Relaxen will gelernt sein

Feierabend - Entspannung verzweifelt gesucht

07.08.2010 von Judith-Maria Gillies
Nach Feierabend runterzuschalten fällt oft schwer. Was tun, wenn die Gedanken weiter um den Job kreisen, die Entspannung ausbleibt und selbst die Freizeit stresst?

Mit Hektik, Stress und Überstunden kann Michael Nowak umgehen. Als Leiter IT-Infrastruktur Betrieb C/S-Systeme in der Zentrale der DEVK Versicherungen in Köln hat er täglich alle Hände voll damit zu tun, die Betriebssicherheit und Betriebsstabilität der Client-Server-Systeme sicherzustellen und das Personal für Projekte und Großprojekte zu planen. "Beides unter einen Hut zu bringen ist oft nicht einfach und sehr konfliktträchtig", sagt der Gruppenleiter. Probleme, am Feierabend abzuschalten, hat der Diplominformatiker dennoch selten. Auf der Heimfahrt hört er im Zug Musik und pustet sich auf dem Fahrrad den Kopf frei. Und wenn das noch nicht reicht, geht er raus in den Garten Kaminholz hacken. "Nach einer Stunde an der frischen Luft sind sämtliche Gedanken an den Job vergessen", sagt der 46-Jährige.

Urlaub
Wie man richtig Urlaub macht
Die Autorin Judith-Maria Gillies hat fünf Wahrheiten und Tipps zum Thema Urlaub zusammengestellt: wie lange man wegfahren sollte und wohin und wie man sich richtig erholt . . .
1. Woran merke ich, dass ich urlaubsreif bin?
An Gereiztheit, Ungeduld, Aktionismus. Außerdem mehren sich meist die Flüchtigkeitsfehler. Die Ursache dafür liegt darin, dass Körper und Seele in solchen Phasen dauernd hochtourig fahren. Das klappt auf Dauer nicht. Abschalten ist nötig.
2. Wie lange sollte ich wegfahren?
Damit die Erholung wirklich eintritt: mindestens drei Wochen am Stück. Die meisten Angestellten glauben, dass sie sich das nicht erlauben können. Dahinter steckt häufig die Furcht, ohne die Arbeit nicht leben zu können oder sich einzugestehen, dass jeder am Arbeitsplatz ersetzbar ist. Trotzdem: Erholung ist wichtig - ganz besonders in Stressjobs.
3. Welcher Urlaub ist die beste?
Einer, bei dem Körper und Seele wieder auf ein normales Aktivitätsniveau runterkommen. Egal, ob man Strandurlaub macht, wandern geht oder Städte besichtigt: Für die Erholung ist es wichtig, die freien Tage nicht mit Aktivitäten zu überfrachten. Denn diese sollen unbewusst meist nur davon ablenken, sich mit der Ruhe auseinandersetzen. Und die ist wichtig - egal ob am Strand, in den Bergen oder in der Stadt.
4. Woran merke ich, dass ich mich erholt habe?
Am Ende des Urlaubs sollte man das Gefühl haben, komplett weg gewesen zu sein. Wer sich dann auch zu Hause in Ruhe wohl fühlt und nicht gleich Rechner, Handy oder Fernseher anschalten muss . . . und vielleicht statt dessen ein Buch zur Hand nimmt, der hat sich erholt.
5. Und wenn ich wirklich nicht weg kann?
Ein Kurztrip übers Wochenende ist besser als nichts - auch wenn so schnell keine Erholung aufkommt. Wer normalerweise von morgens bis abends vor dem Rechner sitzt, bereichert sein Leben, wenn er mal ein paar Tage lang etwas unternimmt, was ansonsten zu kurz kommt - mit den Kindern spielen etwa, mit Kumpels Motorrad fahren oder ins Musical gehen. So gewinnt man mehr Lebensqualität und eine kleine Auszeit für die Seele.

