Intel Insides: Pat Gelsinger im Interview

08.07.2002 von NICO ERNST 
Im Exklusiv-Interview nimmt Intel-Vize Pat Gelsinger Stellung zu zahlreichen Pannen und erklärt, warum er Intel immer noch für den Technologieführer hält. Natürlich kommen auch AMD und VIA nicht ungeschoren davon.

Pat Gelsinger ist Intels "Chief Technology Officer" und damit vor allem für Forschung und Entwicklung zuständig. Der unterhaltsame Redner arbeitet seit seinem ersten Universitätsabschluss 1979 für Intel. Währenddessen hatte er Zeit für zwei weitere Abschlüsse: Bachelor of Science mit Magna Cum Laude an der Santa Clara University und Master of Science in Stanford. Er hält sechs Patente zu VLSI-Designs, und wurde mit 32 Jahren zum jüngsten Intel-Vizepräsidenten. Vor seiner Position als CTO war er zuletzt Leiter der Abteilungen für Desktop- und dann Mobil-Prozessoren. Wir treffen Gelsinger während des europäischen IDF in München.

tecCHANNEL: Herr Gelsinger, bei unserem letzten Interview Ende 1999 sagten Sie: "In diesem Jahr sind wir ins Stolpern geraten." Seitdem gab es aber immer wieder Pannen, die Rambus-Strategie ist gescheitert, und man musste letztendlich sogar Prozessoren zurückrufen. Was hat sich also seitdem bei Intel geändert?

Gelsinger: Vor zwei Jahren haben wir begonnen, das Unternehmen auszuweiten. Wir haben uns in die Märkte für Telekommunikation und drahtlose Handhelds gezwängt. Ein und dieselbe Firma war plötzlich statt nur im Computingbereich in drei Bereichen aktiv. Das hat uns natürlich belastet, und in vielen Fällen sogar überlastet. Wir haben dabei in gewisser Weise unseren Fokus verloren, weil wir den als gegeben annahmen. Bei den neuen wie den alten Produkten gab es Probleme und Verzögerungen. Als Unternehmen haben wir dann stark auf "operational excellence" gesetzt.

"Zu viele Firmenübernahmen"

tecCHANNEL: Was bedeutet das?

Gelsinger: Das ist ein Programm, das wir intern auch "OpEx" nennen. Jeder bei Intel weiss, was OpEx bedeutet. Jede Abteilung, bis hinab zu den Labormitarbeitern in weit entlegenen Dependancen hat ein OpEx-Programm. Darauf haben wir in den letzten anderthalb Jahren großen Wert gelegt. Und das zahlt sich inzwischen aus: Unsere Entwicklung des 130-Nanometer-Prozesses war dem Zeitplan voraus, die 300-Millimeter-Wafer kamen ein Quartal früher, und wir haben noch 2002 vier Fabs, die damit arbeiten. Beim Pentium 4 liegen wir bei den Taktfrequenzen vor dem Plan.

tecCHANNEL: Die Schwierigkeiten lagen also an zu schnellem Wachstum?

Gelsinger: Wir haben uns gestreckt, und uns dabei vielleicht eine Zerrung geholt. Wir haben zu viele Firmenübernahmen zu schnell durchgeführt und versucht, in zu vielen Bereichen zu schnell präsent zu sein. Die allgemeine Krise in der Branche war für uns dabei vielleicht sogar gut, denn sie hat uns gezwungen, uns auf die Basis zu fokussieren. Und das OpEx-Programm zeigt auch schon Erfolge.

tecCHANNEL: Hat sich dabei auch der Umgang mit den Kunden geändert? Intel hat ja hier auf dem IDF ein Gipfeltreffen mit Mainboard-Herstellern abgehalten, die nicht gerade glücklich über die Produktzyklen sind.

Gelsinger: Man muss immer auf seine Kunden reagieren. Vor anderthalb Jahren waren wir noch in dieser glückseligen Euphorie vor dem Zusammenbruch: Alles wächst, was soll man da erwarten? Damals hat auch jeder geglaubt, er würde schneller als all seine Konkurrenten wachsen. Und damit haben sich die Forecasts ganz gewaltig von der Realität unterschieden.

