IP-Carrier schlägt zu

13.10.1999
Vor wenigen Tagen eröffnete der TK-Anbieter in London das Operationszentrum für sein globales IP-Netz. NetworkWorld sprach mit dem Europachef Wim Huisman über das ehrgeizige Unterfangen, ein weltweites Netz mit Terabit-Bandbreiten aufzubauen.

Von: Claudia E. Petrik

Mitte September nahm Global Crossing offiziell das Kontrollzentrum "GNOC" (Global Network Operations Center) in den Londoner Docklands in Betrieb, welches einmal das gesamte weltweite Kabelnetz managen soll, das der Carrier derzeit aufbaut. Dazu gehören die Glasfaserkabel im Nord- und Südatlantik sowie im pazifischen Raum. Dieses rein auf IP basierende Netzwerk soll Ende nächsten Jahres fertig sein und dann auf einer Gesamtlänge von 140 000 Kilometern 170 Städte in 24 Ländern verknüpfen. Insgesamt investiert das Unternehmen 6,4 Milliarden Dollar in die Infrastruktur.

NetworkWorld: Wann wird Global Crossing schwarze Zahlen schreiben?

Wim Huisman: Darf ich Sie daran erinnern, daß wir Ende 1998 schon Kapazitäten auf dem Atlantic-Crossing-Kabel im Wert von über einer Milliarde Dollar verkauft haben. Anders als viele Internet-Startup-Unternehmen haben wir regelmäßige Einkünfte. Aber wir sind noch nicht profitabel, weil wir noch aufbauen. Bisher haben wir bereits mehr als fünf Milliarden Dollar investiert.

NetworkWorld: Würden Sie zustimmen, wenn ich sage, daß Sie im Jahr 2001 oder 2002 schwarze Zahlen schreiben?

Huisman: Ja, ich denke schon.

NetworkWorld: Wo bekommen Sie das Kapital her?

Huisman: Wir sind 1998 an die Börse gegangen, das brachte über 400 Millionen Dollar. Wir haben kürzlich eine Vereinbarung mit einem Konsortium verschiedener Kreditgeber im Wert von drei Milliarden Dollar getroffen. Wir stehen finanziell gut da. Sie haben die Ankündigung mit Microsoft und Softbank gesehen, die 350 Millionen Dollar zum Bau des pazifischen Kabelrings beitragen.

NetworkWorld: Ist das Ihre einzige Partnerschaft?

Huisman: Ja.

NetworkWorld: Von Irland haben Sie 80 Millionen Dollar bekommen. Wie ist das mit anderen Ländern?


Huisman: Die Sache mit Irland ist etwas besonderes. Viele Industrien gehen dorthin, und es gibt einen Bedarf an globaler Kommunikation. Deshalb hatte die irische Regierung ein Interesse an uns und hat Kapazität im Wert von 80 Millionen Dollar bestellt. Jetzt verlegen wir einen Glasfaserstrang von England nach Irland.

NetworkWorld: Level 3 behauptet, die Kosten für Ferngespräche in IP-Netzen würden 80 Prozent niedriger sein als in leitungsvermittelten Netzen. Stimmen Sie dem zu oder haben Sie andere Zahlen auf Lager?

Huisman: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Vor zwei Jahren kostete eine STM-1-Leitung (155 MBit) für ein Atlantik-Kabel von USA nach Europa bei unbegrenzter Nutzung etwa 20 Millionen Dollar. Als wir Ende 1997 Atlantic Crossing ankündigten, sagten wir, daß der Preis für eine STM-1-Leitung acht Millionen Dollar betragen würde. Die Kunden standen Schlange, um mit uns Verträge zu unterschreiben. (Anmerkung der Redaktion: Heute liegt der Preis bei zwei Millionen Dollar.)

NetworkWorld: Ist es nicht paradox, daß Sie Kunden wie die Deutsche Telekom mit altem Equipment haben, die von Ihnen kaufen?

Huisman: Das ist paradox, aber es ist auch ein Warnsignal dafür, daß ein Carrier die neueste Technik haben und sie ständig erneuern muß, um nicht hinter den anderen zurückzufallen. Wir sind sehr erpicht darauf, mit unserer Technik immer auf dem laufenden zu sein, sonst verlieren wir gegen die anderen. Mit der aktuellsten Technik haben wir außerdem die niedrigsten Kosten.

NetworkWorld: Gibt es irgendeinen Carrier, der mit Ihnen vergleichbar ist oder Ihnen nahe kommt?

Huisman: Nein. Ganz einfach deshalb, weil wir ein weltweites Netz bauen, das 170 Städte verknüpft. Damit decken wir 80 Prozent des globalen Verkehrs ab. Ich spreche über unser eigenes Netz mit eigenen Glasfasern, Seekabel mit 2,5 Terabit Kapazität und unsere eigenen Kabelstationen. So ein Netz hat niemand anders. AT&T und MCI Worldcom haben auch große Netze, aber die benutzen sie selbst. Sie verkaufen keine Kapazitäten. Wir verkaufen an diese Unternehmen.

