Gute Karrierechancen für Mädchen

04.02.2000
Um mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern und sie in Führungsetagen zu etablieren, haben verschiedene Hochschulen in den vergangenen Jahren reine Frauenstudiengänge gestartet. Die ersten Erfahrungen waren kürzlich Thema einer Konferenz, die der Arbeitskreis European Women in Science and Technology (Eurowin) in Bonn veranstaltete.

Von: Dorothea Wendeln-Münchow

Lust auf Technik? Den Jugendlichen scheint sie in den vergangenen Jahren gründlich vergangen zu sein. Die Hörsäle in den Universitäten sind in den technischen Disziplinen wie leergefegt. An der Ingenieur- und Informatikausbildung sind immer weniger junge Leute interessiert. Und das, obwohl sich Absolventen inzwischen vor Jobangeboten kaum retten können. Um den Mangel an Technikern zu beheben, der auch den Standort Deutschland gefährdet, entdecken die Bildungsplaner und Verbandsvertreter derzeit die Gruppe der Frauen. Sie sind in technischen Berufen unterrepräsentiert und könnten in einem überschaubaren Zeitraum die Technik-Lücke aufzufüllen helfen.

Die Experten machen sich derzeit nicht allzu viel vor. Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern in den technischen Berufen steht bislang mehr auf dem Papier, als dass sie Realität ist. Darüber waren sich die Beteiligten der Konferenz "Frauenstudiengänge in Ingenieurwissenschaften und Informatik - Chancen für die Zukunft" Mitte Dezember in Bonn einig. Eingeladen hatte der Arbeitskreis European Women in Science and Technology (Eurowin), der die strukturelle Benachteiligung ändern will. Dabei beraten die Fachleute derzeit schwerpunktmäßig nicht einmal mehr über die Ursachen. Mittlerweile ist der Mangel so offensichtlich, dass man sich - ganz pragmatisch - um praktizierbare Konzepte für die Zukunft bemüht, mit denen weibliche Studierende geworben und vor allem in den bisher männlich dominierten Fächern gehalten werden können.

Die Grundvoraussetzungen für einen kurz- oder sogar mittelfristigen Erfolg sind dabei vergleichsweise schlecht: Der Anteil weiblicher Studierender in den Ingenieurwissenschaften beträgt heute im Durchschnitt lediglich rund 18 Prozent. Noch sind Frauen in den technischen Berufen eindeutig in der Minderheit und müssen sich im Kreis ihre männlichen Kollegen "immer wieder mit besonderen Leistungen behaupten", erklärten Teilnehmerinnen der Veranstaltung aus eigener Erfahrung. Und dass Leistung allein nicht reicht, zeigt auch die Bilanz des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit. Der Kurzbericht zur Arbeitslosigkeit bei Akademikerinnen stellt fest, dass die Arbeitslosenquote der Bau- und Elektroingenieurinnen mit Uni-Abschlüssen fast dreimal so hoch ist wie bei ihren männlichen Kollegen. Zudem zeigt sich, wenn man die Arbeitslosenquoten von Frauen aus verschiedenen Studiengängen untereinander vergleicht, dass ihre Studienwahl eines eher geschlechtsunspezifischen Faches ein höheres Arbeitsplatzrisiko birgt als zum Beispiel das Studium der Pädagogik oder Sprachen.

Künftig im Ausland suchen?

Der rasante technologische Wandel, Veränderungen in der Unternehmensorganisation und die fortschreitende Internationalisierung von Forschung und Entwicklung schaffen Herausforderungen, die die Industrie sowie der Mittelstand bereits heute personell kaum bewältigen kann. "Der Bedarf an Arbeitskräften ist so groß wie nie zuvor", appellierte Gottfried Dutine, Vorsitzender des Vorstandes der Alcatel SEL AG in Stuttgart, an seine überwiegend weibliche Zuhörerschaft während der Konferenz in Bonn. Ein Blick in die überregionalen Tageszeitungen jeweils zum Wochenende macht in diesen Wochen zudem deutlich, was damit gemeint ist: Die "Stellenmärkte" bersten fast vor Anzeigen. "Die Unternehmen werden sich künftig im Ausland bedienen müssen, wenn nicht genügend Nachwuchs ausgebildet wird", sagte Hans R. Friedrich, Leiter der Hochschulabteilung im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Anspruchsvolleres Selbstverständnis

Der Dekan des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen in der Fachhochschule Wilhelmshaven, Prof. Manfred Siegle, geht sogar noch einen Schritt weiter: "Die Wirtschaft kann zur Bewältigung der vielfältigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme auf die Kompetenz von Frauen nicht länger verzichten. Die Hierarchien in den Unternehmen sind heute vielfach verkrustet. Mit Recht wird bemängelt, dass die Umstrukturierungsprozesse zu langsam vorangehen, weil an Besitzständen festgehalten wird. Die notwendigen innovativen Prozesse werden dadurch behindert beziehungsweise erst gar nicht ermöglicht." Das heißt auch, die von Männern dominierten Arbeitssysteme sind nicht offen für innovative Prozesse. Durch mehr Frauen im Management erhoffen sich zukunftsorientierte Unternehmen, die verkrusteten Hierarchien aufzubrechen, um mehr Kreativität und Kooperation in die Arbeitssysteme zu bekommen.

In die Rolle der Lückenbüßerinnen werden sich die Frauen jedoch nicht fügen. Im Gegenteil: Sie wollen die Chancen nutzen, um eigene Vorstellungen über den Umgang und den Einsatz von Technik in die Tat umzusetzen: "Das Bild des Ingenieurs als Macher, Tüftler und Bastler hat ausgedient", erklärte Barbara Schwarze, an der Fachhochschule Bielefeld Leiterin der Koordinierungsstelle für Frauenprojekte. Auch die Unternehmen forderten inzwischen ein anspruchsvolleres Selbstverständnis von Technikern, das auch die gesellschaftlichen Bezüge ihrer Tätigkeit herausstellt.

Dazu zählen nicht nur Fachleute längst das außerfachliche Wissen, beispielsweise Kenntnisse zum Projektmanagement oder die Fähigkeit, sich schnell in neue Zusammenhänge einarbeiten zu können. Darüber hinaus, so ermittelte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, sollten technisch Orientierte kommunikative und organisatorische Fähigkeiten besitzen, was in der Hoffnung der befragten Manager zum Technikernachwuchs gipfelt, dass er über ausreichend Humor verfügt, um auch einmal Niederlagen wegzustecken.

"Bisherige Ausbildungsinhalte und -ziele sind zu techniklastig und sprechen besonders weibliche Jugendliche, die Wert auf soziale Zusammenhänge legen, nicht an", fasste die Soziologin Schwarze zusammen. "Der Frauenausschluss der Vergangenheit hat die Bildungsinstitutionen in den Ingenieurberufen so stark geprägt, dass er sich in den Strukturen verankert und eine Eigendynamik entwickelt hat", ergänzte Christiane Erlemann von der Fachhochschule Berlin. So bestehe das Bild einer männlichen Organisation auch dann noch fort, wenn der formale Ausschluss nicht mehr gegeben sei und eine wachsende Zahl von jungen Leuten ihre Bildungsentscheidungen grundlegend verändert haben. Für sie fällt "die Forderung nach frauenfreundlichen Lehr- und Lernformen zeitlich zusammen mit neuen Anforderungen an die Ingenieurausbildung insgesamt".

Das Geld fehlt

Die vielen in Bonn vorgestellten einzelnen Projekte machten den Kongressteilnehmerinnen offensichtlich Mut; sie zeigen ein hohes Maß an Engagement aller Beteiligten. Anderseits ist nicht sicher, wie die Zukunft der zumeist von der Bund-Länder-Kommission geförderten Modellversuche aussehen können. Wie immer fehlt das Geld in den Kassen der Ministerien.

Hinzu kommt der Egoismus der einzelnen Hochschulgremien. Er verhinderte zumindest in der Vergangenheit immer wieder die Zusammenarbeit mit Kollegen anderer Hochschulen bei ähnlichen Projekten. Das soll in Zukunft anders werden, nahmen sich die Kongressmitglieder in Bonn vor. Zumindest die Ergebnisse und die Erfahrungen aus den eigenen Projekten werden künftig geteilt - oder wenigstens mitgeteilt.

Die Erfahrungen, mit alternativen Angeboten zum herkömmlichen Lehrbetrieb auch junge Frauen anzusprechen, sind durchweg positiv: Wo Frauen ohne den Druck männlicher Konkurrenz lernen können, trauen sie sich mehr zu, ist die Erfahrung aus den sogenannten mono-edukativen Projekten. Das berichteten sowohl die Vertreterinnen aus Stralsund als auch aus Wilhelmshaven, wo ein Frauenstudiengang Wirtschaftingenieurwesen eingerichtet ist. Er gilt in der Bundesrepublik als das am weitesten fortgeschrittene Projekt mono-edukativer Ausbildung.

Frauenanteil erheblich gesteigert

Obgleich dieses Studienangebot erst kurz vor Bewerbungsschluss zum Wintersemester 1997/98 genehmigt und publik gemacht wurde, hatte die Fachhochschule eine bemerkenswerte Situation: In dem gemischtgeschlechtlichen Studienangebot sind weiterhin nur fünf Prozent Studentinnen. Dagegen erhöhte sich der Frauenanteil im Erstsemester Wirtschaftsingenieurwesen zum WS 97/98 durch die gute Annahme des Frauenstudiums auf insgesamt 48 Prozent. "Allein diese Zahlen zeigen, dass Frauen für das Wirtschaftsingenieurinnenstudium dazugewonnen werden konnten, die sich für das normale Studienangebot nicht begeisterten", erklärte Dr. Helga Urban von der FH Wilhelmshaven. Dies zeige sich auch an ersten Reaktionen dieser Studentinnen über ihre Motive zur Wahl des "Frauenstudiums". "Im Beruf haben sie beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass Frauen immer ein wenig besser sein müssen als Männer, um akzeptiert zu werden. Daher haben sie erwartet, dass das Lernen nur mit Frauen ihnen eine bessere Entfaltung garantiere. Auch wurde betont: Um in eine Männerdomäne hineinzukommen, ist es wichtig, dass eine gute Ausbildung erfolgt, um den Anforderungen später auch wirklich gewachsen zu sein. Können vermittle eine Selbstsicherheit, welche die Konkurrenzfähigkeit mit Männern gewährleiste.

