Eher Evolution als Revolution

Industrie 4.0 in der Praxis

30.08.2013 von Daniela  Hoffmann
Eher Evolution als Revolution, meinen viele Unternehmen mit Blick auf die Diskussionen rund um Industrie 4.0. Trotzdem werden erste Erfahrungen gesammelt, und das technisch Machbare wird ausprobiert, wie Beispiele zeigen.

Wir beschäftigen uns intensiv mit dem Bereich von Industrie 4.0, in dem es um die Vernetzung von Maschinen, Werkstücken und Informationen geht", sagt Bernd Häuser, Leiter des Zentralbereichs Fertigung bei Bosch. "Vor allem beim Thema bessere Datengenerierung und -auswertung für die Fertigungssteuerung und Prozessverbesserungen sehen wir viel Potenzial." Die Daten und ihre Analyse bildeten dabei den Dreh- und Angelpunkt.

Einige Fragen gelte es zu klären: "Wie schafft man es überhaupt, die Vernetzung mit dem Werkstück herzustellen? Und wie geht man damit um, wenn sich das Werkstück in verschiedenen Stufen des Fertigungsprozesses meldet?" Relevante Informationen aus dem Datenwust zu filtern - Stichwort Big Data und Data Mining - beschäftigt die Fertigung bei Bosch.

Dort gibt es in der Prozesskette der Halbleiterfertigung viele Fertigungsstufen, die voneinander abhängen. Prozessdaten aus einer Fertigungsstufe an die nächste zu melden läuft unter "fortschrittlicher Prozesskontrolle". Die datentechnische Verknüpfung mehrerer Prozessstufen, heute in der Halbleiterfertigung meist mit Hilfe von Manufacturing Execution Systems (MES) umgesetzt, sei eine Anwendung von Industrie 4.0, sagt der Fertigungsleiter. Eine andere die Linienlogistik, bei der jedes Werkstück Daten mit Maschinen austauscht und so durch die Fertigungsprozesse gesteuert wird oder die Prozesse selbst steuert.

Neue Datenmodelle

"Meldungen zum Zustand oder Standort von Fertigungschargen oder zum jeweiligen Ausschuss werden heute teilweise aufwendig manuell oder semiautomatisch erfasst", schildert Häuser. Können diese Daten automatisch gemeldet werden, lassen sich viele nicht wertschöpfende Tätigkeiten einsparen. Besonders viel verspricht sich der Bosch-Manager auch von der besseren Verbindung von Daten aus unterschiedlichen, oft inkompatiblen Systemen, die sich heute noch zu aufwendig gestalte.

Bernd Häuser, Bosch: „Wichtig ist, bei den Anfängen dabei zu sein, sonst wird man abgehängt.“
Foto: Bosch

"Die Möglichkeiten von Industrie 4.0 können als wettbewerbsdifferenzierend genutzt werden", sagt Häuser. "Wichtig ist, dass man als Unternehmen jetzt, bei den Anfängen, dabei ist, sonst wird man abgehängt." Wer den Anschluss an die gerade entstehenden Standards verliere, sei draußen. Der Schlüssel, um sich innerhalb dieser Standards Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, liege in der Frage, wie sich aus den Daten die richtigen Erkenntnisse ziehen lassen.

"Ziel des Industrie-4.0-Ansatzes ist eine noch flexiblere Steuerung der Produktion, die den Schwenk von hochvolumiger Fertigung hin zu einer Einzelsteuerung ermöglicht, bei der sich Prozessdaten schnell auf eine Maschine oder ein Gerät aufspielen lassen und zeitaufwendige Rüstvorgänge obsolet werden", erklärt Häuser. In diesen Kontext passten auch neue Techniken wie 3D-Drucker, bei denen Rüstzeiten entfielen. Wenn Maschinen sich schneller auf unterschiedliche Produkte einstellen oder umstellen ließen, rücke die individuelle industrielle Fertigung einen großen Schritt näher.

Mensch-Maschine-Kontakte

Auf der diesjährigen Hannover Messe faszinierte der Automatisierungstechnik-Hersteller Festo die Besucher mit seiner bionisch nachempfundenen Libelle, die das Thema Integrated Industry verkörpern sollte: autarke Energieversorgung, Condition Monitoring, Sensorik und kabellose Echtzeitkommunikation.

"Wir betrachten die Entwicklung der Produktionssysteme ganzheitlich aus unterschiedlichen Perspektiven und beziehen neben der Weiterentwicklung von Technologien auch andere Gesichtspunkte wie die Kooperation von Mensch und Maschine oder das Thema Ausbildung und Qualifizierung ein", sagt Peter Post, Leiter Research and Programme Strategy bei Festo. Für vernetzte Gesamtsysteme mit intelligenten Komponenten entwickelt Festo intensiv an Feinwerk- und Mikrosystemtechnik.

