Gesuchte Mitarbeiter

IT-Arbeitsmarkt: Junginformatiker sind begehrt

10.12.2011 von Ingrid Weidner
Bewerber mit einem Studienabschluss in Informatik sind derzeit offenbar in einer komfortablen Lage. Sie haben freie Wahl - und die Arbeitgeber, ob Mittelstand oder Konzern, müssen wieder einiges bieten, um die Umworbenen für sich zu gewinnen. Flexible Arbeitszeiten und Freiheiten sind da gefragte Faktoren.

Von einer Krise am IT-Arbeitsmarkt ist nichts zu spüren. Mit jedem Jahr verschärft sich der "War for Talents" weiter", sagt Matthias Busold, Bereichsleiter bei der Personalberatung Kienbaum in Hamburg. Längst nutzen auch kleinere Firmen den Service von Personalberatungen, mitunter versuchen Unternehmen sogar auf diesem Weg, offene Positionen für Hochschulabsolventen zu besetzen. "Viele Bewerber suchen nach dem Studium eine Herausforderung und entscheiden sich aufgrund der Inhalte für ein Angebot. Der Ort oder das coole Büro spielen eine untergeordnete Rolle", beobachtet Busold.

Host Europe will neue Mitarbeiter mit verantwortungsvollen Aufgaben locken, wirbt Geschäftsführer Patrick Pulvermüller. In einer sechswöchigen Einarbeitungsphase lernt jeder neue Kollege Unternehmen, Strukturen und Arbeitsweise kennen. Während der Probezeit bietet Host Europe drei Orientierungsgespräche an, um den neuen Mitarbeitern Feedback oder Unterstützung zu geben sowie über Perspektiven zu sprechen.

Doch Pulvermüller weiß, dass das nicht ausreicht. Schließlich buhlen in der Region viele Unternehmen um gute Mitarbeiter. Deshalb bietet Host Europe ein firmeneigenes Fitness-Programm, kostenloses Obst, bezuschusste Kindergartenplätze oder auch bezahlte Überstunden an. "Unsere Mitarbeiter sind sehr zufrieden, sie sind selten krank und arbeiten gerne für uns", bilanziert der Geschäftsführer. Was nach einem Wunschkonzert klingt, sei an sich nicht so teuer. Lediglich um die Koordination aller Angebote für die rund 250 Mitarbeiter kümmert sich eine Kollegin mit Vollzeitjob.

Wir suchen Informatiker

Bewerber mit einem Studienabschluss in Informatik sind derzeit in einer komfortablen Lage. Sie haben freie Wahl - und die Arbeitgeber, ob Mittelstand oder Konzern, müssen wieder einiges bieten, um die Umworbenen für sich zu gewinnen.
Sissi Closs, Comet Computer
"Flexible Arbeitszeiten waren für uns von Anfang an selbstverständlich."
Matthias Busold, Kienbaum
"Mit jedem Jahr verschärft sich der War for Talents."
Klaus Rüffler, DB Systel
"Spricht ein Bewerber die Work-Life-Balance an, zeugt das von sozialer Kompetenz."
Patrick Pulvermüller, Host Europe
"Wir sponsern zehn Kindergartenplätze mit 70.000 Euro im Jahr."
Michael Römer, A.T. Kearney
"Berufsanfänger können bei uns in der Beratung schnell Auslandserfahrung sammeln."
Michael Groß, Audi
"70 Prozent der Absolventen, die wir einstellen, kennen wir aus Praktika oder Abschlussarbeiten."
Rafael Laguna, Open Xchange
"Wir finden Mitarbeiter über Inhalte. 90 Prozent der Neuen kommen zu uns über Networking."

Rund 60 Neueinstellungen in Köln und an weiteren Standorten in England und Rumänien plant Pulvermüller pro Jahr. "Wir suchen über drei Kanäle. Mit Anzeigen in Online-Jobportalen haben wir gute Erfahrungen gemacht. In den sozialen Netzwerken sind wir vertreten, gehen dort aber nicht direkt auf Bewerber zu, weil uns das zu aufdringlich ist. Empfehlungen und Mundpropaganda sind die dritte, ebenfalls erfolgreiche Schiene des Recruitings." Außerdem bietet Host Europe regelmäßig Ausbildungsplätze an.

