Gigabit-Ethernet stark im Kommen

14.10.1998
IP-Switching, Gigabit-Ethernet und ATM standen im Mittelpunkt der diesjährigen "Next Generation Networks"-(NGN-)Konferenz, die Mitte November in Washington D.C. stattfand. Weiterhin umrissen Repräsentanten der Internet Engineering Task Force (IETF) ihre Vorstellungen der "Integrated Services Architecture" (ISA), die neue Switching- und Routing-Technologien sowie das "Resource Reservation Protocol" (RSVP) beinhaltet.

Von: Dr. Sabine Cianciolo

Rund 1400 Netzwerk-Spezialisten kamen zur NGN ’96, um sich über die neuesten Entwicklungen und Technologien in Sachen Networking zu informieren. Es erwartete sie ein vollgepacktes Programm, das Themen abdeckte wie Telephony in der ATM-Breitband-Ära, Flow-Switching versus Cell-Switching, Gigabit-Router, RSVP, Real-Time Multicasting im Internet bis hin zu Cells in Frames (CIF) und Entwicklungen in IP-Switching - um nur einige zu nennen. Weiterhin gab es fünf ganztägige Tutorials.

Eines davon bot einen strategischen Überblick auf die Netzwerke der nächsten Generation. John McQuillan, Präsident von McQuillan Consulting und Vorsitzender der NGN sowie der ATM-Forum-Konferenz, referierte über Markt- und Technologietrends. Seiner Meinung nach liegen die Schwerpunkte in den nächsten drei Jahren auf Gigabit-Routern sowie ATM- und LAN-Switching, wobei die ersten beiden für den Forschungs- und Entwicklungs- und letzterer für den Busineß-Bereich gilt. Laut McQuillan ist der Kampf um den Desktop und das Netz gelaufen: Das "Wintel"-Gespann Microsoft und Intel sowie das TCP/IP-Protokoll sind die Sieger.

Er prophezeite weiterhin, daß evolutionäre LAN-Techniken die Einführung von ATM verlangsamen: Ethernet mit 100 MBit/s sorgt für hohe Geschwindigkeiten, Switched Ethernet liefert dedizierte Bandbreite, virtuelle LANs bringen besseres Management, und Protokolle wie IP-Multicast und RSVP bieten Multicast und Reservierung von Bandbreite. Viele User entscheiden sich zudem lieber für das Aufrüsten ihrer Netze als für eine komplett neue Technik wie ATM, da sie die Anschaffung neuer Switches und Router vermeiden möchten.

Neuer Schwung für Frame-Relay

Frame-Relay, so McQuillan, sei ein riesiger Erfolg und besitze gegenüber ATM rein technisch einen Vorsprung von rund drei Jahren. Da es in den meisten Fällen lediglich eines Software-Upgrades bedarf, stellt es für Anwender ein niedriges Risiko mit geringen Kosten dar. Eine Studie von Vertical Systems sagt Frame-Relay für 1997 eine Umsatzsteigerung um etwa 500 Millionen auf 1,7 Milliarden Dollar voraus - für 1996 werden Einnahmen von rund 1,2ŠMilliarden Dollar erwartet.

Entgegen früheren Erwartungen ist Ethernet noch lange nicht abgeschrieben. Bessere DSP-Technologie (Digitale Signalverarbeitung) und schnellere Switches machen es extrem skalierbar und preislich attraktiv. In bezug auf ATM dreht sich nach McQuillan die Diskussion in den nächsten zwei Jahren um die Frage, ob ATM sich als "End-to-End-" oder "Edge-to-Edge-"Lösung durchsetzt. Er glaubt, daß es an der Zeit sei, Alternativen wie Cells-in-Frames (CIF) und IP-Switching in Erwägung zu ziehen. Eine ATM-Implementierung im Backbone schließe nicht die Weiterführung bis zum Desktop aus.

