Harmonisches Miteinander

08.09.2000
Die Deutsche Post World Net betreibt mit 3000 Servern und 80 000 PCs eines der größten Client-Server-Netze Europas. Auf den Rechnern liegen 250 Terabyte Daten. Storage Area Networks sind ein unverzichtbares Hilfsmittel, um diese Informationsberge in den Griff zu bekommen. Eine der größten Herausforderungen dabei: Server und Speicherkomponenten unter einen Hut zu bringen.

Von: Ralf Knobloch

Für die Deutsche Post World Net ist die logistische Abwicklung der über das Internet bestellten Waren, Services und damit verbundenen Mehrwertdienste ein zentraler Wachstums- und Umsatzfaktor. Die Grundlage dafür bildet eine E-Commerce-taugliche IT-Infrastruktur. Sie stellt sicher, dass Daten und Anwendungen rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Speichernetze spielen in der IT-Landschaft der Deutschen Post eine immer wichtigere Rolle. So betreibt das Unternehmen eines der größten Storage Area Networks (SANs) in einer homogenen NT-Umgebung mit SAP R/3 als Kernapplikation.

Neben 32 Speichersubsystemen der Reihe ESA-12000 von Compaq sind in dieses Netz derzeit 45 NT-4.0-Server eingebunden - ebenfalls aus dem Hause Compaq. Zusätzlich sind mehrere Symmetrix-Festplattenspeichersysteme von EMC mit Punkt-zu-Punkt-Fibre-Channel-Verbindungen zu einzelnen Servern oder Unix-Clustern im Einsatz.

Die Installation ist ein Beleg dafür, welch hohen Stellenwert das Thema "Storage" für die Deutsche Post hat. Das Unternehmen erkannte frühzeitig, dass der prognostizierte Zuwachs der Datenbestände nur mit Hilfe von SANs zu bewältigen war. Allerdings war es bis vor neun Monaten so gut wie unmöglich, Speichernetze in heterogenen Betriebssystemumgebungen einzusetzen. Zum einen gab es noch keine Standards, und zum anderen waren die Komponenten und Betriebssysteme der Anbieter nicht kompatibel. Deshalb wurden bis dahin im Wesentlichen homogene Lösungen installiert.

Auswahl von Komponenten und Anbietern

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitarbeitern der Deutschen Post, definierte die systemtechnischen Anforderungen an ein Speichernetz. Das wichtigste Ziel: ein Produktportfolio für den unternehmensweit standardisierten Einsatz von SAN-Komponenten und den entsprechenden systemtechnischen Verfahren zu erstellen. Dieser Warenkorb sollte zu 95 Prozent die Anforderungen aller IT-Anwendungen erfüllen. Ein weiteres Kriterium war, dass wichtige Komponenten, wie Festplattensubsysteme, von mindestens zwei Lieferanten zur Verfügung stehen sollten, um nicht in Abhängigkeit von einem Hersteller zu geraten.

In diesem Zusammenhang eine kritische Anmerkung zu den Anbietern: Einige Hersteller und Systemintegratoren im Bereich Storage und SANs haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Speichernetze mit dem Image einer komplizierten, kostspieligen und proprietären Technik behaftet sind. Speziell das letztgenannte Vorurteil geht auf das Konto einiger Server-Hersteller. Sie irritieren die Anwender, indem sie einerseits als größten Vorteil von SANs deren Offenheit propagieren, sprich die Orientierung an Standards. Andererseits schüchtern sie Kunden durch restriktive Ga-rantiezusagen ein und wollen diese exklusiv an sich binden. Ein ähnliches Verhalten legten IT-Anbieter vor sechs bis zehn Jahren bei der Vermarktung von LAN-Komponenten an den Tag.

In der Tat weist ein SAN, wie seinerzeit das LAN, prinzipiell eine offene Struktur auf. Sie erlaubt es, Fibre-Channel-Komponenten und darauf aufsetzende Produkte unterschiedlicher Hersteller in einem skalierbaren und offenen Netz zusammenzuführen. Standards ermöglichen es zudem, ein SAN schrittweise auf- und auszubauen. Die grundlegenden Standards wurden mittlerweile "festgezurrt". Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis alle Anbieter ihre Produkte an diese Normen angepasst haben. Deshalb ist noch nicht sichergestellt, dass die Komponenten der einzelnen Anbieter einander "verstehen", sprich interoperabel sind.

