IP liefert Mehrwert

16.02.2001
Der Siegeszug des Internet-Protokolls ist nicht mehr aufzuhalten: Während heute ein Viertel aller Datendienste über diesen Standard abgewickelt werden, sollen bis 2010 fast 90 Prozent aller übermittelten Datenpakete IP-basiert sein. Da verwundert es nicht, dass die Anbieter mit viel Power neue IP-Services aus der Taufe heben.

Von: Hans-Jörg Schilder

Die Liste neuer IP-Services ist ebenso lange wie undurchschaubar: Corporate Networking, Internet-Connectivity, Hosting, SAN-Dienste (SAN = Storage Area Network) und VPNs (VPN = Virtual Private Network) sind nur ein Teil der verwendeten Schlagworte. Meist sind es die Anbieter von Internet-Diensten, die längst gemerkt haben, dass sie mit dem reinen Internet-Zugang kein Geld mehr verdienen können. Aus diesem Grund lassen sich diese Firmen etwas einfallen: Multimedia-Services, um Audio- und Videodaten abzuspielen, Conferencing-Dienste für Unternehmen oder auch Beratungs-Know-how wird angeboten. Außerdem gibt es E-Business-Angebote, die vom Internet-Shop bis hin zur Integration in Warenwirtschaftssysteme reichen.

Und die Liste der IP-Dienste ist noch lange nicht zu Ende: Voice over IP (VoIP), Web-basierte Callcenter, Voice-Portale und IP-basiertes Management der Kundenbeziehungen (CRM = Customer Relationship Management) gehören zu den weiteren Angeboten eines Internet-Serviceproviders (ISPs). Unterschiedliche Bezeichnungen für ähnliche Dienste tragen nicht gerade dazu bei, den Dschungel der Begriffe zu lichten. Value-added-Services oder Mehrwertdienste sind das Zauberwort der Branche, glaubt zumindest Joe Hickey, Vice President und General Manager IP Services von Nortel Networks: "IP-Mehrwertdienste wie VPNs, verwaltete Firewalls und personalisierte Content-Portale sind für Serviceprovider unverzichtbar, wenn sie ihren Kundenstamm pflegen und ausbauen und ein profitables Geschäftsmodell auflegen wollen."

Offenbar zahlt sich dies für Nortel aus, denn einem Bericht der Synergy Research Group zufolge stand der Ausrüster im dritten Quartal 2000 mit einem Marktanteil von 75 Prozent auf Platz eins des Switch-Markts für IP-Services; ähnlich erfolgreich ist der Herstel-ler bei den IP-Routern. Den Grund für die Markterfolge kennt Jeremy Duke, Präsident der Synergy Research Group: "Mehrwertdienste ermöglichen es Breitband-Serviceprovidern, in einem sehr wettbewerbsintensiven Umfeld Umsätze und Gewinnmargen zu erhöhen." Und von den neuen Diensten können die Geschäftskunden profitieren.

Unternehmen, die Ausrüstung für Breitbandnetze liefern, sind unter anderem Juniper, Cisco, Unisphere und Nortel. So lässt sich der Edge-Switch "Shasta 5000 BSN" von Nortel in der Peripherie von Netzwerken einsetzen, um mit Techniken wie DSL (DSL = Digital Subscriber Line) die letzte Meile zum Internet-Backbone zu überbrücken. Damit stellt der Provider einen schnellen Zugang zu Breitbanddiensten und -Content zur Verfügung.

Solche Edge-Switches können die Sammeleinwahl, DSL, Festnetz und Mobilfunk, optische Stadtnetze und Ethernet-Anschlüsse, ATM (ATM = Asynchroner Transfer-Modus), Frame-Relay und Standleitungen in einem Gerät konzentrieren. Serviceprovider in den USA wie Savvis Communications oder Link Networks setzen die Geräte ein, aber auch die in Deutschland ansässigen Firmen Arcor und der WLL-Anbieter Star 21.

Klotzen statt kleckern: Luxushotels für Rechenmaschinen

Auf die Schwerpunktthemen Corporate Networking, Internet-Connectivity und Hosting konzentriert sich der Netzbetreiber und Serviceprovider KPN Qwest Germany. Das Unternehmen hat im Herbst 2000 in München ein Server-Hotel mit 10 000 Quadratmetern eröffnet, das erste von 18 europaweiten Centern in dieser Größenordnung (siehe auch den Artikel zum Thema Web-Hosting auf Seite 34). Das Unternehmen versteht sich als Application Infrastructure Provider, der ISPs, Systemintegratoren und Softwareanbietern eine Plattform für hochwertige E-Business-Anwendungen zur Verfügung stellt. Die Services von KPN Qwest basieren auf einem 20 000 Kilometer umfassenden Glasfasernetz, über das der Spezialist für Datenkommunikation die flächendeckende Verfügbarkeit und Sicherheit der IP-VPN-Technik sicherstellt.

