In Frankfurt angeklickt

01.11.2000 von Karen  Schöinberg-Fey
Die Frankfurter Buchmesse wird immer mehr auch zur Multimedia-Messe. Wir waren vor Ort und haben aus dem unüberschaubaren Angebot wichtige und interessante Highlights herausgepickt.

Die 52. Frankfurter Buchmesse ist zu Ende gegangen. 300.000 Besucher wurden gezählt, gut 7,5 Prozent mehr als letztes Jahr. Die Messeleitung spricht von einem erfolgreichen und ruhigen Verlauf. Zufriedenheit herrschte auch bei den Ausstellern, die gute Abschlüsse und eine Renaissance des Buches verzeichneten. Hunderte elektronischer Medien sind vorgestellt worden. Und wieder einmal hat das Buch überlebt.

Trotz des alljährlichen aufgeregten Feuilleton-Gegackers um das drohende Ende des Buches ist so etwas wie Gelassenheit eingekehrt zwischen den Hallen. Längst schon ist nicht mehr alles, was einen Bildschirm braucht, nur im "New-Media-Ghetto" der Halle 4 zu finden, sondern tummelt sich ganz selbstverständlich auf diversen Sach- und Kinderbuchständen überall auf dem Messegelände.

Elektronische Publikationen sind zum festen Bestandteil des allgemeinen Verlagsgeschäftes geworden. Das eBook oder auch Printing on Demand werden nicht mehr als Gefahr für die Verlagswirtschaft, sondern als neue Chance wahrgenommen.

eBook Preisverleihung

Das eBook, das seit geraumer Zeit jedes Jahr im Herbst aufersteht, wurde mit einem Festakt in der ehrwürdigen Frankfurter Oper bedacht. Schließlich galt es, den neuen, immerhin mit insgesamt 150.000 Dollar dotierten "Frankfurt eBook Award" für elektronische Bücher zu vergeben. Und gleich beim ersten Mal konnte sich die Jury nicht einigen, wer den Hauptpreis "Bestes Original-eBook" verdient. So müssen sich nun die beiden Amerikaner E.M. Schorb ("Paradise Square") und David Maraniss ("When Pride Still Mattered: A Life of Vince Lombardi ") den Siegerkranz teilen.

Wer nun meint, das eBook habe in der alten Welt noch nicht so recht Fuß gefasst, dem sei gesagt, dass sich hierzulande immerhin auch ein Preisträger finden ließ: Der Essener Professor für Kommunikationsdesign, Vilim Vasata, wurde für "Überleben in der Sintflut" der Preis für das beste zuerst gedruckte und dann in eBook- Form umgewandelte Sachbuch zuerkannt. Dennoch bleibt viel Wachstumspotenzial, da erst 50 der 2000 deutschen Verlage eBooks verlegen.

Zu den auf dieser Traditionsveranstaltung als "neu" gehandelten elektronischen Publikationsvarianten gehört neben dem eBook zweifelsohne auch das "Book on Demand" (BoD). Immer mehr Publizisten erkennen darin das Potenzial, auch Randgruppenliteratur beziehungsweise Spezialtitel mit geringer Nachfrage bereit zu halten.

Interaktiver Zugang zum Holocaust

Richtig etabliert hat sich inzwischen, zumindest bei den Schulbuchverlagen, der Einsatz von CD-Rom und DVD. Und ein Schulbuchverlag ist es auch, der die interessanteste Silberscheibe zu dieser, nicht nur in multimedialer Hinsicht, unaufgeregten Messe beitrug.

Der Cornelsen Verlag konnte mit "Erinnern für Gegenwart und Zukunft - Überlebende des Holocaust berichten" einen deutlichen Akzent setzen. Die CD-Rom basiert auf den Interviews, die die gemeinnützige "Survivors of the Shoah Visual History GmbH" mit Überlebenden des Holocaust geführt hatte. Ziel der von Steven Spielberg gegründeten Stiftung ist es, möglichst viele Erinnerungen Überlebender aufzuzeichnen und systematisch zu katalogisieren und zu archivieren. So können die Verbreitung und Nutzung für wissenschaftliche und pädagogische Zwecke sichergestellt werden.

