einfacher. Da gab es nur ICQ und die AOL-Buddies für AOL-Mitglieder. Inzwischen reicht ein einziger Webpager schon lange nicht mehr aus, um mit allen Freunden oder Geschäftspartnern per Pager in Kontakt zu bleiben. Bei vielen Benutzern sieht daher der Desktop aus wie ein Flugzeugcockpit: Überall kleine Instrumente und Fensterchen, die man ständig überwachen muss. AIM (AOL Instant Messenger), ICQ, MSN, Yahoo, Excite - jeder kocht sein eigenes Süppchen. Die Webpager sind untereinander nicht kompatibel. Wer einmal auf ein System gesetzt und sich mühsam eine Buddyliste erstellt hat, wird kaum zu einem anderen System wechseln.

Die Branche schiebt AOL den schwarzen Peter zu: "Wir würden ja gerne kompatibler werden, aber AOL spielt nicht mit", tönt es aus Redmond und dem Silicon Valley. In der Tat scheiterte Microsoft in den USA kläglich mit dem Versuch, AIM und MSN-Messenger zu verbinden. Vielleicht war es auch nicht die klügste Vorgehensweise, das AIM-System einfach zu hacken.

Wie immer, geht es auch hier um Geld: AOL hat einfach kein Interesse, das System kompatibel zu anderen Pager-Systemen zu machen. Denn das würde bedeuten, dass Konkurrenten vom AOL-Kundenstamm profitieren könnten. Und gerade die AOL-Kundendatenbank ist das Kapital des Unternehmens in Virginia.

Anachronismus total

Um die Situation zu verstehen, stellen Sie sich einfach vor, ein kommerzielles Unternehmen hätte E-Mail erfunden und damit diese Kommunikationsform in der Hand. Wir müssten uns dann alle beispielsweise in Hotmail-Webserver einloggen, um von dort E-Mails versenden und erhalten zu können. In einem solchen anachronistischen Zustand befinden sich momentan die Pager-Systeme.

Microsoft, Yahoo, Excite und alle anderen wollen natürlich auch etwas von dem großen AOL-Kuchen und geben sich daher gesprächsbereit. Schließlich würde eine Öffnung der AOL-Pager-Schleusen etwa 45 Millionen AOL/AIM-Benutzer freispülen - das bedeutet mehr Benutzer und Klicks und somit höhere Einnahmen.

In einem PR-Feldzug mit dem Namen IMUnified propagieren Microsoft und Co. einen allgemeinen Pager-Standard, damit alle miteinander chatten können - unabhängig von der Softwarelösung. Außer viel heißer Luft haben die Unternehmen jedoch noch nichts zu bieten. Ende des Jahres soll es Vorschläge geben. Doch so lange brauchen die Benutzer nicht zu warten.

Schon jetzt gibt es verschiedene Alternativen, um mehrere Pager-Systeme in einem Universalsystem zu vereinen. Odigo ist schon seit Jahren online, dazu haben sich Trillian und Imici gesellt.

Odigo ist ein typisches Beispiel dafür, dass eine gute Idee jedoch auch vernünftig umgesetzt werden muss. Die komplizierte Benutzeroberfläche von Odigo eignet sich eher für angehende Astronauten als für Normalanwender. Selbst eingefleischte ICQ-Benutzer, die ebenfalls mit einem Raketencockpit zu kämpfen haben, konnten sich bislang kaum für Odigo erwärmen.

Der wahre aufstrebende Star heißt Jabber. Im Vergleich zu allen anderen Systemen ist der Quellcode öffentlich nachvollziehbar, das System wurde als offener Standard konzipiert. Übersetzt ist Jabber ein weiterer Jargon für "Quatschen". Das mehr oder weniger gewollte Wortspiel liegt aber auf "to jab", ein überraschend kurzer, ansatzloser Schlag, meistens direkt in die Niere und fast immer ein sicherer KO. Ob Jabber so die übermächtigen Konkurrenten umlegen will?

So funktioniert Jabber

Wie so vieles entstand Jabber als Projekt eines einzelnen Unix-Programmierers, der unzufrieden mit den bestehenden Windows-Anwendungen war. Jeremy Miller ist eine Art Held der Jabber-Gemeinde. Eigentlich wollte er 1998 nur ein paar Unix-Tools programmieren, um mit AIM- und ICQ-Benutzern zu kommunizieren. Dazu baute er einen Backend-Server, programmierte sich sein eigenes Protokoll und hoffte, dass andere Programmierer ein Frontend beisteuerten. Jabber war geboren.

Im Stil von Sendmail und Apache konnte nahezu jeder Programmierer eine eigene Instant-Messaging-Lösung basteln. Jabber hat inzwischen an Geschwindigkeit gewonnen und über 30 Clients für verschiedene Plattformen stehen mittlerweile zur Verfügung. Etwa 1000 loyale Programmierer arbeiten zur Zeit an Jabber-Projekten. Das hat das Zeug für eine "von null auf hundert"-Show.

