Handspring Visor: Konkurrenz für Palm

22.03.2000 von STEFAN BLAU 
Die Palm-PDAs sind unangefochtene Marktführer in ihrem Segment. Nun bekommen Palm IIIx, IIIc und Palm V auch in Europa artverwandte Konkurrenz: Der Visor von Handspring arbeitet ebenfalls mit dem PalmOS und ist mit einem Steckplatz ausgerüstet.

Der Markt für stiftbasierte Palm-Sized PDAs ist klar verteilt: Über drei Viertel der verkauften Geräte basieren auf PalmOS, der Rest ist mit Microsofts Windows CE oder anderen Systemen ausgestattet. In Deutschland gab es bislang nur die Geräte von PalmOS-Hersteller Palm Computing selbst zu kaufen. Nun wagt Konkurrent Handspring ab Mai mit der Visor-Baureihe den Sprung nach Europa. Mit den Modellen Visor Solo, Visor und Visor Deluxe will sich Handspring seinen Anteil am boomenden Markt der Palmsize-PDAs sichern.

Die Modelle Visor und Visor Solo sind mit je zwei MByte Speicher ausgestattet, der Visor Deluxe mit acht MByte. Der Visor Solo unterscheidet sich gegenüber dem Visor durch die fehlende Dockingstation (Hotsync Cradle), ansonsten sind die Geräte technisch identisch. Die Preise der deutschen Visor-Modelle stehen noch nicht fest, sollen sich aber an den US-Preisen (150-250 Dollar) orientieren.

tecChannel überprüft anhand des Visor Deluxe, ob sich die neuen Handspring-Modelle gegen die etablierte Konkurrenz von Palm IIIe, IIIx, IIIc und V behaupten können.

Visor-Hardware

Das oberflächlichste, aber auffälligste Merkmal des Visor Deluxe ist sein Design. Von den Abmessungen her entspricht das Gerät der Palm-III-Baureihe, unterscheidet sich aber durch geriffelte Gehäusekanten und der Farbgestaltung. Statt mausgrau kommt der Visor in der Deluxe-Version in Schwarz, Weiß, Grün, Blau oder Orange daher. Bis auf das schwarze Modell sind alle Farbvarianten im iMac-Stil transparent und lassen einen verschwommenen Blick ins Innere des Gerätes zu. Den Visor Solo und den Visor gibt es hingegen nur in schwarz.

Der Display-Schutz besteht aus einer Plastikklappe mit Schnappmechanismus, der an der Vorder- und Rückseite des Visor gleichermaßen Platz findet. Ein einfaches Aufklappen wie bei den Palm-III-Modellen ist nicht möglich. Die Klappe muss zum Wechsel der Position jeweils ganz entfernt und wieder neu aufgesetzt werden.

Technisch unterscheiden sich die Visor-Modelle von ihren Palm-Brüdern bis auf den Springboard-Erweiterungsslot kaum: Der Prozessor ist hier wie dort ein Motorola Dragonball EZ mit 16 MHz, das Display bietet eine Auflösung von 160x160 Bildpunkten und vier Bit entsprechend 16 Graustufen. Die Qualität der Darstellung entspricht dem Display des Palm V.

Das Hotsync Cradle des Visor gibt es wahlweise mit USB oder seriellem Anschluss. Der USB-Anschluss birgt dabei eines der wichtigsten neuen Features: Dieser sorgt laut Handspring für schnellere Datenübertragung beim Hotsync. Der tecChannel-Test belegt dies: Während die Installation einer rund 300 KByte großen Datenbank bei einem Palm V mit seriellem Cradle über eine Minute dauert, erledigt der Visor die gleiche Aufgabe in rund 15 Sekunden. Wer den Visor unter NT einsetzen will ist allerdings auch weiterhin auf einen Connect via der langsameren seriellen Schnittstelle angewiesen.

