Flatrate-Sterben: Wer ist schuld?

16.08.2002 von Mike Hartmann
Immer mehr Flatrate-Anbieter müssen die Segel streichen. Doch wer ist schuld? Die Telekom wegen ihrer Interconnection-Gebühren, die mangelhafte Kalkulation der Anbieter oder die bösen Kunden?

In den letzten Wochen grassiert ein neues Phänomen unter den Flatrate-Anbietern. Immer mehr Flatrates verschwinden sang- und klanglos in der Versenkung. Zumeist erfolgt wie bei Sonne nur eine kurzfristige Vorwarnung ohne Einhaltung jeglicher Kündigungsfristen. Die Erotik-Flatrate hat gar über Nacht aufgehört zu existieren - angeblich weil die Telekom "sich weigert, Dienste zur Verfügung zu stellen". Zuvor waren bereits ambitionierte Angebote von Surf1 und Cisma gescheitert. Neben der Tatsache, dass alle vier ihren Dienst inzwischen nicht mehr anbieten, haben sie eines gemeinsam: Alle Anbieter versuchten, mit einem günstigen Tarif möglichst viele Kunden anzuwerben. Das Motto dabei: "Die Masse macht's".

Unter der Massenabfertigung zu leiden hatten letztlich immer die Kunden. Einwahlprobleme, weil nicht genügend Ports zur Verfügung standen, schneckengleiche Datenraten, weil der Provider nicht genügend Bandbreite eingeplant hat, und mangelhafter Support bei Problemen. Das sind laut unserer Umfrage unter 650 Flatrate-Nutzern deren Erfahrungen mit den Dumping-Flatrates.

Bitte beachten Sie, dass dieser Artikel archiviert ist und derzeit nicht aktualisiert wird. Das letzte Update erfolgte am 02.10.2000.

Flatrate - Was ist das?

Bei der Definition einer Flatrate als "eine monatliche Pauschale für Zugangskosten inklusive Telefongebühren" sind sich Nutzer und Anbieter einig. Lediglich bei der genauen Auslegung scheiden sich die Geister. So mancher Nutzer ist davon überzeugt, dass er sich mit einer Flatrate quasi eine Standleitung ins Haus holt. Bei der Auswahl des Providers gehen dabei mehr als die Hälfte aller Benutzer nach dem Preis.

Die Anbieter müssen an die Telekom Interconnection-Gebühren abführen, die auf Minutenbasis abgerechnet werden. Im günstigsten Fall (Abendstunden und Wochenende im City-Bereich) fallen dabei 1,08 Pfennig netto an. Bei einer Flatrate zu 79 Mark ergibt sich also rein rechnerisch schon nach knapp 90 Stunden im Monat ein Minus. Dabei sind Kosten für Marketing, Support und sonstige Infrastruktur noch nicht eingerechnet.

Mit der reinen Provider-Dienstleistung kann sich also eine Flatrate niemals selbst tragen, denn nur Vielsurfer werden sich überhaupt eine Flatrate zulegen. Und die kommen dem Provider teuer. Der Versuch, sich über andere Kanäle wie Werbung zusätzlichen Umsatz zu verschaffen, hat nicht gefruchtet. Die Erotik-Flatrate oder der Schuss ins Blaue von XLOnline sind gescheitert.

T-Online: Buhmann oder weißer Ritter?

Betrachtet man die für den Provider anfallenden Kosten, fragt man sich, wie T-Online eine DSL-Flatrate für 49 Mark anbieten kann, denn als eigenständige Firma muss T-Online wie alle anderen Anbieter mit den normalen Telekom-Gebühren kalkulieren. Selbst wenn die Telekom ihrer Tochter einen erheblichen Mengenrabatt einräumt, sind die 49 Mark nur schwerlich tragbar. Zumindest einen Vorteil hat T-Online bei der DSL-Flatrate: Sie gilt nur, wenn sich der Kunde auch von seinem DSL-Anschluss einwählt. Damit sind Mehrfach-Einwahlen, wie sie viele Anbieter bei ihren Kunden bemängeln, ausgeschlossen.

T-Online ist jedoch der Maßstab, an dem sich alle anderen Flatrate-Anbieter messen müssen. Nur wer ein attraktiveres Preismodell anzubieten hat, kann sich auf Dauer gegenüber T-Online behaupten.

Insbesondere Geschwindigkeits-Freaks fahren derzeit mit DSL von T-Online am besten. Die Geschwindigkeit von 768 KBit/s downstream kann T-Online derzeit noch halten. Auch zu Spitzenzeiten kommt es, laut unseren Benutzern, selten zu Einbrüchen.

Ist der Kunde schuld?

