Fernsehen, Internet, Telefonie und mehr

08.09.2000
Mit dem Verkauf der regionalen Kabel-TV-Netze kommt die Deutsche Telekom der Forderung der Wettbewerbshüter nach, ihre Monopolstellung als Betreiber von Breitbandnetzen aufzugeben. Diese Infrastruktur soll zur Plattform für eine Vielzahl von Diensten ausgebaut werden: vom Internet-Zugang über Telefonie bis hin zu Video on Demand.

Von: Gerhard Gilke

Seit geraumer Zeit bemühen sich internationale Investoren um die Übernahme der einzelnen Segmente des nahezu flächendeckenden deutschen Breitbandnetzes. Die dafür gebotenen Summen übersteigen den tatsächlichen Wert um ein Vielfaches. Andererseits ist bekannt, dass die Deutsche Telekom in der Vergangenheit - das heißt seit fast 20 Jahren - damit keine Gewinne erzielen konnte. Es klingt daher paradox: Die Deutsche Telekom trennt sich nur zögerlich von ihren verlustreichen Breitbandnetzen, und die Investoren bezahlen Unsummen, um in deren Besitz zu gelangen.

Dieses Verhalten wird erst dann verständlich, wenn man folgende Faktoren betrachtet:

- die jüngsten Entwicklungen auf dem Mediensektor (Erfolg des Internet, Video on Demand, digitales Fernsehen, neue Multimedia- und Kommunikationsdienste, Voice over IP et cetera),

- die daraus resultierende stetig wachsende Nachfrage nach Bandbreite,

- den Kampf um Lizenzen und Wegerechte sowie

- das Gerangel der Kommunikationsriesen um die Dominanz bei den Zugangstechniken zum globalen Netz.

Die Kabel-TV-Netze (CATV, Cable TV) verfügen bereits heute über Leistungsmerkmale, die es bei den angekündigten Netz- und Zugangstechniken erst noch zu realisieren gilt. Hinzu kommt, dass sich auch ältere CATV-Netze mit verhältnismäßig geringem Aufwand auf den neuesten Stand der Technik bringen lassen. Viel interessanter für die Investoren ist aber die Tatsache, dass das mühselige Lizenzvergabeverfahren und der beim Einrichten neuer terrestrischer Netze übliche Verwaltungsaufwand entfällt. Kabel-TV-Netze haben in Zukunft nur noch wenig mit dem traditionellen Fernsehen zu tun; die "Global Player" werden sie vielmehr als "trojanisches Pferd" nutzen, um Zugang zu nahezu jedem Haushalt in Deutschland zu erhalten.

Günstiger Zeitpunkt für Verkauf

Warum hat denn nun die Deutsche Telekom Anfang des Jahres begonnen, größere "Stakes" an ihrem Netz abzugeben? Mit dem Verkauf von mehr als 50 Prozent des nordrhein-westfälischen Kabelnetzes an Callahan Associates International (USA) für mehr als drei Milliarden Mark im Februar und 65 Prozent des hessischen Kabel-TVs an Klesch & Co. (ebenfalls USA) für etwa eine Milliarde Mark im März hat die Telekom das Rennen um die Verteilung der insgesamt neun Regionen in Deutschland eingeleitet. Bis Ende des Jahres will das Unternehmen die Mehrheit in mindestens sieben Regionen abgeben. Der erwartete Erlös wird auf etwa 30 Milliarden Mark beziffert.

Die Eile, mit der die Telekom ihr Kabel-TV-Netz abstößt, ist sicherlich nicht auf den Druck der Europäischen Union zurückzuführen. Denn andere Mitglieder der EU haben noch nicht einmal mit der Deregulierung begonnen beziehungsweise arbeiten noch an entsprechenden Regelungen. Dazu zählen Griechenland, Irland, Portugal und Spanien. Deshalb ist die Drohung aus Brüssel, einschneidende Maßnahmen gegen die Deutsche Telekom zu ergreifen, nicht ernst zu nehmen. Auch die technische Überlegenheit des Telekom-Festnetzes kann nicht der Grund sein. Denn das Hochrüsten des vorhandenen Telefonnetzes auf DSL-Technik verspricht zwar eine erhebliche Steigerung der Bandbreite. Bis aber der private Konsument diese zu erträglichen Kosten nutzen kann, wird noch einige Zeit vergehen. Und es bleibt abzuwarten, ob eine vergleichbare Vielfalt an Leistungen angeboten wird.

