IT in der Logistik - Zukunftstrends

05.09.2007 von Dr. Klaus Manhart
RFID, Agentenbasierte Steuerung und SOA werden die Logistik in den nächsten Jahren bestimmen. Diese zukunftsträchtigen Technologien sorgen dafür, dass Waren und Behältnisse immer eigenständiger und „intelligenter“ werden. Sie wissen, wohin sie müssen und steuern die Systeme, in denen sie sich bewegen.

Die Logistik fußt auf einem festen Bestand an IT-Technologien. Diese, seit Jahren etablierten und genutzten IT-Bausteine sind ERP-Systeme, Warehouse- und Transport Management-Systeme, Software für Supply Chain Management sowie Auto-ID-Verfahren wie Barcode und entsprechende Scanner. Diese logistischen IT-Bausteine wurden im ersten Teil dieses Beitrages vorgestellt.

Doch die Welt ist im Fluss, und diesem Prinzip kann sich gerade in der Transportbranche niemand entziehen. Die Konkurrenz und der Druck, die Logistikkette noch effizienter zu gestalten, zwingt die Transport-Dienstleister zu ständigen Innovationen. Gegenwärtig steht die Branche vor einer gravierenden Wende hin zu echtzeitnahen, dezentralen, individuellen, flexiblen und adaptiven Lösungen. Konventionelle IT-Systeme versagen hier, es gilt, neue Wege zu beschreiten - und zwar in allen Bereichen der Logistik.

Einige dieser Innovationen, die die Logistik der nächsten Jahre bestimmen werden, stellen wir Ihnen in diesem Beitrag vor, darunter SOA, agentenbasierte Fördertechniken und intelligente Behältnisse. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die RFID-Technologie (Radio Frequency Identification) und damit verknüpfte Anwendungen ein. Sie zeigen deutlich, wie weit die Symbiose zwischen IT und Logistik vorangeschritten ist.

Dass diese Technologie eine wichtige Rolle für zukünftige Entwicklungen spielt, ist für einen Logistiker nahe liegend. Erstmals soll damit nämlich ein lange gehegter Wunsch der Branche in Erfüllung gehen: die unmittelbare Verknüpfung von Material- und Datenfluss.

Neue Gesetze – neue Logistik-IT

Zunächst können aber schon ganz profane Dinge Logistik-Dienstleister zur IT-Aufrüstung und Neuorientierung zwingen. Aktuell sind dies beispielsweise die Vorschriften zur Neuregelung von Lenk- und Ruhezeiten und das neue Arbeitszeitgesetz. Sie ziehen einschneidende Veränderungen nach sich: Der stark steigende Mehrbedarf an Kraftfahrern muss erfasst werden, Optimierungs- und Einsparpotenziale sollen die finanziellen Belastungen abmildern.

Gegen die Auswirkungen der neuen Gesetze rüstet sich die Augsburger Roman Mayer Group unter anderem mit IT. Der Einsatz von Telematik und Flottenmanagementsystemen soll eine bessere Personalplanung ermöglichen.

Solche Systeme helfen, die Fahrtenanzahl zu verringern, sorgen für eine verbesserte Nutzung des Transportraums und reduzieren Leerfahrten und Umwege. Dabei werden Wegstrecken von Fahrzeugen unter Einbeziehung bestimmter Einflussparameter aufeinander abgestimmt und optimiert.

Probleme sollen von dem Flottenmanagement frühzeitig erkannt, behoben oder von vornherein umgangen werden. Flottenmanagement-Software mit GPS-Systemen und rechnergestützten Auftragsvorschlägen, sowie digitalen Darstellungen, unterstützen die Logistik-Dienstleister dabei. Daimler Chrysler bietet seinen Kunden beispielsweise die FleetBoard-Flottenmanagementdienste zusammen mit MapTP an. Die geographische Management-Software ermöglicht es, Fahrzeugrouten online zu verfolgen und interaktiv zu planen.