Andere sollen sich laut Urban gefragt haben: Warum soll ich es nicht einfach mal ausprobieren? Obgleich einige anfangs befürchteten, Frauen untereinander seien "zickig", heben sie jetzt das gute Studienklima hervor und betonen, es sei sozialer als frühere Lernerfahrungen mit Männern. Negative Erfahrungen in koedukativen Bezügen weckten ihre Neugier auf das Arbeiten in einer Frauengruppe. Ihre positiven Erwartungen finden sich bisher in den abgelaufenen Semestern bestätigt.

Wichtiger Baustein

"Festzuhalten bleibt: Der gute Start der großen Gruppe von Erstsemesterfrauen setzt ein positives Zeichen", sagte Urban. "Wenn unser Modellvorhaben hilft, Folgeprojekte an anderen Hochschulen zu initiieren, könnte dies ein weiterer wichtiger Baustein sein, mehr Frauen im Technikbereich und hoffentlich in Führungsetagen zu etablieren."

Von den Erfahrungen in Wilhelmshaven ermutigt, folgte zum Wintersemester 1999/2000 in Bielefeld das Angebot einer Studienrichtung Energieberatung und Energiemarketing, um den Anteil von Studentinnen im Fach Elektrotechnik auf 25 Prozent zu steigern. Dieses Studienangebot ist ein Reflex auf die Öffnung der Energiemärkte mit der Konsequenz, dass auf einmal mehr Stromanbieter auf dem Markt um Kunden werben, als es Stadtwerke gibt. Die "Informatica Feminale" der Hochschule Bremen ist im Jahresplan vieler Fachfrauen als fester Termin gebucht. Die Initiatorinnen verstehen die Veranstaltung als interdisziplinäres Forum, an dem auch Interessierte anderer Fakultäten und der Industrie willkommene Teilnehmer sind. Veronika Oechtering, eine der Verantwortlichen des Projektes, berichtet, dass über die Informatica Feminale das Interesse von Studentinnen am Fach Informatik nachhaltig gesteigert werden konnte.

Mit einer breit angelegten Werbekampagne will auch Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft, Mädchen und junge Frauen für die Technik interessieren. "Be.Ing. - In Zukunft mit Frauen" ist die bundesweit größte und umfangreichste Informationskampagne, die seit Dezember über alle Medien verbreitet wird. Immerhin will die Bundesministerin rund 80 Prozent aller Gymnasien und Fachoberschulen mit Infomaterial versorgen und auch die Lehrer und vor allem Lehrerinnen einbeziehen. Schließlich muss die Industrie den Mut der Mädchen nur noch mit guten Karrierechancen belohnen. (cep)

Informationsschriften"Be.Ing - In Zukunft mit Frauen" Bundesweite Ingenieurinnen-Kampagne

Info: BMBF

Tel. 01 803/10 01 80 (deutschlandweit zum Ortstarif)

www.be-ing.de

Frauen in Zukunftsberufen - Wege zur Chancengleichheit von Frauen in der Ausbildung.

Expertise im Auftrag des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen. Bezug: Sozialforschungsstelle Dortmund, Landesinstitut, Evinger Platz 17, 44339 Dortmund, Tel. 02 31/85 96-241, www.sfs-dortmund.de

Zukunftsberufe für Frauen

Informationen, Tipps und Interviews zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in neuen Berufen und Arbeitsfeldern. Bezug: Gleichstellungsbeauftragte Landkreis Aachen

Tel. 02 41/5 19 86 63

Mehr Frauen ins Ingenieurstudium - bloß wie?

Tagungsdokumentation

Bezug: Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Projekt Frauen im Ingenieurstudium

Tel. 0 30/55 13 42 54

Initiative D21

Arbeitsgruppe 4 Frauen und IT

Der erste Arbeitsbericht erscheint voraussichtlich Ende 2000

www.initiatived21.de

Info: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Dr. Marion Thielenhaus

Tel. 02 28/9 30-25 37

Fax 02 28/9 30-49 15

E-Mail: marion.thielenhaus@bmfsfj.bund.de

Alcatel

Hans Köhler

Tel. 07 11/8 21-4 97 91

Fax 07 11/8 21-4 38 10

E-Mail: h.koehler@alcatel.de