Vielmehr ist abzusehen, dass auch andere Betreiber an der Telekom vorbei, mit Rückenwind aus Brüssel, Netze einrichten werden. Das entsprechende Risikokapital ist vorhanden, und wenn die Regulierungsbehörde den neuen Mitbewerbern erst einmal Lizenzen erteilt hat, dürften auch die Preise für die vorhandenen Kabelnetze unter Druck geraten. Für einen Verkauf spricht zudem, dass die Telekom nach der Abschaffung der Steuer für Veräußerungserlöse die Einnahmen komplett für andere Investitionen verwenden kann. Für den Verkauf gibt es also offensichtlich keinen besseren Zeitpunkt.

Kabel-TV-Netze als schnelles

Kommunikationsmedium

Das wachsende Interesse an CATV-Netzen ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass sie als Übertragungsmedium für integrierte Breitbandkommunikationsdienste aller Art in Frage kommen. Die vorhandenen Kommunikationsservices weisen Schwächen auf: Festnetz- und Mobiltelefon, Internet-Zugang und Fernsehen sind (noch) weitgehend voneinander getrennte Dienstleistungen. Internet-Nutzer, die keinen lokalen Server im Zugriff haben, loggen sich über das Festnetz ein. Die Verbindungskosten sind dabei erträglich, die Datenraten dagegen eher mäßig. So dauert es immer noch zu lange, grafikintensive Informationen zu übermitteln, obwohl Kompressionsverfahren zum Einsatz kommen. Das zeitraubende Ein- und Ausloggen tut ein Übriges zur Steigerung des Frustes.

Alternativen gibt es bislang kaum. Der Internet-Zugang über das GSM-Netz erfordert bei Datenraten von 9600 kBit/s neben Geduld eine gewisse Portion Idealismus und ein noch größeres Telefonbudget. Besserung bringen Verfahren wie "High Speed Ciruit Switched Data" (HSCSD) oder "General Packet Radios System" (GPRS), die seit diesem Sommer zur Verfügung stehen. In etwa drei Jahren soll sie UMTS ablösen. Nach dem Milliardenpoker um die Frequenzbänder ist allerdings zu erwarten, dass die Anbieter zumindest anfangs über höhere Gebühren die fast 100 Milliarden Mark für die Lizenzgebühren wieder hereinholen wollen.

Das Kabel-TV-Netz könnte sich neben dem Festnetz inklusive xDSL-Techniken zu einer weiteren Alternative für den schnellen Internet-Zugang entwickeln. CATV wurde vor nahezu 30 Jahren ursprünglich für die Übermittlung von Fernsehprogrammen in terrestrisch ungünstig gelegenen Regionen entwickelt. Mit der Platzierung von Satelliten im Orbit für den privaten TV-Konsum und der gestiegenen Programmvielfalt entstand bei den Konsumenten der Wunsch nach einer größeren Programmauswahl. Die Bandbreite der Netze wurde von anfänglich 250 MHz (zwölf TV-Kanäle) auf 350 MHz, später 450 MHz und 750 MHz gesteigert. Man konnte nunmehr 50 und mehr Kanäle gleichzeitig übertragen sowie eine quasi unendliche Anzahl von Hörfunkprogrammen.

Es lag daher nahe, einen Rückkanal einzurichten. Mit einer "Up-Stream"-Bandbreite zwischen 5 und 50 MHz diente der Rückkanal ursprünglich dazu, den Betriebszustand der Hardwarekomponenten im Netz abzufragen. Aber auch der Nutzer sollte per Rückkanal zusätzliche Dienste erhalten. Unter anderem wurden "Pay per View", also das Freischalten von Programmen auf Bestellung, und "Video on Demand" (das Herunterladen kompletter Programme in einen lokalen Speicher) ausprobiert, zum Leidwesen der Video- und Filmverleih-Lobby. Allerdings kamen beide Ansätze meist nicht über das Teststadium hinaus. Der Aufwand für diese zusätzlichen Dienste schien in keinem Verhältnis zu den spärlichen Mehreinnahmen zu stehen.

Fernsehen tritt in den Hintergrund

Aus diesem Grund verfielen die Betreiber der Kabelnetze auf die Idee, das Breitbandnetz zusätzlich für den Telefonverkehr zu nutzen. Allerdings scheiterte auch dies häufig an technischen Problemen. Hinzu kamen die verkrusteten Monopolstrukturen, der technische Aufwand bei der Verwaltung der Übergabestellen in das Festnetz, die komplizierte Lizenzvergabe sowie die geringe Akzeptanz. Diese Faktoren führten dazu, dass die recht kleinen lokalen Betreiber schließlich davon Abstand nahmen, den Service weiterzuentwickeln.

