x86-Konkurrenz dominiert den Server-Markt

Itanium - welche Zukunft haben Intels IA64-Prozessoren?

25.04.2013 von Klaus Hauptfleisch
Itanium steht für „Mission-Critical Reliability“. Aber ist auf die 64-Bit-Prozessorarchitektur noch Verlass, wenn selbst Intel und HP zugunsten von x86er-Technik abzuspringen scheinen?

Die von Intel und Hewlett-Packard gemeinsam entwickelten Itanium-Prozessoren machten in den vergangenen Jahren immer wieder negative Schlagzeilen. Doch entgegen vieler Anzeichen, die an der Zukunft der Architektur zweifeln lassen, gab es in jüngster Zeit auch zwei wichtige positive Signale. So wurde im November 2012 die neue Itanium-Serie 9500 mit Codenamen Poulson präsentiert. Gegenüber dem Anfang 2010 vorgestellten Vorgänger Tukwila (9300er-Serie) wurde die Strukturgröße von 45 auf 32 Nanometer (nm) verkleinert; statt vier werden jetzt bis zu acht Kerne unterstützt. Laut Intel steigt sowohl die Integer-, Floating-Point-, Java- und OLTP-Datenbank-Performance um mindestens den Faktor 2. Als Beleg für die Bedeutung des eigenen Unix-Derivats HP-UX und der Itanium-Server meldete der IT-Riese kurz darauf eine gewonnene EU-Ausschreibung mit einem Gesamtvolumen von mehr als108 Millionen Euro.

Geheimnisvoller Itanium
Dass Intel beim Itanium mit offiziellen Produktfotos und Logos geizt, spricht Bände.
Milliarden von Transistoren
Mit acht Kernen birgt der Itanium 9500 (Codename Poulson) rund 3,1 Milliarden Transistoren und soll er zwei- bis dreimal so leistungsstark sein wie der Vorgänger Tukwila.
Mehr Leistung mit McKinley
Der Itanium 2 mit McKinley-Kern hat 2002 viel von der Enttäuschung der ersten Version genommen.
Itanium-Workstation zx6000
Die 2004 eingestellte zx6000 war eine der wenigen Itanium-Workstations, die HP herausgebracht hat, im Fokus standen bald x86-Workstations.
Leistungsstarke Xeon-Workstation
Als „Rockstar“ unter den Workstations hat HP 2009 die Z800 beworben. Mit bis zu 12 Xeon-Kernen ist sie schon sehr leistungsfähig und auch ein Angriff auf Unix-Systeme.
Poulson-Server HP Integrity rx2800 i4
Als einer der ersten Poulson-Server präsentiert sich das 2-Sockel-System HP Integrity rx2800 i4 mit einer bis zu 3,5-fachen Leistungssteigerung und bis zu 33 Prozent mehr Speicherbandbreite.
Poulson-Power für HP Superdome 2
Wird der Superdome 2 mit bis zu 128 Itanium-Kernen und mit neuer Poulson-Power bald durch leistungsfähige x86-Server ersetzt?
Server-Migrationspfade
Mit IBM als voraussichtlich letzten wichtigen Mohikaner im Unix-Server-Lager sieht Experton in AIX/Power den leichtesten Umstieg von Itanium und Sparc, gefolgt von Linux/x64.
Tandem-Legat Integrity NonStop Itanium
Mit der Idee der Fehlertoleranz hat ein Ex-HP-Mitarbeiter 1974 Tandem Computer gegründet. Daraus wurde die NonStop-Familie, die über den Umweg Compaqs als Integrity NonStop Itanium 2002 wieder den Weg zurück zu HP fand und weiterentwickelt wurde.
IBM hat die beste Unix-Bewertung
Dieser Experton-Analyse zufolge ist IBM der einzige Unix-Server-Hersteller, dem eine glaubhafte Zukunft beschieden ist.
Unix-Server verlieren auf breiter Front
Diese EMEA-Zahlen der letzten zwei Jahre zeigen, dass das ganze Feld der Unix-Server deutlich schrumpft. Am eklatantesten scheint der Einbruch im EPIC-Itanium-Lager zu sein.

Negativ wirkt sich nach Meinung vieler Marktbeobachter aber noch immer der anhaltende Itanium-Streit mit Oracle aus. Als Erbe der konkurrierenden SPARC-Prozessorarchitektur und des SunOS (Solaris) kündigte Oracle im April 2011 die Itanium-Unterstützung für seine Produkte auf. HP bekam zwar mit einer Klage wegen Vertragsverletzung im August 2012 Recht. Doch Oracle ließ nicht locker und scheiterte schließlich erneut mit einer Berufung im Februar 2013. In der Folge machte HP seine Drohung wahr und strengte eine 4-Milliarden-Klage gegen den Erzrivalen an.

Interessenskonflikte mit x86-CPUs

Unix-Server verlieren auf breiter Front: Diese EMEA-Zahlen der letzten zwei Jahre zeigen, dass das ganze Feld der Unix-Server deutlich schrumpft. Am eklatantesten scheint der Einbruch im EPIC-Itanium-Lager zu sein.
Foto: Intel

Viele sehen in dem Disput schon einen Katalysator für das allgemeine Unix-Sterben. Am deutlichsten wird das im Server-Segment für EPIC-basierte Systeme (Explicitly Parallel Instruction Computing), das laut IDC-Analyst Giorgio Nebuloni heute fast ausschließlich von Itanium und HP besetzt ist. Die EPIC-Server-Umsätze haben sich seit 2010 nahezu halbiert. Gründe dafür gibt es mehrere; einer davon ist das von Oracle angeführte Argument, dass Intel wohl selbst nicht mehr an die Itanium-Zukunft glaube.

Itanium-Workstation zx6000: Die 2004 eingestellte zx6000 war eine der wenigen Itanium-Workstations, die HP herausgebracht hat, im Fokus standen bald x86-Workstations.
Foto: HP

Tatsächlich offenbaren sowohl Intel als auch HP in diesem Bereich starke Interessenskonflikte mit ihren Highend-x86-Strategien, früh erkennbar bei Workstations. Verschleppte Roadmaps haben zudem sowohl Kunden wie auch die meisten Hersteller verprellt. Die eklatanten Einbrüche der letzten zwei Jahre sind laut Nebuloni aber unter anderem auch mit den viel längeren Unix-Produktzyklen zu erklären. Bei Generationswechseln wie den zu Poulson oder IBMs Power7+-CPUs würden die Umsatzzahlen meist wieder hochschnellen, so der Experte. Derweil stimmen selbst führende Intel- und HP-Manager schon in den Itanium-Abgesang ein. So wurde HP-Vize Scott Farrand im Sommer 2012 mit den Worten zitiert: „Unsere zukünftige Strategie für geschäftskritische Systeme sieht vor, zu einer x86-basierten Welt zu wechseln.“ Es sei kein Zufall, dass viele Firmen sich von Itanium abgewendet haben, besonders auch Oracle. Farrand sprach dabei auch das Projekt „Dragon Hawk“ an, das zum Ziel hat, die Superdome-Itanium-Systeme durch neue leistungsstarke x86-Server mit Red Hat Enterprise Linux 6 abzulösen.

Wird Itanium technologisch ausgehungert?

Anfang 2013 hat Intel mit einer Randnotiz selbst den Verdacht genährt, dass man Itanium einen langsamen Tod sterben lassen könnte. Anders als zuvor angedeutet, soll der Poulson-Nachfolger Kittson 2014 noch in 32-nm-Technik gefertigt werden. Zeitgleich sieht die Intel-Roadmap für x86er aber schon den Wechsel zu einer Strukturbreite von 14 nm vor. Somit würde der Kittson den x86-Konkurrenten technologisch um zwei Generationen hinterherhinken.

Hinzu kommt, dass für den Kittson, anders als ursprünglich in Aussicht gestellt, auch kein Xeon-kompatibler Sockel geplant ist, sondern wie bei Poulson der Tukwila-Sockel FCLGA1248 beibehalten werden soll. Bestandskunden genießen dadurch zwar Investitionsschutz, verwehrt bleibt aber weiter der Zugang zu modernen Schnittstellen wie PCI Express 3.0. Laut Intel-Manager Stephan Gillich hat die Sockel-Kompatibilität für OEMs den Vorteil, dass sich der Designaufwand minimiert, um schnell neue Produkte auf den Markt bringen zu können.

Von Geschwindigkeit kann bei neuen Itanium-CPUs allerdings keine Rede sein. Die Roadmaps wurden oft um Jahre verfehlt. Einer der Hauptgründe liegt in der Unterstützung der expliziten Parallelisierung (EPIC). Denn diese erfordert einen mächtigen Compiler, dessen aufwändige Entwicklung sich oft als Hemmschuh erwiesen hat. Das hat dazu geführt, dass ähnlich wie Dell oder SGI auch immer mehr andere Server-Hersteller abgesprungen sind.

Itanium-Bewertung: „Leidlich konkurrenzfähig“

Als anfangs tatsächlich „leidlich konkurrenzfähige CPU“ ließ Itanium laut den Analysten von Experton „relativ schnell klar werden, dass die Kooperation von HP und Intel nicht zu weiteren massiven Entwicklungsanstrengungen fähig und willens war, um im Vergleich zu IBM auf Augenhöhe zu kommen und zu bleiben“. So steht es in einer Marktanalyse von Herbst 2012.

IBM hat die beste Unix-Bewertung: Dieser Experton-Analyse zufolge ist IBM der einzige Unix-Server-Hersteller, dem eine glaubhafte Zukunft beschieden ist.
Foto: Intel

Während die Zukunft von IBMs Power-CPUs und des AIX-Betriebssystems als gesichert angesehen werden könne, seien die Kombinationen HP-UX/Itanium und Solaris/Sparc in drei bis fünf Jahren bedeutungslos. Highend-Produkte wie Exadata sicherten Sun/Oracle, obwohl heute weit abgeschlagen, immer noch bessere Überlebenschancen als Itanium. In beiden Fällen werde nicht genug in die Entwicklung gesteckt, ob aus Mangel an Ressourcen wie im Fall Oracle oder weil es grundsätzlich an Antrieb fehle. Big Blue zeige sich mit Power wesentlich agiler, so Experton. Der IT-Konzern halte die Roadmaps seit Jahren ein, gewinne dabei noch Marktanteile und sei der Konkurrenz im RISC-Unix-Lager deutlich überlegen.

Vor diesem Hintergrund könnten Power-Prozessoren langfristig zur letzten Bastion im Unix- und RISC-Server-Markt werden. IDC-Mann Nebuloni merkt an, dass IBM zwar durch zusätzliche Kunden aus anderen Unix-Segmenten mächtig zugelegt habe. Die Ersatzbeschaffungen im Bereich Power-Systeme hätten aber deutlich nachgelassen. Praktisch jeder im Unix-Markt habe schon einen Plan-B, so der Analyst, auch die Hersteller. Wenn die Margen der Legacy-Produkte sinken, müsse man „irgendwann bereit sein, sich selbst zu kannibalisieren“, bevor es die Konkurrenz tue. Bei HP sei das mit der vor einem Jahr angekündigten neuen x86-Highend-Strategie unter dem Projekt „Odyssey“ ebenso erkennbar wie bei IBM mit den x86- und Entry-Level-Power-basierten PureSystems oder bei Oracle mit den gleichfalls x86-basierten Engineered Systems.

Server-Migrationspfade: Mit IBM als voraussichtlich letzten wichtigen Mohikaner im Unix-Server-Lager sieht Experton in AIX/Power den leichtesten Umstieg von Itanium und Sparc, gefolgt von Linux/x64.
Foto: Experton Group

Experton hat derweil schon Migrationspfade für den Umstieg von HP-UX/Itanium und Solaris/Sparc gezeichnet. Der leichteste und wahrscheinlichste Weg sei der Wechsel zu AIX/Power. Um Kunden und Partner zu überzeugen, dass Itanium noch eine Zukunft hat, müssten Intel und HP laut Experton-Analyst Wolfgang Schwab noch in diesem Jahr mit einem Prozessor oder einem Server aufwarten, der nicht nur die x86er und x64er schlägt, sondern „insbesondere die Power-CPU in den Schatten stellt“. Das aber sei reine Utopie.

