Gemeinsam sind wir stark

11.05.2001
Nach Überzeugung vieler Marktbeobachter haben traditionelle Softwaremodelle, die auf die Optimierung interner Abläufe ausgelegt sind, ausgedient. An ihre Stelle treten Programme, die so genannte kollaborative Prozesse unterstützen. Die Hersteller arbeiten an entsprechenden Um- und Ausbauten, um den Neulingen den lukrativen Markt nicht kampflos zu überlassen.

Von: Achim Born

Unternehmen könnten durch die gezielte Verbesserung von Beschaffungs- und Distributionsprozessen, also effizientes Supply Chain Management (SCM), rund 50 Milliarden Euro einsparen. Zu diesem Ergebnis kommt die Beratungsgesellschaft Bain & Company (www.bain.de) auf Basis einer Befragung von 300 deutschen und amerikanischen Firmen. Über Internettechnik würden die Lieferanten viel stärker als bisher in Unternehmensprozesse eingebunden, vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Absatz . Die hierbei entlang der Wertschöpfungskette entstehenden neuen Business-, Marketing- und Vertriebsnetzwerke kennzeichneten den Collaborative Commerce (C-Commerce), der heute schon Entscheidungen über neue betriebliche Anwendungssysteme erfordere.

Für die Gartner Group besteht kein Zweifel, dass im Jahr 2005 nahezu die Hälfte aller Web-gestützten Umsätze kollaborativer Natur sind. AMR Research rechnet für die USA mit 120 Milliarden Dollar Wertschöpfung allein in dem Bereich der Supply Chain. Ähnliche Effekte lassen sich auf anderen Gebieten der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit erschließen, etwa in der direkten Beschaffung (E-Procurement) oder dem Product Life Cycle Management. Im Prinzip kann sich kein Unternehmensbereich einer Kooperation mit Partnerfirmen entziehen. In so genannten "E-Business Networks" bilden sich dynamisch und aufgabenbezogen permanent neue Firmenbündnisse. Im Gegensatz zu bisherigen Collaboration-Szenarien erfolgt die Anbahnung der Zusammenarbeit nicht in einer Eins-zu-eins-Beziehung, sondern über einen Marktplatz.

Dabei ist laut Dwight Klappich von der Meta Group in den Unternehmen ein Umdenkprozess notwendig und die vorherrschende Mengenorientierung - dokumentiert durch bislang genutzte Kennzahlen wie Füllrate, Anlagennutzung et cetera - wird durch Wertorientierung (Gesamtzykluszeit, Gesamtanlagenrendite) abgelöst. Nach Einschätzung der Gartner Group stellt C-Commerce die logische Weiterentwicklung des simplen Kauf-/Verkaufsmodells der frühen E-Business-Tage dar. Eine enge Verwandtschaft zu Themen rund um das E-Business in all seinen Facetten, aber ebenso zu SCM (Supply Chain Management) oder CRM (Customer Relationship Management) lässt sich nicht von der Hand weisen.

Dass dabei komplett neue Anforderungen an die Unternehmenssoftware gestellt werden, ergibt sich beinahe von selbst. Denn wenn die Konkurrenz einzelner Unternehmen untereinander künftig vom Wettbewerb unter Firmengruppen abgelöst wird, so das britische Marktforschungsinstitut TBC Research (www.tbcresearch.com), bedarf es zwangsläufig im Rahmen der Partnerschaft einer weitreichenden prozesstechnischen Integration. ERP-Software (Enterprise Resource Planning), mit ihrem eingeschränkten Blickwinkel auf das Optimieren der inneren Unternehmensabläufe, scheint zumindest in der traditionellen Ausrichtung mit dieser Aufgabe eindeutig überfordert zu sein.