"Lieferschwierigkeiten durch falsche Forecasts"

tecCHANNEL: Und daran waren die Kunden schuld?

Gelsinger: Ein Teil unserer Lieferschwierigkeiten beruhte auf falschen Forecasts. Der wirkliche Bedarf war viel geringer als der projektierte. Viele Kunden wollten vor ihren Mitbewerbern bevorzugt behandelt werden, was wiederum zu erhöhtem Bedarf führte. Dies hatte eine Überversorgung zur Folge, was für uns zu viel Nachfrage bedeutet. Das machte unsere generellen Schwierigkeiten natürlich noch schlimmer. Unser OpEx-Programm schließt auch die Kundenbeziehungen mit ein.

tecCHANNEL: Hat dabei auch Intels Konkurrenz einen Anteil? In vielen Bereichen ist Intel nicht mehr der Technologieführer. Rambus-Speicher mit 1066 MHz wird nur halbherzig unterstützt, und VIA schraubt die Taktfrequenz von DDR-Speicher immer höher. Will Intel mit der Standardisierung von DDR333 und DDR400 wieder stärker mitspielen, oder konzentriert man sich doch auf Rambus?

Gelsinger: Wir waren nie so ganz glücklich damit, mehrere Speichertechnologien zu unterstützen. Wir glauben, dass DDR die nächste Mainstream-Lösung werden wird, da liegt unser Schwerpunkt. Aber auch bei Rambus und SDRAM. Man hat bei DRAM immer wieder Knappheiten am Spot-Markt, Preisschwankungen. Die Spitze bei Speichertechnologien haben Sie sehr eng definiert. Wenn man nur DDR333 und 400 betrachtet, heißt das, die Fertigungsausbeute völlig auszureizen. (Anm.d.Red.: Gelsinger bezieht sich auf ein generelles Problem der Halbleiterfertigung: Die schnellsten Chips stellen immer einen sehr geringen Teil der gesamten Produktion dar.)

"Ein schmutziges Geheimnis der Speicherhersteller"

tecCHANNEL: Sie betrachten Intel noch als führend?

Gelsinger: Ob wir bei DDR führend sind? Nun, es wird mehr DDR-Speicher mit Intel-Chipsätzen geliefert, als alles andere.

tecCHANNEL: Klar, weil Intel noch immer den größten Marktanteil bei Chipsätzen hat.

Gelsinger: Ja, aber wenn wir der "Leader" bei der nächsten Taktfrequenz am Rande des Machbaren sein wollten, schafft das für unsere Kunden große Probleme. Wenn wir plötzlich DDR333 unterstützen, es dafür jedoch nur ganz wenige Module gibt, dann schaffe ich Probleme. Ich muss das also genau validieren, die Verfügbarkeit sicherstellen, damit wir alle Märkte und Kunden abdecken können. Einige andere Hersteller kommen da mit Sachen davon, die wir nicht machen können. Intel ist immer noch führend bei DDR-Speicher. Aber wir kündigen erst etwas an, wenn es funktioniert oder ausreichend verfügbar ist. Bei den größeren Innovationen jenseits der Taktfrequenz wie DDR-II investieren wir aber schon ganz kräftig.

tecCHANNEL: Einige der Speicherhersteller hier auf dem IDF gehen von einer zehnprozentigen Ausbeute am Anfang der DDR-400-Produktion aus. Halten Sie das für realistisch?

Gelsinger: Die sind natürlich motiviert, optimistisch zu sein. Ich verrate Ihnen mal ein schmutziges Geheimnis der Speicherindustrie: Sie bekommen keine 10 Prozent Ausbeute. Sie bekommen eine Riesenausbeute bei einigen Chargen, und Null Ausbeute bei anderen Chargen. (Anm.d.Red.: Gelsinger spricht hier von "Lots", also einer kompletten Charge von Halbleitern, die auf den selben Wafern und Maschinen-Einstellungen beruht.)

