Mit Hektik, Stress und Überstunden kann Michael Nowak umgehen. Als Leiter IT-Infrastruktur Betrieb C/S-Systeme in der Zentrale der DEVK Versicherungen in Köln hat er täglich alle Hände voll damit zu tun, die Betriebssicherheit und Betriebsstabilität der Client-Server-Systeme sicherzustellen und das Personal für Projekte und Großprojekte zu planen. "Beides unter einen Hut zu bringen ist oft nicht einfach und sehr konfliktträchtig", sagt der Gruppenleiter. Probleme, am Feierabend abzuschalten, hat der Diplominformatiker dennoch selten. Auf der Heimfahrt hört er im Zug Musik und pustet sich auf dem Fahrrad den Kopf frei. Und wenn das noch nicht reicht, geht er raus in den Garten Kaminholz hacken. "Nach einer Stunde an der frischen Luft sind sämtliche Gedanken an den Job vergessen", sagt der 46-Jährige.
Relaxen nach Dienstschluss fällt nicht allen Computerfachleuten so leicht. Häufig kreisen die Gedanken weiter um den Job, daheim warten weitere Aufgaben und Pflichten, die Freizeit stresst mit Terminen zwischen Squash und Kino. Einer Repräsentativstudie der Universität Gießen zufolge haben 48 Prozent aller Deutschen Probleme damit, abends abzuschalten.
Entspannung verzweifelt gesucht - besonders in IT-Jobs, bei denen Beruf und Privatleben verschwimmen. "Viele Mitarbeiter können gar nicht mehr genau sagen, wann für sie Feierabend ist", erklärt Wolfgang Mayrhofer, Professor für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Sie kommen nach Hause, essen vielleicht noch Abendbrot mit der Familie und setzen sich dann noch mal zwei Stunden an den Rechner." Arbeiten auf Abruf erschwert das Loslassen.
Führungskräfte stehen sich selbst im Weg
Besonders Führungskräfte schrauben die eigenen Ansprüche ans Entspannen höher. "Mit dem Motto 'work hard play hard' stehen sich viele selbst im Weg", sagt Markus Brand, Diplompsychologe, Management-Trainer und Geschäftsführer der Kölner Firma b2 consulting. "Da wird dann nach der Arbeit für den Marathon trainiert oder ein so genannter Wellness-Tag eingelegt, der völlig durchgetaktet ist mit Anwendungen und Massagen." So etwas helfe kaum, zur Ruhe zu kommen.
Weiterer Entspannungskiller: der Management-Modebegriff "Work Life Balance". Seine ständige Erwähnung suggeriert, dass sich Karriere und pünktlicher Dienstschluss auch für Manager keinesfalls ausschließen. Kein Wunder, dass viele Führungskräfte das Gefühl haben, beim heimlichen Wettbewerb um den ausgeglichensten Job ins Hintertreffen zu geraten. Der Kollege schafft es doch schließlich auch, die Projekte pünktlich und fehlerfrei abzuschließen und trotzdem noch Zeit für die Schulaufführung seiner Tochter zu haben.
Demgegenüber steht die Erwartungshaltung der Arbeitgeber, die - wie eh und je - vollen Einsatz für die Firma fordern. "Theoretisch mag sich die Erkenntnis durchsetzen, dass effizientes Arbeiten nicht mit der Zahl der Arbeitsstunden korreliert", so Mayrhofer. "Praktisch aber schwören die meisten Unternehmen noch immer auf die Devise ,Mehr zu arbeiten ist besser als weniger zu arbeiten'."
Firmen kennen das Problem und versuchen gegenzusteuern wie Hewlett Packard (HP) in Böblingen. "Das Unternehmen profitiert vom Wohl und der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter", sagt Gert Mamber, in der Personalentwicklung für Bildungsfragen in Westeuropa verantwortlich. "Die Work Life Balance unserer Mitarbeiter verstehen wir daher als gemeinschaftliche Aufgabe von den Betroffenen selber, ihren Vorgesetzten und der Organisation." Nach dem Motto "Abschalten ist erlernbar" trainiert HP seine Mitarbeiter in Sachen Entspannungskompetenz seit fünf Jahren.