Immer im Blick – Soll und Ist

Die Roman Mayer Group hat angesichts der veränderten Gesetzeslage die Anzahl der Geräte um eine dreistellige Zahl erhöht. In eine Software zur Auswertung der Daten des digitalen Tachographen wurde ebenfalls bereits investiert, ferner ist die Einführung einer Personaldispositionssoftware geplant. Diese war bisher nicht notwendig, erweist sich jetzt aber allein schon durch die wachsende Mitarbeiterzahl als unerlässlich.

Wege optimieren: Beispiel für ein Flottenmanagement-System von Tachocontrol.

„Wir wollen zukünftig aktuell Informationen über die Arbeits-, Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer abrufen können und einen täglichen Abgleich zwischen Soll- und Ist-Arbeitszeit durchführen. Nur so können wir vorausschauend planen“, sagt Mark Brinkhaus, Leiter des Group-übergreifenden „Kompetenzzentrums Transport&Disposition“. Wegen der geforderten Doppelwochenbetrachtung sei eine Disposition mit den bisher gängigen Fahrtenberichten nicht mehr möglich. „Wenn der Fahrer erst nach einer Woche den Zettel abgibt, hat er vielleicht schon 70% seiner für zwei Wochen zulässigen Arbeitszeit verbraucht.“

Internet der Dinge – Selbst ist das Paket

Im Zentrum der mittelfristigen IT-Perspektiven in der Logistik steht zweifellos die RFID-Technologie. Deren Auswirkungen in der näheren Zukunft beschreibt ausführlich der Reader „Internet der Dinge“, herausgegeben von Hans-Jörg Bullinger und Michael ten Hompel von der Fraunhofer Gesellschaft.

Ständiger Begleiter: RFID-Schnittstellen decken künftig die gesamte Supply Chain ab. (Quelle: Fraunhofer)

Das „Internet der Dinge“, wie es von der Fraunhofer Gesellschaft zu einem von zwölf Top-Forschungsthemen benannt wurde, geht einen entscheidenden Schritt über die bloße Speicherung der Daten auf einem RFID-Tag hinaus. Vielmehr sollen künftig RFID-Tags und die Gegenstände, an denen sie befestigt sind, zu eigenständigen „intelligenten“ Objekten werden, die ihren Weg selbst finden und die Systeme steuern, in denen sie sich bewegen. So wie heute die Datenpakete unserer E-Mails ihren Weg im Netz der Netze von einem Internetknoten zum nächsten finden, sollen im „Internet der Dinge“ künftig die Pakete, Paletten und Behälter im logistischen Netzwerk ihren Weg finden.

Autonome Objekte

Voraussetzung dafür sind autonome Objekte – Produkte, Verpackungen, Ladungsträger – und sich selbst organisierende Logistiknetze: Die Objekte der Logistik erhalten eine elektronische Identität und werden auf Basis der RFID-Technologie drahtlos mit ihrer Umwelt vernetzt. Mit Hilfe von RFID-Sensoren und –Tags werden Daten während des gesamten Produktionszyklus – angefangen von der Herstellung über den Transport bis hin zu Auslieferung und Lagerung am Verkaufs- bzw. Verbrauchsort – dokumentiert und in regelmäßigen Abständen an weiterverarbeitende IT-Systeme zur Auswertung übermittelt.

Internet der Dinge: Der Ladungsträger wird intelligent und kennt seinen Weg. (Quelle: Fraunhofer IFF Magdeburg)

Die inner- und außerbetrieblichen Materialfluss- und Logistiksysteme verfügen damit über alle erforderlichen Informationen der Warenströme. Sie können selbstständig reagieren und sich flexibel an wechselnde Anforderungen anpassen. Das ermöglicht autonome, logistische Netzwerke – analog zum Internet. Die logistischen Objekte bewegen sich in Eigenregie durch die Netzwerke und sorgen dafür, dass sie zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Zustand an der richtigen Stelle verfügbar sein - ganz im Sinne der logistischen Grundidee.

Materialfluss – selbstständig gesteuert

Diese Entwicklung wird sich in zwei wesentlichen Schritten vollziehen, die sich am Beispiel der physischen Logistik und Materialflusssteuerung gut nachvollziehen lassen.