Weiteres Plus: Für Mac-User stellt der Anschluss dank USB ebenfalls kein Problem dar. Die notwendige Software liefert Handspring im Gegensatz zu Palm Computing gleich mit. Allerdings ist das Cradle nur zum Handspring Visor kompatibel. Wer hofft, auf diese Weise seinen alten Palm III oder V per USB mit dem PC verbinden zu können, wird enttäuscht.

Erweiterungen per Springboard

Palm-Kennern fällt sofort der Springboard-Slot an der Rückseite des Geräts ins Auge. Dieser Handspring-eigene Erweiterungs-Port nimmt über ein Drittel der Rückseite ein und ist damit deutlich größer als ein CompactFlash-Slot. Das Besondere der Springboard-Karten: Spezielle Treiber sind nicht erforderlich, da die entsprechende Software auf den Karten integriert ist. So startet zum Beispiel das zum Test mitgelieferte Backup-Modul zur Sicherung des Datenbestandes sofort nach dem Einstecken die integrierte Backup-Software.

Bei den Sound-Funktionen - bislang eine Schwachstelle der Palm-Organizer - ist der Visor nur minimal besser als seine Palm-Konkurrenten ausgestattet: Ein kleines Loch an der linken unteren Seite verrät ein Mikrofon. Dies ist allerdings nur zum Springboard-Slot durchgeschleift. So bleibt das Mikrofon ohne entsprechende Hardware für den Port völlig nutzlos.

Die Auswahl an Springboard-Modulen ist derzeit noch mager: Neben dem beschriebenen Backup-Modul gibt es derzeit nur eine Acht-MByte-Speichererweiterung, ein Golf-Spiel und ein Modem.

Angekündigt sind dagegen eine Vielzahl weiterer Module, darunter MP3-Player und Netzwerk-Adapter. Die Springboard-Module können dabei auch über extra Batterieeinschübe verfügen, da das Springboard vom Platz her wesentlich mehr Spielraum lässt, als beispielsweise PC-Card-Steckplätze.

In einem Detail ist der Visor in punkto Mechanik jedoch schlechter als die Palm-Modelle: Der Stift hat keinen integrierten Reset-Stift: Wer seinen Visor neu starten will, muss eine Büroklammer bemühen. Die Stromversorgung erfolgt wie bei den Palm-III-Modellen über zwei AAA-Batterien.

Optimiertes PalmOS mit Schwächen

Das Palm-Betriebssystem selbst hat Handspring laut eigener Aussage einer Performance-Kur unterzogen. Im normalen Betrieb ist davon wenig zu spüren, da zeitintensive Funktionen wie die Such-Funktion nur minimal schneller sind. Auch der Bildaufbau der einzelnen Applikationen wirkt auf dem Visor nur minimal schneller. Der Unterschied ist insgesamt daher kaum merklich und in der Praxis ohne Relevanz.

Unverständlich ist, warum Handspring sogar beim Deluxe-Modell darauf verzichtet hat, das PalmOS in einem Flash-ROM abzulegen. Die Folge: Das von Handspring optimierte und mit Springboard-Support ausgestattete PalmOS 3.1H ist nicht austauschbar.

Besonders Nutzer der Infrarot-Schnittstelle bekommen dies zu spüren: Weder ein Hotsync noch die Verwendung eines in einem Handy integrierten Infrarot-Modems (zum Beispiel Siemens S25) ist ohne zusätzliche Software möglich. Zu allem Überfluss behauptet Handspring auf seiner Website, dass das von Palm Computing erhältliche IR Enhancement für PalmOS 3.1 nicht zum Visor kompatibel ist. Im tecChannel-Test arbeitete die Software jedoch einwandfrei mit dem Infrarot-Modem eines Nokia 7110 zusammen.

Dennoch bleibt die Nutzung der Infrarot-Schnittstelle im Vergleich zu den Funktionen des für den Palm IIIx und V als Flash-Upgrade erhältlichen PalmOS 3.3 sehr umständlich.