Relaxen nach Dienstschluss fällt nicht allen Computerfachleuten so leicht. Häufig kreisen die Gedanken weiter um den Job, daheim warten weitere Aufgaben und Pflichten, die Freizeit stresst mit Terminen zwischen Squash und Kino. Einer Repräsentativstudie der Universität Gießen zufolge haben 48 Prozent aller Deutschen Probleme damit, abends abzuschalten.

Entspannung verzweifelt gesucht - besonders in IT-Jobs, bei denen Beruf und Privatleben verschwimmen. "Viele Mitarbeiter können gar nicht mehr genau sagen, wann für sie Feierabend ist", erklärt Wolfgang Mayrhofer, Professor für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Sie kommen nach Hause, essen vielleicht noch Abendbrot mit der Familie und setzen sich dann noch mal zwei Stunden an den Rechner." Arbeiten auf Abruf erschwert das Loslassen.

Führungskräfte stehen sich selbst im Weg

Besonders Führungskräfte schrauben die eigenen Ansprüche ans Entspannen höher. "Mit dem Motto 'work hard play hard' stehen sich viele selbst im Weg", sagt Markus Brand, Diplompsychologe, Management-Trainer und Geschäftsführer der Kölner Firma b2 consulting. "Da wird dann nach der Arbeit für den Marathon trainiert oder ein so genannter Wellness-Tag eingelegt, der völlig durchgetaktet ist mit Anwendungen und Massagen." So etwas helfe kaum, zur Ruhe zu kommen.

Weiterer Entspannungskiller: der Management-Modebegriff "Work Life Balance". Seine ständige Erwähnung suggeriert, dass sich Karriere und pünktlicher Dienstschluss auch für Manager keinesfalls ausschließen. Kein Wunder, dass viele Führungskräfte das Gefühl haben, beim heimlichen Wettbewerb um den ausgeglichensten Job ins Hintertreffen zu geraten. Der Kollege schafft es doch schließlich auch, die Projekte pünktlich und fehlerfrei abzuschließen und trotzdem noch Zeit für die Schulaufführung seiner Tochter zu haben.

Demgegenüber steht die Erwartungshaltung der Arbeitgeber, die - wie eh und je - vollen Einsatz für die Firma fordern. "Theoretisch mag sich die Erkenntnis durchsetzen, dass effizientes Arbeiten nicht mit der Zahl der Arbeitsstunden korreliert", so Mayrhofer. "Praktisch aber schwören die meisten Unternehmen noch immer auf die Devise ,Mehr zu arbeiten ist besser als weniger zu arbeiten'."

Firmen kennen das Problem und versuchen gegenzusteuern wie Hewlett Packard (HP) in Böblingen. "Das Unternehmen profitiert vom Wohl und der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter", sagt Gert Mamber, in der Personalentwicklung für Bildungsfragen in Westeuropa verantwortlich. "Die Work Life Balance unserer Mitarbeiter verstehen wir daher als gemeinschaftliche Aufgabe von den Betroffenen selber, ihren Vorgesetzten und der Organisation." Nach dem Motto "Abschalten ist erlernbar" trainiert HP seine Mitarbeiter in Sachen Entspannungskompetenz seit fünf Jahren.

Das Projekt "Take care" umfasst therapeutische Hilfe übers Intranet und in Gesprächskreisen sowie Kurse mit Medizinern und Physiotherapeuten. Auch Benediktinerpater Anselm Grün war im Rahmen von "Take care" schon mal Gast. "Der Bedarf für Beratung zum Abschalten ist da", sagt Projektleiter Mamber. Sein Ziel: Das Projekt sollte sich selber überflüssig zu machen. "Derzeit sieht es jedoch noch nicht danach aus", sagt er schmunzelnd.