Junge E-Business-Firmen wie Ariba, Commerce One oder Intershop konnten in den noch jungen Märkten rasch Fuß fassen. Die traditionellen ERP-Anbieter, deren Programme die Anwendungsinfrastruktur und Informationsflüsse in Unternehmen nach wie vor dominieren, beschäftigten sich angesichts gut laufender Geschäfte in der Vergangenheit zunächst zu stark mit sich selbst und dem eigenen Markt. Viele der aufgeführten Anwendungsfelder waren ihnen außerdem nicht gänzlich unbekannt und wurden häufig als ergänzender Baustein angeboten. Software zur Vertriebssteuerung (SFA = Sales Force Automation) oder Verkaufsförderung (CAS = Computer Aided Selling), für integrierte Fertigung (CIM = Computer Integrated Manufacturing) besitzen zwar (funktionale) Parallelen zu CRM und SCM, im Gegensatz zu diesen orientieren sie sich aber nicht an den externen Beziehungen, sondern bleiben in der Perspektive auf das Unternehmen beschränkt.

"Um nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen, müssen Unternehmen in der Lage sein, unterschiedliche Anwendungen und Geschäftsprozesse zu integrieren, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch in der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen", verdeutlicht Ed McVaney, Chef des ERP-Spezialisten J.D. Edwards, den Meinungsumschwung. Die einschlägigen Anbieter richteten ihre Software auf diese Integrationsanforderungen entsprechend aus und ergänzen sie um neue Funktionalität, die man entweder durch Kooperation und/oder Übernahme erhält.

Nahezu jeder bedeutende ERP-Hersteller offeriert deshalb heute mit seiner Software gleichzeitig eine Middleware-Schicht wie EAI (Enterprise Application Integration) oder Application Server. Peoplesoft etwa hat sich mit der neuen Version 8 vollständig von ihrem Fat-Client-Ansatz zu Gunsten einer Thin-Client-Architektur gelöst und nutzt Fremdprodukte wie Bea zur Kommunikation. JDE wiederum setzt auf die Integrationsleistung des erworbenen Codes "ActiveWorks" von Active Software, die seit kurzem zu Webmethods gehört, auf deren B-to-B-Integrationsserver auf SAPs Business Connector basiert. Qad und IBS favorisieren wiederum als Middleware IBMs "Websphere". Lücken in der Funktionalität wurden durch die Aufkäufe von Vantive (Peoplesoft) oder Numetrix (JDE) gefüllt.

In den vergangenen zwölf Monaten traten aber verstärkt Spezialisten wie Procurement-Anbieter Ariba oder SCM-Größe i2 auf den Plan und wollten durch Aufkäufe eine möglichst geschlossene Unterstützung von Collaboration-Szenarien bieten. i2 beispielsweise schluckte den E-Procurement-Anbieter RightWorks, während Ariba sich das PLM-Softwarehaus Agile einverleiben wollte. Ein erschreckend schwaches erstes Jahresquartal machte aber die Übernahme unmöglich. Ebenso musste i2 nach einer Gewinnwarnung einen Rückschlag an der Börse hinnehmen. Dagegen scheinen ERP-Anbieter, allen voran Peoplesoft und SAP, wieder auf dem aufsteigenden Ast zu sein.

Neue Definition und Konzept von ERP

Der Begriff ERP hat mit dem Enterprise Resource Management alter Couleur nur noch wenig zu tun. Die Gartner Group, auf die dieser Begriff zurückgeht, spricht deshalb heute lieber von der zweiten Vision ERP II. Das Konzept betrifft dabei gleichermaßen Unternehmensstrategie und Anwendungswelt. Neu ist insbesondere die Transformation der vertikal integrierten Organisationsformen mit verbesserten internen Unternehmensfunktionen in agile, um Kernkompetenzen aufgebaute Einheiten. Mit diesen kann sich ein Unternehmen optimal im Rahmen einer Lieferkette oder eines Wertschöpfungs-Netzwerks positionieren. Für die Gartner-Analysten ist es ausgemacht, dass diese Entwicklung die Anwender zwingt, ihre ERP-Prozesse und -Systeme vollkommen zu überarbeiten. Angesichts dieser Entwicklung ist Gartner auch überzeugt, dass der überwiegende Teil der heutigen monolithischen ERP-Systeme beim Anwender obsolet wird - sowohl in architektonischer Hinsicht als auch aus der Perspektive des eigentlichen Geschäftes.

