Unternehmenskultur

IT-Führungskräfte ticken anders

28.01.2014 von Dieter  Weichl
IT und Unternehmenskultur IT-Führungskräfte ticken anders Wer in der Welt von 0 und 1 arbeitet, übernimmt dieses Muster oft in seinem Denken und Verhalten. Das hat Folgen für die Führungs- und Unternehmenskultur von IT-Firmen, weiß ein Experte und berichtet aus seiner Beratungspraxis.

Kürzlich saß ich mit einem IT-Mitarbeiter zusammen, der mir eine Geschichte erzählte. Sein IT-Abteilungsleiter – ein gestandener, erfahrener , hoch spezialisierter Mensch, jahrelang im Unternehmen tätig, gut vernetzt, geschätzt von allen – bekommt den Auftrag, einen funktionierenden Prozess effizienter zu gestalten. Schon bei der Auftragserteilung stellt sich ihm die Frage, was das eigentlich soll. Der Prozess funktionierte doch bisher gut. Der Abteilungsleiter delegiert den Auftrag an seine Mitarbeiter weiter, setzt die richtigen Leute ein und erwartet Lösungen. Gleichzeitig setzt er sich ebenfalls an die Aufgabe, und findet auch innerhalb seiner 0/1-Parameter eine Lösung. Seine Mitarbeiter bringen ihre eigenen Ideen, die der Chef bis ins Detail verstehen will. Diese findet er jedoch nicht besser als seine eigenen Ideen. Deshalb entscheidet der IT-Leiter, dass seine Idee nach oben weitergereicht wird.

Sein Chef wiederum, der Bereichsleiter – auch ein gestandener ITler – findet analog, dass dieser Vorschlag nicht in seine eigene Vorstellung passt und zerpflückt die Idee des Abteilungsleiters bis ins Detail. Die Entscheidung fällt letztendlich zugunsten des Bereichsleiters. Der Abteilungsleiter findet die Idee seines Chefs vollkommen falsch, schließlich sei ja seine eigene Idee viel besser. Er gibt den vorgegebenen Lösungsweg an seine Mitarbeiter weiter, die jetzt ebenfalls demotiviert an die Arbeit gehen.

Zusätzlich wird während des gesamten Projektes gar nicht oder nicht effizient kontrolliert, man agiert nach dem Prinzip „die müssen ja wissen wie das geht“. Kurz vor Projektende stellen die Beteiligten in einem dramatischen Jour Fixe fest, dass der vorgegebene und eingeschlagene Weg nicht funktioniert. Das Target ist in Gefahr und die Führungskraft greift zu einer letzten Waffe, der Task-Force (bei der sich selbst noch die oberste Führungsebene einklinkt, wenn es um ein ganz wichtiges Target geht), die dann meist innerhalb der bekannten Parameter altbekannte Lösungen bestimmt.

Eine weitere Spezialität der IT-Branche folgt: Nun wird ausgiebigst analysiert und über die Ursachen und die Schuld in dem Projekt diskutiert. Erfahrungsgemäß verwenden die Beteiligten hierfür mehr als 80 Prozent der Energie und Zeit im Projekt.

So oder so ähnlich läuft es in vielen IT-Unternehmen. Demotivation, Frustration und innere Kündigung der Mitarbeiter sind die Folge, von den ökonomischen Folgen ganz zu schweigen.

Denken in 0 und 1

Ein Chinesisches Sprichwort sagt: „Der Mensch nimmt die Farbe seiner Umgebung an.“ Das gilt auch für die Menschen, die mit und in IT arbeiten. Wer in der Umgebung von Bits und Bytes arbeitet, übernimmt häufig die Welt von 0/1 in seinem Denken und Verhalten. Entscheidungen werden nach 0/1 getroffen: ja oder nein, schwarz oder weiß.

Auch die innere Struktur übernimmt dieses Muster und wird zum 0/1-Verhalten. Oder wird gar zur „Ich–bin-der-einzige-der-weiß-wie-es-geht“-Haltung. Doch was passiert, wenn ein 0/1-Mensch auf einen anderen 0/1-Menschen trifft? Oder gar auf eine ganze 0/1-Abteilung bzw. 0/1-Unternehmen? Oder tatsächlich auch noch auf Menschen, die anders geprägt sind?

