Happy Birthday, Linux!

25.08.2001 von Mike Hartmann
Vor zehn Jahren hat Linus Torvalds im Usenet zum ersten Mal sein Projekt vorgestellt: 'ein (kostenloses) Betriebssystem'. Von 'es wird nichts Großes oder Professionelles wie GNU' kann heute jedoch keine Rede mehr sein.

Zehn Jahre sind seit der ersten Ankündigung von Linus Torvalds vergangen. tecChannel.de hat in alten Archiven gegraben und die Geschichte von Linus, Linux und Tux zusammengetragen.

Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung ging es Linus Torvalds primär nicht darum, einen kostenlosen Unix-Ersatz zu schaffen. Es fing damit an, dass das Rechenzentrum seiner Universität 1990 zwar über eine microVAX mit Ultrix verfügte, aber nicht genug Rechenleistung für die Studenten bereit stellen konnte. Dennoch kam für Torvalds ein 386er nicht in Frage: "Dann hätte ich ja mit diesem lausigen Betriebssystem MS-DOS arbeiten müssen und nichts gelernt", sagt er 1997 in einem Interview mit "Wired".

Erst als er in einem Universitätskurs mit Andrew S. Tanenbaums Minix in Kontakt kommt, entscheidet Torvalds sich, einen PC zu kaufen. Zunächst geht es ihm lediglich darum, die Task-Switching-Fähigkeiten des 80386 zu verstehen. Sein erstes Erfolgserlebnis ist ein Minix-Programm aus zwei Prozessen, die abwechselnd die Zeichenfolgen AAAA und BBBB auf den Bildschirm bringen. Im nächsten Schritt erweitert Linus das Programm zu einem Newsreader: Der eine Task bringt die News vom Modem auf den Bildschirm und der andere von der Tastatur zum Modem - allerdings immer noch unter Minix.

Aber Linus Torvalds hat bereits Blut geleckt. "Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits gemerkt, dass Minix nicht genug ist. Fehlende Job-Kontrolle, hässliches Speichermanagement, keine Unterstützung für FPUs und so weiter", erklärt er der "Linux News" Mitte Oktober 1992 in einem Interview.

Der erste Schritt

Weitere Kritikpunkte sind, dass Minix ein rein "akademisches" Betriebssystem ist und aus Gründen der Portierbarkeit nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der damals verfügbaren Prozessor-Architekturen (8088, 68000, Sparc) verwendet. Dementsprechend nutzt es auch nicht die besonderen Fähigkeiten des 80386. Torvalds beginnt mit seiner Mammutaufgabe: einem komplett neuen Betriebssystem.

Erstes sichtbares Anzeichen ist am 3. Juli 1991 ein Posting in comp.os.minix, in dem er nach einer Definition der Posix-Standards fragt, damit sich Anwendungsprogramme leichter auf das zu diesem Zeitpunkt noch namenlose Betriebssystem portieren lassen.

Doch die Posix-Spezifikationen sind nur gegen Bezahlung vom Standard-Komitee erhältlich. Linus muss sich einen anderen Weg suchen, um eine Programmier-Schnittstelle für sein Betriebssystem zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt meldet sich Ari Lemmke bei Linus und verweist ihn auf die GNU libc.a, eine Bibliothek mit Funktionen des ANSI-C Standards und Posix-Features.

Ari richtet auch gleich das erste öffentliche Linux-Verzeichnis (/pub/OS/Linux) auf nic.funet.fi ein, obwohl dort noch für einige Zeit lediglich ein README zu finden ist: "Dieses Verzeichnis ist für den frei verteilbaren Minix-Clone". Ari ist es übrigens zu verdanken, dass Linux heute "Linux" heißt: Linus will das Betriebssystem eigentlich "Freax" (Kunstwort aus free, freak und dem x von Unix) taufen. Den Arbeitstitel Linux will er nicht verwenden, weil er Angst hat, als "Egomane" beschimpft und nicht ernst genommen zu werden, erklärt er der "Wired". Doch Ari findet Linux besser und legt somit den Grundstein.

Linux 0.01

Doch immer noch besteht Linux lediglich aus einem sehr rudimentären Protected-Mode-System mit einem AT-Treiber und dem Minix-Dateisystem. Um nicht völlig richtungslos zu entwicklen, wendet sich Linus am 25. August 1991 erneut an die Benutzer von comp.os.minix:

Path: icdoc!ukc!mcsun!news.funet.fi!hydra!klaava!torvalds
From: torvalds@klaava.Helsinki.FI (Linus Benedict Torvalds)
Newsgroups: comp.os.minix
Subject: What would you like to see most in minix?
Summary: small poll for my new operating system
Keywords: 386, preferences
Message-ID: <1991Aug25.205708.9541@klaava.Helsinki.FI>
Date: 25 Aug 91 20:57:08 GMT
Organization: University of Helsinki
Lines: 20


Hello everybody out there using minix -

I'm doing a (free) operating system (just a hobby, won't be big and
professional like gnu) for 386(486) AT clones. This has been brewing
since april, and is starting to get ready. I'd like any feedback on
things people like/dislike in minix, as my OS resembles it somewhat
(same physical layout of the file-system (due to practical reasons)
among other things).