Systemtechnische Anforderungen

Unter systemtechnischen Gesichtspunkten definierten die Experten der Deutschen Post eine Reihe von Anforderungen (siehe Tabelle "Systemtechnische Anforderungen"). Anhand dieser Vorgaben überprüften sie anschließend die Speicherprodukte diverser Hersteller. Als Resultat wurden die Komponenten folgender Hersteller in das Standard-Produktportfolio aufgenommen:

- Fibre-Channel-Switches: ausschließlich von Brocade;

- Fibre-Channel-SCSI-Konverter (SAN-Router): Crossroads und Chaparral Technologies;

- Festplattensubsysteme: EMC und Compaq;

- Tape-Libraries: Exabyte und Storagetek;

- Worm- und MO-Jukeboxes: Hewlett-Packard.

Einsatzbeispiel: Anwendungsentwicklungszentrum Trier

Ein Unternehmensbereich der Deutschen Post, der SANs einsetzt, ist das Anwendungsentwicklungszentrum (AE) in Trier. In solchen Zentren entwickelt und erprobt das Unternehmen Applikationen, welche die Unternehmensprozesse unterstützen. Insgesamt nutzt die Post gegenwärtig 150 Programme dieser Art. Bis zu zwanzig davon können in einem AE gleichzeitig für unterschiedliche Server-Zielsysteme entwickelt und gepflegt werden.

Für Entwicklungs- und Testzwecke ist es notwendig, die Server und den zugeordneten Speicherplatz ständig neu zu konfigurieren. Mit Hilfe von SAN-Komponenten erfolgt dies schnell und dynamisch. So lassen sich beispielsweise bestimmte Speicherkonstellationen ("Welcher Speicherbereich gehört welchem Server") abspeichern und per Knopfdruck automatisch einstellen. Weitere Aspekte, die bei der Auswahl der Server- und SAN-Komponenten eine Rolle spielten, waren der hohe Wert, die Verfügbarkeit sowie Sicherheit der Programmcodes. Außerdem sollte die Lösung skalierbar sein.

Das AE Trier verfügt über eine breite Palette von Servern mit unterschiedlichen Betriebssystemen, die in das Speichernetz eingebunden sind:

Die NCR-Systeme sind über SCSI angebunden, was eine wahlweise Zuordnung von Speicherplatz ermöglicht. In einem zweiten Schritt sollen die Fujitsu-Siemens-Server und die Sun-E450-Maschinen integriert werden. Zusätzlich erwägen die Fachleute in Trier, bei Updates des Betriebssystems auch Siemens-Nixdorf-Maschinen vom Typ RM 400/600 mit PCI-Bus unter Reliant Unix 5.45 in das SAN mit einzubeziehen.

Mitarbeiter des Bereiches Systemtechnik unter Federführung der Abteilung Storage-Management-Systeme in Dresden übernahmen die systemtechnische Beratung und halfen dabei, ein Konzept für die IT-Umgebung zu erstellen. Zudem führten sie Tests durch. Sie ließen dabei Erfahrungen mit einfließen, die sie bei Projekten im eigenen Haus und in anderen Bereichen gesammelt hatten. Mittlerweile bekundeten auch andere Anwendungsentwicklungszentren ihr Interesse an einer SAN-Lösung oder sind bereits dabei, Speichernetze zu installieren.

Ein zweites Beispiel eines komplexen Speichernetzes ist in Dresden zu finden - bei der Abteilung Storage-Management-Systeme selbst (siehe Bild Seite 36). Sie implementierte das SAN in einer heterogenen Test-, Entwicklungs- und Produktionsumgebung. Bis Ende des Jahres sollen mehr als 50 Server in das Netz integriert werden, zudem Festplattensubsysteme unterschiedlicher Hersteller und eine SAN-Datensicherungslösung. Ein Anwender ist unter anderem die Abteilung "Anwendungsentwicklung Geografische Systeme - Zustellung", denn beim Einsatz geografischer Informationssysteme fallen Datenmengen in der Größenordnung von mehreren Terabyte an.

Einbindung von SANs in das Systemmanagement

Das Management von Speichernetzen lässt sich mit dem von lokalen Netzwerken vergleichen. Ebenso wie im LAN ist es notwendig, eine herstellerübergreifende Verwaltungsapplikation einzusetzen. Die Anbieter offerieren jedoch vorzugsweise Managementsysteme für einzelne Komponenten - meistens reine Konfigurationswerkzeuge. Für ein Großunternehmen, dessen IT-Infrastruktur zu mehr als 99,9 Prozent zur Verfügung stehen muss, ist das nicht ausreichend.

Eine Ausnahme bildet nach Einschätzung der Experten der Deutschen Post der "Storage Node Manager" von Hewlett-Packard. In den nächsten sechs bis zwölf Monaten sind allerdings Fortschritte bei der Standardisierung zu erwarten. Dann dürften auch übergreifende SAN-Managementapplikationen auf dem Markt auftauchen.

