Intels Giga-Gag

23.01.2001 von NICO ERNST 
Der erste Gigahertz-Prozessor von Intel droht zur Lachnummer zu werden. Knapp zwei Wochen nach Ankündigung ist die CPU noch immer nicht verfügbar. Die Gründe liegen in einem unsinnigen Gigahertz-Rennen mit AMD - für den Kunden ist diese Situation aber dennoch von Vorteil.

Mit dem Erscheinen dieses Artikels sind zehn Tage vergangen, seit Intel seinen Kunden eine Pentium-III-CPU mit 1000 MHz Taktfrequenz versprochen hat. Bis heute hat in Deutschland aber noch niemand diese CPU gesehen. Auch tecChannel hätte den Prozessor gerne getestet. Dass wir bisher nur einen Pentium III mit 933 MHz vermessen konnten, liegt nicht etwa daran, dass Intel uns keine dieser CPUs zur Verfügung stellen möchte - ganz im Gegenteil. Intel verspricht uns, wir seien eine der ersten fünf Publikationen, die einen echten Gigahertz-Chip von Intel bekommen.

Den geplagten Intel-Mitarbeitern in Deutschland ist dabei kein Vorwurf zu machen: Sie können die CPU auch nicht selber schnitzen. Die Schuld liegt bei der Konzernzentrale im schönen Santa Clara.

Dort herrscht gerade die kalifornische Regenzeit, was soviel heißt wie: Es kann ausnahmsweise auch mal regnen. Den sonnenverwöhnten Kalifornier deprimiert das freilich ein wenig, und so wollte man AMD nicht auch noch mit dem einzigen Gigahertz-Prozessor im Markt davonkommen lassen.

Schon auf der CeBIT vom 24. Februar bis 1. März zeigten AMD wie Intel ihre Giga-Boliden als "Technologie-Demonstrationen". Am Stand von AMD waren auch seriennahe PCs von Compaq und Gateway mit Gigahertz-Athlons bei Luftkühlung zu sehen. Das Gigahertz-Rennen kündigte sich an - doch dass die Athleten einen so fulminanten Endspurt hinlegen würden, war nicht abzusehen.

Versteckte Webseiten und Gerüchte

Wie ungern man sich in diesen unsinnigen Wettstreit eingelassen hat, dokumentiert die Aussage eines Managers von einer der beiden Firmen, der mich auf der CeBIT sichtlich entnervt fragte: "Glauben Sie denn, dass es nach dem Gigahertz endlich wieder ein bisschen langsamer geht?" Trauriges Kopfschütteln war die Antwort. Es geht um Marktanteile, und viel wichtiger noch: Die Meinung der Analysten.

Der Shareholder Value regiert heutzutage große Unternehmen. Schon die reine Ankündigung von Microsoft, statt AMD Intel als Prozessor-Lieferanten für die X-Box zu erwählen ließ AMDs Kurs an einem Tag um fast 10 Prozent einbrechen. Und selbst auf Entwicklerkonferenzen wie dem Intel Developer Forum werden Analysten hofiert. Bei der vorletzten Veranstaltung dieser Art im letzten September trugen die Börsenbewerter als einzige Teilnehmer grüne Halsbändchen an denen ihr Ausweis zu baumeln hatte. Dadurch waren sie für Intel-Mitarbeiter auch schon von weitem als besonders wichtig zu erkennen. Nicht, dass mir der Status der Analysten als Pressevertreter besonders wehtut - aber die Trendwende von Technologieführerschaft zum reinen Machtkampf an der Börse ist klar zu erkennen.

Wie der Wettlauf zum Mond in den sechziger Jahren ist der erste Gigahertz-Prozessor zu einer Frage der Ehre und heute auch des Börsenkurses geworden. Wer das Ding wirklich braucht, ist zweitrangig.

Zwei Tage nach der CeBIT winkte AMD ganz vorsichtig mit der Zielfahne. Am dritten März hatten die Kollegen des britischen News-Dienstes The Register auf AMDs Webseite eine Liste von Fragen und Antworten (FAQ) entdeckt, in welcher der Gigahertz-Athlon erstmals ausdrücklich erwähnt wird. Aus den USA ist zu hören, dass AMD deswegen das Web-Team feuern wolle - wer's glaubt... , denn diese Aktion sieht eher wie eine gezielt platzierte Information aus.

Zwar hat AMD die fragliche Seite umgehend entfernt, allerdings nicht bevor wir einen Screenshot davon machen konnten.

AMD liefert, Intel nicht

Nach Rückversicherung in den USA mussten auch die deutschen AMD-Vertreter die Information bestätigen, und die Katze war aus dem Sack.

Wie clever AMD den Coup vorbereitet hatte, zeigte sich am 6. März, dem offiziellen Vorstellungstermin des Gigahertz-Athlon. In einer bombastischen Pressemitteilung verglich man die Steigerung der Taktfrequenz um 15 Prozent gegenüber dem bisher schnellsten Athlon mit dem Durchbrechen der Schallmauer. Geknallt hat's jedenfalls beim Test der CPU noch nicht. AMD schickte freiwillig ein Testsystem ins tecChannel-Labor, der Prozessor darin war serienmäßig bedruckt und wies keine Anzeichen eines Prototypen mehr auf. Unser Laborteam stellte freilich umgehend fest, dass der im Verhältnis 1/3 getaktete L2-Cache den Giga-Athlon bremst - aber im Prozessorkern waren die 1000 MHz erreicht, und darauf kommt's schließlich an.