NetworkWorld: Sie sind also eine Ebene darüber.

Huisman: Das sehen wir gerne so.

NetworkWorld: Wie lange glauben Sie, von Ihrem Vorsprung als IP-Carrier zu profitieren, bis die alten Telcos Sie einholen?

Huisman: Wir haben drei signifikante Vorteile gegenüber alten Telcos: Erstens: Niemand hat ein globales Netz wie wir. Zweitens: Wir benutzen die aktuellste Technik. Drittens, und das ist am wichtigsten: Wenn Sie eine STM-1-Leitung (155 MBit/s) von Frankfurt nach Tokio haben wollen, dann gehen Sie zum GNOC in London und kriegen die sofort, wenn Sie ein Formular ausgefüllt haben.

NetworkWorld: Das beantwortet nicht die Frage. Wie sieht es mit dem Zeitrahmen aus? Was wird in zwei Jahren sein?


Huisman: Dann füge ich hinzu: Wenn Sie immer die beste Technik haben, dann können Sie nicht zurückfallen. Alte Telcos haben zwei Dinge versäumt: Sie saßen auf ihren Investitionen wie fette Katzen, und das waren oft gute Investitionen in große Netze, aber sie haben nicht in die neueste Technik investiert. Ein großes TK-Unternehmen hat uns vor kurzem gestanden, daß es in bestimmten Landesteilen nicht genügend Kapazitäten habe. Das ist unglaublich. Wir haben gesagt: "Das kriegen Sie von uns". Der zweite Punkt ist: Weil alle Allianzen auseinanderbrechen, hat keine Ex-PTT ein Netz außerhalb ihres Landes. France Telecom hat gerade angekündigt, daß sie sich von der Deutschen Telekom trennen will.

NetworkWorld: In gewisser Weise sind Sie eine Art Super-Carrier.

Huisman: Nehmen Sie mal Swisscom, die sind jetzt unser Kunde. Stellen Sie sich vor, Sie wollen als Schweizer in die USA. Sie brauchen einen Vertrag, um durch Frankreich zu kommen zu einer Kabelstation, die den Atlantik überquert. Vom Verlassen der Schweizer Grenze bis zur Kabelstation zahlen Sie erstmal eine ganze Menge. So läuft das Geschäft. Wir sagen zu Swisscom: "Das ist ganz einfach, wenn Sie in unser Netz kommen".

NetworkWorld: Also könnte man sagen: Die alten Telcos profitieren am meisten von den neuen IP-Carriern.

Huisman: Genau. Sie haben unsere Kundenliste gesehen.

NetworkWorld: Aber würden Sie nicht mehr Geld verdienen, wenn Sie nicht an die alten Telcos verkaufen, sondern direkt an Großunternehmen wie Daimler-Chrysler?

Huisman: Wir haben beide als Kunden. Wenn Daimler-Chrysler sagt, ich will eine STM-1...

NetworkWorld: ...haben die schon bei Ihnen angeklopft?

Huisman: Nein. Daimler ist ein gutes Beispiel. Die hatten vielleicht früher nicht diesen großen Bedarf. Aber heute: Was glauben Sie, wieviele PCs bei Daimler Zugang zum Web haben? 10 000? Eher mehr. Da ist viel Bedarf. Den befriedigen wir. Die Telcos nehmen wir auf jeden Fall als Kunden, denn die haben nicht die Netze, und die Großunternehmen nehmen wir auch, denn wir haben die niedrigsten Kosten.

NetworkWorld: Sie planen einen Cityring in Frankfurt am Main. Ist da überhaupt noch Bedarf bei all den Carriern, die sich dort tummeln?

Huisman: Wenn wir Cityringe sagen, verbinden wir Städte, zum Beispiel Zürich und Frankfurt/Mn. Wir gehen von Pop zu Pop in den Städten. Wenn der Kunde sagt, ich will da Redundanz haben, dann machen wir den doppelt. Aber bevor wir den Boden in Frankfurt aufgraben, um Glasfasern zu verlegen, schauen wir uns die Umgebung an, ob andere potentielle Kunden da sind. Oder wir kaufen bei einem anderen Citycarrier ein, falls es sich nicht rentiert.

NetworkWorld: Zum Schluß noch ein Ausblick in die Zukunft: Wann überflügelt die IP-Telefonie die leitungsvermittelte Telefonie?

Huisman: Das geht sehr schnell. In einigen Jahren ist es soweit. Wir starten fünf Pilotprojekte mit Voice-over-IP, vier in den USA und eines in Europa, wahrscheinlich in England. Und da haben wir Carrier-Qualität.