Liest man sich die Begründungen für die Einstellung der Flatrates durch, so ist zwischen den Zeilen ein Argument überproportional häufig vertreten: "Der böse Kunde hat uns in die wirtschaftliche Misere getrieben!" Richtig, die Flatrate-Kunden sind viel online. Aber damit zu rechnen, dass sie eine Fixgebühr zahlen und dann so selten online gehen, dass sich Call by call eher für sie rechnen würde, ist definitiv die falsche Grundlage für eine Kalkulation.

Andererseits müssen sich auch die Flatrate-Kunden Kritik gefallen lassen. Wie unsere Umfrage zeigt, gehen viele Nutzer online, ohne die Verbindung wirklich aktiv zu nutzen. So kommt es beispielsweise, dass 40 Prozent der Nutzer, die zwischen fünf und zehn Stunden täglich online sind, die Verbindung tatsächlich nur weniger als fünf Stunden nutzen. In der übrigen Zeit wird die Verbindung durch Utilities oder durch automatische Wiedereinwahl unnötig aufrecht erhalten.

In dieser Zeit tickt jedoch für den Anbieter gnadenlos die Interconnection-Uhr. Zwangsmaßnahmen, wie automatische Verbindungstrennung nach einer gewissen Zeit oder bei Inaktivität fruchten dabei nicht. Über 50 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie sich automatisch wieder einwählen. Solch ein Verhalten widerspricht dem Grundgedanken der Flatrate und muss auf Dauer jeden Anbieter zur Aufgabe zwingen.

Sind die Anbieter selbst schuld?

Zu einem nicht unerheblichen Anteil sind die Anbieter selbst schuld an ihrer Misere. Zum einen ist es natürlich werbewirksamer, wenn die Beschreibung der Flatrate den Eindruck einer Standleitung erweckt, und zum anderen hat sich auch keiner getraut, in den AGBs klar und deutlich zu verzeichnen, wie viele Onlinestunden er denn für akzeptabel hält. Panikaktionen, wie die serienweise Abmahnung von Benutzern, die das "akzeptable" Limit überschreiten, helfen da auch nicht viel.

Kalkulationen, bei denen die Benutzer nur zwei bis drei Stunden pro Tag online sind, zeugen davon, dass sich der Anbieter nicht besonders gut in der Materie auskennt. Auch bei der Anzahl der Interessenten und der Kapazitätsplanung im Backbone haben sich einige Provider schwer verkalkuliert. Wenn es zu Superstaus auf der Datenautobahn kommt, oder sich die Nutzer kaum einwählen können, kommt es zwangsläufig zu Frustreaktionen. Wenn dann noch die Hotline 2,42 Mark pro Minute kostet, erübrigt sich jeglicher Kommentar.

Andererseits könnte die mangelnde Kapazität ja auch der Versuch gewesen sein, die Anzahl der gleichzeitig surfenden Benutzer und damit die Interconnection-Gebühren niedrig zu halten. Das führt allerdings zwangsläufig dazu, dass die Kunden länger online sind: Wer loggt sich schon freiwillig aus, wenn später die Gefahr besteht, sich nicht wieder einwählen zu können. Ähnlich sieht's beim Backbone aus. Bei Download-Raten von 1 KByte/s dauert es nun einmal sieben Mal so lange wie bei normalen ISDN-Geschwindigkeiten von 7 KByte/s.

Erfreulicherweise sieht das Bild nicht bei allen Anbietern so aus. AddCom beispielsweise hat die Anzahl der Flatrate-Kunden zunächst limitiert, um eine vernünftige Kalkulation hinsichtlich Kosten und Kapazität auf die Beine stellen zu können.

Einschränkungen nicht erwünscht

Ein Weg aus dem Dilemma wäre die drastische Senkung der Interconnection-Gebühren. Das hat jedoch lediglich zur Folge, dass Call-by-Call-Tarife entsprechend günstiger werden und damit die Flatrates noch tiefer liegen müssen. Eine volumenbeschränkte Flatrate, wie sie beispielsweise 1&1 jetzt anbietet, macht für "normale" Provider solange keinen Sinn, wie die Flatrate-Anbieter ihre Interconnection-Gebühren pro Minute abrechnen müssen. Außerdem haben sich über 80 Prozent unserer Leser gegen eine eingeschränkte Flatrate ausgesprochen.

Die automatische Trennung nach einer gewissen Zeit oder bei Inaktivität finden unsere Leser zu 98 Prozent in Ordnung oder zumindest nicht besonders störend. Der Grund liegt jedoch eher darin, dass sich über 60 Prozent automatisch wieder einwählen.