Mit einem Durchschnittsalter von rund 29 Jahren ist das Team des 1997 gegründeten Unternehmens noch ziemlich jung. Pulvermüller erzählt, schon so manches Paar habe sich im Kollegenkreis gefunden. "Viele wollen Familie und Karriere verbinden. Deshalb haben wir ein festes Angebot von zehn Kindergartenplätzen, die wir mit rund 70.000 Euro pro Jahr sponsern." Die Plätze werden nach den eingehenden Bewerbungen vergeben, die Eltern zahlen nur den ortsüblichen Beitrag. "Das Geld ist gut angelegt, denn die Eltern können auf diese Weise Arbeit und Familie verknüpfen."

Pluspunkt flexible Arbeitzeit

Als Work-Life-Balance hierzulande noch ein Fremdwort war, bot Sissi Closs in ihrem Unternehmen Comet Computer bereits flexible Arbeitszeiten an. "Wir haben von Anfang an darauf gesetzt, als wir mit zwei Mitarbeitern begannen. Für uns ist das eine Selbstverständlichkeit", sagt Closs, deren Firma sich auf technische Dokumentation spezialisiert hat und die mittlerweile 65 Mitarbeiter in München, Berlin und Karlsruhe beschäftigt. Die Spanne der Arbeitszeitmodelle reicht von wenigen Stunden in der Woche bis hin zu einem ganz normalen Vollzeitjob. Organisierte die Firma anfangs ihre Zeiterfassung noch über Excel-Tabellen, hilft heute eine eigens entwickelte Software, die geleisteten Stunden zu erfassen.

"Flexible Arbeitszeiten bedeuten allerdings auch für die Mitarbeiter, dass sie selbst Verantwortung übernehmen für ihre Aufgaben und eine Vertretung mit organisieren, wenn sie nicht erreichbar sind", sagt Closs. Das flexible Konzept von Comet Computer hat sich herumgesprochen. Viele Initiativbewerbungen trudeln ein, gerade auch von Eltern mit Kindern, wie die Unternehmenschefin erzählt.

Bloß kein Sachbearbeiter-Job

Kienbaum-Berater Busold sucht häufig auch für unbekannte, aber erfolgreiche Unternehmen aus dem Web-2.0-Umfeld nach neuen Mitarbeitern. Allerdings muss er dann häufig echte Überzeugungsarbeit leisten. "Für viele Absolventen ist die Meinung ihrer Eltern und des Freundeskreises wichtig. Sie sammeln Argumente, wie sie ihre Familie überzeugen können." Dagegen fürchteten sich gerade gut qualifizierte Absolventen davor, vom hohen intellektuellen Niveau an der Universität in einer Firma zu landen, in der sie eine Position als Sacharbeiter ausfüllen müssen. Doch mitunter verzweifelt der Berater auch an den Bewerbern, die mit einem exzellenten Studienabschluss und trotz eines guten Angebots lieber noch ein Praktikum anhängen. "Firmen suchen Absolventen, die Persönlichkeit haben und bereit sind, in den kommenden Jahren alles zu geben." Deshalb könnten Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vorstellungsgespräch junge Bewerber schon mal aus dem Rennen werfen.

Der sichere Arbeitsplatz

Bei DB Systel dagegen sind Fragen nach der Work-Life-Balance sogar erwünscht. "Ansonsten greifen wir das Thema im Vorstellungsgespräch auf", sagt Klaus Rüffler, Personalchef der DB Systel, des IT-Dienstleisters der Deutschen Bahn in Frankfurt am Main. "Spricht ein Bewerber dieses Thema von sich aus an, zeugt das von seiner sozialen Kompetenz." Das Tochterunternehmen der Deutschen Bahn macht mit einem eigenen Internet-Auftritt sowie Karriereseiten auf sich aufmerksam und nutzt Karrieremessen, etwa auf der CeBIT, um mit Bewerbern ins Gespräch zu kommen. Da das Unternehmen viele IT-Positionen zu besetzen hat, gibt es unterschiedliche Einstiegsmöglichkeiten: von Ausbildungsplätzen und dualen Studienangeboten über Trainee-Programme und Direkteinstieg bis hin zu Positionen für Fachkräfte mit mehr als zehn Jahren Berufserfahrung. Rüffler wirbt mit einem "interessanten Arbeitsumfeld, neuesten Technologien wie Cloud Computing und einem sicheren Arbeitsplatz".

