Intels Traum-Prozessor

23.07.2001 von NICO ERNST 
Im Gespräch mit tecChannel.de enthüllt der Direktor von Intels Microprocessor Research Lab, Justin Rattner, die Pläne für einen Desktop-Prozessor der Zukunft.

Anfang Juli lud Intel eine kleine Schar europäischer Journalisten zur Besichtigung seiner Anlagen nach Oregon ein. Der nördlich von Kalifornien an der US-amerikanischen Westküste gelegene Bundesstaat ist neben dem Silicon Valley das wichtigste Zentrum für den Halbleiter-Riesen.

Nahe Oregons Metropole Portland liegt die Forschungs-Fab D1C, in der Intel neue Herstellungsverfahren entwickelt. Über einen "copy exactly" getauften Prozess werden diese Methoden dann genau in die Fabs für die Massenfertigung übertragen - und zwar so detailgetreu, dass andere Produktionsstätten von innen kaum von der D1C zu unterscheiden sind.

Neben dieser Primär-Fab befindet sich auch Intels "Microprocessor Research Laboratory" (MRL) in Oregon. Sein Leiter ist Intel-Fellow Justin Rattner. Er stand den Pressevertretern zu Intels Visionen für eine CPU der Zukunft Rede und Antwort. "Fellows" wie Rattner sind in US-Firmen langjährige Mitarbeiter und Visionäre. Solche Mitarbeiter werden dort früher oder später nicht mehr fürs Tagesgeschäft, sondern fürs Nachdenken und Verkünden der frohen Firmenbotschaft bezahlt.

Seine vorbereitete Präsentation klappte Rattner beim Ortstermin nach einigen Folien schnell zu. Statt einem Vortrag hatte sich eine lebhafte Diskussion darüber ergeben, wie ein Desktop-Prozessor zu mehr Performance kommen kann. Wie mehrfach berichtet tut sich Intels aktuelles Flaggschiff Pentium 4 ziemlich schwer damit, ohne optimierte Software bessere Leistungen als die Konkurrenz oder sein Vorgänger zu erzielen. Doch Intel setzt weiterhin gleichermaßen auf Optimierungen an der Soft- wie Hardware.

Vision 1: Thread Level Parallelism

Erstmals auf dem Microprocessor Forum 1999 auf breiter Front thematisiert, steht die gleichzeitige Verarbeitung mehrerer Threads auch bei Intel nun für Desktop-CPUs als Design-Philosophie an. Dabei sollen jedoch laut Rattner Hard- und Software zusammenspielen. Zwar braucht die CPU mehrere Einheiten, die die Threads ausführen sollen, doch sein Labor habe herausgefunden, dass es ohne Compiler-Unterstützung nun mal nicht gehe.

Rattner arbeitet deshalb an einem Konzept, das er "Implicit Multithreading" nennt. Dabei führt der Prozessor die Threads nicht "explizit" und damit stur parallel aus. Stattdessen will Intel den Flaschenhals Nummer eins, die Bandbreite zum Hauptspeicher, geschickt weiten. Rattners Vorschlag dafür heißt "Speculative Pre-Computation". Dabei soll der Compiler die Teile des Codes erkennen, die den Hauptspeicher besonders belasten und damit Cache-Misses provozieren könnten. Diese Teile führen eigene Funktionseinheiten der CPU schon in vorauseilendem Gehorsam aus, wenn gerade keine besonderen I/O-Aktivitäten anstehen. So sind die Ergebnisse schon durch die Pipeline gelaufen, wenn der Haupt-Thread diese Anteile benötigt. Rattner ließ sich nicht ausdrücklich entlocken, ob dieser Mechanismus ohne riesige Caches auskommt. Sein Konzept des Multithreading soll jedoch nur rund zehn Prozent mehr Die-Fläche erfordern.

Einen L3-Cache, wie ihn die unabhängigen Chipsatz-Entwickler immer wieder vorschlagen, sieht Rattner jedenfalls mit kommenden CPUs nicht als "großen Gewinn" für die geringe Bandbreite zum Hauptspeicher an.

