IP-Telefonie mit Komfort

28.09.2001
Die Voice-over-IP-Lösung von Alcatel ist eine Erweiterung der vorhandenen ISDN-TK-Anlage. Dadurch stehen alle bekannten Leistungsmerkmale auch für die IP-Telefonie zur Verfügung.

Von: Carsten Rossenhövel, Christoph Lange

Zum Abschluss der Voice-over-IP-Testreihe (VoIP), die NetworkWorld gemeinsam mit dem Partner Lab EANTC durchgeführt hat, unterzogen wir Systeme von Alcatel undCisco einer genauen Überprüfung. Bei den insgesamt acht Tests mittelgroßer VoIP-Anlagen berücksichtigten wir das ganze Spektrum derzeit erhältlicher Lösungen: Es reicht von zu hundert Prozent H.323-kompatiblen Systemen über herstellerspezifische, auf Router-Technik basierenden Lösungen bis hin zu IP-Erweiterungen herkömmlicher Telefonanlagen. Die Ergebnisse aller Testkandidaten sind auf Seite 49 zusammengefasst.

Der auf Telekommunikation spezialisierte Anbieter Alcatel realisiert IP-Telefonie für mittlere bis sehr große Installationen als Erweiterung der klassischen Telefonanlage "Omni PCX-4400". Der Anschluss an ein lokales IP-Netz erfolgt über Einschubkarten vom Typ "INTIP". Sie übertragen das Systemtelefon-Protokoll "UA" von Alcatel in Internetpaketen. Diese Daten werden auf der anderen Seite des LANs von herkömmlichen Alcatel-Systemtelefonen empfangen. Ein Einsteck-adapter, die so genannte "IP-Plugware", verwandelt diese in IP-Telefone - und zwar in sehr komfortab-le. Der Kunstgriff, IP nur als Verlängerungsschnur für die Verbindung zu Systemtelefonen zu nutzen, statt die Signalisierung in das H.323-Protokoll zu wandeln, ermöglicht es Alcatel, alle Leistungsmerkmale der herkömmlichen Anlage zu unterstützen.

Allerdings hat das Ganze auch eine Kehrseite: Diese Architektur beschränkt die Merkmale auf die einer klassischen Telefonanlage. Für die Integration in die Datenwelt ist ein zusätzlicher "Groupware Server" notwendig. Dieser läuft auf einem eigenen PC und verwaltet die angeschlossenen PC-Softphones vom Typ "Alcatel 4980". Er sorgt für die Integration mit Outlook oder Lotus Notes und leitet Anrufe bei abgeschaltetem Softphone weiter. Dabei stimmt sich der Groupware-Server mit der Telefonanlage über ein eigenes Protokoll ab. Sollen auch VoIP-Endgeräte von Drittanbietern angeschlossen werden, zum Beispiel für Netmeeting-Konferenzen, ist zusätzlich ein H.323v2Gateway von Alcatel erforderlich.

Aus technischer Sicht ist die PCX-4400 ab 30 Teilnehmern nutzbar. Alcatel rät jedoch aus Kostengründen bei Installationen mit weniger als 200 Endgeräten zur kleineren Alternative "Omni PCX-Office", die unter Linux läuft. Die "PCX-4400" ist für bis zu 5000 Teilnehmer ausgelegt. Im Verbund mit anderen Systemen des gleichen Typs sollen sich bis zu 50 000 Endgeräte anschließen lassen. Die Anlage kann durch Einbau redundanter Komponenten so konfiguriert werden, dass eine hohe Verfügbarkeit gewährleistet ist.

Das Hardwaretelefon

Das Top-Modell der Hardware-Telefone "Alcatel Reflexes Advanced" - eines von vier zur Auswahl stehenden Geräten - glänzte durch eine flexibel anpassbare Oberfläche. Alle frei programmierbaren Hotkeys und Schnellwahltasten sind mit LCD-Feldern zur Anzeige der aktuellen Belegung versehen. Über diese Felder ist auch eine Besetztfeldanzeige möglich. Dadurch sieht der Benutzer, wer im Team gerade telefoniert. Mit der eingebauten alphanumerischen Tastatur lassen sich Namen einfacher speichern oder wählen, als mit der von SMS bekannten Buchstabeneingabe über Zifferntasten.

Der IP-Anschluss erfüllt alle für VoIP nötigen Anforderungen: In das Telefon ist ein 2-Port-Switch für Fast Ethernet eingebaut. Dieser überträgt die Sprachpakete auf Ethernet-Ebene (802.1p) mit höherer Priorität als die Datenpakete eines dahinter angeschlossenen PCs, gegebenenfalls getrennt in verschiedene VLANs (802.1q). Die Tabellen mit den Messergebnissen sowie sämtlichen Leistungsmerkmalen der getesteten Komponenten sind unter www.networkworld.de zu finden.