Im Gegensatz zu den herkömmlichen Pager-Lösungen baut Jabber vollständig auf XML. Und statt einem zentralen Server mit den bekannten Problemen (vor allem bezüglich der Geschwindigkeit) zu vertrauen, setzt Jabber auf viele lokale Server, die Nachrichten mit einem "XML-stream" zum Empfänger weiterleiten. Inzwischen sind laut Jabber mehr als 35.000 Jabber-Server im Netz verstreut. Letztendlich ist Jabber also nichts anderes als ein XML-Router.

Der Client fordert den XML-Stream immer vom Server an und bekommt von ihm auch seine Adresse (user@jabber.com). Das ist erheblich benutzerfreundlicher als ellenlange ICQ-Nummern, die sich ohnehin keiner merken kann.

Die Nachrichten werden wie E-Mails von Server zu Server geleitet. Da Jabber auf XML basiert, ist es flexibel und kann sämtliche strukturierten Daten bearbeiten und transportieren. Mit dem vom Jabber-Team erstellten "Transportsystem" für die Kommunikation zwischen verschiedenen Pager-Systemen lassen sich sämtliche Pager integrieren. Die "Transportprotokolle" für ICQ, Yahoo oder AIM sind nicht in den Clients, sondern in den Servern abgelegt. Das bedeutet, dass die Clients nicht ständig aktualisiert werden müssen, sondern Patches immer frisch aktualisiert vom Server kommen.

Weitere technische Informationen zu Jabber bekommen Sie bei JabberCentral sowie aus des Jabber Whitepapers im Download-Bereich von jabber.com.

AOL gegen den Rest des Netzes

Im März ist anscheinend auch AOL auf Jabber gestoßen. Seitdem wird Jabber blockiert. Doch die Jabber-Programmierer lassen sich offensichtlich nicht davon abhalten, AIM auch weiterhin zu hacken. Wer den richtigen Jabber-Server anwählt, kann auch weiterhin das AIM-Transportprotokoll anfordern. Für AOL bedeutet das ein Mehrfrontenkrieg, statt einfach nur Anwälte nach Seattle zu schicken und mit unternehmenspolitischen Konsequenzen zu drohen.

Die Jabber-Programmierer haben dafür wenig Verständnis. Die meisten verstehen Messaging nicht als Service, sondern lediglich als weitere Schicht (Layer) der Netzwerk-Infrastruktur. "AOL hat das Spiel noch nicht verstanden", meint Andre Durand, Gründer von Jabber.com, dem kommerziellen Ableger der Bewegung, "denn es geht gar nicht um den einzelnen Paging-Dienst. Die Unternehmen wollen ihren Messaging-Dienst selber kontrollieren."

Jabber.com und Jabber.org sind eine delikate Mischung. Durand glaubt, die Verbindung wäre die "magic sauce" für den Erfolg der Bewegung. Aber können eine nicht-kommerzielle Open-Source-Bewegung und ein kommerzielles Unternehmen mit dem selben Namen überhaupt koexistieren? Durand meint, dass es wenig Reibungspunkte gibt: "Bisher vertragen wir uns sehr gut mit Jabber.org", sagt Durand, "wir bieten Unternehmen kommerzielle Messaging-Lösungen an, die auf dem Jabber-Protokoll basieren, und geben die technische Unterstützung. "Viele Unternehmen benutzen AIM oder andere Pager, um damit intern und extern zu kommunizieren. Jabber.com will die Messaging-Lösung ISPs und großen Unternehmen verkaufen."

Zukunfsaussichten

In der Jabber-Community ist man sich einig: "Die Pager-Clients sind nur die Spitzen des Eisbergs, darunter verbergen sich noch erheblich mehr Möglichkeiten", weiß DJ Adams von Jabber.org. Adams versteht Jabber als eine Art "Nachrichten-Plasma", das verschiedene Bereiche der Kommunikation bindet - das müssen nicht unbedingt nur Nachrichten in Echtzeit zwischen Benutzern sein, auch die Kaffeemaschine oder das Garagentor können über Jabber kontrolliert und gesteuert werden.

So bastelte Adams ein Script, das Lego Mindstorms mit einer Kaffeemaschine zu einem Jabber-Peer im Jabber-Netzwerk verwandelte. Das hört sich alles nach feuchten Träumen für Geeks an, aber möglicherweise werden in Zukunft viele Anwendungen "Jabber inside" sein. Eine weitere Anwendung wäre ein "News-Server", der Daten zu verschiedenen Jabber-Adressen auswirft, ohne genau zu wissen, wo sich die Anwendungen oder angeschlossenen Geräte befinden: Es könnte sich um ein Chat-Fenster, eine an eine Website angeschlossene Datenbank oder einen Toaster handeln. Ein derart angesprochener XML-Router würde die aus dem Web empfangenen Nachrichten automatisch beispielsweise auf dem Fernseher im Schlafzimmer ausgeben.