IT-Fachkräfte sind hochqualifizierte Menschen und oft sehr loyal. Viele Unternehmen rekrutieren ihre Führungskräfte am liebsten aus dem eigenen Mitarbeiterpool. Deshalb übertragen sie Mitarbeitern Führungsaufgaben, um sie zu motivieren, aufgrund ihrer langen Betriebszugehörigkeit, ihres Know-hows und ihrer guten fachlichen Leistungen. Das passiert häufig, ohne dass sicher ist, dass diese die neue Position auch ausfüllen können. So kommt es in IT-Unternehmen oftmals zu einer unbewusst gewachsenen Unternehmenskultur, die sich darin manifestiert, dass Fachwissen und Zugehörigkeitsdauer als wichtige Beförderungskriterien dienen. Strategisches Management und Personalführungskompetenz hingegen sind hier nicht die Basis für Personalentscheidungen.

Führung durch „operatives Reinreden“

Wenn jetzt Leitende mit hohem Fachwissen Führungsaufgaben übernehmen, kann bei diesen schnell die Idee entstehen, dass sie vor ihren Mitarbeitern brillieren müssen. Leider nicht in ihren Führungsaufgaben, sondern mit ihrem Detailwissen. Dieses Phänomen findet sich dann selbst in Top-Positionen wieder. Eine Kultur entsteht, die sich mit Details und Ausarbeitungen der Umsetzung beschäftigt, mit Vorgaben für die Mitarbeiter, wie sie es machen sollen: „Mikromanagement“ oder „Management by Reinreden“.

Darüber hinaus finden sich immer wieder (Top-)Manager, die keine konkreten (strategischen) Ziele vorgeben. Diese führen nach der Idee: „Wir wollen ungefähr ‚das‘ erreichen. Macht uns bitte Vorschläge, wie wir das schaffen können.“ Wenn die Mitarbeiter mit Ideen kommen, passen diese allerdings nicht in die Vorstellung der Vorgesetzten und werden abgeschmettert – und mit den Ideen der Führungskräfte ersetzt.
Ein weiteres Thema sind die so genannten „hidden agendas“. Dadurch, dass Top-Manager nicht immer die Ziele des gesamten Unternehmens, sondern ihre persönlichen verfolgen, arbeiten häufig ganze Bereiche gegeneinander. Und Schuld daran ist freilich immer der andere. Diese Art von Unternehmenskultur motiviert Mitarbeiter und bringt Ideen hervor, die immer wieder gleicher Natur sind – sie kommen ja auch von immer den gleichen Personen.

Folglich sind die meisten Führungskräfte in diesen Betrieben nicht fähig, richtig zu delegieren, und haben oftmals nicht genug Abstand, um das große Ganze im Visier zu haben. Das führt zu zu viel Arbeit auf dem Tisch, vielen Überstunden, Überarbeitung und ständiges „Management by Feuerlöschen“. Sie sind dem Burnout näher als einer gesunden Work-Life-Balance.

Um den Teufelskreis zu durchbrechen, ist eine klare Führungskultur auf der Basis von Ziel- und Werteorientierung notwendig. Wenn das Wissen der eigenen Mitarbeiter dem IT-Unternehmen auf dem Markt Vorteile bringen soll, muss es die Angestellten motivierend einbinden. Diese Haltung müssen die Führungskräfte vorleben. So entsteht eine Werteorientierung für alle und eine Leitplanke, die hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und (Unternehmensziele) konsequent zu verfolgen.

Change-Management statt Change-Verweigerung

Auf diese Weise lässt sich auch eingefahrenes Verhalten aufbrechen: IT-Mitarbeiter, die bei Veränderungen nicht gleich „Nein“ rufen, sondern die Möglichkeiten in der Neuerung suchen. Statt impulsbringende Ideen aus anderen Bereichen wie bisher zu missachten, klein zu reden oder zu denunzieren, können die Beteiligten diese jetzt mit wachem Auge nach deren Verwertbarkeit und Machbarkeit prüfen. „Potenzial wecken“ nennt man das. Mitarbeiter, die entdecken, dass sie etwas bewegen können und Teil des Changes sind, sind hoch motivierte Menschen, die Verantwortung übernehmen und respektvoll miteinander Lösungen suchen.