Wenn ich also 1000 Chargen nehme, und 10 davon liefern mir 90 Prozent der erstrebten Taktfrequenz, während die anderen 95 Prozent nichts liefern, ist das sehr, sehr schlecht vorherzusagen. Daher sind die Speicherhersteller so vorsichtig.

"Intel muss konservativer sein"

tecCHANNEL: Passiert das auch bei Intel?

Gelsinger: Ja, das passiert mit unseren Taktfrequenzen auch. Es ist ja nicht so, dass die dumm und wir klug wären. Das wollte ich hier nicht mal andeuten. Wir reden von Pico-Sekunden in der Schaltgeschwindigkeit eines Transistors, die bestimmen, ob sie eine Spezifikation einhalten oder nicht. Intel muss da wieder etwas konservativ sein, denn wenn wir unsere Vorhersagen auf die optimistischen Vorhersagen der Speicherhersteller stützen, und dann läuft etwas schief, haben wir keine DRAMs.

tecCHANNEL: Und wann ist der Zeitpunkt für Intel gekommen?

Gelsinger: Wenn wir mehrere Hersteller haben, die diese zehnprozentige Ausbeute schaffen. Das Problem ist, dass wir vielleicht nur einen haben werden, und der hat in der einen Woche 10 Prozent Ausbeute und Null in der nächsten.

"Was sind Megahertz, und was nicht?"

tecCHANNEL: Intels PR-Maßnahmen sind bei weitem nicht mehr so konservativ wie früher. Da gibt es zum Beispiel ein Whitepaper, in dem AMDs Model Number scharf angegriffen wird. Und für Rambus1066 übernimmt Intel keine Garantie für den eigenen Chipsatz, sondern schiebt die Verantwortung auf die Mainboard-Hersteller ab.

Gelsinger: Dieses Papier verteilen wir ja nicht direkt an die Presse...

tecCHANNEL: ... aber die bekommt es doch irgendwann.

Gelsinger: Wirklich?? Oh, daran haben wir nie gedacht... (schmunzelt)

Dieses Papier war wirklich eine interessante Erfahrung. Solche Dinge haben immer ihre Nachteile. Wir haben halt Probleme im Einzelhandel bekommen, weil die Model Number die Kunden verwirrt hat: "Was sind Megahertz, und was nicht?" Unser Ziel war also, die Händler aufzuklären. So etwas kann natürlich irrtümlich in den Händen einiger weniger Pressevertreter landen, das ist eine der Konsequenzen. Das war keine leichte Diskussion, aber wir haben gesehen, dass wir da etwas aggressiver sein mußten.

tecCHANNEL: Und warum empfiehlt man Rambus1066 den Mainboard-Herstellern, validiert aber nicht den Chipsatz dafür?

Gelsinger: Weil man nicht den Chipsatz validieren kann, sondern nur das Board. Die Leiterbahnen sind hier kritisch. Wenn man ein Board auf eine Weise designt, funktioniert es, wenn man es anders macht, nicht. Früher haben wir bestimmte Charakteristika vorgelegt. Damals waren aber große Spielräume für die Designs vorhanden. Mit 1066 oder noch mehr MHz funktioniert das nicht mehr.

"Das wird nicht so weitergehen"

tecCHANNEL: Bleiben diese engen Vorgaben bestehen?

Gelsinger: Ich glaube nicht, dass das so weitergehen wird. Das ist ein Teil dessen, was 3GIO bringen sollte. (Anm.d.Red.: 3GIO ist mittlerweile besser als PCI-Express bekannt).

Es ging darum, eine neue flexible, skalierbare Plattform zu schaffen. Wenn man auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen umsteigt, hat man mehr Freiheiten beim gesamten Design eines Systems, was auch neue Formfaktoren erlaubt. Bisher haben wir ja die parallelen Busse immer weiter ausgequetscht, und jetzt stehen wir am Ende dieses Weges. Daher wechseln wir nun zu den seriellen Technologien.

tecCHANNEL: Herr Gelsinger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.