Das Projekt "Take care" umfasst therapeutische Hilfe übers Intranet und in Gesprächskreisen sowie Kurse mit Medizinern und Physiotherapeuten. Auch Benediktinerpater Anselm Grün war im Rahmen von "Take care" schon mal Gast. "Der Bedarf für Beratung zum Abschalten ist da", sagt Projektleiter Mamber. Sein Ziel: Das Projekt sollte sich selber überflüssig zu machen. "Derzeit sieht es jedoch noch nicht danach aus", sagt er schmunzelnd.
Ohne schlechtes Gewissen in die Freizeit
Hilfestellung beim Abschalten bietet auch Antonella Lorenz ihren leitenden Angestellten. Dafür richtete die Geschäftsführerin der Freisinger Firma Lorenz Software eine Intranet-Plattform ein, auf der alle Projektverantwortlichen in Abstimmung mit ihren Teams die tagesaktuellen Arbeiten festhalten. "Wenn ein Mitarbeiter sein selbst erstelltes Tagespensum abgearbeitet hat, kann er gehen - ohne schlechtes Gewissen und nach erfolgreicher Arbeitserledigung", erklärt die Firmenchefin. Lästige Kollegenanrufe in der Freizeit entfallen ebenfalls. Denn auf der Plattform ist immer der tagesaktuelle Stand der Projektergebnisse dokumentiert. Lorenz: "So kann jeder Mitarbeiter seinen Feierabend genießen ohne von Kollegen mit Fragen zum Stand der Dinge genervt zu werden."
Ruhe zum Runterkommen kann sich auch jeder Mitarbeiter selber schaffen - und er sollte es, wie Psychologe Brand empfiehlt. Er vergleicht Manager mit Tauchern, die nach Feierabend aus ihrer Arbeitswelt auftauchen. "Das dürfen sie nicht zu schnell machen, sonst schädigen sie damit ihre Gesundheit."
So schalten Gestresste ab
Praktisch heißt das: Nicht die ganze Autofahrt nach Hause noch mit dem Büro telefonieren, sondern lieber zehn Minuten vor Ankunft die Lieblings-CD einlegen. Brand: "Bei Bruce Springsteen vergisst man schnell die Papierberge auf dem Schreibtisch." U-Bahnfahrer steigen vielleicht eine Station früher aus und laufen den Rest des Weges, um den Kopf frei zu kriegen. Wieder andere verabreden möglicherweise mit dem Lebenspartner, dass sie nach der Heimkehr erst mal eine Viertelstunde in Ruhe gelassen werden wollen. Vertreter anderer Stressjobs haben viele gute Tipps parat. So schwört Notärztin Anja Mitrenga-Theusinger beim Abschalten auf Joggen und Klassikkonzerte, Fluglotse Marek Kluzniak auf Kinderspiele und Mountainbiken, Psychotherapeutin Andrea Grittner auf Gartenarbeit und Tanzkurse.
Aufdrehen oder Runterschalten: Beides kann genau das Richtige sein. Ob man eher beim Schwimmen oder beim Yoga den Kopf frei kriegt, ist Typsache. "Jeder sollte austesten, was ihm gut tut", sagt Management-Trainer Brand. "Nur wer mal Sauna oder den After-Work-Spaziergang ausprobiert hat, weiß, wie das auf Körper und Seele wirkt."
IT-Manager Nowak hat diesen Prozess schon hinter sich. Sobald die Zeit des Holzhackens im Winter vorbei ist, geht er zum Abschalten in den Keller und setzt sich ans Schlagzeug. "Dort kann ich den aufgestauten Stress des Tages sofort abbauen", sagt der Hobbymusiker. "Hinter Bass-Drum, Tom Toms und Hi-Hat denkt niemand mehr an C/S-Systeme."
Runterschalten vom Stressjob
Wie kann man entspannen, wenn man im Job extremen Belastungen ausgesetzt ist? Eine Notärztin, ein Fluglotse und eine Psychotherapeutin berichten.
Die Notärztin: Anja Mitrenga-Theusinger (36), Köln
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Putzen. "Direkt nach dem Dienst beschäftige ich mich gern mit einfachen Tätigkeiten wie putzen oder einkaufen. Dadurch gleite ich in den Alltag über."