Mitarbeitermotivation
Umfrage
Die Personalberatung von Rundstedt hat 732 Beschäftigte nach ihren Top-Leistungsanreizen im Job gefragt.
Platz 1: Boni
Jeder vierte Angestellte würde sich durch einen Bonus zu mehr Leistung anspornen lassen.
Platz 2: eigenverantwortliche Arbeitsplanung
Direkt hinter dem Bonus folgt als zweithäufigste Nennung die eigenverantwortliche Arbeitsplanung (19 Prozent).
Platz 3: Beteiligung am Unternehmen
Auf Platz drei liegt der Wunsch nach einer Unternehmensbeteiligung (zwölf Prozent).
Platz 3, zum Zweiten: Zusätzliche Urlaubstage
Ebenso auf Platz drei liegt der Wunsch nach mehr Urlaubstagen (zwölf Prozent).
Platz 5: Die Möglichkeit, sich Projekte weitgehend selbst auszusuchen
Für neun Prozent der Umfrageteilnehmer wäre es ein zusätzlicher Leistungsanreiz, wenn sie sich ihre Projekte und Tätigkeiten weitgehend selbst aussuchen dürften.
Platz 6: Dienstwagen
Erst danach, auf Rang sechs, folgt mit dem Wunsch nach einem Dienstwagen ein Statussymbol in der Rangliste (sieben Prozent).
Platz 7: Auszeit
Fünf Prozent der Befragten bezeichnen Auszeiten und Sabbaticals als Motivatoren.
Platz 8: Weiterbildungen und Coachings
Vier Prozent der Befragten würden Weiterbildungen beziehungsweise Coachings zu mehr Leistung anspornen.
Platz 9: Ein eigenes Büro
Vier Prozent der Umfrageteilnehmer bezeichnen ein eigenes Büro als Anreiz für zusätzliche Leistungen.
Platz 10: Laptop, Tablet, Smartphone
Den letzten Rang belegt der Wunsch nach einem Laptop, Tablet oder Smartphone (drei Prozent).


Konsens braucht Offenheit und Klarheit

Spricht man mit IT-Mitarbeitern darüber, was sie stört, kommen immer wieder die Themen „Meeting“, „Besprechung“ oder „Jour fixe“ auf den Tisch. Viele empfinden sie als überflüssig und vom Kerngeschäft ablenkend. Diese Treffen sind jedoch wichtige Kontrollinstrumente der Führungskraft. Allerdings ist es wichtig, dass diese nicht zu „Zeitfressern“ werden, sondern Meetings mit einer klaren Struktur sind: Zu Beginn sollten die Teilnehmer effizient über Erreichtes berichten und Problemsituationen konkret und in aller Kürze darstellen. Im zweiten, zeitlich größer bemessenen Teil des Treffens sollten sie gemeinsam an konkreten Lösungen arbeiten.

Ein Meeting ist dann gut, wenn es ein klar kommuniziertes Ziel hat, nur die dafür notwendigen Personen eingeladen sind und sich die Teilnehmer darauf vorbereitet haben (betrifft auch die Führungskraft, egal welcher Hierarchie-Ebene entstammend). Wichtig ist zudem, dass alle mit der Einstellung teilnehmen, die Meinung der anderen wirklich hören zu wollen. Nur so können die von vielen ITlern als störend empfunden Meetings zu Motivations- und Inspirationsquellen werden.

So kann das entstehen, was von IT-Unternehmen erwartet werden darf: tatsächliche Innovationen – nicht ausnahmsweise und zufällig – sondern geplant und gemanagt.

Unternehmenskultur als Leitlinie

Viele Unternehmen – auch IT-Unternehmen – haben in den letzten zehn bis 15 Jahren angefangen zu verstehen, dass es nicht nur um Prozesse oder um Organisations-Strukturen geht, wenn Effizienz und Effektivität angesprochen werden. Viele haben Workshops organisiert (intern und extern begleitet), viele Arbeitsstunden investiert, Werte formuliert sowie Leitlinien abgeleitet und diese mit großer Geste den Mitarbeitern präsentiert.

Neueste Beispiele aus eigener Erfahrung belegen, dass diese kostspieligen Errungenschaften der Unternehmen im Großen und Ganzen wenig Wirkung erzielen. Fast nichts davon lässt sich im Unternehmen wiederfinden. Weder in den Entscheidungsetagen noch in Richtung Kunde. Weder von den Managern in Richtung Mitarbeiter noch unter den Kollegen und Kolleginnen.

Warum haben diese Maßnahmen so wenig Wirkung? Die Antwort ist einfach: Unternehmen müssen ihre Werte und Leitlinien herunterbrechen und als Verhaltenskompetenzen zur Verfügung stellen. Die „Oben“ müssen aufhören zu denken, dass die direkten Mitarbeiter nur das wissen müssen, was von ihnen erwartet wird. Die Führungskräfte müssen die gemeinsame Kultur vorleben. Nur so kann sich jeder „richtig“ verhalten. Jetzt sind auch (zum Management eben gehörende) Kritikgespräche möglich, weil so Mitarbeiter von Managern, Führungskräften, Leitenden und Mitarbeitern ein konkretes Verhalten einfordern können. Weil dann eine erkennbare, lebbare Unternehmenskultur vorhanden ist. Voraussetzung dafür ist, dass (Top-)Manager in Deutschland aufhören, immer noch in 0/1 zu denken und zu glauben, dass sie es besser wüssten als der Rest ihrer Belegschaft. (kf)