Dieser Umstieg, das wissen auch die Gartner-Leute, kann nicht von heute auf morgen geschehen. Die meisten Anwender werden sich schrittweise durch Upgrading ihrer Software der neuen Anwendungswelt nähern. Trotzdem bedeutet der Wandel bei den Unternehmen für ERP-Anbieter gleichermaßen Chance wie Risiko. Chance, weil sie die Firmen auf ihrem Weg in die neue Welt begleiten und dabei verdienen; Risiko, weil in der Regel große Entwicklungsaktivitäten und funktionale Erweiterungen erforderlich werden.

So erachten es Analysten wie Jean-Christian Jung von PAC (www.pac-online.de) als grundsätzlich einfacher, sich beispielsweise aus der ERP-Ecke der SCM-Thematik zu nähern. Sie wissen auf der anderen Seite aber, dass sich nicht jedes Unternehmen die Entwicklung leisten kann. Jung beziffert den Konsolidierungstrend: Hätten 1999 noch rund 40 Hersteller 89 Prozent aller Lizenz- und Wartungsumsätze im deutschen ERP-Markt gemacht, werden in drei Jahren die Top 30 allein 90 Prozent des Marktvolumens auf sich vereinen.

Trotz dieses Konzentrationsprozesses hat sich bei den ERP-Anbietern die Überzeugung breit gemacht, dass sie nicht mehr im Alleingang den Unternehmen sämtliche Software liefern können. Im Gegensatz zu früheren Strategien folgen sie in der Zwischenzeit mehr und mehr dem Best-of-Breed-Gedanken und bieten auch Fremdprodukte an. Allerdings kristallisiert sich dabei nicht jede Partnerschaft als tragfähig heraus. So scheint beispielsweise das SAP-Bündnis mit Commerce One bei den Marktplätzen und der Beschaffungslösung zu funktionieren, während die CRM/Call-Center-Partnerschaft mit Clarify/Nortel wieder der Vergangenheit angehört. Gar nichts mehr von dem Best-of-Breed-Gedanken hält im Übrigen Oracle-Chef Larry Ellison, der die Anwender auffordert, alles bei seinem Unternehmen zu kaufen.

Die AMR Research-Berater warnten jüngst in einer Forschungsnotiz, die Etikettierung an Programmen nicht misszuverstehen. Denn für sie gibt es weder die Anwendungskategorien, noch den einen Geschäftsprozess, der C-Commerce ausmacht. Auch dürfe man das Ganze nicht allein auf die bloße Technik reduzieren. Die Empfehlungen, wie Firmen ihrer Ansicht nach C-Commerce angehen sollen, lassen den organisatorischen Aspekt immer wieder durchscheinen. So muss für AMR zunächst der interne Integrationsprozess vollendet sein, um mit einer klaren Zielvorgabe in Verhandlungen mit potenziellen Partnern treten zu können. Zudem sollte man eine Vorstellung davon haben, welche Daten mit Kunden und Lieferanten zur Performance-Verbesserung geteilt werden müssen. Die Analyse und Definition der eigenen Collaboration-Rolle und Philosophie hat jedoch oberste Priorität.

Um diese vielfältigen Aspekte einzufangen, entwarf AMR Research mit ECM (Enterprise Commerce Management) ein neues Modell für den Transformationsprozess. Es umfasst eine Infrastruktur, die Funktionalität in Form von Service bereitstellt, eine Unternehmensplattform für Kunden-, Lieferanten-, Produkt- und Personal-Management, sowie spezifische Implementierungen zur Unterstützung unternehmenseigener strategischer Programme und Aktivitäten. Collaboration ist dabei laut AMR Research aber nur eine, wenn auch bedeutende, Komponente des Modells. Eine (technologische) Schlüsselrolle hierbei übernehmen im Übrigen die PTX (Private Trading Exchange), deren Aufgabe die Unterstützung sämtlicher externer Interaktionen inklusive Collaboration ist.

SCP-Anwendungen (Supply Chain Planning) werden bis 2005 die Aufgaben klassischer MRP-Funktionen (Materials Requirements Planning) übernehmen. (sf)

Zur Person

Achim Born

ist freier Journalist in Köln.