Geldmangel führt zu Innovationen

02.06.2000
Drahtlose Netzwerke werden in verschiedensten Branchen eingesetzt: Außer Kliniken und Logistikunternehmen gehören Universitäten und Bildungseinrichtungen zu den Anwendern der ersten Stunde. Inzwischen wurden einige große Inhouse- und Outdoor-Installationen realisiert, Folgeprojekte sind in Arbeit.

Von: Hartmut Lüerssen

Wenn es darum geht, Geld für die IT-Umgebung einzusparen, sind Universitäten und andere Bildungseinrichtungen sehr einfallsreich. Weil sich mit den Budgets meist keine großen Sprünge machen lassen, schnallen die Verantwortlichen notgedrungen den Gürtel eng und suchen nach kostengünstigen Lösungen. Durch ihre Experimentierfreudigkeit gehören sie dabei immer wieder zu den "Early Adoptern" neuer Techniken und leisten durch diese Vorreiterrolle einen wichtigen Beitrag zu deren Marktdurchdringung. Der Siegeszug von Linux in den Unternehmensnetzen nahm seinen Ursprung in den Universitäten, Wireless LANs (WLANs) könnten in die Fußstapfen des Open-Source-Betriebssystems treten.

An der Universität Rostock läuft das laut Technik-Lieferant Cabletron derzeit größte Wireless-LAN-Projekt Europas: "Wireless Infrastructure for Students and Staff" (WISS). Die Ziele sind ehrgeizig: Bis zu 5000 Nutzer sollen drahtlos auf das Intranet der Uni zugreifen können, seit April ist die erste Ausbaustufe am Netz. Mit der Datenfunk-Installation wollten die IT-Verantwortlichen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die PC-Arbeitsplätze in den Rechner-Pools reichen schon lange nicht mehr aus, einige der Gebäude stehen unter Denkmalschutz, so dass bauliche Veränderungen für eine strukturierte Verkabelung nicht Frage kommen. Außerdem galt es, eine Lösung zu finden, die sowohl die Finanzierungskosten für das Bildungsministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern niedrig hält als auch für die Benutzer eine kostenlose Kommunikationsplattform bietet, den Kauf der WLAN-Client-Karte ausgenommen.

Das Netz wird allgegenwärtig

Als älteste Universität Nordeuropas wurde die Uni Rostock im Jahre 1419 gegründet, heute verteilen sich über 11 000 Studenten auf mehr als 40 Studiengänge. Von den etwa 4700 Angestellten sind circa 1600 im Hochschulbereich tätig, 3100 arbeiten für die medizinische Fakultät. Zur Universität gehören etwa 350 Gebäude, die auf acht Standorte in der Stadt verteilt sind. Der Backbone, der die einzelnen Standorte miteinander verbindet, basiert auf Lichtwellenleitern und ATM-Technik. Bislang bildet die Rostocker Hochschule einen Knoten im Breitband-Wissenschaftsnetz (B-Win), soll aber spätestens ab Sommer, mit höherer Bandbreite ausgestattet, zum G-Win-Knoten (G-Win = Gigabit-Wissenschaftsnetz) werden.

Durch die Erweiterung des bestehenden Netzes um die drahtlose LAN-Technik sollen in erster Linie die Arbeitsplatz-Engpässe in den einzelnen Standorten beseitigt werden. Gleichzeitig sollen die Studenten und Mitarbeiter davon profitieren, dass sie ortsunabhängig auf das "allgegenwärtige" Intranet zugreifen können. Daran wird gearbeitet. Bisher wurden 150 Access-Points installiert. Der Ausbau erfolgte zunächst in Standorten mit großem öffentlichen Verkehr und wird kontinuierlich fortgesetzt. Die Funkzellen bilden ein logisches Netz, für das ein gemeinsamer IP-Adressraum definiert wurde. So hat jeder Nutzer einer WLAN-Client-Karte uneingeschränkten Zugriff innerhalb der zugewiesenen Benutzerrechte. "Inzwischen greifen etwa 100 Nutzer drahtlos auf das Uni-Netzwerk zu, die Technik funktioniert einwandfrei", freut sich der Leiter des Wiss-Projektes, Professor Dr.-Ing.habil. Djamshid Tavangarian.

Dass bei der Projektplanung von Wiss die medizinischen Einrichtungen der Hochschule zunächst außen vor blieben, erklärt Wolfram Bütow, Diplom-Physiker und Systemingenieur am Institut für technische Informatik des Fachbereichs Informatik und Mitglied des Wiss-Teams, mit den besonderen Zertifikatsanforderungen und den damit verbundenen Verzögerungen. Weil viele der medizinischen Geräte im Hochfrequenzbereich arbeiten, sind sie sehr empfindlich gegen Störungen. Cabletron arbeitet momentan daran, die besonderen Unbedenklichkeitsbescheinigungen und Zertifikate für den klinischen Einsatz einzuholen. Nach Auskunft von Jan Bause, Marketing-Manager bei Cabletron, ist das jedoch nur noch Formsache. In den USA werde die Technik bereits schon seit einiger Zeit in Krankenhäusern genutzt. Auch in Deutschland setzen bereits einige Kliniken auf Wireless-LANs. Unter anderem realisierte Artem ein Projekt in der Kreisklinik Ebersberg bei München. Dort können Ärzte bei der Visite beispielsweise die im Intranet gespeicherten Röntgenbilder per Notebook abfragen.