Ohne schlechtes Gewissen in die Freizeit

Hilfestellung beim Abschalten bietet auch Antonella Lorenz ihren leitenden Angestellten. Dafür richtete die Geschäftsführerin der Freisinger Firma Lorenz Software eine Intranet-Plattform ein, auf der alle Projektverantwortlichen in Abstimmung mit ihren Teams die tagesaktuellen Arbeiten festhalten. "Wenn ein Mitarbeiter sein selbst erstelltes Tagespensum abgearbeitet hat, kann er gehen - ohne schlechtes Gewissen und nach erfolgreicher Arbeitserledigung", erklärt die Firmenchefin. Lästige Kollegenanrufe in der Freizeit entfallen ebenfalls. Denn auf der Plattform ist immer der tagesaktuelle Stand der Projektergebnisse dokumentiert. Lorenz: "So kann jeder Mitarbeiter seinen Feierabend genießen ohne von Kollegen mit Fragen zum Stand der Dinge genervt zu werden."

Antonella Lorenz, Lorenz Software: Lästige Kollegenanrufe in der Freizeit entfallen.

Ruhe zum Runterkommen kann sich auch jeder Mitarbeiter selber schaffen - und er sollte es, wie Psychologe Brand empfiehlt. Er vergleicht Manager mit Tauchern, die nach Feierabend aus ihrer Arbeitswelt auftauchen. "Das dürfen sie nicht zu schnell machen, sonst schädigen sie damit ihre Gesundheit."

So schalten Gestresste ab

Praktisch heißt das: Nicht die ganze Autofahrt nach Hause noch mit dem Büro telefonieren, sondern lieber zehn Minuten vor Ankunft die Lieblings-CD einlegen. Brand: "Bei Bruce Springsteen vergisst man schnell die Papierberge auf dem Schreibtisch." U-Bahnfahrer steigen vielleicht eine Station früher aus und laufen den Rest des Weges, um den Kopf frei zu kriegen. Wieder andere verabreden möglicherweise mit dem Lebenspartner, dass sie nach der Heimkehr erst mal eine Viertelstunde in Ruhe gelassen werden wollen. Vertreter anderer Stressjobs haben viele gute Tipps parat. So schwört Notärztin Anja Mitrenga-Theusinger beim Abschalten auf Joggen und Klassikkonzerte, Fluglotse Marek Kluzniak auf Kinderspiele und Mountainbiken, Psychotherapeutin Andrea Grittner auf Gartenarbeit und Tanzkurse.

Aufdrehen oder Runterschalten: Beides kann genau das Richtige sein. Ob man eher beim Schwimmen oder beim Yoga den Kopf frei kriegt, ist Typsache. "Jeder sollte austesten, was ihm gut tut", sagt Management-Trainer Brand. "Nur wer mal Sauna oder den After-Work-Spaziergang ausprobiert hat, weiß, wie das auf Körper und Seele wirkt."

IT-Manager Nowak hat diesen Prozess schon hinter sich. Sobald die Zeit des Holzhackens im Winter vorbei ist, geht er zum Abschalten in den Keller und setzt sich ans Schlagzeug. "Dort kann ich den aufgestauten Stress des Tages sofort abbauen", sagt der Hobbymusiker. "Hinter Bass-Drum, Tom Toms und Hi-Hat denkt niemand mehr an C/S-Systeme."

Runterschalten vom Stressjob

Wie kann man entspannen, wenn man im Job extremen Belastungen ausgesetzt ist? Eine Notärztin, ein Fluglotse und eine Psychotherapeutin berichten.

Die Notärztin: Anja Mitrenga-Theusinger (36), Köln

Der Fluglotse: Marek Kluzniak (44), Frankfurt

Die Psychotherapeutin: Andrea Grittner (53), Lappersdorf bei Regensburg

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche. Wir bei TecChannel widmen diesen Beitrag all den Kollegen in unserem Medienhaus, die manchmal einen etwas unentspannten Eindruck hinterlassen. Am guten Betriebsklima kann es nicht liegen, Freizeit con gusto sollten sie also noch üben… :-) (cvi)