Vision 2: Keine Riesen-Pipelines

Beim Pentium 4 hat Intel gegenüber dem Pentium III die Größe der Pipeline mit 20 Stufen glatt verdoppelt. Laut Rattner ist damit der "Instruction Level Parallelism" ziemlich ausgereizt. "Das ist eine ausgereifte Technologie" meinte der Ingenieur. Die lange Pipeline des Pentium 4 ist für die geplanten sehr hohen Taktfrequenzen ab 2 GHz ausgelegt, doch für neue Designs ist das keine Option mehr, so Rattner: "Die Pipeline-Entwicklung wird nicht mehr von den Marktanforderungen getrieben" sagte der Leiter des MRL weiter.

Auf Nachfrage sprach Rattner dann auch offen aus, warum sich Intel beim Pentium 4 für diese Monster-Pipe und den zugehörigen hohen Takt entschieden hat: "Der Markt versteht eben die Taktfrequenz als Maßstab für Geschwindigkeit" gab Rattner an.

In der Tat machen sich große Zahlen in der PC-Werbung gut. Wen interessiert es da, dass der derzeit von Dell im deutschen Fernsehen beworbene PC mit einem Pentium 4 bei 1,3 GHz in fast allen Benchmarks von einem Pentium III mit 1 GHz und erst recht von einem Athlon mit gleichem Takt geschlagen wird.

Vision 3: Coolere Prozessoren

Wenn Rattner von einem "coolen" Prozessor spricht, meint er damit anders als Intels Marketing-Abteilung nicht die Positionierung des Pentium 4 als "Zentrum Deiner digitalen Welt". In seinem Microprocessor Research Lab geht es noch immer um technische Fakten - und Fakt ist, dass schon aktuelle CPUs jenseits von einem GHz nur schwer mit Luftkühlung auskommen.

Nur immer größere Kühlkörper und Lüfter konnten in den letzten Jahren die Prozessoren vor dem Hitzetod bewahren, und die Hersteller von Flüssigkühlungen wie Asetek prophezeien für 2003 die Notwendigkeit ihrer Technik für alle PCs.

Justin Rattner sieht das aber so nicht kommen: Flüssigkühlungen seien auch in Großserien zu teuer, zu laut und zu störanfällig. Da sich die Kühlung nicht groß ändern lässt, muss sich laut Rattner die CPU ändern.

So sollen in Zukunft die bisher immer an derselben Stelle auf dem Die befindlichen Hot Spots über den Chip "wandern". Je nach Hitzeentwicklung will Rattner dafür sorgen, dass verschiedene Funktionseinheiten angesprochen werden. Eine notorisch heiße Stelle sei beispielsweise der Befehlsdecoder. Deshalb denke Intel derzeit darüber nach, mehrere dieser Einheiten auf dem Die zu integrieren - auch das ist ein Hinweis auf mehr Thread Level Parallelism in künftigen Intel-CPUs.

Daneben sollen diese Prozessoren noch mehr als bisher mit verschiedenen Spannungen für verschiedene Einheiten arbeiten. Schon seit dem ersten MMX-Pentium läuft bei Intel der Core mit einer geringeren Spannung als die I/O-Leitungen. Dieses Konzept soll nun auch auf dem Die verwirklicht werden.

Ausblick

Was Rattner in Oregon skizzierte, bedeutet für Intels CPU-Designs Evolution und Revolution zugleich. Die immer längeren Pipelines gehören wohl schon jetzt zur Mikroprozessor-Geschichte, und die Zeit der Spaghetti-Code-Optimierer in Form einer CPU ist endgültig vorbei.

Stattdessen sollen sich künftige Prozessoren für die Software wie mehrere CPUs auf einem Die präsentieren. Die Bedeutung des Compilers wird dabei immer wichtiger - wie das auch schon beim Pentium 4 der Fall ist. Nicht umsonst hatte Intel bei der Übernahme der Alpha-Architektur auch auf die Software-Expertise des Compaq-Teams hingewiesen. Was Intel in seinen Forschungsabteilungen genau ausbrütet, enthüllen aber erst künftige Veranstaltungen wie das Intel Developer Forum (IDF) oder das Microprocessor Forum (MPF).

Die nächste Chance auf weitere Einblicke in die CPU-Entwicklung bietet das nächste IDF, das ab 27. August 2001 in San Jose stattfindet. Ebenfalls in San Jose treffen sich vom 15. bis 19. Oktober die Chip-Designer auf dem Microprocessor-Forum. Von beiden Veranstaltungen berichtet tecChannel.de vor Ort. (nie)