Lange Vertragslaufzeiten sind kein großes Problem für unsere Leser. Es stimmt allerdings nachdenklich, dass die inzwischen ausgeschiedenen Anbieter der Meinung waren, dass die Laufzeit nur für den Kunden gilt. Sie selbst haben zunächst die unliebsamen, und dann alle Kunden ohne jegliche Fristen abserviert. Dieses Geschäftsgebaren zeugt nicht gerade von Professionalität.

Damit attraktive und überlebensfähige Flatrates entstehen können, ist einiges Umdenken gefragt. Ein mögliches Geschäftsmodell wäre beispielsweise eine Flatrate mit einer relativ hohen Grundgebühr, die die Benutzer selbst senken können, indem sie beispielsweise über eine Portalseite in verschiedene Shops gehen und sich dort umschauen oder Fragebögen ausfüllen. Dieses Verfahren wendet beispielsweise IBEX bei der Vermietung von Computern an.

Das taugen die aktuellen Flatrates

In unserer Umfrage haben wir nicht nur gefragt, wie lange die Nutzer pro Tag online sind. Insbesondere hat uns interessiert, wie zufrieden die Kunden mit ihrem Anbieter sind und wo die Schwachpunkte liegen. Auf den folgenden Seiten finden Sie detaillierte Informationen zu den einzelnen Anbietern. Dabei haben wir aus statistischen Gründen nur diejenigen Provider aufgenommen, für die mehr als zehn Antworten eingegangen sind. Das sind im Einzelnen T-Online, NGI, AOL, Sonne, Medien Info Center und Surf1. Da die letzten drei ihr Angebot inzwischen eingestellt haben, können die Ergebnisse maximal noch als Erklärung für die Pleite dienen.

Was nützt die billigste Flatrate, wenn man sie nicht nutzen kann. Nur wenige Sonne-Kunden konnten beispielsweise gleich beim ersten Versuch einen Connect erwarten. Nicht im selben Ausmaß, aber ähnlich ärgerlich präsentierten sich MIC und Surf1. Bei den übrigen Flatrates ist zumeist spätestens nach dem fünften Versuch eine erfolgreiche Verbindung hergestellt worden.

Woran hapert es bei den Flatrates?

Im Großen und Ganzen sind die Flatrate-Benutzer mit ihren Providern zufrieden. Diejenigen, bei denen es Kritik hagelte, haben ihr Angebot inzwischen ohnehin eingestellt. Häufig hapert es aber noch am Support und der Performance. Besonders bei AOL wird immer wieder die geringe Geschwindigkeit bemängelt. Einen Punkt, den AOL noch bis zum Start der geplanten DSL-Flatrate in den Griff kriegen muss.

Um Geld zu sparen, verzichten manche Anbieter auf einen ausreichend geschulten Support. Das macht sich auch in den Antworten unserer Leser bemerkbar. Teure Hotlines oder ständig belegte Rufnummern sind ganz einfach ein Ärgernis, wenn es mal wieder nicht so mit der Flatrate klappt, wie vom Provider versprochen.

Insgesamt kristallisieren sich zwei Anbieter heraus, die bei unseren Lesern die Nase vorn haben. T-Online kann mit DSL und einem günstigen Preis aufwarten. NGI zeigt Köpfchen und bietet gute Kapazitäten und guten Support, dafür zu einem etwas höheren Preis. Nicht umsonst teilen sich die beiden Provider über 60 Prozent des Flatrate-Marktes.

Fazit

Um es klar und deutlich zu sagen: Eine Flatrate ist keine Standleitung. Wer dauerhaft mit dem Internet verbunden sein will, muss in den sauren Apfel beißen und deutlich mehr Geld pro Monat auf den Tisch legen. Wer eine Flatrate als Standleitung missbraucht oder lange online ist, ohne tatsächlich zu surfen, widerspricht dem Grundgedanken der Flatrate: Zugang zu Informationen im Internet für eine pauschale Grundgebühr.

Aber auch die Anbieter müssen sich Kritik gefallen lassen: Eine Flatrate ist kein Goldesel! Um in diesem hart umkämpften Markt erfolgreich zu sein, muss man mehr leisten, als massenhaft Anzeigen zu schalten. Gefragt sind gute Ideen, ein ausgefeiltes Geschäftsmodell und gute Planung. Ansonsten kann es nur den Bach runter gehen. mha)

Was ist Ihre Meinung zu Flatrates? Diskutieren Sie im Forum mit der Redaktion und anderen tecChannel-Lesern. Wie sieht die optimale Flatrate aus? Was darf sie kosten? Welche Einschränkungen würden Sie in Kauf nehmen?

P.S. Der glückliche Gewinner des Palm-Pilot ist Peter Kersten.