Mit der weltweiten Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes, der Konsolidierung im Markt der Breitbandnetze, vor allem aber mit der rasanten Verbreitung des Internets wurden die Karten neu gemischt. Zwischenzeitlich verfügen die internationalen Investoren, die im Breitbandnetz die Zukunft sehen, über mehr Kapital als die meisten ehemaligen Telekom-Monopolisten. Und sie nutzen die Gunst der Stunde, das heißt sie kaufen und modernisieren Kabelnetze mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Die Mehrzahl der weltweit installierten Netze ist bereits für 860 MHz Bandbreite ausgelegt; die Gigahertz-Schwelle wird in Kürze überschritten. Damit sind die Netze auch für hohe kommerzielle Anforderungen gerüstet, unter anderem Fast Internet. Das Fernsehen gerät dabei mehr und mehr in den Hintergrund, obwohl dank Digitaltechnik mehrere Hundert TV-Kanäle gleichzeitig übertragen werden können.

Weil die Deutsche Telekom ihre Monopolstellung sukzessive aufgibt, werden die neuen Dienste auch in Deutschland zur Verfügung stehen. Dazu gehört der 24-stündige Internet-Zugang - ohne lästiges Ein- und Ausloggen. Der Benutzer ist dann stets online, bei frei wählbaren Datenübertragungsraten von 250, 500 oder 1000 kBit/s. Darüber hinaus erhalten die Anwender mehrere voneinander unabhängige Telefonanschlüsse beziehungsweise -kanäle. Hinzu kommen die bereits erwähnten Dienste Pay per View und Video on Demand sowie eine Vielzahl von Hörfunk- und digitalen Fernsehprogrammen mit Mehrkanalton.

Es bleibt außerdem Raum für E-Commerce und E-Business mit Schnittstellen zu lokalen Dienstleistern, Geschäften und Banken. Das alles soll im Paket, also inklusive Telefonie, TV und Internet-Zugang, für etwa 100 Mark pro Monat angeboten werden. Abgesehen von den Kosten für Ferngespräche und spezielle Fernsehsendungen sind darin alle Gebühren und Leistungen enthalten. An dieser Stelle ist anzumerken, dass bei der Telefonie nicht "Voice over IP" Verwendung findet, sondern marktübliche Telefon-Endgeräte zum Einsatz kommen, die sowohl im Festnetz als auch im Breitbandnetz verwendet werden können.

Anwendungen: Fernlernen und Altenbetreuung

In Kopfstationen (Head-Ends) werden Satelliten- und terrestrische Programme aufbereitet und gemischt. Hier stehen die Internet-Server, und dort ist auch die Schnittstelle zu den Übergabepunkten der etablierten Telefonnetze zu finden. Über Lichtwellenleiter lassen sich Tausende von Knotenpunkten einbinden, die jeweils mehrere Hundert Haushalte per Koaxialkabel mit den gewünschten Diensten beliefern. Der Kunde (Subscriber) erhält über seinen Hausanschluss Zugriff auf alle Kommunikationsdienste.

Die Übermittlung von Videobildern für die Kommunikation mit der Außenwelt ist abhängig vom Einsatz der entsprechenden Peripheriegeräte. Mit Hilfe des Fernsehapparats, einer digitalen Kamera und eines Mikrofons lässt sich beispielsweise eine Gegenstelle einrichten, die nicht nur Videokommunikation für den Hausgebrauch bietet, sondern neue Anwendungen erschließt. Man denke dabei nur an den Pflegesektor, die Betreuung von Kindern oder an die Fernschulung.

Auch das bislang eher erfolglose Video on Demand wird neu aufgelegt, und zwar in Form von "Videostreaming". Während Video on Demand vom Angebot des lokalen CATV-Betreibers abhängt und auch von diesem dem Kunden in Rechnung gestellt wird, kann der Nutzer mit Videostreaming über das Internet auf Filme oder anderen Beiträge zugreifen. Ein kompletter Spielfilm lässt sich beispielsweise über das Kabelnetz in ein bis zwei Minuten übertragen.

Kombination Kabelkommunikation und UMTS-Handy

Das Breitbandnetz bereitet damit den Boden für neue kommerzielle und private Anwendungen. Denkbar ist beispielsweise, dass die Anbieter von Breitbandkommunikationsdiensten künftig dem Kunden ein Paket anbieten, das aus dem kabelgestützten Informationsangebot und einem UMTS-Mobiltelefon besteht. Als "One-Stop-Shop"-Lieferant kann ein Unternehmen auf diese Weise günstigere Konditionen bieten als bei der Addition der Einzelangebote. Zu den größten Investoren in diesem Bereich zählt übrigens Microsoft. (re)

Gerhard Gilke

ist bei Multilink, einem US-Hersteller von passiven und aktiven Komponenten für Breitbandnetze, als Vertriebsleiter für Europa, den mittleren Osten und Nordafrika tätig.