Die CD-Rom, die mit der Unterstützung der "Partners in Tolerance" (unter anderen der Cornelsen und der Axel Springer Verlag, die Bertelsmann Ag und Hubert Burda Media) entstand, wendet sich in erster Linie an Schüler. Daneben ist sie aber auch für alle historisch interessierten ein Muss. Sie bietet einen sehr persönlichen interaktiven Zugang zu diesem Kapitel der deutschen Geschichte, in dessen Kern die Interviews mit Irmgard Konrad und Hans Frankenthal stehen. Beide sind jüdische Überlebende, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Durch die Ergänzungen Zeitleiste und Glossar ist es jederzeit möglich "Zwischenfragen" zu beantworten.

Das Kapitel "Dimensionen" erweitert das Spektrum um die Aussagen Überlebender auch aus anderen Opfergruppen wie Sinti und Roma, Homosexuelle oder Mitglieder der "Weißen Rose". Eine Möglichkeit zur weiteren Vertiefung der Recherche ist unter www.erinnern-online.de eingerichtet worden. Für die aufwändig gestaltete Scheibe ist ein "Selbstkostenpreis" von 49 Mark zu zahlen.

Lexika, Telefonbücher und Sprachkurse als Renner

Natürlich waren in Frankfurt auch eine ganze Reihe der jährlich aktualisierten Scheiben zu bewundern, wie zum Beispiel die Encarta 2001, der multimediale Brockhaus 2001, Retrospect, das Lexikon des internationalen Films, der Fischer Weltalmanach und selbstverständlich diverse Telefonbücher in Silber - besser, schneller und informativer als jemals zuvor - versteht sich. Auch die "neuen" Programme waren überwiegend Weiterentwicklungen längst bekannter Software beziehungsweise aktualisierte Inhalte in altem Gewand.

Beliebtester CD-Rom-Inhalt, nach Telefonbüchern, sind nach wie vor die Sprachkurse, bei denen Digital Publishing schon eine Weile Standards setzt. Auch die jüngste Erweiterung der Reihe "Interaktive Sprachreise" ist durchaus überzeugend. Im Vordergrund der Bemühungen der Entwickler stand die Individualisierung des Programms.

Dazu wird zum Einen der Lernende umfassend geprüft und nach seinen Lernzielen und Schwerpunkten befragt, damit ein genau passender Lehrplan erstellt werden kann. Zum Anderen wird der persönliche Lernfortschritt permanent ausgewertet und der Lernstoff entsprechend angepasst. Wer immer noch Schwierigkeiten oder ganz ausgefallene Fragen hat, der kann sich and den "Online-Tutor" wenden, der - zumindest in den ersten Wochen - kostenlos weiter hilft.

Ost-Erweiterung bei Sprachkursen

Generell war festzustellen, dass das Sprachkurs-Angebot eine Öffnung Richtung Osten erfahren hat. United Soft Media bietet ein neues Lernprogramm für Japanisch und für Chinesisch an, mit dem "in kürzester Zeit" die 500 wichtigsten chinesischen beziehungsweise japanischen Schriftzeichen erlernt werden können. Geübte Memory-Spieler erfreuen sich sicher an den Wort-Zeichen-Zuordnungen, andere brauchen vielleicht öfter mal das integrierte Lexikon. Außer den knapp 50 Mark, die jedes der beiden Programme kostet muss man eine Menge Fleiß investieren, um mit diesem "Powerkurs" ein solides Grundlagenwissen zu erreichen.

Für alle, die den wohl prominentesten Buchmessen-Besucher Boris Jelzin treffen konnten, wäre "Russisch multimedial" eine gute Vorbereitung gewesen. Dieser unspektakuläre, stringent aufgebaute Sprachkurs aus dem Hause Hueber bietet für 99 Mark neben einer Einführung in die kyrillische Schrift auch einige Videos mit Alltagssituationen zur Einstimmung. Wesentlich leichter kann man es sich natürlich machen, wenn man das zehnfache investiert und die Übersetzungsarbeit dem elektronischen Textübersetzer "T1" von Langenscheidt überlässt, der seit neuestem auch des Russischen mächtig ist. Die eingescannten Dokumente sollten allerdings in lateinischer Schrift verfasst sein.

