Große Telcos im Börsenfieber

03.11.2000
Derzeit geben die führenden TK-Unternehmen mehr Geld für Akquisitionen und Lizenzen aus als für die Entwicklung neuer Produkte und Services. Unter dem Druck des Kapitalmarktes wird es für die Big Player immer schwieriger, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.

Von: Konrad Buck

Reicht die Aussicht auf steigende Börsengewinne aus, um die internationale Kundschaft bei der Stange zu halten? Bleibt den Telco-Chefs trotz immer lauter werdender Rufe nach immer höherem Shareholder Value noch genug Spielraum für Aufbau und Betrieb kundengerechter Netz- und Service-Infrastrukturen? Männer wie Ron Sommer (DTAG), Peter Bonfield (BT), Bernie Ebbers (Worldcom) oder Michael Armstrong (AT&T) jedenfalls sind gegenwärtig nicht zu beneiden. Wie mit entsicherter MP im Nacken müssen sie ihre Konzernstrategien gegenüber geldbesessenen Fondsmanagern verteidigen. Da bleibt erstklassiger Service schnell auf der Strecke.

Zur hohen Belastung wird für alle Konzernchefs der enorme Wertverlust ihrer Unternehmen in den vergangenen Monaten. Die T-Aktie rutschte Ende Oktober auf das Jahrestief von knapp über 37 Euro. Der Börsenwert von British Telecom sackte auf 79 Milliarden Euro ab. Verlust seit Dezember: 52 Prozent. Worldcom hat mit einem Rück-gang von rund 70 Milliarden Dollar mehr als die Hälfte seines Wertes eingebüßt. Und auch AT&T musste kräftig Federn lassen. Das Unternehmen hat seit März bei einem Minus von 93 Milliarden Dollar die Hälfte seines Wertes verloren.

Die Telekom gibt sich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Outperformer-Stimmung gelassen. Angesichts der immer lauter werdenden Forderungen einer Aufteilung des Konzerns in wendigere Gesellschaften, denen das Erreichen neuer Profitabilitätszonen eher zugetraut wird, sprechen Sommer und seine Vorstandskollegen in jüngster Zeit gerne von "strategischen Säulen". Diese sollen das gemeinsame Dach nach Auskunft der Konzernlenker auch in Zukunft tragen. Die Mobilkommunikation landet nach dem neuen Architekturansatz in der Stütze "T-Mobil", die Online-Kommunikation im Träger "T-Online", die Datenkommunikation und das Systemlösungsgeschäft in der Strebe "T-Systems" sowie das Festnetzgeschäft im Massenmarkt im Pfeiler "T-Com".

Debis-Integration abgeschlossen

Ihren globalen Kunden biete die Deutsche Telekom auf dieser Grundlage ein breites Portfolio an weltweiten Sprach- und Datenkommunikationsdiensten wie ATM-, Frame Relay- oder IP-Diensten, so das Unternehmen. Bei T-Systems, dem IP-Daten- und Systemlösungsgeschäft, werde insbesondere die Debis-Integration den Carrier zum zweitgrößten Systemhaus in Europa machen. Eine internationale Vertriebsorganisation sei bereits aufgebaut, mit der die DTAG in der Lage sei, in mehr als 180 Ländern ein umfassendes Spektrum von Produkten und Diensten anzubieten. Die nach wie vor schwebende Voicestream-Übernahme stellt offenbar das vorläufige Ende der Internationalisierungs-Strategie der Telekom dar. Im Düsseldorfer "Handelsblatt" erklärte Ron Sommer unlängst, das Thema Globalisierung trete nun wieder in den Hintergrund, nachdem das Unternehmen im letzten Jahr durch Zukäufe den Anteil ihres 9 auf 17 Prozent gesteigert habe.

Beim stetig stolpernden US-Vorzeigeunternehmen AT&T wird unterdessen immer deutlicher, dass sich der Vorstand von den Anlegern dazu zwingen lässt, das Unternehmen in vier Teile aufzuspalten. Der Aktienkurs war innerhalb der letzten zwölf Monate um die Hälfte gesunken und AT&T-Boss Armstrong konnte bislang kein Konzept vorlegen, nach dem der US-Telekom-Riese auf allen Telekom-Märkten ganz oben mitspielt und gleichzeitig die Gier der Anleger befriedigt. Im Gegenteil, so die Börsianer, habe Armstrong einen schwerfälligen Riesen geschaffen, dem wendigere Anbieter schnell davonlaufen könnten. Nach dem intern "Projekt Grand Slam" genannten Entwurf sollen in den kommenden 12 bis 24 Monaten die Kernbereiche Geschäftskundenservices, Privatkundengeschäft, Mobilfunk und TV-Kabel in eigenständige Unternehmen umgewandelt werden.

Dabei soll das mit einem Umsatz von 25 Milliarden Dollar größte und profitabelste Geschäft mit den Firmenkunden den traditionsreichen Markennamen behalten. Immerhin hatte diese Sparte mit über neun Milliarden Dollar Gewinn im vergangenen Jahr 46 Prozent des Gesamterlöses vor Steuern und Zinsen ausgemacht. Der weit weniger erfolgreiche Bereich Ferngespräche für Privatkunden wird womöglich nur als Geschäftsbereichsaktie, so genannte "Tracking Stocks", an die Börse gebracht. Das hätte den Vorteil, dass diese Sparte das Konzernergenbnis nicht mehr beeinflusst und dem Unternehmen zusätzlich Kapital für die Finanzierung teurer Akquisitionen zur Verfügung stellen würde.

Concert als alte wie neue Dachmarke

Die noch weitgehend auf Ortsgespräche beschränkten US-Regionalgesellschaften drängen darüber hinaus zunehmend in die AT&T-Domäne Ferngespräche und sorgen damit auch hier für wachsenden Druck auf die Ergebnisse. So hatte Armstrong in jüngster Zeit versucht, das Ferngesprächsgeschäft ganz abzustoßen. Doch die jüngsten Verhandlungen mit der größten US-Regionalgesellschaft Verizon Communications Inc. scheiterten, weil der AT&T-Lenker offenbar nicht den gewünschten Preis erzielen konnte. Außerdem hatte Armstrong angestrebt, die Privatkunden stärker über das Fernsehkabel zu bedienen, um den Teilnehmern lukrativere schnelle Internet-Zugänge anzubieten. Der Bereich AT&T Wireless, der bereits seit Mai dieses Jahres über Tracking Stocks finanziert wird und die TV-Kabel-Sparte dagegen sollen laut Plan vollständig abgespalten werden. Bei der Vorstellung der Ergebnisse für das dritte Quartal am 24.10. in New York wurde jetzt die Aufspaltung in vier eigenständige Companies beschlossen. AT&T Wireless, der Geschäftskundenservice und das Segment Breitbandkabel kommen an die Börse. Der Umbau soll bis spätestens 2002 abgeschlossen sein.

Bereits Anfang September war spekuliert worden, ob AT&T Wireless mit der US-Telefongesellschaft Nextel Communications Inc. aus Reston, Virginia, fusioniert werden soll. Die Pläne, aus beiden Unternehmen neben der texanischen SBC Communications Inc., Austin, die Nummer zwei auf dem US-Mobilfunkmarkt zu machen, sind allerdings bisher nicht umgesetzt. Platz Nummer eins hält Verizon Wireless inne, die Mobilfunktochter von Verizon Communications Inc., New York.

Mit ihrem Gemeinschaftsunternehmen Concert wollen AT&T und BT in den nächsten drei Jahren dennoch rund vier Milliarden Mark in den Ausbau von Dienstleistungen für den elektronischen Handel investieren. Dienste wie die Verwaltung von Internet-Seiten und Netzwerkservices sollen über 44 Datenzentren in 16 Ländern angeboten werden. Daneben wendet sich Concert an multinationale Unternehmen, denen es komplette Kommunikationslösungen anbietet. Die Netze sowohl der beiden Mütter als auch das von Concert sollen eine einheitliche Architektur auf Basis des Internet-Protokoll bekommen.

Allein in den Netzausbau haben beide Mütter im ersten Jahr rund eine Milliarde Dollar gesteckt, inklusive der nächsten fünf Jahre sollen es drei Milliarden sein. Zu den "Kronjuwelen", die beide Unternehmen in die neue Ehe einbringen, zählen vor allem rund 300 Schlüsselkunden, die laut Concert-Vorstandschef David Dorman "für drei Milliarden Dollar Umsatz" gut seien. Bereits im ersten Jahr soll das Joint Venture zehn Milliarden Dollar Umsatz machen.

Gevierteilter Ex-Monopolist

Mit BT hat AT&T derzeit einen äußerst schwachen Partner. Auch der Aktienkurs der Bonfield-Company stürzte in den letzten Monaten ins Bodenlose. Ob "Zerschlagung" oder "Neuausrichtung" genannt, BT steht so nah am Abgrund, dass ein Zerlegen in möglicherweise profitablere Segmente als der letzte Ausweg erscheint. Nicht zuletzt durch die teuren UMTS-Lizenzen ächtzt der ehemalige Vorzeige-Carrier heute unter einer Schuldenlast von umgerechnet 100 Milliarden Mark. Immer deutlicher wird, dass bei anhaltendem Kampf ums Überleben der Kundenwunsch nach innovativen Produkten und Services auf der Strecke bleibt. Was bis vor kurzem noch als das allein Seligmachende insbesondere für international operierende Kundschaft galt, das Errichten großer weltumspannender Merger mit hohen Synergieeffekten der Sparten Internet, Fest- und Mobilnetz, soll plötzlich nicht mehr gelten.

Klein, fein und wendig scheint das neue Motto zu sein, welches sich der tranchierte Carrier nach Meinung der Börsianer jetzt auf seine Fahnen schreiben muss. Nach wie vor stammt der Großteil der BT-Einnahmen aus den Orts- und Ferngesprächen, einem Segment allerdings, in dem der Vorsteuergewinn im letzten Quartal um ein Drittel auf 561 Millionen Pfund einbrach. Parallel dazu reichen die Einnahmen aus den zukunftsträchtigeren Bereichen Mobilfunk und Internet noch nicht aus, um die im Festnetz sinkenden Gewinne auszugleichen. Käme aber mit dem Börsengang des Mobilfunkbereichs "BT Wireless" das Tafelsilber an die Aktienmärkte, könnte BT mit nur 20 bis 25 Prozent des Mobilfunkbereichs immerhin etwa ein Drittel seiner Schulden direkt tilgen.