Die Sprachqualität

Bei der Vorbereitung der Sprachqualitätsmessungen erlebten wir, was es bedeutet, eine große klassische Telefonanlage zu konfigurieren: Die Codecs mussten in nicht weniger als vier verschiedenen Menüs konsistent umgestellt werden. Dazu gibt es zwar eine grafische Benutzerschnittstelle. Profis verwenden jedoch nach Aussage von Alcatel üblicherweise den schnelleren Zugriff via Telnet auf die Unix-gestützte PCX 4400. Falls gewünscht, kann der Hersteller die Anlage auch per Fernwartung einstellen. Standardvorgaben lassen sich alternativ auch von den Systemtelefonen aus konfigurieren.

Das von uns eingesetzte Sprachqualitätsmessgerät "Tiqos Voice" (siehe Kasten nächste Seite) ermittelte perfekte Werte für die unkomprimierte Übertragung zwischen zwei Gateways mit G.711 und die komprimierte Variante mit G.723, sowie nahezu perfekte Werte für G.729. Bei den weiteren Untersuchungen der Übertragungsqualität der Hardwaretelefone machte uns jedoch die Signallaufzeit (One-way Delay) Sorge: Sie war besonders beim Einsatz Bandbreiten sparender Codecs mit bis zu 500 Millisekunden unangenehm groß und auch in der unkomprimierten Alternative noch deutlich bemerkbar. Aufgrund der starken Verzögerungen erreicht die PCX-4400 bei dem Sprachqualitätstest als Gesamtnote nur 3,0 Punkte.

Um das schlechte Delay-Verhalten zu überprüfen, baute der Hersteller die Anlage nach Abschluss unserer Tests im Labor von Alcatel in Stuttgart erneut auf. Dabei stellten die Techniker bei den genannten Sprachverbindungen laut Alcatel ein deutlich geringeres Delay von 30 bis 70 Millisekunden fest. Der eingesetzte Codec benötigt etwa 30 Millisekunden, um ein Sample umzusetzen. Nach Aussage von Alcatel erzielten die Techniker insgesamt ein Ende-zu-Ende-Delay von maximal rund 80 Millisekunden. Dieses habe die Sprachqualität nicht merklich eingeschränkt. Die Anlage liege damit innerhalb des vom Standard vorgeschriebenen Rahmens.

Im Test mit dem "Storm"-Simulator (siehe Kasten oben) erwiesen sich die Verbindungen der Hardwaretelefone auch unter simulierten schlechten Netzbedingungen als sehr stabil: Sogar bei zehn Prozent Paketverlust kam es nicht zu Abbrüchen.

Per PC telefonieren

Die Verbindungen zwischen den Softphones 4980 litten unter einem Rauschen und Knattern, das der Hersteller auf Qualitätsprobleme der Soundkarten in den von Alcatel gestellten Demo-PCs zurückführte. Während des Testzeitraums ließ sich dieser Fehler nicht beseitigen. Die von uns durchgeführten Qualitätsmessungen zwischen den Softphones sind deshalb möglicherweise nicht repräsentativ und wurden bei der Bewertung nicht berücksichtigt.

Das Softphone ließ sich leicht und intuitiv bedienen. Die Oberfläche lässt sich allerdings nicht an unterschiedliche Benutzeranforderungen anpassen. Die Hardwareausstattung mit Handset oder Headset wurde positiv bewertet, denn ein Hörer erleichtert den Umgang mit einem Softphone erheblich. Das Alcatel-Handset ist mit einem Klemmmagneten ausgestattet. Wenn es klingelt, hebt man es durch seitliches Herausziehen aus der Klammerung ab. Bei abgehenden Gesprächen muss man zusätzlich einen Button in der grafischen Oberfläche anklicken.

Fazit

Der von Alcatel gewählte Weg, die TK-Anlage um Voice over IP zu erweitern, macht die ISDN-Leistungsmerkmale für IP-Telefone nutzbar. Aufgrund der herstellerspezifischen Signalisierungsprotokolle ist eine uneingeschränkte Kommunikation mit Geräten anderer Hersteller auf Basis von Standardprotokollen wie H.323 oder SIP allerdings nicht möglich. Über das H.323-Gateway sind immerhin Basisfunktionen nutzbar. Abgesehen von den im Test festgestellten relativ langen Signallaufzeiten bieten die Hardwaretelefone eine ausgezeichnete Sprachqualität.

Zur Person

Carsten Rossenhövel

ist im Vorstand der EANTC AG und leitet die Abteilung Re-search and Development.