IBM kauft Filenet und gibt Rätsel auf

11.08.2006
Im Markt für Enterprise Content Management ist ein bedenklicher Kampf um Anteile entbrannt. Kaum war der Poker um die Übernahme von Hummingbird beendet, legte IBM gestern nach: Für 1,6 Milliarden Dollar will es mit Filenet einen seiner größten ECM-Rivalen kaufen. Der technische Sinn einer Fusion bleibt unklar.

Die Ankündigung kam für viele Marktbeobachter überraschend, folgt aber offenbar derselben Hoffnung, die auch Open Text getrieben hat: Marktanteile und Kunden. Und die Gelegenheit musste genutzt werden: In den letzten Monaten hatte die Filenet-Aktie bei 27 Dollar gelegen, war aber dann seit Ende Juli im Zusammenhang mit der Hummingbird-Übernahme immer höher bewertet worden, da die Börse nun auch über die Zukunft von Filenet zu spekulieren begann.

Das Angebot von 1,6 Milliarden Dollar oder 35 Dollar je Aktie liegt mit 35 Cent nur einen Punkt über dem gestrigen Schlusskurs (34,65 Dollar) von Filenet. Es gibt daher Spekulationen, die bescheidene Offerte könnte Mitbieter wie etwa Oracle auf den Plan rufen. Laut IBM und Filenet sei aber bereits eine endgültige Vereinbarung getroffen worden. Allerdings müssen die Aktionäre und Aufsichtsbehörden noch zustimmen.

Filenet mit Sitz im kalifornischen Costa Mesa hat sich seit seiner Gründung 1982 durch Zukäufe und Eigenentwicklung ein umfangreiches Portfolio für ECM aufgebaut. Es zählt heute zu den Top-5-Anbietern im Markt und betreut nach eigenen Angaben 4300 Kunden weltweit. Die rund 1700 Beschäftigten erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 421,8 Millionen Dollar bei einem Nettogewinn von 40 Millionen Dollar. Das erste Halbjahr 2006 (Ende: 30. Juni 2006) schloss das Unternehmen mit einem Umsatzplus von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 226 Millionen Dollar und einem Nettogewinn von 18,7 Millionen Dollar. Hinzu kommen rund 450 Millionen Dollar in bar oder in kurzfristigen Anlagen.

Viertgrößte Übernahme der Unternehmensgeschichte

Für IBM wäre es die 56. Übernahme seit 1995 und die viertgrößte in der Unternehmensgeschichte. Innerhalb seiner Software-Sparte betreut Big Blue nach eigenen Aussagen rund 13.000 Kunden im ECM-Markt und rangiert laut Gartner mit einem Marktanteil von 12,5 Prozent im vergangenen Jahr knapp vor Filenet, das 12,4 Prozent hält. Durch den Kauf könnte der Hersteller nun seinen Marktanteil auf rund 25 Prozent verdoppeln. Das Portfolio besteht aus einem Sammelsurium an Tools und Datenbanken, mit denen IBM möglichst viele Aufgaben abdecken will.

Zudem lockt der ECM-Markt mit zusätzlichen Service-Einnahmen. So gehen Schätzungen heute dahin, dass die Kosten für die Einführung einer umfassenden ECM-Lösung die Lizenzkosten um das 1,5- bis 5fache übersteigen. Insbesondere die Einführung von Dokumentenprozessen gehört dabei zu einer der aufwendigsten Arbeiten, die bisher viele Anwender erst in Teillösungen angegangen sind. Im vergangenen Jahr betrugen die weltweiten Lizenzumsätze laut Analysen von Gartner rund 1,4 Milliarden Dollar.

Überschneidungen der Portfolios

Darüber hinaus scheint IBM Filenets Produkte zu benötigen, um im Wettbewerb mit anderen ECM-Größen wie EMC/Documentum und Open Text mitzuhalten. So verfolgt Filenet zum einen seit Jahren zusammen mit Partnern den Aufbau industriespezifischer Lösungen für Content-Management inklusive Workflow-Technik und bietet diese beispielsweise für Banken, das Gesundheitswesen und Versicherungen an.

Zum anderen bietet der Hersteller mit "Filenet P8" mittlerweile eine ECM-Suite, deren Architektur laut Ambuj Goyal, Chef der IBM-Software-Sparte Information Management, ein Content-getriebenes Management von Geschäftsprozessen ermögliche. IBMs Workflow-Technik sei hingegen für die Dokumentenverwaltung in Transaktionsprozessen konzipiert. Künftig werde man beide Konzepte in der IBM-Middleware vereinen und komme so der IBM-Strategie eines "Information on Demand" einen Schritt näher - so ein Erklärungsversuch des Managers anlässlich der Bekanntgabe der Übernahme.

Tatsächlich jedoch zeigen sich zwischen den Produkten beider Hersteller große Überschneidungen. Wie Open Text muss daher auch IBM eine plausible Strategie für die betroffenen Kunden finden, wie man gedenkt, die Portfolios zu ordnen und zu integrieren. Da der Deal voraussichtlich erst im Februar 2007 abgeschlossen sein wird, wollte Goyal zum jetzigen Zeitpunkt keine Erläuterungen machen. Er sagte lediglich, man wolle die Produkte weiterentwickeln, vertreiben und unterstützen.

Filenet soll Teil der Information Management Division werden. Lee Roberts, President und Chief Executive Officer von Filenet, sowie alle Mitarbeiter sollen übernommen werden. Rätselraten herrscht hingegen über die Vorteile, die Filenet in einer Übernahme durch IBM sehen könnte. Marktbeobachter behaupten, dass Filenet nach der Konsolidierung im Markt die Flucht nach vorn angetreten habe, zumal die Börsenentwicklung in den letzten Jahren eher schleppend war. (Sascha Alexander / ala)