MCI Worldcom, derzeit mit der EU-Kommission wegen der umstrittenen Sprint-Übernahme im Clinch, zieht gegenwärtig neue Strukturen in ihr Europa-Geschäft ein. Damit sollen Dienstleistungen europaweit angeboten und Kosten gesenkt werden. Das Unternehmen will neben dem Netz auch das Billing-System sowie das Finanz- und das Personalwesen vereinheitlichen. Die länderspezifischen Business-Development-Teams sollen nach den Worten der neuen Europa-Chefin Lucy Woods erhalten bleiben. Die einheitlichen Strukturen werden im neuen Modell insbesondere den Aufbau komplexer Datendienste unterstützen.

Schlagkräftige Verwertungsgesellschaft

So sollen beispielsweise die Web- und E-Business-Server der Unternehmenskunden nicht mehr an den Firmenstandorten selber, sondern in Data-Centern von Worldcom stehen. Derzeit, so Lucy Wutz, investiere Worldcom ein bis zwei Milliarden Dollar pro Jahr in den Ausbau der europäischen Infrastruktur. Damit hofft Liam Strong, bei Worldcom für das internationale Geschäft zuständig, den Traffic zu erhöhen. Denn auch Strong weiß: "Allein mit Sprachtelefonie kann Worldcom auf Dauer nicht profitabel sein." Doch schon heute verfügt MCI Worldcom über eines der modernsten Netze in IP-Technik - mit einer der Gründe für die Vorbehalte der Europäischen wie auch der US-Kartellbehörden gegen die geplante Allianz mit Sprint. Und mit der Tochter UUNet gebietet die Ebbers-Company außerdem über eine schlagkräftige Verwertungsgesellschaft für das Datennetz. Über die Hälfte seines Umsatzes von 37 Milliarden Dollar (1999) erzielt das Unternehmen noch mit Sprachdiensten. Deutlich dynamischere Wachstumsimpulse dagegen verspricht Strong sich von Daten- und Internet-Diensten.

Im weltweiten Geschäft ist das größte Wachstum bei den Worldcom-intern so genannten International Data Centres (IDC) und Datenprodukten insgesamt zu verzeichnen. Um den Bereich IDC weiter zu stärken, hat der Carrier in den USA vor kurzem den Web- und Application-Hoster Digex Inc. aus Beltsville übernommen. Seit der Firmengründung hat sich Worldcom immer auf das Geschäftskundensegment fokussiert. Seit der Übernahme von MCI im Jahre 1997 bedient Worldcom in den Vereinigten Staaten auch Privatkunden; auf allen anderen Kontinenten liegt der Schwerpunkt nach wie vor auf dem B-to-B Geschäft. Eine Ausrichtung auf das Privatkundensegment ist auch in naher Zukunft außerhalb der USA nicht geplant. Im Geschäftskundensegment fokussiert sich Worldcom auf die vier Bereiche "Global Accounts", "Corporate Accounts", "Business Markets" (Mittelstand, Partnervertrieb), und "Wholesale" (Carrier´s-Carrier Geschäft). In den vergangenen Jahren ist das europäische Geschäft jährlich um etwa 50 Prozent gewachsen; ähnliche Umsätze macht das Unternehmen gegenwärtig in Asien. Um ihre Kunden in Zukunft auch über die Local Loop zu erreichen, verhandelt Worldcom hierzulande derzeit mit DSL- und Richtfunk-Anbietern.

Und die Japaner? Der Staatskonzern Nippon Telegraph and Telephone (NTT) geht in Europa vornehmlich über seine Mobilfunk-sparte in den Markt. NTT Docomo (jap.: überall) will noch im November eine eigene Tochtergesellschaft in Großbritannien gründen; weitere europäische Entwicklungszentren sind geplant. Die Niederlassungen sollen sich insbesondere um die Entwicklung neuer Multimedia-Anwendungen auf Basis der NTT-Internet-Zugangstechnik "I-Mode" kümmern. Die geplante Docomo Europe Ltd. mit Sitz in London soll vor allem den NTT-Kontakt zu den EU-Partnern KPN Mobile und Hutchinson 3G UK Holdings halten. Die deutsche Niederlassung Docomo Communications Laboratories Europe wird sich mit UMTS-Infrastruktur, Sicherheitstechnik und Chipkartentechnik für mobile Services beschäftigen. Die Nähe zwischen dem NTT-Entwicklungs-Stützpunkt und dem Hauptquartier des 3G-Equipment-Herstellers und NTT-Ausrüsters NEC spielt hierbei eine nicht unwesentliche Rolle. Bekanntlich arbeiten NEC und Siemens insbesondere im Isle-of-Man-Projekt der BT im Rahmen des UMTS-Infrastrukturaufbaus eng zusammen. (pri)