Rosige Zukunft für Gigabit-Ethernet

Doch selbst im Backbone ist ein Erfolg von ATM nicht garantiert: Gigabit-Ethernet kommt. Schon auf dem diesjährigen ATM-Forum behauptete Ed Kozel von Cisco, daß Gigabit-Ethernet um die Hälfte billiger sein könnte als ATM mit 622 MBit/s. Laut einer Studie von Dataquest soll Gigabit-Ethernet bis zum Jahr 1999 ATM bei weitem überholen.

Andy Bechtolsheim, Vize-Präsident der Gigabit-Switching Gruppe (Cisco), sieht ebenfalls eine rosige Zukunft für Gigabit-Ethernet. Er empfahl den Zuhörern, LAN-Hubs auf LAN-Switches aufzurüsten, Cat-5-UTP-Kabel für die Unterstützung von 100/1000 MBit/s bis zum Desktop und 50-m-Fiber für Gigabit-Backbones zu installieren, Desktop-LANs auf 100-MBit/s-Ethernet umzustellen und LAN-Backbones durch Gigabit-Ethernet zu ersetzen. Laut Bechtolsheim ist Gigabit-Ethernet der einfachste, schnellste und kompatibelste Weg zur Skalierung von LANs. Er bezeichnete Token-Ring und FDDI als irrelevant, da sie nicht zu skalieren seien, und sieht aus Kosten- und Inkompatibilitätsgründen keinen signifikanten Marktanteil für ATM im LAN.

Diese Prognosen und Empfehlungen hörte die Firma Ipsilon Networks, die ihr IP-Switching über ATM anpries, gar nicht gerne. Ipsilon stellte im März dieses Jahres ihren ersten IP-Switch vor, der direkt auf ATM-Hardware implementiert ist. Auf diesem Weg umgeht man laut Hersteller die komplexe Serie der Standard-Protokolle des ATM-Forums. Was übrigbleibt, ist im Grunde genommen ein IP-Router in schnellem ATM-Hardware-Gewand, der seine Routing-Software für kurzlebigen und ATM-Hardware für langlebigen Datenfluß einsetzt.

IP-Router im ATM-Gewand

Alle namhaften Firmen in der Netzwerk-Industrie erkannten schnell die Signifikanz dieser Entwicklung. Im April 1996 gab Cisco die Übernahme von Stratacom bekannt - mit vier Milliarden Dollar der bislang größte Deal der Branche. Einer der Gründe für den Kauf war ohne Zweifel die Entwicklung eines IP-Switches mit Stratacoms ATM-Hardware.

Im September dieses Jahres verkündete Cisco seine Version von IP-Switching: Tag-Switching. Es kombiniert die Performance und Datenverkehrsmanagement-Fähigkeiten des Layer-2-Switching mit der Skalierbarkeit und Flexibilität von Layer-3-Routing. Cisco will diese neue Technik zunächst in seinen Routern der 7500-Serie und den Stratacom-PPX-Switches implementieren. Weiterhin ist geplant, Tag-Switching als IOS-Software-Upgrade auf anderen Routern und ATM-, WAN- und LAN-Switches anzubieten.

Cisco arbeitet unterdessen an Details der Spezifikation und versucht, eine Tag-Switching-Arbeitsgruppe innerhalb der IETF zu organisieren. Ipsilon hat bereits Teile seines IP-Switching als Spezifikationen RFC1953, RFC1954 und RFC1987 etabliert. Um sich ein Stück von Ciscos Router-Kuchen abzuschneiden, schleicht sich Ipsilon durch die Hintertür ein: Auf der NGN gab die Firma bekannt, daß sie Ciscos IGRP-Routing-Protokoll für die Integration in seine IP-Switches umgewandelt habe. Damit bietet Ipsilon Cisco-Kunden die Auswahl zwischen IP- und Tag-Switching.