I've currently ported bash(1.08) and gcc(1.40), and things seem to work.
This implies that I'll get something practical within a few months, and
I'd like to know what features most people would want. Any suggestions
are welcome, but I won't promise I'll implement them :-)

Linus (torvalds@kruuna.helsinki.fi)

PS. Yes - it's free of any minix code, and it has a multi-threaded fs.
It is NOT protable (uses 386 task switching etc), and it probably never
will support anything other than AT-harddisks, as that's all I have :-(.

Damit ist Linux "offiziell"! Die erste Version linux-0.01.tar.gz geht dann im September an nur wenige Mitglieder von comp.os.minix. Genau weiß selbst Linus das nicht mehr, aber die jüngste Datei im tarball ist vom 17. September 1991 18:29. Den ersten "offziellen" Linux-Kernel (Version 0.02) kündigt Linus am 05. Oktober in comp.os.minix an.

Bis Dezember "lernt" Linux (Version 0.11) virtuellen Speicher, Version 0.12 ist der erste Kernel, der auch "nicht-essenzielle" Features enthält: etwa Unterstützung für 100 mal 40 Zeichen im SVGA-Modus oder die Punkte "." beim Laden des Kernels. Auch die virtuellen Konsolen, die sich mittels ALT- und Funktionstaste umschalten, haben hier ihr Debüt.

Torvalds 1 : Tanenbaum 0

Die zunehmende Diskussion um Linux in comp.os.minix ruft Andrew S. Tanenbaum, den Entwickler von Minix, auf den Plan. Er schaltet sich mit einem Posting unter dem Titel "LINUX is obsolete" in die Diskussion ein und entfacht einen regelrechten Flamewar. Tanenbaums Hauptpunkte sind:

Tanenbaum nutzt die Gelegenheit und verweist auf sein neues Projekt Amoeba. Dabei handelt es sich um ein verteiltes, parallelisiertes Betriebssystem mit Microkernel Architektur, das auf Sparcs, 386/486, 68030 sowie Sun 3/50 und Sun 3/60 läuft. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Minix nur ein Hobby von ihm sei und er ja hauptberuflich als Professor für Betriebssysteme arbeite - eventuell um die "Stichhaltigkeit" seiner Argumente qua position zu untermauern.

Linus revanchiert sich mit dem Kommentar: "Ist das Ihre Entschuldigung für die Schwächen von Minix? Schade, aber ich habe mehr Ausreden und trotzdem ist Linux in fast allen Belangen überlegen". Der Seitenhieb "Abgesehen davon scheint der meiste gute Code in Minix von Bruce Evans zu stammen" ist da eigentlich schon gar nicht mehr nötig.

Aber auch seine anderen Konter sind wirklich lesenswert:

Sein Abschluss der Mail:

"P.S. Entschuldigung, wenn ich teilweise etwas hart klinge. Minix ist ein gutes Betriebssystem, wenn man gerade nichts anderes hat. Amoeba könnte nett sein, wenn man zufällig fünf bis zehn 386er in der Ecke stehen hat, ich habe das nicht. Normalerweise lasse ich mich nicht zu Flamewars hinreißen, aber ich bin ein wenig empfindlich, wenn es um Linux geht."

Den kompletten Thread können Sie hier downloaden.

Inzwischen sind neun Jahre vergangen und Andrew S. Tanenbaum schreibt in seiner persönlichen FAQ auf die Frage, was er von Linux hält: "Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Linus dafür zu danken, es gemacht zu haben. [...] Wir beide sind jetzt froh über die Ergebnisse. Die einzige Person, die vielleicht nicht so glücklich ist, ist Bill Gates."

Linux, the gathering

Im März 1992 glaubt Linus, dass Linux bereit für eine offzielle Version 1.0 ist, und erhöht die Versionsnummer von 0.12 auf 0.95. Inzwischen beteiligt sich schon eine ganze Reihe von Hobby-Programmierern an der Entwicklung von Linux. Version 0.95 ist auch die erste, die ein "Unix-ähnliches" Login aufzuweisen hat. Doch bis zum endgültigen Release des Kernel 1.0 soll es noch über zwei Jahre dauern (16. April 1994). In diesem Zeitraum wächst die Größe des Source-Tarballs von 138 KByte auf 1,2 MByte und die Anzahl der in den Credits erwähnten Entwickler auf 79, darunter auch eine ganze Reihe von Deutschen.