Der Standort Frankfurt hat aber auch Nachteile. "Wir zahlen gute Gehälter und bieten vielfältige Sozialleistungen. Doch die Lebenshaltungskosten hier sind hoch", gibt Personalchef Rüffler zu bedenken. "In den anderen Niederlassungen in Erfurt und Berlin ist die Situation etwas entspannter." Dass der Standort eines Unternehmens eine wichtige Rolle im Recruiting spielt, weiß auch Rafael Laguna, CEO von Open-Xchange im nordrhein-westfälischen Olpe. Von der beschaulichen Stadt mit ihren rund 25.000 Einwohnern bis nach Nürnberg ist man mit der Bahn rund sechs Stunden unterwegs, mehrmaliges Umsteigen inklusive. Als sich in Nürnberg ein kleines Team ehemaliger Suse-Mitarbeiter nach einem neuen Arbeitgeber umsah, fand sich eine pragmatische Lösung: Open-Xchange mietete 2005 ein Büro in Nürnberg an. Inzwischen ist das kleine Team auf 20 Mitarbeiter angewachsen, am Firmensitz in Olpe sind rund 45 Angestellte beschäftigt. "Wir engagieren die Talente da, wo wir sie bekommen", erklärt Rafael Laguna. Gerade verhandelt er mit einem anderen dreiköpfigen Team in Berlin, das er übernehmen und dort in einem Büro unterbringen möchte.

Freiheiten statt viel Geld

"Wir sind sehr präsent auf Veranstaltungen und finden unsere Mitarbeiter über Inhalte. 90 Prozent der neuen Kollegen kommen über Networking zu uns", sagt Laguna. Eine Karrieremesse hat das Unternehmen dagegen noch nie besucht, auch Stellenanzeigen bringen kaum Erfolg. Ein Mitarbeiter von Open-Xchange engagiert sich als Gastdozent an der Fachhochschule Köln und macht so auf die Firma aufmerksam. "Wir betreuen Diplomarbeiten und bieten bezahlte Praktikantenplätze an. Viele verlängern ihre Zeit bei uns mit einem Teilzeitjob während des Studiums, um anschließend ganz einzusteigen", sagt Laguna.

Ob in Nürnberg oder Olpe, verantwortungsvolle Aufgaben und internationale Projekte locken Bewerber an. "Wer zu uns kommt, sollte abenteuerlustig sein und ein dynamisches Umfeld mögen", sagt Laguna. Weniger willkommen sind dagegen Bewerber, die schnell viel Geld verdienen wollen. "Da spielen wir nicht mit. Wir zahlen eigentlich unterdurchschnittliche Gehälter, bieten guten Mitarbeitern aber Incentives, etwa an einer einwöchigen Apple-Entwicklerkonferenz in Kalifornien teilzunehmen, sowie Freiheiten im Arbeitsalltag." Auch der Wechsel zwischen unterschiedlichen Arbeitsbereichen, zum Beispiel von der Entwicklung in den Support, werde von den Mitarbeitern goutiert.