Albrecht Munz, HPs Leiter für Business Critical Systems, bekräftigte zwar die Itanium-Roadmap bis 2020 mit einem weit darüber hinaus reichenden Support. Doch Schwab rechnet damit, dass aufgrund drastisch gesunkener Stückzahlen 2018 schon ein „stiller Ausstieg ohne große Probleme möglich sein dürfte“.

Itanium-Chancen in der Nische

Allen Widrigkeiten zum Trotz könnte der Itanium zumindest in einigen Nischen noch Chancen haben. Highend-x86-CPUs wie Intels neue E7-Serie werden zwar immer leistungsfähiger, kommentiert Nebuloni. Doch bei Mission-Critical-Parametern wie hoher Fehlertoleranz, Verfügbarkeit und Verlässlichkeit, könnten sie den RISC-, CISC- oder EPIC-basierten Legacy-Systemen noch auf Jahre nicht das Wasser reichen. Wegen der geforderten Zertifizierungen gelten Itanium- und andere Plattformen im Unix-Umfeld laut dem Analysten bei systemkritischen Anwendungen von Behörden, Banken und TK-Gesellschaften immer noch als alternativlos.

Tandem-Legat Integrity NonStop Itanium: Mit der Idee der Fehlertoleranz hat ein Ex-HP-Mitarbeiter 1974 Tandem Computer gegründet. Daraus wurde die NonStop-Familie, die über den Umweg Compaqs als Integrity NonStop Itanium 2002 wieder den Weg zurück zu HP fand und weiterentwickelt wurde.
Foto: HP

Laut Gartner-Experte Adrian O‘Connell sind die Itanium-Server-Umsätze 2012 um 33 Prozent zurückgegangen. Das ganze RISC/Itanium-Unix-Segment ist demzufolge um 19 Prozent eingebrochen. Ein Grund sei die anhaltende Finanzkrise, die Unternehmen gezwungen habe, sich nach günstigen Alternativen umzusehen. Dennoch geht Gartner davon aus, dass Itanium-Server 2017 weltweit immer noch Umsätze von mehr 800 Millionen Dollar abwerfen werden.

Als die ersten Itanium-Systeme 2001 herauskamen, hatten x86er nur einen Anteil von 38 Prozent des gesamten Server-Markts; heute sind es über 72 Prozent, so O’Connell. Itanium-Systeme hatten 2009 einen Höhepunkt mit einem Anteil von immerhin neun Prozent am großen Kuchen; 2012 waren es nur noch vier Prozent. Intel sei in jedem Fall der Gewinner. Für den Kampf gegen Power und Sparc erwiesen sich aber die x86er für den Chipriesen letztlich als profitabler.

Vom Erfolg der x86er übermannt

Laut Nebuloni hatte Intel bei der Markteinführung durchaus im Sinn, den Itanium so weiterzuentwickeln, dass er eines Tages die x86er ersetzt. Stattdessen aber hat sich die Low-Cost-Architektur x86 mit der von AMD vorgelegten 64-Bit-Variante in puncto Leistung und Markterfolg so überraschend entwickelt, dass Intel die Strategie änderte. Trotz deutlicher Performance-Zuwächse mit dem Itanium 2 wurde Intel und HP früh klar, dass mit der eigenen Unix-Plattform auch langfristig kein Geschwindigkeitsrennen zu gewinnen war. Somit verlegten sie sich mehr und mehr auf das Mission-Critical-Argument.

Mittlerweile gelten aber andere Regeln im Server-Markt, so Nebuloni. Internetriesen wie Google oder Facebook verlangten nach Lösungen, bei denen es weniger auf Leistung als auf hohe Energieeffizienz ankomme. Damit rückten Extreme-Low-Energy-Prozessoren wie ARM oder Atom und Mikro-Server wie die aus HPs Projekt Moonshot in den Vordergrund.

Wie die Itanium-Zukunft nach 2020 aussieht, könne man nur vermuten, sagt HP-Manager Munz. Die Kunden könnten sich darauf verlassen, dass die beiden Marktführer HP und Intel rechtzeitig Nachfolgelösungen ankündigen. Munz: „Ob mit oder ohne Itanium – das wird sich zeigen.“