Neues für Kinder

Natürlich gibt es auch jede Menge Neuheiten für die Junioren unter den Usern: Viele Fortsetzungen bewährter Reihen wie "Löwenzahn" oder "fünf Freunde" oder "TKKG" und begleitende Software zu Film und Fernsehen wie "Der kleine Vampir" oder "Der Tigerentenklub". Besonders ins Auge sticht die "CD-Rom mit der Maus", die von Armin moderiert wird und sowohl von der Gestaltung als auch vom Inhalt alle Maus-Fans zwischen "4 und 102" begeistern dürfte (Tivola, 49 Mark).

Erfreulich für alle jugendlichen Krimi-Fans ist die Umsetzung der Reihe "Die drei ???". Die beiden jetzt erschienenen Titel (United Soft Media, 49,90 Mark) "Das Geheimnis des Magiers" und "Bomben in Rocky Beach" sind von einem offiziellen ???-Autor speziell zur Veröffentlichung auf CD-Rom geschrieben und nicht als Buch erschienen (inzwischen prangt auch Alfred Hitchcock nicht mehr auf dem Titel). Ebenfalls spannende Unterhaltung für die Harry-Potter-Generation bietet der "Webmaster" in dem es um die Verteidigung des "Dream Wide Web" gegen die bösen "Vazzis" und ihren Boss den Hacker geht (Tivola, 69 Mark) Dazu passend aber der Realität verpflichtet ist die Umsetzung des, in Buchform äußerst erfolgreichen, "Internet Guide für Schüler" (United Soft Media, 29,95 Mark).

Neues für "große" Kinder

Die Zahl der Selbständigen steigt unaufhörlich, und nicht jeder, der den Schritt in die Selbständigkeit wagt ist ein Vollkaufmann, fachkundige Beratung ist gefragt. Eine hilfreiche Neuigkeit aus dem Hause Buhl Data ist das "WISO Web Office" ein Bundle um das "Web Business", mit dem sich relativ einfach ein netter "Online-Laden" erstellen lässt.

Dazu kommt "WISO Auftrag" mit dem die gesamte Auftragsabwicklung samt Mahnwesen und Lagerhaltung gehandhabt werden kann. Abgerundet wird das Paket durch das bewährte "WISO Homebanking", das den Geldverkehr des gesamten neuen Unternehmens managt. Das komplette Paket, zu dem auch drei Fachbücher gehören, kostet angenehme 149,90 Mark.

Sollte nun jemand meinen, es gäbe für die "Großen" nichts zu spielen, der irrt. GData hat sich dankenswerterweise aller gelangweilter Handheld-Besitzer erbarmt und einen "PowerBoy für PalmOS" (49,95 Mark) herausgebracht. Mit 20 Spielen, die auf der Basis des Liberty GameBoy Emulator ablaufen, kann sowohl monochrom als auch bunt gedaddelt werden - zum Beispiel im ICE bei der Rückfahrt aus Frankfurt.

Fazit

Alles in allem eine entspannte Buchesse mit wenig sensationellen aber interessanten und technisch ausgereiften Titeln. Besonders positiv ist zu vermerken, dass sich die Preise der Silberscheiben in immer vernünftigere Bereiche bewegen. Bleibt zu hoffen, dass das friedliche Miteinander von Büchern und "neuen" Medien nicht nur auf der Messe, sondern endlich auch in den Köpfen der Buchhändler Normalität wird.

Schließlich fragt man besonders in kleineren Buchhandlungen oft noch vergebens nach Software, von fachkundiger Beratung ganz zu schweigen. Und daran sind nicht nur die - zugegeben - oft problematischen Platzverhältnisse schuld, sondern oft auch die hartnäckige Entschlossenheit, die hehren Hallen hoher Literatur nicht durch "Computerspiele" zu entweihen.

Schade, denn so verpasst mancher auch ein so gelungenes Verlagsprogramm, wie das der "Digitalen Bibliothek", die zur Messe nicht nur längst überfällige neue Verpackungen präsentierte, sondern auch Titel wie die "Luther Bibel" oder das "Metzler Lexikon Sprache" vorstellte. Aber bis in diesen Sphären Goldschnitt und Silberscheibe einen annähernd gleichen Stellenwert erhalten muss wohl noch viel geschehen. (ala)