Kampf der Switching-Protokolle

Mit der integrierten Service-Architektur (ISA) will die IETF Service-Qualität (QoS) ins Internet bringen und Engpässe beseitigen. Auf der Konferenz stellten Repräsentanten der IETF ihre Ideen vor, die neue Switching- und Routing-Techniken sowie das Resource-Reservation-Protocol (RSVP) beinhalten. Firmen wie MCI, Intel und Cisco testen RSVP. Internet-Service-Provider (ISPs) warten ab, ob das Protokoll auf große Netzwerk-Backbones erweitert werden kann.

Fred Baker, Vorsitzender der IETF und Senior-Software-Ingenieur bei Cisco, sagte während der Konferenz, daß RSVP am stärksten für die Flaschenhälse des Internet benötigt wird. Da es zu schwierig ist, alles auf einmal zu verändern, soll das Protokoll nach und nach implementiert werden. Inzwischen gibt es schon eine Reihe von ISA-Produkten, darunter Router, Host-Stacks mit RSVP und Applikationen wie etwa "Showme TV" von Sun und Internet-Telephony-Pakete.

ISA kommt in Phasen

Derzeit besteht ISA lediglich aus einer Reihe von QoS-Konzepten - in Anlehnung an ATM- und IP-Tunneling-Schemata -, die private Netzwerke mit dem Internet verbinden. Laut Kent England, einem Berater von Six Sigma Networks, bedarf es jedoch Features wie Multiplexing, der Anpassung von ATM an das Internet-Multicasting-Modell und der Integration von High-Speed-Switching und Routing. Ähnlich wie RSVP wird ISA ebenfalls in Phasen implementiert. Erste Techniken sollen unter anderem IP-Tunnel für virtuelle private Netzwerke, MBone-ähnliches Multicasting für Internet-TV und -Radio sowie hybride Internet-PBX-Netzwerke und Web-Server beinhalten.

ISA und RSVP scheinen in der Industrie auf Zustimmung zu stoßen. Der H.323-Standard der ITU hängt von der Akzeptanz des RSVP ab, und Konsortien wie das ATM-Forum und Winsock 2.1 geben laut Baker ebenfalls Rückendeckung. Doch es gibt auch Gegenstimmen. Nach Aussagen von Phill Gross, Direktor der Internet-Architektur bei MCI, bezeichnete ein Mitglied der IETF RSVP "als den größten Schwindel, der der Internet-Gemeinde jemals untergejubelt wurde".

Schnellere Switches und Router

In den kommenden Jahren soll John McQuillan zufolge der Wechsel zu Gigabit-Technologien stattfinden: "Gigabit-Ethernet verdrängt FDDI und Fast Ethernet im Backbone und in Server-Applikationen", so eine seiner Prognosen. Außerdem glaubt er, daß in Internet- und Intranet-Backbones Gigabit-Router anstelle von ATM eingesetzt werden; umgekehrt sieht er für Backbones öffentlicher Netze Gigabit-ATM anstatt Router. Schon heute gehören der Gigabit-Ethernet-Allianz rund 80 Firmen an.

Schnellere Switches und Router stehen vor der Tür: Toshiba kündigte beispielsweise einen ATM-Switch-Chip mit 622 MBits an. Texas Instruments präsentierte die Timeline 0,18-Micron-Technologie. Bell-Northern arbeitet angeblich an einem Terabit-ATM-Switch.

Auch in der Satellitentechnik wird sich in Zukunft einiges tun. ATM über Satellit ist bereits Realität. Comsat verfügt über einen ATM-Link-Beschleuniger (8 MBit/s) und einen ATM-Link-Enhancer (34 bis 45 MBit/s). Intelsat und Deutsche Telekom arbeiten an einer Erweiterung des deutschen ATM-Satelliten-Netzwerks. Sie demonstrierten MPEG-2 über ATM auf der NAB in Las Vegas. Im Kommen sind Satelliten mit niedrigeren Orbits von rund 700 Kilometern mit wesentlich kürzeren Umrundungszeiten als geosynchrone Satelliten. (cep)