Bis zum heutigen Datum sind es über 200 "offziell" erwähnte Entwickler. Die Anzahl ungenannter Helfer ist nur schwer zu schätzen, ebenso wie die Anzahl der Rechner unter Linux. Gerade im (Web)Server-Bereich erfreut sich Linux inzwischen größter Beliebtheit. Für Desktop finden sich ebenfalls immer mehr Benutzer, da auch Linux inzwischen einen Komfort erreicht hat, der in vielen Belangen nahe an den von Windows heranreicht. Vom "Betriebssystem von einem Hacker für Hacker", wie es Linus in seinem offiziellen Statement zur 0.02 genannt hat, ist Linux inzwischen weit entfernt. Nicht umsonst hat sich rund um Linux eine Firmenlandschaft entwickelt, die eine Vielzahl von Diensten und Programmen für das freie Betriebssystem anbietet.

Die Story geht weiter

Den letzten großen Schritt vollzieht Linux seit etwa einem Jahr. Mehr und mehr große Firmen steigen auf den bereits rollenden Zug auf. Weitaus am energischsten in Richtung Linux im Enterprise zeigt sich dabei IBM.

Tatsächlich beweisen die Mannen aus Armonk schon geraume Zeit eine gesteigerte Affinität zu Linux. Die bewegte sich allerdings bislang in eher ungewöhnlichen Bahnen und brachte Linux auf Mainframes und ins Supercomputing. So verträgt sich das freie Unix inzwischen bestens mit den großen Eisen der S/390-Familie. Hier greift besonders die Kundschaft aus dem akademischen Bereich gern zu, aber auch kommerzielle Webserver operieren bereits auf S/390-Systemen unter Linux.

Dabei will IBM es nicht bewenden lassen - über das ganze Firmenportfolio hinweg soll Linux das e-Business der Zukunft befördern. Für jede Hardware, vom eServer x-Series bis zum Netvista-Thin-Client, und für jede Software, von Lotus Domino bis zu Tivolis Netzwerkmanagement-Lösungen, will Big Blue den Einsatz des freien Unix unterstützen.

"Wie offerieren nicht nur grundlegenden Linux-Support für unsere Hard- und Software. Wir investieren auch in Linux-Services, um unseren Kunden den gewohnten Support für ihre Unternehmensumgebungen auch unter Linux zu bieten", präzisiert Irving Wladawsky-Berger, Vizepräsident für Technologie und Strategie bei IBMs Server Group.

Aber auch HP und Intel zeigen mit ihren jüngsten Pressemitteilungen, dass sie das Thema Linux durchaus ernst nehmen.

Linux 1 : Windows 0

Die zunehmende Beliebtheit von Linux findet nicht jedermanns Zustimmung. Speziell Microsoft fühlt sich offenbar zunehmend unter Druck gesetzt. Das hat sich der Software-Gigant größtenteils selbst zuzuschreiben. Zu wenig hat sich das Unternehmen aus Redmond in den letzen Jahren um die offensichtlichen Bedürfnisse der professionellen Anwender gekümmert.

Nach einer Phase der völligen Ignoranz folgten vor zwei Jahren die berüchtigten Halloween Papers: In der internen Studie, deren Autorschaft Microsoft nie offiziell zugab, deren Herkunft aber als unzweifelhaft gilt, tat das Unternehmen die Open-Source-Entwicklung in Bausch und Bogen als unzulänglich und lächerlich ab. Auch in weiteren Reaktionen, wie einer bereits berüchtigten Anzeige in einem bekannten deutschen Computermagazin, beschränkte sich Microsoft auf den Versuch, Linux ins Lächerliche zu ziehen.

Doch inzwischen bekommt es Microsoft wohl mit der Angst zu tun. Anders lässt sich der Versuch von Jim Allchin, Leiter der Windows-Entwicklung bei Microsoft, die US-Legislative gegen Linux aufzuwiegeln, kaum erklären. Mitte Februar beschuldigte Allchin in einem Interview des US-Nachrichtendienst Bloomberg die Open-Source-Bewegung, "intellektuelles Eigentum zu zerstören", "Forschung und Entwicklung zu behindern" und dadurch die "Innovation zu bremsen". Er forderte die Gesetzgebung auf, sich "auf diese Bedrohung einzustellen".

Fazit

Innerhalb von nur zehn Jahren hat Linux mehr erreicht, als eine ganze Reihe anderer Produkte oder Firmen:

In diesem Sinne kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch und weiter so! (mha)