Verbesserte Software

Deutlich sichtbar werden die Optimierungen von Handspring an den eingebauten Applikationen: So wurde der magere Palm-Taschenrechner durch ein leistungsfähiges Programm mit wissenschaftlichen Funktionen (Trigonometrie, Statistik, Finanzen etc.) und Einheiten (Gewichte, Temperaturen, Längen, Flächen und Volumen) ersetzt. Damit werden zum Beispiel Umrechnungen auf internationale Maßeinheiten zum Kinderspiel.

Neben diesen kleineren Änderungen hat Handspring vor allem auch den Kalender kräftig überarbeitet. Die DateBook+ getaufte Anwendung stammt offensichtlich von der Shareware DateBk3 ab und bietet drei zusätzliche Kalender-Ansichten: Eine Wochen-Ansicht mit direkter Anzeige der Termine, eine Jahres-Übersicht und eine Listen-Ansicht aller Termine. Die beiden letzten Modi können dabei nochmals über ein eigenes Options-Fenster an die Bedürfnisse des Benutzers angepasst werden.

Allerdings ist die Bedienung des Programms nicht durchgängig: So existierten einige allgemeine Menüpunkte wie die Alarm-Optionen nicht in jeder Kalender-Ansicht. Wie auch beim Palm OS 3.3 ist nun die To-do-Liste in den Kalender integriert. Fällige Aufgaben erscheinen auch in der Kalender-Ansicht.

Keinerlei Änderungen finden sich dagegen im Adress-Buch. Der Funktionsumfang ist in diesem Bereich identisch zu den Palm-Modellen. Nur für Vielreisende interessant ist die Welt-Uhr, die bis zu vier Zeitzonen gleichzeitig anzeigt. Ganz nebenbei existieren von allen Programmen weiterhin die von Palm III und Palm V bekannten Versionen.

Erfahrene Palm-Anwender kommen die neuen Funktionen wahrscheinlich von verschiedenen Zusatzprogrammen bekannt vor. Handspring ist es jedoch hoch anzurechnen, die teilweise lange als fehlend bemängelten Funktionen direkt in das Betriebssystem integriert zu haben.

Fazit

Vor allem die Erweiterungsmöglichkeit über den Springboard-Port und der schnelle Hotsync über USB machen den Visor interessant. Bei allen anderen Eigenschaften unterscheidet sich der Visor nur marginal von den Palm-Computing-Modellen. Neben den Verbesserungen auf der Software-Seite beim Kalender und Taschenrechner bleiben aber einige Wermutstropfen: Unverständlich ist, warum Handspring das Betriebssystem nicht in einem Flash-ROM untergebracht hat: Das derzeit ausgelieferte PalmOS 3.1 ist eigentlich bereits veraltet und bringt besonders für Besitzer von Mobiltelefonen mit integriertem Modem und IrDA-Schnittstelle erhebliche Nachteile mit sich. Bei Betriebssystem-Updates wird es daher in Zukunft wohl heißen: "Nicht für Handspring-Kunden".

Auch das integrierte Mikrofon bleibt vorerst wertlos, da entsprechende Springboard-Karten derzeit noch nicht verfügbar sind.

Trotz allen Problemen im Detail bleibt der Visor eine ernst zu nehmende Alternative zu den Palm-Organizern: Schließlich kann derzeit kein Modell von Palm-Computing mit Erweiterungsslot und USB-Anschluss aufwarten. Auch preislich ist Handspring derzeit ungeschlagen: Der Visor Solo wird umgerechnet rund 300 Mark, der Visor Deluxe 500 Mark kosten. Der Vertrieb der Handspring-Produkte soll ab Mai über die großen Elektronik-Ketten erfolgen. (fkh)

Quickinfo

Produkt

Handspring Visor

Hersteller

Handspring

Typen

Visor Solo mit 2 MByte, Visor mit 2 MByte und Cradle, Visor Deluxe mit 8 MByte und Cradle

Betriebssystem

PalmOS 3.1H, kein Flash-ROM

Besonderheiten

Springboard für Erweiterungen, Cradle mit USB erhältlich

Preise

Visor Solo ca. 300, Visor ca. 350 und Visor Deluxe ca. 500 Mark