Zwei Tage danach kündigte Intel dann den Pentium III mit ein Gigahertz Taktfrequenz an. Auf Nachfrage, ob wir denn mal eine dieser CPUs testen könnten, hieß es: "Klar, herzlich gerne - sobald wir eine haben!". Ein paar Tage später war der Prozessor immer noch nicht da, und man bot uns eine andere CPU an, über deren Details wir erst am Montag nach Erscheinen dieses Beitrages berichten dürfen. Jedenfalls lief dieser Prozessor auch mit 933 MHZ - knapp daneben.

Im Endspurt des Gigahertz-Rennens ist Intel also ins Stolpern geraten. Diese Fortbewegungsart hatte zwar Intel-Vize Pat schon im September letzten Jahres als wenig elegant erkannt, doch geändert hat sich beim Prozessor-Riesen in diesem Punkt noch nichts.

Das geht auch gar nicht. Nach dem vom Intel-Mitbegründer Gordon Moore aufgestellten Moores Law verdoppeln sich Transistorzahl und Leistung der Mikroprozessoren jedes Jahr. Am 18. Oktober 1999 hatte Intel den Pentium III mit Coppermine-Kern mit 733 MHz angekündigt. Demnach wären 1000 MHz erst im Sommer fällig gewesen - und das sahen die ursprünglichen Roadmaps auch vor.

Täglich neue Roadmaps

Mit diesen Prozessor-Fahrplänen gibt Intel seinen Kunden, den PC-Herstellern und Board-Bastlern, Planungsinstrumente an die Hand, die viele Monate abdecken sollen. Seit Ende Dezember ist in diesen Roadmaps immer nur von Verschiebungen nach vorne zu lesen. Diese Entscheidungen sind nicht technischer, sondern politischer Natur. Schon der erste MMX-Pentium lag bei Intel nachweislich ein Jahr in der Schublade, bis man den Markt reif dafür erklärte. Heute ist das anders: Die PR-Abteilung scheint bei Intel Termine nach vorne zu verlegen, ohne Rücksicht darauf, ob der neue Chip auch in absehbarer Zeit lieferbar ist. Zudem greift Intel zu immer neuen Tricks, um die Produkte irgendwie zum Laufen zu bekommen. Für den Gigahertz-PIII wurde mal eben die Spannungsversorgung nach oben definiert - ein Übertaktungstrick, den Intel früher verteufelt hat. Schon der ebenfalls ursprünglich nicht geplante Pentium III mit 600 MHz und Katmai-Kern wurde im letzten Jahr mit um 0,05 Volt erhöhter Spannung spezifiziert. Die ersten Muster davon liefen trotzdem wenig stabil. Intel hatte dem Athlon damals schlicht nichts anderes entgegenzusetzen.

Beim Coppermine mit 1 Gigahertz gehen die Biegereien an den Spezifikationen, nach denen sich PC-Hersteller richten müssen, sogar noch weiter: Statt 80 Grad an der Chip-Oberfläche sind nur noch 60 erlaubt. Schon ist von Dell zu hören, dass man für die Produktion von Gigahertz-PCs auf Intel-Basis andere Lüfter und andere Produktionsmethoden einführen müsse.

Neben der reinen Verfügbarkeit der Chips verzögern solche Maßnahmen die Liefertermine von Gigahertz-PCs mit Intel-Prozessor noch weiter. Der Kunde kann dadurch die Systeme über Monate hinaus nicht kaufen (O-Ton Intel: "Der Schwerpunkt des Launchs liegt auf den USA"), aber er hat dennoch etwas davon: Für jede neue High-End-CPU müssen die Preise der langsameren Modelle gesenkt werden. Das macht die wirklich kaufbaren PCs billiger: Die 2000-Mark-Rechner der großen Elektronik-Ketten verfügen in Deutschland inzwischen mindestens über eine 600-MHz-CPU.

Preiskampf ohne Ende?

Intel und AMD unterbieten sich wechselseitig mit Prozessor-Preisen, bei AMD sind dabei sogar mal 45 Prozent Preissenkung drin - ein Klick auf die Überschriften früherer tecChannel-Meldungen rechts neben diesem Text genügt, um die Historie dieses Zweikampfs nachzulesen.

Wie lange das jedoch noch gut geht, ist fraglich. AMD schreibt nach wie vor rote Zahlen, und völlig an die Wand drücken darf Intel den lästigen Mitbewerber nicht. Nichts wäre für den Markt schlimmer, als wenn AMD dem knallharten Konkurrenzkampf erläge. Dann droht eine eindeutige Monopolstellung, und Intel steht ohnehin schon im Visier der US-amerikanischen Kartellbehörde FTC.

Aber eigentlich interessieren Intel ja Prozessoren nur noch am Rande. Nach der neuesten Firmenstrategie will man statt nur langweiliger Chips auch andere "Internet Building Blocks" fabrizieren. Hoffentlich haben die Intel-Manager schon im Kindergarten ausgiebig mit Bauklötzen gespielt. Da lernt man nämlich, dass ein zu hoch gestapelter Turm aus den bunten Steinen schnell zusammenfällt. (nie)