Weitere Anwendungen und Clients

Eine weitere Anwendung wäre ein absolut universelles Messaging-System, in dem Telefon, Fax und E-Mail intelligent zusammenwachsen und eine gemeinsame Sprache sprechen.

Bereits jetzt schon benutzen verschiedene kommerzielle Unternehmen die Jabber-Infrastruktur. Beispiele sind Firstpeer im Segment der P2P-Echtzeit-Marktplätze, Echo mit Entertainment-Systemen und Roku mit mobilen P2P-Synchronisationslösungen. Selbst IBM arbeitet bereits an Projekten, deren Daten Jabber transportieren soll. Daneben bietet IBM mit SashJab auch einen eigenen Jabber-Client. Natürlich auch, um die eigene Programmierumgebung zu demonstrieren.

Die fünf besten Jabber-Clients:

Produkt

Kurzbeschreibung

MyJabber

Umfangreicher Client mit E-Mailfunktionen, Proxy-Unterstützung, Suche nach Benutzern und einer "Auto away"-Funktion

WinJab

WinJab bietet u.a. Gruppen-Chat und Datenübertragung

KIM

Bietet die meisten Funktionen: PGP-Plug, Gruppen-Chat, FTP-Server, Datenaustausch, Weiterleitung von Nachrichten an E-Mail- und Handy-Gateways

HotJabber

Solider Client mit Datenaustausch, Gruppen-Chat, Nachrichten-Logging und Sound

IBM SashJab

Geschrieben in IBM Sash Weblications, einfache Oberfläche, IBM Weblication-Manager erforderlich

Der von Jabber.com angebotene Client ist mit Vorsicht zu genießen. Nach unseren Erfahrungen führt er zu Abstürzen und pfuscht in der Yahoo-Buddyliste herum. Besser zunächst Finger weg!

Welche Chancen hat Jabber?

Jabber ist erheblich mehr als nur ein alternatives Pager-System. Das ist Chance und Risiko zugleich. Es besteht die Gefahr, dass sich die Bewegung zu sehr zerfasert und an allen Ecken gespielt wird, jedoch nichts wirklich perfekt ist. Denn Benutzer anderer Pager-Systeme werden nur zu Jabber wechseln, wenn es die gewohnten Features besitzt, die Oberfläche einfach zu bedienen ist und das System mindestens genauso stabil wie das gewohnte ist. Da Odigo hier Schwächen aufweist, konnte sich dieses System nie richtig durchsetzten. Odigo bietet zwar Kompatibilität, doch wirkt es noch immer zu kastriert, um Powerusern zu imponieren. Und versuchen Sie mal Ihrem Nachbarn zu erklären, warum er seinen geliebten AOL-Pager gegen etwas anderes eintauschen sollte, womit er auch nicht mehr kann als mit seinen anderen AOL-Freunden zu chatten.

Wenn Jabber allerdings ISPs gewinnen könnte, die E-Mail-Adressen auch gleichzeitig als Jabber-Adressen registrieren und den Client zum Download anbieten, sieht die Sache schon anders aus. Die verfügbaren Clients sind zwar solide, haben aber noch mit vielen Kinderkrankheiten zu kämpfen. Zudem bieten sie immer noch nicht die volle Funktionsvielfalt, die verwöhnte Benutzer von Yahoo oder ICQ gewohnt sind. Insbesondere das viel benutzte "unsichtbare Online"-Feature gehört noch nicht zum Jabber-Aufgebot. In der nächsten Zeit werden daher auch Jabber-Benutzer zumindest noch zweigleisig fahren müssen: Jabber und AIM, falls erforderlich.

Wenn die Jabber-Bewegung tatsächlich eine Chance haben will, dann sollte sie sich zunächst nur auf den AOL Internet Messenger konzentrieren, solide Clients programmieren und das Protokoll stählen. Und es würde Sinn machen, sich auf drei oder vier Clients zu einigen und diese in gemeinsamer Anstrengung aufzubohren. Vielleicht findet sich ja auch ein kompetenter Partner wie Opera. Die norwegische Browser-Firma hat ohnehin Interesse an Messenger-Funktionen.

AOL und die anderen Kommunikationsunternehmen sollten sich also überlegen, wie sie mit Jabber umgehen. "Wir haben von IMunified jedenfalls noch keine Einladung bekommen", sagt Durand, "aber wenn sich ein Standard ergibt, werden wir natürlich ein Transportprotokoll dorthin anbieten. Aber vielleicht werden bis dahin schon alle anderen proprietären Standards keine Chance mehr gegen ein schnell wachsendes Jabber-Netzwerk haben." Die Zukunft wird es zeigen. (fkh)