Durchbruch in der Nanotechnologie

Forscher messen Ladungszustand von Atomen

12.06.2009
In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universitäten Regensburg und Utrecht konnten IBM-Forscher zum ersten Mal den Ladungszustand von einzelnen Atomen direkt mittels Rasterkraftmikroskopie (RKM) messen.

Die Präzision, mit der sie dabei zwischen ungeladenen beziehungsweise positiv oder negativ geladenen Atomen unterscheiden konnten, betrug eine einzelne Elektronenladung bei einer nanometergenauen räumlichen Auflösung. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die Erforschung von Nanostrukturen und Bausteinen auf atomarer und molekularer Skala in Anwendungsbereichen wie etwa der molekularen Elektronik, der Katalyse oder der Photovoltaik.

Leo Gross, Fabian Mohn und Gerhard Meyer vom IBM Forschungslabor Zürich und Kollegen der Universitäten Regensburg und Utrecht berichten, wie sie einzelne, unterschiedlich geladene Gold- und Silberatome abbilden und deren Ladungszustand aufgrund kleinster Unterschiede in der Kraft zwischen der Spitze eines Rasterkraftmikroskops und diesen Atomen exakt bestimmen konnten.

Modell des Versuchsaubaus (rechts) und Messung der der Kraftdifferenz zwischen einem neutralen Goldatom und einem Goldatom mit einem zusätzlichen Elektron (rechts). (Quelle: IBM)
Foto: MICHAEL ECKERT

Für ihre Experimente verwendeten die Forscher eine Kombination aus Rastertunnel- (RTM) und Rasterkraftmikroskop (RKM), betrieben im Ultrahochvakuum und bei tiefen Temperaturen (5 Kelvin), um die für die Messungen notwendige Stabilität zu erreichen.

Ein RKM misst mittels einer atomar feinen Spitze, die auf einem schwingenden Federbalken angebracht ist, die Kräfte, die zwischen dieser Spitze und den Atomen auf dem Substrat auftreten. In der vorliegenden Arbeit verwendeten die Forscher einen so genannten qPlus-Kraftsensor, bei dem die Spitze auf einem Zinken einer Stimmgabel, wie man sie in mechanischen Uhrwerken von Armbanduhren findet, angebracht ist, während der andere Zinken fixiert ist. Die Stimmgabel wird mechanisch angeregt und schwingt mit einer Amplitude von 0.02 Nanometer. Dies entspricht nur etwa einem Zehntel des Durchmessers eines Atoms. Wird die RKM-Spitze nun sehr nah über der Probe, etwa über einem einzelnen Atom, platziert, verändert sich die Resonanzfrequenz der Stimmgabel aufgrund der Kräfte, die zwischen Probe und Spitze auftreten.

Mit dieser Methode und unter extrem stabilen Bedingungen konnten die IBM Forscher nun die minimalen Unterschiede in der Kraft messen, die zwischen Spitze und einzelnen, unterschiedlich geladenen Atomen herrscht. Die Kraftdifferenz zwischen einem neutralen Goldatom und einem Goldatom mit einem zusätzlichen Elektron, beträgt nur etwa 11 Pikonewton, gemessen bei einer minimalen Distanz zwischen Spitze und Probe von ungefähr einem halben Nanometer. Die Messgenauigkeit dieser Experimente liegt im Bereich von 1 Pikonewton, was der Gravitationskraft entspricht, die zwei Menschen in einem Abstand von mehr als einem halben Kilometer aufeinander ausüben. Die Forscher bestimmten zudem, wie sich die Kraft mit der zwischen Spitze und Probe angelegten Spannung veränderte. Dies erlaubte die Unterscheidung, ob das entsprechende Atom negativ oder positiv geladen war.

Durchbruch in der Nanotechnik

Dieser Durchbruch ist laut IBM ein weiterer, wichtiger Fortschritt auf dem Gebiet der Nanoforschung. Im Gegensatz zum RTM, das auf elektrisch leitfähige Proben angewiesen ist, kann das RKM auch für nichtleitende Proben verwendet werden. In der molekularen Elektronik, in der die Verwendung von Molekülen als funktionale Bausteine in zukünftigen Schaltkreisen und Prozessoren erforscht wird, werden nichtleitende Trägersubstanzen (Substrate) benötigt. Deshalb würde bei solchen Experimenten bevorzugt die Rasterkraftmikroskopie zum Einsatz kommen.

“Das Rasterkraftmikroskop mit einer Messgenauigkeit von einer Elektronenladung ist hervorragend dazu geeignet, den Ladungstransfer in Molekülkomplexen zu untersuchen, was uns wertvolle, neue Erkenntnisse und physikalische Grundlagen liefern könnte und zudem eines Tages zu neuen Bauelementen in der Informationstechnologie führen könnte”, erklärt Gerhard Meyer, der die Forschung im Bereich Rastertunnel- und Rasterkraftmikroskopie am IBM Forschungslabor Zürich leitet. Computerbausteine auf der molekularen Skala haben das Potenzial, um Größenordnungen kleiner, schneller und auch energieeffizienter zu sein als heutige Transistoren und Speicherbausteine.

Für zukünftige Experimente können sich die Forscher vorstellen, Verbindungen aus einzelnen metallischen Atomen und Molekülen herzustellen, diese mit Elektronen zu laden und deren Verteilung direkt mit dem RKM zu messen. IBM Forscher Leo Gross weist auch auf die Bedeutung ihrer Arbeit für andere Bereiche hin: „Ladungszustand und -verteilung sind kritische Größen in der Katalyse und bei der Umwandlung von Licht in elektrische Energie. Das Abbilden der Ladungsverteilung auf atomarer Skala könnte zu einem besseren Verständnis der grundlegenden Abläufe auf diesen Gebieten führen.“

Für zukünftige Experimente: Die Forscher glauben, Verbindungen aus einzelnen metallischen Atomen und Molekülen herstellen zu können, diese mit Elektronen zu laden und deren Verteilung direkt mit dem RKM zu messen. (Quelle: IBM)

Die jüngsten Ergebnisse schließen sich einer Reihe grundlegender wissenschaftlicher Durchbrüche an, die IBM Forschern in den letzten Jahren gelungen sind: 2008 gelang es Wissenschaftlern am IBM Almaden Research Center in Kalifornien mit einem qPlus-RKM erstmals die Kraft zu messen, die benötigt wird, um ein Atom auf einer Oberfläche zu verschieben. Dies bahnte den Weg für die aktuellen Experimente. 2007 demonstrierte das Team um Gerhard Meyer am IBM Forschungslabor Zürich ein Molekül, das kontrolliert zwischen zwei Zuständen geschaltet werden konnte, ohne Veränderung seiner äußeren Form. Schon 2004 war der gleichen Gruppe ein Experiment gelungen, in dem sie gezielt den Ladungszustand eines einzelnen Goldatoms mit einem RTM manipulieren konnte. Indem sie Spannungspulse an die RTM-Spitze anlegten, konnten die Forscher ein zusätzliches Elektron auf ein einzelnes Atom, das sich auf einem isolierenden Substrat befand, aufbringen. Dieses negativ geladene Atom blieb stabil bis mittels der RTM-Spitze ein entsprechender Spannungspuls mit umgekehrtem Vorzeichen erfolgte. Diese Methode verwendeten die Forscher auch in ihren aktuellen Experimenten, um die einzelnen Atome zu laden. (mec)