Für Peter Post von Festo ist Zusammenspiel von Mensch und Robotik ein besonders wichtiger Baustein von Industrie 4.0.
Foto: Festo

Ein wesentlicher Baustein von Industrie 4.0 sei das Zusammenspiel zwischen Mensch und Robotik, so der Manager. Bionik-Projekte, die sich wie die Libelle an der Natur orientieren, sollen die Entwickler zu neuen Herangehensweisen inspirieren: "Wir arbeiten daran, Miniaturisierungs- und Integrationslösungen weiterzuentwickeln, damit im Produktionskontext reale und virtuelle Welt weiter zusammenwachsen können."

Die Automatisierungspyramide werde sich dabei evolutionär verändern: Funktionen aus den höheren Ebenen verlagerten sich nach unten - Komponenten würden also die Fähigkeit erhalten, Aufträge der überlagerten Steuerungsebene auszuführen. Durch diese digitale Veredelung entständen zunehmend intelligente Produkte, die den Produktionsprozess aktiv unterstützen könnten.

Die Produktion der Zukunft wird nach Ansicht von Post ein sozioökonomisches System aus Mensch und Technik sein: "Es wird nicht überall vollautomatisierte Prozesse geben, sondern vielmehr veränderliche Prozesse. Hier ist die Möglichkeit des Menschen gefragt, direkt mit der Technik zu kommunizieren: über Joystick-Lösungen und über Sprache bis hin zur Steuerung von Teilabläufen durch Gedanken." Komponenten vernetzten sich künftig intelligent selbst, konfigurierten sich mit wenig Aufwand und würden so den unterschiedlichen Anforderungen an Fertigungsaufträge auf selbststeuernde Weise gerecht.

Flexible Maschinenkommunikation

Auch der Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf hat bereits einige Aspekte von Industrie 4.0 in der Praxis aufgegriffen. Dabei geht es vor allem darum, die Kommunikation mit den Maschinen flexibler zu gestalten. "Die Trumpf-Maschinen sind standardmäßig mit der Kundeninfrastruktur vernetzt", sagt Klaus Bauer, Leiter Systementwicklung Basistechnologien bei Trumpf.

"Wir betreiben eine sichere, Cloud-basierte Telepresence-Plattform für InternetTeleservice und weitere Dienstleistungen." Mit Hilfe des Produktionsplanungs-Systems "TruTops Fab" könnten Kunden ihre Maschinen organisieren, steuern und so ihre Produktion optimieren. Auskünfte über den Maschinenstatus oder die Aufträge für jede Maschine gibt es auch über eine App.

Gegenwärtig arbeitet der Hersteller dar-an, dass sich die Werkzeugmaschinen in Zukunft auch mit mobilen Geräten wie dem iPad bedienen und beobachten lassen können. "Wir wollen zudem mit Hilfe von Tablets die Kommunikation zwischen unseren Kunden und uns durch bildbasierte Techniken verbessern", umreißt Bauer die Ziele. Die Bediensoftware der Maschinen soll durch Multitouch-optimierte Benutzungskonzepte und große Monitore stetig weiter verbessert werden. So begründet Bauer, warum sich Trumpf mit dem Trendthema befasst: "Die Auseinandersetzung mit Industrie 4.0 fordert und fördert eine bewusstere Positionierung unserer eigenen langfristigen Entwicklungsaktivitäten."

Konvergenz von IT und Automation

"Wir stellen mit PC-based Control eine Steuerungsplattform für Industrie-4.0-Lösungen mit der geforderten vertikalen und horizontalen Integrationsfähigkeit bereit", sagt Ursula Frank aus dem Projekt-Management R&D-Kooperationen bei Beckhoff Automation. Für den Anbieter von Automatisierungstechnik bedeutet der neue Ansatz vor allem eine weitere Vereinfachung im komplexen Automatisierungsumfeld.

Ursula Frank, Beckhoff Automation: „Deutschland hat auch als Produktionsstandort wieder einen guten Namen.“
Foto: Beckhoff Automation

Industrie 4.0 sei den Kunden wichtig, stellt Frank fest. Obwohl es ein Hochlohnland sei, habe sich Deutschland inzwischen auch als Produktionsstandort wieder einen guten Namen erarbeitet - dank Qualität, Effizienz und leistungsfähiger Automatisierungstechnik. Die Fertigungsunternehmen selbst, der zugehörige Maschinenbau und seine Zulieferer fokussierten sich auf Hightech-Lösungen.

"In der Praxis sind insbesondere in Deutschland angesiedelte Produktionssysteme bereits heute untereinander verbunden, auch wenn sie sich weiter in Richtung bessere Vernetzung in horizontaler und vertikaler Richtung entwickeln werden", prognostiziert Frank. Zukunftsweisend sei der Ansatz, aus produktionsspezifischen Insellösungen allgemein verwendbare und interagierende Geräte und Systeme zu schaffen, deren Zusammenstellung und Interaktion ohne Engineering in "Handarbeit" gelingt. (ba)