Der erste Schritt besteht in der Speicherung von Transport- und Zwischenzielen auf dem Tag. Diese Informationen werden neben dem elektronischen Product Code (EPC) und anderen Daten dynamisch im Tag gespeichert. Dies erfordert naturgemäß freie und wiederbeschreibbare Speicherkapazität. Eine Technologie, wie sie heute schon verfügbar und mindestens für die Kennzeichnung geschlossener Behälter- oder Paletten-Kreisläufe auch finanzierbar ist.

Was nun folgt, ist im Grunde einfach: Beginnend am Wareneingang werden in alle logistischen Objekte – etwa mit Tags ausgestattete Behälter - die nächsten Zielinformationen geschrieben. Eine vollständig dezentral aufgebaute Steuerungstechnik liest an allen Entscheidungsstellen diese Information aus und steuert – ohne eine übergelagerte Entscheidungsinstanz – die Behälter autonom zum Ziel. Für den Fall, dass eine Strecke gestört ist, wird nicht nur die einfache Quelle-Ziel-Beziehung in den Tag geschrieben. Vielmehr werden auch alternative Wege gespeichert. Hierdurch findet der Behälter auf verschiedenen Wegen zum Ziel und kann gegebenenfalls auch alternative Transportmittel, wie etwa einen Stapler, anfordern.

So lässt sich eine einfache, aber sehr zuverlässige Materialflusssteuerung aufbauen. Da die Zielinformation fest mit dem Behälter verbunden ist und weitere Ereignisse im eingebetteten Tag gespeichert werden können, sind Datenverluste praktisch ausgeschlossen. Material- und Informationsfluss bleiben stets synchron. Zusätzlich ergeben sich alle Vorteile, die ohnehin mit dem Einsatz der RFID-Technik erreicht werden können, wie die Artikelsicherung, Rückverfolgbarkeit der Waren, automatisierte Retourenabwicklung und vereinfachtes Mehrwegbehältermanagement.

Gesicherter Warenübergang

Eine Anwendung des „Internet der Dinge“ ist der gesicherte Warenübergang. Der wird in internationalen Logistikketten immer wichtiger, beispielsweise zwischen Lieferant und Kunde. Bislang sind entsprechende Sicherheitsmaßnahmen bei der Warenübergabe nicht verfügbar. Versendet ein Ebay-Händler ein Paket, hat er ein starkes Interesse daran, dass die Ware dem Kunden sicher übergeben wird und er zwangsweise bezahlen muss. Das würde erfordern, dass ein integrierter Warentransport und eine elektronische Signatur eingeführt werden müsste.

„Genau das sind die Applikationen, an denen momentan ganz heiß gearbeitet wird“, erklärt Prof. Michael ten Hompel, Leiter des Fraunhofer Institutes für Materialfluss und Logistik. „Hier kann man sich überlegen, ob man Informationen mit RFID-Kärtchen und entsprechenden Lesegeräten nutzt oder zweidimensionalen Barcode, den man ausdrucken und über ein Terminal quittieren kann. Das sind typische Lösungen, über die nicht nur nachgedacht wird, sondern die sich auch in der Umsetzung befinden.“

Gegenwärtig wird unter dem Themenschwerpunkt „Die gesicherte Warenkette“ ein ganzes Arsenal von Technologien erprobt. So entstehen gerade durch die Koppelung von RFID-Systemen zur Objektidentifizierung mit Telematikmodulen neue Produkte und Lösungen. Durch die Ausstattung mit Sensorik und Kommunikationstechniken erhalten Güter und Transportbehältnisse zusätzliche Intelligenz. Inhalt, Füllstand oder Zustand werden ebenso erfasst wie Transportwege und Ziele. Folge davon wird sein, dass logistische Systeme künftig ganz neue Eigenschaften besitzen werden.

Intelligente Ladungsträger

Derzeit arbeitet man noch an den Basics für intelligente Ladungsträger. Grundsätzlich handelt es sich dabei um wiederverwendbare Behältnisse, die RFID-Antennenstrukturen und eine autarke Stromversorgung besitzen. Objekte, die mit RFID-Labels ausgestattet sind, werden automatisch beim Hineingeben und Herausnehmen identifiziert. Das Behältnis wird so im Sinn einer permanenten Inventur erfasst. Die Position des intelligenten Ladungsträgers und alle Zugriffsoperationen werden über ein GSM-Modul an die Zentrale gesendet.

Gut geeignet für die Ausstattung mit intelligenter Elektronik ist die Europalette. Ein Zwischenboden eignet sich für die Unterbringung der elektronischen Teile. Die Antennenstruktur für das Auslesen der RFID-Tags auf der Ware lässt sich über technische Textilien mit integrierten Antennen in Sackform technisch umsetzen.

Die intelligente Palette: Der Ladungsträger auf Basis einer Europalette ist mit RFID und anderen Elektronikelementen ausgestattet. (Quelle: Fraunhofer IFF Magdeburg)

Lokalisierung und Monitoring

Die Lokalisierungs- bzw. Ortungsverfahren ermöglichen die hausnummerngenaue Auflösung bei Abholung und Anlieferung der Ware. In chaotischen Lagerstrukturen können intelligente Ladungsträger die präzise Verwaltung übernehmen – etwa in Sicherheitszonen am Flugplatz oder unübersichtlichen Geländezonen wie Baustellen.

Das Monitoring der Palette erhöht die Manipulationssicherheit und lässt neuartige Überwachungskonzepte zu. Die Ortung der Ware beziehungsweise der Palette bei einer Ortungshäufigkeit unter 1 pro Minute und einer Ortungsgenauigkeit unter zehn Meter sind Zielstellungen für Galileo-relevante Logistiklösungen im Umfeld von Outdoor-Lagern und Umschlagzonen.

Lieferscheine und Packlisten werden vom Lieferanten beim Zusammenstellen der Sendung elektronisch erzeugt und digital an den Kunden übergeben. Die zu versendenden Objekte wurden vorher mit RFID-Etiketten ausgestattet. Der als elektronischer Lieferschein fungierende Mastertransponder ist im normalen Lieferschein integriert, kann aber auch am Transportbehältnis oder am Masterteil angebracht werden.

Beispiel: IFF Smart Box

Mit der IFF-Smart Box der Fraunhofer Gesellschaft ist ein intelligentes Behältnis schon umgesetzt. Es ist mittels integrierter RFID-Antennen und eines Lesegerätes auf Basis des HF-Funks in der Lage, jede Packstückzuladung und -entnahme zu erkennen und diese Information in einer Datenbank zu speichern. Voraussetzung dafür ist die Ausstattung jedes Packstückes mit einem Transponder. Durch die so mögliche permanente Kommunikation zwischen dem Behälter und dem Packstück werden Inventurdifferenzen laufend erkannt.

Fertig zum Einsatz: Die IFF Smart Box ist sicher und kann jederzeit geortet werden. (Quelle: Fraunhofer IFF Magdeburg)

Die visuelle Überwachung des Inhalts der IFF-Smart Box kann über ein außen angebrachtes Display oder an einem zentralen Leitstand erfolgen, der Daten über ein Telematikmodul (GSM) von der IFF-Smart Box erhält. Gleichzeitig erfolgt mit dem im Telematikmodul eingebauten GPS-Empfänger die Lokalisierung des Behälters. Der aktuelle Standort der Smart Box kann im Internet mittels einer Landkartensoftware oder telefonisch mit Hilfe einer voll automatischen Sprachapplikation abgefragt werden. Optional kann Sensorik zur Überwachung von Druck, Temperatur oder Vibration integriert werden. Entwickelt wurde die Smart Box vom Fraunhofer IFF in Kooperation mit der Deutschen Post World Net und Enaikoon.