Funktechnik als Ersatz für Mietleitungen

Nicht nur Institute im Nordosten Deutschlands verwirklichen WLAN-Projekte. Seit zwei Jahren existiert das Funkbildungsnetz (Fubinet), das durch die Ausweitung des Moerser Bildungsnetzes (Mobinet) auf den Kreis Wesel entstand und am linken Niederrhein inzwischen elf lokale Netzwerke von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen per Funk verbindet. Anders als in Rostock entstand die Installation zunächst aus reinem Kostendruck, nachdem die Deutsche Telekom die Preise für Mietleitungen angehoben hatte. Für die angeschlossenen Institutionen ging es primär darum, die Stand- beziehungsweise ISDN-Wählleitungen durch WLAN-Bridges zu ersetzen, und so über die Universität Duisburg den Zugang zum Deutschen Forschungsnetz (DFN) zu realisieren. Ein allgegenwärtiges Netz wie in Rostock mit ortsunabhängigem Zugang ist nach wie vor jedoch nicht geplant.

Die eingesetzten Systeme entsprechen ebenfalls dem IEEE-Standard 802.11 (IEEE = Institute of Electrical and Electronics Engineers). Ein interessanter Aspekt der Installation sind die großen Distanzen von bis zu 18 Kilometern zwischen den einzelnen Standorten. Zwar handelt es sich bei den meisten Funkstrecken noch um 2-MBit/s-Technik, aber auch mit aktuellen 11-MBit/s-Komponenten konnte das Team um Dieter Pannen, Lehrer am Mercator Berufskolleg in Moers, bereits Erfahrungen sammeln. "Auf der Strecke zwischen Duisburg und dem Turm der Müllverbrennungsanlage (MVA) in Kamp Lintfort konnten wir im Testbetrieb eine Netto-Datenrate von mehr als 4 MBit/s messen", sagt er. Angesichts der Tatsache, dass der Link zugleich der längste ist, beeindruckt der Wert besonders und spricht für die Antennen des Herstellers Paulus. Der etwa 100 Meter hohe Kessel-Turm der MVA bildet auch das Zentrum des Fubinet-Netzwerk-Planes, der von den geografischen Gegebenheiten der Landschaft profitiert. Von der Turmspitze aus besteht zu anderen hohen Gebäuden der Umgebung eine direkte Sichtverbindung, dazu gehören eine 80 Meter hohe Schachtanlage und mehrere Zechentürme.

Angestoßen durch den Erfolg des Fubinet gab das Kommunale Rechenzentrum Niederrhein (KRZN) eine Studie in Auftrag, die unter dem Titel "Schulen ins Internet" die Anforderungsprofile der Bildungseinrichtungen im Zuständigkeitsbereich des Rechenzentrums ermitteln sollte. Denn Dieter Pannen hatte bereits eine neue Vision eines Bildungsnetzes vorgelegt: ein Richtfunk-Backbone mit einer Bandbreite von 155 MBit/s auf Basis von ATM soll die Kommunen im Bereich des linken Niederrheins miteinander verbinden, wobei jede Kommune mit 34 MBit/s angeschlossen würde. In den Orten sollen die Bildungseinrichtungen per genehmigungsfreier 2,4-GHz-Wireless-Technik Zugriff auf das High-speed-Netz bekommen. Die Kostenvorteile, die Pannen bei seiner Richtfunk-Kalkulation erwartete, wurden inzwischen durch die Studie des Unternehmens RZ-Net-Informationstechnologie in Stolberg weitgehend bestätigt. Beispielsweise ermittelten die Experten für die 34-MBit/s-Richtfunkstrecken der Kommunen eine Amortisierungsdauer von 36 Monaten gegenüber 2-MBit/s-Festverbindungen. Das Ergebnis überzeugte alle Beteiligten.

Die abschließende Empfehlung des Papiers sieht das KRZN und Fubinet als wichtige Bestandteile eines Bildungsnetzes NRW, das auch von der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen gefordert wird. Inzwischen gaben die Verantwortlichen des KRZN eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die die technische Umsetzung des Projektes "Fubinet 2000" überprüfen soll. Dabei geht es unter anderem um die Verfügbarkeit von geeigneten Gebäuden und Industrieanlagen, die als Installationsstandorte für die Antennen in Frage kommen. Dem Richtfunk-Projekt steht das Versprechen der Telekom gegenüber, alle Schulen Deutschlands kostenlos ans Netz zu bringen. Das wäre nach Pannens Auffassung ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn für die meisten Schulen würde eine ISDN-Verbindung heute schon nicht ausreichen, von zukünftig multimedialen Bildungsinhalten mal ganz abgesehen.