Spezialisten im Nachteil

Generalisten bei Bewerbungen bevorzugt

09.12.2012 von Andrea König
Obwohl ein Spezialist für eine Aufgabe besser geeignet wäre, fällt die Entscheidung beim direkten Vergleich meist auf den durchschnittlichen Alleskönner. Dies haben Wissenschaftler über eine Reihe von Experimenten nachvollziehen können.

Die beiden Wissenschaftler Long Wang und J. Keith Murnighan zeigen in mehreren Experimenten, dass Menschen bei der Auswahl von geeigneten Personen für eine spezielle Aufgabe einer sogenannten Generalistenverzerrung unterliegen - dem generalist bias. Durchschnittliche Generalisten erhalten demnach im direkten Vergleich den Vorzug vor herausragenden Spezialisten. Unter Spezialisten verstehen die Wissenschaftler Personen, die sich auf eine Aufgabe spezialisiert haben.

Auf den ersten Blick erscheint es etwa im Beruf praktisch, wenn die einzelnen Teammitglieder verschiedene Aufgaben durchschnittlich gut erledigen und vielseitig einsetzbar sind. Doch insgesamt, mahnen die Forscher, schwächt eine solche Teambesetzung die Leistung, da es an Spezialisten mangelt. Ihrer Meinung nach benachteiligt die Generalistenverzerrung Spezialisten, etwa bei Bewerbungsverfahren oder der Höhe des Gehalts.

Der Spezialist gilt als riskantere Option

Wang und Murninghan vertreten die These, dass der Grund für eine solche Verzerrung im direkten Vergleich von Spezialisten und Generalisten liegt, etwa bei der Bewerberauswahl. Unternehmen tendieren dann dazu, den flexibler einsetzbaren Alleskönner vorzuziehen, während der Spezialist als riskantere Option empfunden und eher abgelehnt wird.

In fünf Experimenten prüften die beiden Forscher ihre Thesen. So forderten sie beispielsweise Zuschauer eines Ballspiels auf, sich für einen Spieler zu entscheiden. Sie hatten die Wahl zwischen einem Generalisten und einem insgesamt erfolgreicheren Spezialisten. Mehr als 70 Prozent entschieden sich für den durchschnittlichen Alleskönner.

Zwei der fünf Experimente beschäftigen sich mit der Bewerberauswahl in Unternehmen. Im ersten sollten Probanden sich zwischen zwei Kandidaten entscheiden: Der eine ein Generalist, der über mehrere Jahre Berufserfahrung in allgemeinen HR-Tätigkeiten verfügt. Der zweite ein Spezialist mit mehr Berufserfahrung im gesuchten Bereich, aber insgesamt weniger Zeit im Beruf. Bei der gleichzeitigen Bewertung fiel die Wahl wie von den Wissenschaftlern erwartet auf den Generalisten. Sollten die Teilnehmer die Kandidaten getrennt voneinander bewerten, wurde häufiger der Spezialist ausgewählt.

Experimente zur Bewerberauswahl

Im zweiten Experiment mit HR-Bezug untersuchten die Forscher Online-Stellenanzeigen in den Portalen Monster und Careerbuilder. Dabei zeigten sie, dass mehr als ein Drittel der ausdrücklich an Spezialisten gerichteten Ausschreibungen eigentlich Generalisten sucht, da in den Tätigkeitsbeschreibungen zwei oder mehr unterschiedliche Aufgaben genannt werden.

Im direkten Vergleich setzen sich Generalisten gegenüber Spezialisten durch - auch wenn diese für den vakanten Posten mehr Know-how mitbringen. Dem könnten Arbeitgeber - so die Forscher in ihrem Fazit - gegensteuern, wenn sie Kandidaten im Einstellungsprozess getrennt voneinander bewerten. Unternehmen die immer den Blick fürs Ganze einfordern, würden die Fähigkeiten der durchschnittlichen Alleskönner überbewerten - auf Kosten der Vorteile von Spezialisten. Von den Spezialisten profitieren würden besonders Teams, in denen Mitarbeiter viele unterschiedliche Aufgaben übernehmen.

Long Wang von der City University of Hong Kong und J. Keith Murnighan von der Kellogg School of Management an der Northwestern University haben ihre Forschungsergebnisse unter dem Titel "The generalist bias" in der Fachzeitschrift Organizational Behavior and Human Decision Processes veröffentlicht. (mje)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation CIO.