Eine ganze Suite von weltweit verfügbaren IP-Services will Konkurrent Worldcom vermarkten: "IP VPN" und "Private IP" heißen die Produkte, die Anfang Januar erstmals präsentiert wurden. Sie sollen eine Dateninfrastruktur liefern, die globale E-Business-Unternehmen benötigen. Hinter IP VPN steht das globale IP-Netzwerk der Firma, in das auch das Tochterunternehmen Uunet eingebunden ist. Der 120 000 Kilometer lange Backbone sichert unter anderem die Einwahldienste und fest zugeordnete VPN-Services. Private IP eröffnet neue elektronische Anwendungen für traditionelle Datennutzer, da das Netzwerk mit der MPLS-Technik (MPLS = Multi-Protocol Label Switching) ausgestattet ist. Der Dienst wird in allen Ländern angeboten, in denen der Carrier Frame-Relay (45 Länder) und ATM (22 Länder) anbietet. Das Unternehmen stellt neben VPN-Services auch WebHosting und Web-Center bereit.

Outsourcing kryptisch: Hosting, Housing und Sharing

Auf Mehrwertdienste hat sich auch der in Karlsruhe ansässige Internet-Provider CNT konzentriert, insbesondere auf Hosting, Housing und Server-Sharing. Das Angebot reicht vom technischen Management der Web- und Mail-Server bis hin zum Equipment-Housing kundeneigener Hardware im Rechenzentrum. Beim Server-Sharing werden die Inhalte der Kunden-Website auf leistungsstarken Servern zur Verfügung gestellt, rund um die Uhr betreut und mit hoher Bandbreite den Nutzern zugänglich gemacht. Ein Internet-Backbone sorgt nach Angaben des Anbieters dafür, dass sich Internet-Seiten schnell aufbauen - selbst wenn Zehntausende von Interessenten zugreifen. Neben E-Business- und Callcenter-Diensten setzt CNT auf VoIP-Lösungen via VPN.

Das namensgleiche Unternehmen Computer Network Technology (CNT) bietet ebenfalls Dienste über das Netz an, allerdings anderer Art: Der SAN-Spezialist (SAN = Storage Area Network) vermarktet Backup-Leistungen, die über ein schnelles Glasfasernetz abgewickelt werden. Daten werden über ATM-, IP- oder Fibre-Channel-Netze übertragen. Die teilweise mehrere 100 MBit/s schnellen Leitungen sorgen für eine sichere Auslagerung von unternehmenskritischen Informationen.

Selbst die Hardwareproduzenten stellen sich auf die Bedürfnisse der Hosting-Anbieter ein: Beispielsweise liefert Ensim eine ausbaufähige Plattform, mit der Hosting-Provider und Datenzentren ihre Serverkapazität an die Geschäftsentwicklung anpassen können. Die "Serverxchange" genannten Einschübe verwalten bis zu hundert Server, die über eine Steuerkonsole eine vollständige Übersicht aller Aktivitäten liefern. Vorteil des mitwachsenden Equipments: Die Konfiguration der Dienste oder größere Speicherkapazitäten lassen sich innerhalb von Minuten am Bildschirm konfigurieren. Dagegen beträgt der gegenwärtige Branchenmittelwert für solche Aktionen 28 Tage.

IP-Mehrwertdienste: Hängt der Brotkorb zu hoch?

Der Service Web-Hosting sorgt bei Analysten für Euphorie: Beispielsweise konstatiert John Madden, Branchenanalyst bei Summit Strategies: "Web-Hosting in all seinen Formen ist ein Markt, der schneller abgeht als eine Feuerwerksrakete." Dies erinnert ein bisschen an die hohen Erwartungen, die vor wenigen Jahren die Mehrwertdienst-Angebote im Telekommunikationsbereich begleiteten. Was ist davon übrig geblieben? Nur der Platzhirsch Telekom verfügt über ein entsprechend ausgebautes Netz. Von den damals als Mehrwert-Killerapplikationen bezeichneten Diensten wie zum Beispiel Vanity-Rufnummern oder Massenfax-Versand redet heute niemand mehr.

Aber jetzt packt es die Industrie noch mal an, diesmal soll das Internet-Protokoll den Auftrieb geben. Zu hoffen bleibt, dass der Kunde nicht allzu verwirrt auf die Angebots- und Begriffsflut reagiert. Hier mischt die neue Application-Service-Providing-Branche genauso mit wie auch tablierte Internet-Spezialisten. Vorsicht ist aber auf jeden Fall geboten: So schätzt das Marktforschungsunternehmen Meta Group, dass spätestens in diesem und im nächsten Jahr weltweit 60 Prozent der ASPs wieder von der Bildfläche verschwinden. Keine guten Aussichten für einen Markt, der sich erst formiert und der davon lebt, Dienstleistungen in einem Vertrauensverhältnis zum Kunden anzubieten. (pri)