Ein ganzes Berufsleben im Konzern

Langfristig Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden ist auch das erklärte Ziel von Michael Groß, verantwortlich für das Personal-Marketing bei Audi. Im Gegensatz zu vielen anderen Konzernen müssten die Ingolstädter Bewerbern nicht ihr Produkt erklären. "Aber wir konkurrieren mit anderen großen Unternehmen um IT-Mitarbeiter", sagt Groß. In diesem Jahr hat der Autobauer insgesamt 1200 Akademiker gesucht und gefunden, und auch in den kommenden Jahren soll sich das Wachstum fortsetzen. "Die Möglichkeiten für IT-Positionen sind vielfältig. Von der SAP-Anwendung für IT im Fahrzeug bis zur Konzern-IT und der Produktionssteuerung in den Fabriken reicht das Spektrum", skizziert Groß. Das biete auch Chancen, andere Bereiche kennen zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Audi setzt für die Personalsuche das ganze Repertoire ein: soziale Netzwerke, Anzeigen in Online-Jobbörsen oder auch eine Vorlesungsreihe an der Universität Erlangen, die speziell Informatikern das Thema Fahrzeugtechnik näherbringen soll. "70 Prozent der Hochschulabsolventen, die wir einstellen, kennen wir bereits aus Praktika oder Abschlussarbeiten", sagt Groß. Das Unternehmen investiert hierzu in ein Rahmenprogramm in den unterschiedlichen Fachabteilungen, in denen die Praktikanten zu Gast sind. "Uns ist wichtig, dass die Praktikanten gut betreut werden, in spannenden Projekten mitarbeiten und nicht Kaffee kochen müssen."

Neben einem sicheren Job lockt Audi mit attraktiver Bezahlung und Boni. "Die Automobilbranche zahlt gute Gehälter, und wir beteiligen unsere Mitarbeiter zusätzlich am Erfolg. In diesem Jahr hat jeder Mitarbeiter eine Erfolgsbeteiligung von rund 6500 Euro erhalten. Wir bieten die Perspektive eines sicheren Jobs und wünschen uns, dass die Mitarbeiter ihr ganzes Berufsleben bei uns verbringen", sagt Groß.

Auch Unternehmensberatungen locken viele IT-Absolventen an. Ein internationales Arbeitsumfeld, große Projekte und die weite Welt wirken anziehend. "Berufsanfänger können schnell Auslandserfahrung sammeln", sagt Michael Römer, Partner im Münchner Büro von A.T. Kearney, und ergänzt: "Eigeninitiative wird von uns gezielt gefordert und gefördert. Auch die Spezialisierung für eine bestimmte Branche gestalten wir sehr flexibel. Ein Einsteiger muss sich nicht sofort auf einen Industriezweig festlegen." Als Anreiz sieht er das MBA- und Promotionsprogramm, das Mitarbeiter dabei unterstützt, sich weiterzuqualifizieren.

Die eigene Zeit einteilen lernen

Manchen Bewerber schreckt auch das enorme Arbeitspensum, das von einem Berater erwartet wird. Doch Römer wendet ein, dass sich hier einiges geändert habe: "Wir bringen unseren jungen Kollegen bei, dass sie auch Nein sagen können - ja sogar manchmal auch müssen. Sie sollen lernen, sich selbst ihre Zeit im Projekt einzuteilen." Auch wenn sich Beratungen mehr um die knapper werdenden jungen Talente bemühen müssen, scheint die Karriereregel "Up or out" immer noch das Beraterleben zu bestimmen.

Innovation lockt Informatiker

Das Gehalt passt, die Arbeitsaufgaben könnten besser sein. Auf diesen Nenner könnte man die Stimmung der Informatiker bringen, die zwischen ein und acht Jahren im Beruf sind. Das geht aus der Studie der Marktforscher des Berliner Trendence Instituts hervor, die im Frühjahr 2011 knapp 4000 Young Professionals befragten. Verbesserungspotenzial sehen die Informatiker auch in Sachen persönliche Entwicklung und Eigenverantwortung. Laut Jörn Klick, Senior Account Manager beim Trendence Institut, haben Berufsanfänger mit IT-Abschluss "vergleichsweise hohe Erwartungen an die Innovationskraft ihres Arbeitgebers": "In diesem Punkt klaffen Erwartungen und Zufriedenheit der Informatiker relativ weit auseinander, während die Gesamtheit der Young Professionals in dieser Hinsicht durchaus zufrieden mit ihrem Arbeitgeber ist." Darum rät Klick Unternehmen, die Informatiker anlocken wollen, der eigenen Innovationskraft mehr Beachtung zu schenken. (mje)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche.