Überleben in der Digitalen Transformation

Fünf Prinzipien die Unternehmen von Google lernen können

11.06.2015 von Stephan Preuss
Die digitale Transformation ändert nicht nur Märkte und Produkte, sondern auch die strukturellen Rahmenbedingungen für Unternehmen. Google sollte deshalb für deutsche Unternehmen ein Vorbild sein.

Deutschland ist ein Land der Ingenieure. Und genau das könnte uns in Zukunft auf die Füße fallen. Denn bisher wird beim großen Thema der digitalen Transformation nur über technische Lösungen diskutiert. Dabei ist die digitale Transformation weit mehr als eine Frage nach innovativen Produkten.

Wie die Unternehmen im US-amerikanischen Silicon Valley zeigen, welche die Digitalisierung der letzten 20 Jahre angeführt haben, bedeutet sie vor allem ein Neudenken unserer Arbeitswelt und unseres Verhältnisses zu unseren Kunden. Das umfasst sowohl Geschäftsprozesse als auch grundlegende Unternehmensstrukturen. Thomas Sattelberger, ehemaliges Vorstandsmitglied bei Lufthansa, Continental und Telekom, kommentierte kürzlich in dem Film "Augenhöhe" die Arbeitslage in Deutschland mit den Worten: "Natürlich wissen wir alle, dass die Gesellschaft und auch viele Unternehmen sich da noch sehr schwer tun, über ihre mentalen Blockaden hinweg zu kommen." Er ruft die Unternehmen sowohl dazu auf "ihre Arbeitswelt der Komplexität anzupassen", als auch "die Brüche nicht zu groß werden zu lassen und […] Schneisen zu schlagen für eine souveränere, diversere, offenere Arbeitswelt."

Als Blaupause gilt seit Jahren Google, das seine Unternehmensstruktur stets konsequent auf die Zukunft ausrichtet. Ich möchte fünf Prinzipien vorstellen, wie auch deutsche Unternehmen dies erreichen können.

Entrepreneure statt Manager einsetzen

Um Google besser verstehen zu können, muss man das Umfeld des Silicon Valley betrachten. Auf nur wenigen Quadratkilometern sitzen hier Facebook, Apple, Google, Evernote, Intel, Ebay, Tesla und HP. Diese Nähe hat dazu beigetragen, dass sich eine ganz eigene Mischung aus Technikjüngern, Intellektuellen, Software-Entwicklern und Kapitalgebern etablieren konnte. Entstanden ist diese Community aus der 1968er Bewegung, die als oberste Maxime hatte, alte Strukturen und Denkweise zu durchbrechen. Der Begriff 'disruptiv' fungiert deshalb auch im digitalen Denken als zentrales Leitmotiv und Glaubensbekenntnis. Disruptiv bedeutet, stigmafrei ganze Branchen und bestehende Abläufe über den Haufen zu werfen und neu zu denken. Sämtliche Ineffizienzen, die im alltäglichen Leben und Arbeiten entdeckt werden, sollen durch digitale Services beseitigt werden.

Wo in Deutschland noch in Hierarchien gearbeitet wird, wird bei Google längst in Netzwerken gedacht.
Foto: Stephan Preuss

Das disruptive Prinzip bedeutet jedoch auch, bewusst Risiken einzugehen und für diese einzustehen. Das Management funktioniert deshalb selbst als kompromissloser Anführer einer zukunftsweisenden Vision und Mission, um sowohl Risikokapitalgeber als auch die eigenen Mitarbeiter zu überzeugen und zu führen. Die Unsicherheit von Neuland wird bei Google als Chance begriffen. Aus diesem Grund schaut Google auch nicht darauf, wo sie heute stehen und in zwanzig Jahren sein wollen. Viel relevanter ist für Google-CEO Eric Schmidt, wo die Welt - also die Nutzer und Kunden - in fünf Jahren sein werden, wie er im WIRED erklärt. Darauf wird alles Handeln von Google ausgerichtet. Für deutsche Unternehmen bedeutet dies, weniger den Bestand zu managen und viel stärker auf Intrapreneurship zu setzen. Dazu gehört, eine neue Fehlerkultur zu entwickeln, die fördert statt abzustrafen oder zu reglementieren.

Das Unternehmen als Netzwerk Gleichgesinnter entwickeln

Die Unternehmenskultur ist vielleicht der wichtigste Punkt, warum sich deutsche Unternehmen in der digitalen Welt so schwer tun. Es gibt noch zu viele Abteilungen, die als Content Silos gegeneinander arbeiten und hierachisch orientierte Führungskräfte, die "die da unten" kontrollieren. Hinzu kommt eine eingeschliffene 9-to-5-Arbeitskultur seitens der Belegschaft.

Modelle wie das Digital Innovation Model helfen digitalen Unternehmen, ihre Kunden zu verstehen und die Produkte an ihren Bedürfnissen auszurichten.
Foto: Stephan Preuss

Google setzt dagegen auf eine Netzwerkkultur und ein sorgenfreies Leben seiner Mitarbeiter. Von kostenlosem Essen und Ruhezonen über Parks und kreative Räume bis zum Abschließen von Versicherungen - es wird grundsätzlich versucht, den Mitarbeitern alltägliche Belange abzunehmen. Diese sollen sich dadurch voll und ganz und 24 Stunden am Tag auf ihre Arbeit bei Google konzentrieren. Das klingt in erster Linie äußerst vereinnahmend, erschafft jedoch genau die Grundbedingung für Googles Erfolg: ein Netzwerk-Unternehmen, in dem jeder Mitarbeiter hoch motiviert und auf Augenhöhe aktiv neue Ideen voranbringen kann. Bei Google gilt weniger eine Unternehmenskultur als eine Lösungskultur für die reale Welt dort draußen. Die Organisation als Ganzes wird "empowered", um maximale Ergebnisse zu liefern.

So radikal und sicherlich auch kostenintensiv muss ein Unternehmen noch nicht einmal seine Mitarbeiter zu binden versuchen. Wie der Film "Augenhöhe" zeigt, haben deutsche Firmen wie hppberlin, Jungfalk GmbH und Unilever Deutschland ebenfalls Wege gefunden, versteckte Energien in ihren Unternehmen zu entfesseln, indem sie ihren Mitarbeitern stets auf Augenhöhe begegnen.

Die Nutzer in den Mittelpunkt stellen

Bei vielen digitalen Innovationen geht es in erster Linie darum, die eigenen Probleme oder die des Unternehmens zu lösen. Es sind quasi "selfish solutions". Für den Nutzer sind diese Lösungen meist irrelevant. Dabei hilft auch nicht, sich ausschließlich auf Usability oder User Experience zu konzentrieren. Es geht darum, die Interessen der Nutzer und des Unternehmens zu verknüpfen. Und das beginnt damit, den erfolgversprechendsten Nutzer zu identifizieren und seine wahrgenommene Problemwelt zu verstehen. Löst man für den Nutzer ein relevantes Problem, lässt sich darauf basierend ein zwischen dem Nutzer und dem Unternehmen vermittelndes Geschäftsmodell aufbauen. Werkzeuge wie das Business Canvas oder The Digital Innovation Model können dabei helfen, die relevanten Erfolgsfaktoren zu identifizieren.

Google entwickelt keine Produkte sondern Instanzen. Diese existieren nur so lange, wie der Nutzer sie benötigt.
Foto: Stephan Preuss

Genau mit diesem Drang nach einer allgemeingültigen Lösung ging Google 1998 an den Start: Relevante Suchergebnisse in einer Zeit zu liefern, in der dies für die Nutzer immer schwieriger wurde. Das Geschäftsmodell hat sich dann mehr oder weniger beiläufig im Bereich der Werbeanzeigen ergeben. Dieses amerikanische Urvertrauen oder auch Urverständnis scheint in Deutschland abhanden gekommen zu sein. Google hat es damit geschafft, bei der Digitalisierung so nah wie möglich am Nutzer zu sein und einen Zielgruppenbesitz bis in den letzten Winkel aufzubauen. Die Suchmaschine und Android waren dabei erst der Anfang.

Digitale Geschäftsmodelle neu denken

In Deutschland gibt es zwei Denkfehler bei der digitalen Transformation. Zum einen setzen wir immer noch auf Produkte, über die wir alleine die Urheberrechte einfordern. Wir wollen besitzen. Zum anderen wird immer noch der Nutzer - und noch häufiger der Massenmarkt - mit dem Kunden gleichgesetzt.

Google denkt auch hier disruptiv. Nicht nur sind bei Google die Nutzer das Produkt - und die Kunden sind die Unternehmen, die Werbung schalten. Bei Google wird auch weniger in feststehenden Produkten und Services gedacht, sondern in Instanzen.

Die Geschäftsführer übernommener Unternehmen werden im Silicon Valley gezielt gehalten. Außer bei Microsoft liegt die so genannte Founder Retention Rate bei deutlich über 50 Prozent (Datenquelle: http://time.com/3815612/silicon-valley-acquisition)
Foto: Stephan Preuss

Eine Instanz ist - in der Sprache des Silicon Valley - eine digitale Dienstleistung für Nutzer, die erscheint und nach Abschluss wieder geht. Das Prinzip ist an Online-Spiele angelehnt, in denen für Spieler neue Spielbereiche für eine Zeit lang erschaffen werden und nach Abschluss wieder verschwinden. Dieses Prinzip lässt sich hervorragend auf digitale Dienstleistungen übertragen. Das Thema der Produkt-Features gerät dabei in den Hintergrund. Vielmehr geht es darum, auf welche Art und Weise die Bedürfnisse des Nutzers im digitalen Fluss befriedigt werden können. Wurde eine Instanz einmal programmiert, kann sie unendlich oft verwendet werden. Wird das Ganze mit einer Einnahmemöglichkeit gekoppelt, im Fall von Google mit Werbung, werden exponentielle Geschäftsmodelle möglich.

Fördern statt neu erfinden

Dabei muss noch nicht einmal ständig das Rad in den eigenen vier Wänden neu erfunden werden. Die meisten Technologiesprünge hat Google durch Übernahmen junger Start-Ups und der Zusammenarbeit mit externen Innovatoren erreicht. Man könnte die Google-Welt auch als ein Konglomerat aus vielen Start-Ups bezeichnen, die teilweise äußerst autonom arbeiten und dennoch in der großen Vision von Google Schlüsselpositionen einnehmen.

Wo in Europa Schwarzmalerei vorherrscht, sieht bei Google die Zukunft bunt aus.
Foto: Stephan Preuss

Intern wie extern hat sich Google dadurch ein effizientes, visiongetriebenes Netzwerk aufgebaut, in dem jeder seinen Platz gerne einnimmt. Ein wichtiger Faktor bei solchen Übernahmen ist, die Gründer dieser Start-Ups nicht - wie üblich - zu verdrängen oder stumm zu stellen, sondern weiter zu fördern. Immerhin sind es die Gründer, die sowohl ein ausgebildetes Entrepreneur-Verständnis haben, als auch das Wissen und Know-How für die Umsetzung der Idee mitbringen. Die so genannte founder retention rate - also wie viele Gründer der übernommenen Startups bleiben - ist deshalb ein ganz besonderer Indikator für eine erfolgreiche Übernahme. Laut einer Studie der TIME konnte beispielsweise Google zwischen 2006 und 2014 rund zwei Drittel aller Gründer halten. Bei Facebook liegt die Rate sogar bei 75 Prozent.

Fazit: Weniger Politik - mehr frischer Wind

Deutschland - und Europa allgemein - hat bei der digitalen Transformation weniger ein ingenieurstechnisches Problem als eine grundsätzliche Angstblockade. Star-Investor Peter Thiel beschrieb es jüngst im stern mit den Worten: "Bei euch hat der Zeitgeist keine Ahnung, wie die Zukunft aussehen könnte. Er weiß nur, dass sie düster wird. Wann hat ein europäischer Politiker zum letzten Mal eine Rede gehalten, in der eine positive Zukunft entworfen wurde?". Innovationen entstehen dabei nicht. Wie Google zeigt, bedarf es dafür nicht nur einer positiven Zukunftsvision und eines Umdenkens beim Umgang mit den Mitarbeitern - welche die Innovatoren der Unternehmen sind.
Es fordert auch ein klares Bekenntnis zum Nutzer beziehungsweise Kunden und zu seinen Bedürfnissen. In den Worten von Google-CEO Eric Schmidt im WIRED: "Wir glauben, wenn man auf der Seite der Kunden steht, wird man am Ende gewinnen." Im selben Interview attestiert Schmidt übrigens gerade den Berliner Start-Ups das Potential, das nächste große Ding zu werden. Die alt eingesessenen Konzerne tun gut daran, sich ernsthaft mit modernen Lösungen zur Digitalisierung zu beschäftigen. (bw)