Beispiel: Intelligente Behälter

Andere rechnergestützte Logistikprodukte, die den gesicherten Waren- und Transportweg unterstützen, befinden sich noch in der Entwicklungs- und Erprobungsphase. Dies ist etwa der BigBag mit aktiver RFID-Transponder-Antennenstruktur. Er kann Ver- und Entsorgungsprozesse sicher rückverfolgen. Eine andere Möglichkeit ist ein wechselbarer Fahrzzeugaufbau mit RFID- und Telematikeinheit, um Touren und Transporträume zu optimieren.

Intelligente Behältnisse: Neben der Smart Box dienen der BigBag mit RFID-Antennenstruktur und ein wechselbarer Fahrzzeugaufbau als intelligente Ladungsträger. (Quelle: Fraunhofer IFF Magdeburg)

Um die gesicherte Warenkette praktisch umzusetzen, müssen allerdings noch Standards geschaffen werden, da an ihr eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist. Eine branchenbezogene Richtlinie für die gesicherte Warenkette strebt die Interessengemeinschaft LICON an.

Der Licon-Zertfizierungsprozess beschreibt alle erforderlichen Prozessschritte, um nationale und internationale Logistikketten als Netzwerk von Transport-, Lagerungs- und Umschlagsoperationen sicherzustellen. Dies erfolgt unter Einbezug von RF-basierten und anderen Technologien zur Identifikation, Authentifizierung, Zustandsüberwachung und Steuerung. Dabei werden branchenspezifische Prüfroutinen zur Fälschungssicherheit und Ausfallsicherheit eingesetzt.

Autonomie durch Software-Agenten

In vielen Fällen reicht es nicht aus, dass die logistischen Objekte wissen, woher sie kommen und wohin sie müssen. In manchen Gebieten der Logistik muss der Warenstrom in Reihenfolgen gebracht werden. Oder Ressourcen müssen sinnvoll genutzt werden, damit die Wege nicht verstopfen.

So beispielsweise in der Fördertechnik. Die Fördertechnik befasst sich mit der Planung und der Ausführung zum Bewegen von Gütern, Kisten und Paletten in abgegrenzten Betriebsbereichen. Um diese Objekte und damit die kommissionierten Waren schnell zwischen den Arbeitsstationen hin und her zu transportieren, werden Fahrzeuge eingesetzt. Größere, unflexible Fahrzeuge werden dabei zunehmend von kleinen, agilen Transportmitteln abgelöst. „Hier ist ein klarer Trend zu sehen“, erklärt Prof. ten Hompel. „Die Fahrzeuge werden immer kleiner, immer autonomer, immer intelligenter und agieren zunehmend in der Gruppe.“

Im Warehouse werden beispielsweise erste Systeme mit hunderten von Fahrzeugen genutzt, um Behälter und kommissionierte Waren schnell zwischen den Arbeitsstationen hin und her zu transportieren. Zur optimalen, kollisionsfreien Steuerung ist zusätzliche „Intelligenz“ erforderlich.

Mobile Agenten im RFID-Tag

Sie wird in Form von kleinen Programmen, mobilen Software-Agenten, in die RFID-Tags eingespeichert. Diese Agenten-Software in den Tags sorgt dafür, dass Weichen, Sorter oder Puffer in geeigneter Weise angesteuert werden. Hierzu kommuniziert die Software in den einzelnen Behältern untereinander und mit der Umgebung, in und mit der sie sich bewegen.

Klein und flexibel: Transport-Fahrzeuge wie Multi-Shuttles werden immer kleiner und können via Agententechnologie selbstständig agieren. (Quelle: Fraunhofer IML)

Klein und flexibel: Transport-Fahrzeuge wie Multi-Shuttles werden immer kleiner und können via Agententechnologie selbstständig agieren. (Quelle: Fraunhofer IML)

Blickt man auf die Simulation solcher Systeme, so sehen die Behälter aus wie Ameisen, die sich selbstständig in ihrem Haufen bewegen und ihr Futter zum Ziel tragen. Tatsächlich ist das Verhaltensmuster von Ameisen ein mögliches Verfahren zur Selbstorganisation der autonomen Objekte.

Ameisenalgorithmen

Wie Ameisen in ihrer Kolonie, so kommunizieren nur wenige benachbarte Agenten untereinander und organisieren sich mit relativ geringer Kommunikationstiefe – ohne zentrale Instanz und trotzdem zielgerichtet. Dieses Prinzip lässt sich über naturanaloge Verfahren wie Schwarm- und Ameisenalgorithmen zur Steuerung der Fördersysteme einsetzen. Der häufig genutzte Ameisenalgorithmus ist ein solches Optimierungsverfahren, welches sowohl seinen Namen als auch die sich dahinter verbergende Idee aus einer Analogie zur Futtersuche realer Ameisen bezieht.

Optimierte Routen: Rechts eine schlechte Routenführung mit großem Zeitaufwand, links das mit Ameisen-Intelligenz optimierte Routenführungssystem. (Quelle: Swiss Engineering 6/03)

Der Ameisenalgorithmus und andere Schwarmalgorithmen entstammen dem Gebiet der Multi-Agenten-Systeme, einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. In Multi-Agenten-Systemen werden Probleme kollektiv durch das Zusammenwirken unabhängiger Software-Einheiten, der Agenten, gelöst. Diese Multi-Agenten-Systeme werden durch das Internet der Dinge erstmals in großem Maßstab physisch umgesetzt.

Auch sonst haben Agentenarchitekturen in der Logistik ein großes Potenzial. Viele Forschungsprojekte geben davon Zeugnis ab. Richtungsweisende Ergebnisse über Agentensysteme sind in der Initiative Agents.enterprise, einem Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, erarbeitet worden. Ein paar Beispiele finden Sie beim Technologiezentrum Informatik, beim Oldenbourg Wissenschaftsverlag, bei der Fern-Universität Hagen und der International Society for Environmental Protection.

Autonome Steuerung: Software-Agenten kommunizieren miteinander und steuern Förderfahrzeuge wie Multishuttle-Systeme in Echtzeit. (Quelle: Fraunhofer IML)

Für Prof. ten Hompel können Software-Agenten auch dazu beitragen, Standardisierungsprobleme in der Logistik zu lösen. „Logistische Prozesse lassen sich kaum standardisieren. Man kann aber die Agenten standardisieren, und man kann Fahrzeuge standardisieren.“ Beide zusammen agieren intelligent und emergent auf standardisierter Basis.

SOA – Umstieg von Pull auf Push

Software-Agenten können auch innerhalb einer Serviceorientierten Architektur ihre Dienste leisten. Sie können beispielsweise als Webservices zur Verfügung stehen und Informationen eigenständig bewerten.

Neben der Agententechnologie sind Serviceorientierte Architekturen (SOAs) ein weiteres heißes Eisen, das die Logistik-Branche derzeit umtreibt. Künftig werden logistische Prozesse über SOA gesteuert, in der lose gekoppelte Dienste plattformunabhängig miteinander kommunizieren. Statt einem bestimmten Geschäftsprozess wie ehemals eine fixe, monolithische IT-Lösung zuzuweisen, arbeitet SOA mit kleineren Einheiten.

Der entscheidende Vorteil, den SOA bietet, ist der Umstieg bei den logistikbegleitenden IT-Lösungen von Pull- auf Push-Systeme. Die einzelnen, wieder verwendbaren „Business-Services“ werden lose gekoppelt und je nach Geschäftsprozess konfiguriert. Analog zu einem herkömmlichen Kaufvorgang bezieht ein bestimmter Geschäftsprozess aus einem Angebot von Einzel-Services die von ihm benötigte Kombination und erhält so seine maßgeschneiderte, von einzelnen Systemen unabhängige IT-Unterstützung.

Ziel des Ansatzes ist eine dienstbasierte und verteilte Gestaltung des Informationsflusses auf Grundlage standardisierter technischer und logischer Schnittstellen. Zudem lässt sich die IT-Infrastruktur echtzeitnah mit dem physischen Materialfluss verknüpfen. In der Materialflusstechnik werden damit die hierarchischen Steuerungsstrukturen aufgebrochen.

Der Materialfluss und die darin befindlichen Waren und Güter nutzen ad hoc diejenigen Transportdienste, die seitens der Fördertechnik angeboten werden und die für die weiteren Prozessschritte erforderlich sind. Die Kommunikation zwischen den Fördertechnikelementen und den Automatisierungskomponenten wird auf Basis lose gekoppelter Dienste in Form von Web-Services realisiert.

„SOA ist durch Applikationen wie Netweaver von SAP, Websphere von IBM oder die klassischen Sun-Applikationen, die ja auch offen gelegt worden sind, sehr stark mit initiiert worden“, sagt Prof. ten Hompel. „Ich glaube, dass das in der Logistik erste große Umsetzungen finden wird, weil das einfach logisch ist: Dass man den physischen Service, der ja häufig durch die Logistik erbracht wird, auch logisch umsetzt, indem man entsprechende Softwaresysteme schafft.“

SOA in der Logistik – ein Beispiel

Ein einfaches Beispiel - die Bestellung eines Kunden bei einem Versandhändler – veranschaulicht die SOA-Philosophie. In dem Beispiel gibt es folgende Prozessschritte: Erfassung - Verfügbarkeitsprüfung - Bonitätsprüfung - Bestellung - Kommissionierung - Versand - Rechnungsstellung – Zahlungseingang.

Für jeden Schritt gibt es einen Service. Wie dieser implementiert ist, welche Programmiersprache genutzt wurde, ist in SOA nicht relevant. Auch können die Services auf unterschiedlichen Systemen, sogar in unterschiedlichen Unternehmen implementiert sein. Beispielsweise kann die Zahlungsfähigkeit des Kunden über einen Finanzdienstleister ermittelt werden. Die diversen Logistik-Services können von einem Logistik-Dienstleister erbracht werden. Schlüsselinformationen, wie Kundennummern oder Artikelnummern, werden den Services von der Infrastruktur zur Verfügung gestellt.

Die Abfolge muss nicht so sequentiell in der dargestellten Reihe erfolgen. Im Gegenteil, die meisten Prozessschritte können scheitern. Mangelnder Bestand, fehlende Bonität, ausbleibender Zahlungseingang führen zu Verzweigungen, die entsprechend abweichende Vorgehensweisen erfordern. Auch die parallele Verarbeitung mehrerer Schritte – etwa Versand und Rechnungsstellung - ist möglich.

Wichtig ist jedoch, dass beispielsweise die Bonitätsprüfung immer dieselbe ist, auch wenn sie von unterschiedlichsten Prozessen oder sogar Firmen genutzt wird. Damit wird ein wichtiges Ziel von SOA erreicht: Ein einmal implementierter Service kann auf Dauer erhalten bleiben, er muss nicht immer wieder angefasst werden, wenn sich Geschäftsprozesse ändern, was Aufwand spart und Fehler vermeidet.

Entscheidet sich das Unternehmen aber, die Bonitätsprüfung in andere Hände zu legen, so muss die Infrastruktur diesen Service nur bei einem anderen Provider aufrufen. Sonst ändert sich nichts.

Fazit

Gerade in der Logistik- und Transportbranche führt nach Ansicht der Gesellschaft für Informatik kein Weg an der Einführung von Serviceorientierten Architekturen vorbei. Sie werden die nächsten Jahre zusammen mit den erwähnten anderen Technologien bestimmen.

Für Prof. ten Hompel lässt sich die IT in der Logistik zukünftig „richtig anfassen“: Autonome Fahrzeuge, autonome Services, Internet, Internet der Dinge, RFID – das geht in die gleiche Richtung. „Das ist alles sehr spannend“, erklärt ten Hompel. „Wir haben nur die Schwierigkeit, dass die Logistikfirmen eine Technikgeneration nach der anderen adaptieren mussten“.

Nun müssen sie wieder neue Technologien in die Unternehmen integrieren. „Viele sind ja froh, dass sie gerade eine objektorientierte Programmierung eingeführt haben. Jetzt müssen sie schon wieder umdenken.“ (mha)