Im Allgemeinen bieten die SAN-Produkte als Schnittstelle zur Übermittlung von Systemzuständen Logfiles oder ein SNMP-Interface an. Die Deutsche Post World Net überwacht die SAN-Komponenten mit Hilfe von Hewlett-Packards "Openview IT/Operations" (IT/O). Das hat den Vorteil, dass die Netzwerkmanager Informationen über den Gesamtzustand der IT-Infrastruktur beziehungsweise einer Anwendung erhalten. Dazu werden Events ausgewertet oder Korrelationen zwischen Ereignissen hergestellt. Derzeit sind bei der Deutschen Post SAN-Produkte von EMC, Compaq und Brocade in ITO implementiert (siehe Ticker "Beispiele für IT/O-Integration").

Speichernetze bilden innerhalb der Unternehmens-IT zunächst meist Inseln, die später zusammengeführt werden, zuerst an großen Standorten und dann standortübergreifend über Strecken von mehr als 50 Kilometern. Als Kopplungsverfahren kommen Fibre-Channel oder Fibre-Channel-ATM/IP-Encapsulation in Betracht. Welches von beiden sich durchsetzen wird, hängt davon ab, welche Standards geschaffen werden und welche Produkte sich am Markt etablieren können. Die Deutsche Post hat bereits die Voraussetzungen für ein unternehmensweit gültiges World-Wide-Naming-Adressierungs-Konzept geschaffen. Es entspricht in etwa der DNS-Adressierung in IP-Netzen.

Die Datensicherung bei der Deutschen Post World Net erfolgt für alle Plattformen mit dem Produkt "Legato Cellestra Networker". Dedizierte Systeme mit eigener Library sichern über das lokale Netz alle Daten, die auf den Servern (Datensicherungs-Clients) lagern. Die stark anwachsenden Bestände zeigten allerdings recht schnell die Grenzen der LAN-basierten Datensicherung auf. Auch Tests mit Systemen, die über Gigabit-Ethernet angebunden waren, ergaben keine wesentliche Leistungssteigerung gegenüber Servern, die mit Vollduplex-Fast-Ethernet am LAN angeschlossen waren.

Einen deutlichen Leistungsschub verspricht nur eine SAN-basierte Datensicherung in Verbindung mit dem "Network Data Management Protocol" (NDMP). Die Daten werden dabei nicht durch die CPU geschleust, sondern über spezielle SCSI-Block-Kommandos am Server vorbeigelotst ("Serverless"). In Verbindung mit den Spiegel- und Snap-shot-Mechanismen in intelligenten Festplatten-Subsystemen sinkt das Backup-Fenster dann auf Null.

Erste Versuche mit Cellestra verliefen viel versprechend. So wurde ein Test mit einem kombinierten Datenbank-Fileserver unter Unix durchgeführt. Er verfügte über einen Fibre-Channel-Hostbus-Adapter und vier Laufwerke vom Typ 9840 von Storagetek, die mittels Fibre-Channel-SCSI-Konverter angeschlossen waren. Bei dem Test wurde eine durchschnittliche Kanalauslastung von 38 MByte/s (9,5 MByte pro Laufwerk) erreicht. Das Verhalten des Systems war bei einem beziehungsweise 50 Prozent CPU-Belastung durch die Datenbank identisch. Eine Sicherung mit Hilfe von NDMP erhöht die Last des Prozessors um ganze ein bis zwei Prozent. Allerdings dürfte Cellestra Networker frühestens in einem halben Jahr bei der Deutschen Post World Net in größerem Umfang zum Einsatz kommen. Der Grund ist, dass das System in heterogenen Betriebssystemumgebungen noch nicht stabil genug ist.

Anwenderinitiative zum Thema SAN

Analysten und Technologieberater erwarten, dass lokale und Speichernetze in den nächsten drei Jahren zusammenwachsen. Als Bindeglied soll dabei IP fungieren. Ob diese Entwicklung tatsächlich eintritt, bleibt abzuwarten. Die Deutsche Post World Net kann jedoch aufgrund der anwachsenden Datenmengen nicht warten, bis eine solche Technik verfügbar ist.

Deshalb hat das Unternehmen zu anderen Firmen Kontakt aufgenommen, um in Deutschland oder Europa ein Anwender-Gremium ins Leben zu rufen, das sich mit Storage Area Networks beschäftigt. Die Vereinigung will unter anderem die Entwicklung von Standards in den Bereichen Fibre-Channel und SAN-Management vorantreiben. Außerdem möchten die Mitglieder erreichen, dass sich die Interoperabilität der Komponenten und Software unterschiedlicher Anbieter verbessert. (re)

Ralf Knobloch

leitet die Abteilung Storage-Management-Systeme bei der Deutschen Post AG in Dresden.