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Was erleben. "Nach Dienstschluss nur völlig fertig aufs Sofa zu sinken, bringt mir nichts. Dann würde ich die Erlebnisse mit ins Bett nehmen und hätte gar nichts Schönes vom Tag gehabt."
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Reden. "Früher habe ich versucht, alles alleine zu verarbeiten. Heute erzähle ich viel meinem Partner, obwohl ich sonst nicht jemand bin, der viel über sich redet. Das Reden hilft mir, die Dinge loszuwerden, und mein Partner versteht dann auch besser, warum ich nach dem Dienst zerschmettert bin."
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Laufen und lauschen. "Sport befreit. Bei meinen Joggingrunden nach der Arbeit gewinne ich den nötigen Abstand und tanke gleichzeitig neue Energie für den Feierabend. Dasselbe funktioniert für mich auch bei klassischen Konzerten."
Der Fluglotse: Marek Kluzniak (44), Frankfurt
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Essen gehen. "Die 30- bis 60-Minuten-Pausen zwischen den Arbeitsblöcken nutzen die Kollegen unterschiedlich. Manche gucken einfach nur Fernsehen, andere gehen laufen oder machen Fitness. Ich selber finde Sport in der Arbeitszeit zu hektisch. Da gehe ich lieber gemütlich essen und klöne mit Kollegen. Sport hebe ich mir bis nach Feierabend auf."
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Fahrradfahren. "Nach der Arbeit schleppt man so viel Adrenalin mit sich rum. Direkt ins Bett zu gehen, wäre da keine gute Idee. Ich steige nach der Schicht häufig auf mein Mountainbike. Dabei kann ich wunderbar abschalten - vor allem, wenn ich nachmittags fahre und weiß, dass die meisten anderen jetzt in ihren Büros sitzen müssen..."
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Kinderspiele. "Auch beim Spielen mit unserer elfjährigen Tochter kann ich toll entspannen. Sie holt einen ganz schnell in eine völlig andere Welt."
Die Psychotherapeutin: Andrea Grittner (53), Lappersdorf bei Regensburg
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Stoppschild. "Wenn ich abends die Tür meiner Praxis hinter mir zumache, lasse ich damit die Arbeit bewusst hinter mir. Kommen Gedanken aus dem Job nach Feierabend, lasse ich sie zu. Ich überlege dann, was mich daran beschäftigt und wie ich sie verabschieden kann. Wenn sie sehr hartnäckig sind, halte ich ihnen gedanklich ein rotes Stoppschild entgegen. Das muss man allerdings üben - genauso, wie wir jahrelang geübt haben, uns in der Jobmühle zu bewegen."
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Tanzen und gärtnern. "Jeden Freitagabend gehe ich mit meinem Partner zu einem Tanzkreis. Für mich als Antisportlerin ist das jedes Mal eine Überwindung. Aber danach habe ich immer ein Hochgefühl, und die Arbeit ist weit weg. Auch bei Gartenarbeit kann ich hervorragend entspannen."
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Pausen einlegen. "Ich musste lernen, dass ich mir auch Entspannungszeiten im Job gönnen und erlauben darf - aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Hätte ich diese Erkenntnis bereits in meinem früheren Job als Vermögensbetreuerin gehabt, hätte ich mir viel Stress erspart."
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Kürzer treten. "Es gibt auch Situationen, in denen ich tagelang gar nicht abschalten kann - etwa bei der Vorbereitung eines Vortrags. Diesen positiven Stress brauche ich aber und nehme diese Anspannung über einen kurzen Zeitpunkt hinweg hin. Genauso wichtig ist es für mich aber, mir nach dem Ereignis Zeit zum Auftanken zu geben, indem ich beruflich kürzer trete."
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche. Wir bei TecChannel widmen diesen Beitrag all den Kollegen in unserem Medienhaus, die manchmal einen etwas unentspannten Eindruck hinterlassen. Am guten Betriebsklima kann es nicht liegen, Freizeit con gusto sollten sie also noch üben… :-) (cvi)