Express per Glasfaser

02.02.2001
Die Transportkapazität der Telekommunikationsnetze ist dem Datenaufkommen durch das Internet nicht mehr gewachsen. Glasfaser mit vielen Übertragungskanälen sollen in Kürze mehrere Terabit pro Sekunde übertragen.

Von: Achim Scharf

Noch vor wenigen Jahren war für den bei weitem größten Anteil des Verkehrsaufkommens in den Telekomnetzen die Telefonie verantwortlich. Das Verkehrsvolumen wuchs langsam und vorhersehbar, die Transportsysteme boten auf Jahre hinaus ausreichend Bandbreite und Flexibilität.

Mit dem sprunghaften Wachstum des Internet hat sich diese Situation radikal geändert. Der Datenverkehr in den Netzen übertrifft bereits den Sprachverkehr. Und die Menge der im Internet übertragenen Daten nimmt jedes Jahr um mindestens 50 Prozent zu; einige Internet-Serviceprovider verzeichnen sogar alle sechs Monate eine Verdoppelung des Volumens. Diese Tendenz dürfte sich in den kommenden Jahren beschleunigt fortsetzen. Derzeit erreicht der weltweite Datenaustausch im Internet rund 1 TBit/s (TBit = Terabit = circa 1 Million mal 1 Million Bits), und wenn die Entwicklung so weitergeht, wird das Internet allein in den USA im Jahr 2005 eine Bandbreite von mehr als 280 TBit/s erfordern.

Die Übertragungskapazität der Transportnetze nimmt jedoch mit der fortschreitenden Entwicklung auf dem Gebiet der Glasfaser- und der optischen Systemtechnologien zu. So liegt derzeit die Übertragungsrate pro Glasfaser bei 1 TBit/s; der gesamte Internet-Verkehr könnte also über eine einzige Leitung laufen. Dies zeigt, welche Kapazitäten bereits installiert sind.

Schwachstelle Elektronik

Bei der Weiterentwicklung hin zu rein optischen Netzen spielen die unterschiedlichen Geschwindigkeitszunahmen bei den elektronischen und optischen Techniken eine wichtige Rolle. Steigt die Bandbreite in der Optik pro Jahr um den Faktor 2, wächst sie in der Elektronik nur auf das 1,5-fache. Das bedeutet, dass die Engstellen bei elektronischen Übertragungssystemen noch schmaler werden, denn es gibt keine elektronischen Baugruppen, mit denen sich Datenraten im Terabit-Bereich übertragen lassen. Das bedeutet unter anderem, dass die Wellenlängen-Multiplexer-Technik in den nächsten Jahren noch mehr an Bedeutung gewinnen wird.

Damit stehen bei dieser Entwicklung bis zum Jahr 2010 so große Kapazitäten zur Verfügung, dass für jeden Erdenbewohner 100 MBit/s an Übertragungsbandbreite vorhanden sind. Sechs bis zehn Milliarden Menschen könnten dann hochauflösendes Fernsehen empfangen.

So, wie sich die Übertragungskapazität pro Glasfaser jedes Jahr verdoppelt, wird auch die Menge an installierten Glasfasersystemen jedes Jahr um 15 bis 20 Prozent zunehmen. Allein zwischen 1999 und 2000 wurden über 40 Millionen Kilometer Glasfaserkabel hergestellt; das reicht tausendmal um die Erde. Auf den wachsenden Bedarf waren die Produzenten von optischen Leitungen zunächst nicht eingestellt. So können sie augenblicklich nicht genügend Fasern erzeugen, um die Nachfrage zu erfüllen.

Seit den Anfängen der Übertragung von Daten über Glasfaser vor rund 20 Jahren ist es das Ziel von Wissenschaftlern und Technikern, die Bandbreite von Einmoden-(Single-Mode)-Glasfasern zu erhöhen. Laut Theorie liegt die obere Grenze bei 50 Terahertz pro Sekunde. In den letzten Jahren wurden komplexe photonische Techniken näher erforscht und Geräte entwickelt, die den Transport und das Schalten (Routing) von Signalen im optischen Bereich erlauben. Gleichzeitig begannen die Anwender von Netzen zu träumen, die stufenlos ausgebaut werden können und damit auch zukünftige Anforderungen an Flexibilität, Kapazität und Zuverlässigkeit erfüllen. Neben der Unterstützung schneller Übertragungen müssen solche Netze mit Multiplex- und Routing-Techniken arbeiten, die für "Ultrabreitbanddienste" geeignet sind. Eine effiziente Implementierung dieser Übertragungs- und Vermittlungs-Funktionen reduziert die Kosten drastisch.

Das fünfte "Fenster" des Glasfaserspektrums

Die Glasfaser begrenzt jedoch auf Grund von Nichtlinearitäten und Dispersionen die überbrückbaren Entfernungen der Übertragungssysteme. Hierbei besteht ein enger Zusammenhang mit der Übertragungsrate. Um höhere Bandbreiten zu erzielen, verlegen die Netzbetreiber seit kurzem verstärkt NZDF-Fasern (NZDF = Non Zero Dispersion Shifted Fiber), mit denen sich Wellenmultiplexsysteme mit vielen Kanälen realisieren lassen. Mit der "Truewave-RS"-Faser (RS = Reduced Slope) von Lucent können Anbieter von Fernverkehrsdiensten höhere Kapazitäten und zukunftssichere Lösungen für die kommenden High-Speed-DWDM-Systeme (DWDM = Dense Wavelength Division Multiplexing) realisieren. Die Truewave-RS-Faser wurde als erste Einmodenfaser speziell für schnelle Fernverkehrsnetze mit optischen Verstärkern konzipiert, die im dritten und vierten "Fenster" des Faserspektrums arbeiten. Die von den Bell Laboratories entwickelte Technik führt im Bereich von 1530 bis 1620 nm (nm = Nanometer, 1 Millionstel Millimeter) zu einer starken Verringerung der Dispersion, sodass sich zusätzliche Wellenlängen verwenden lassen.

Heutige DWDM-Systeme mit optischen Verstärkern arbeiten im 1530- bis 1565-nm-Bereich, also dem dritten Bereich des Faserspektrums. Künftige Systeme werden das dritte und vierte Fenster zwischen 1565 und 1620 nm nutzen. Damit lassen sich die Netzkapazität und die Leistung erhöhen. Die Truewave-RS-Faser optimiert die Leistung in beiden Wellenlängenbereichen. Einer der wichtigsten Parameter bei der Entwicklung von Fasern für Hochgeschwindigkeitsnetze ist ein flacher Anstieg der Dispersionskurve. Bei der Truewave-RS-Faser ist die Steigung gegenüber anderen marktgängigen Fasern um 35 bis 55 Prozent geringer.

Mit Hilfe eines neuen Verfahrens fertigt Lucent eine Glasfaser, die in einem bisher nicht genutzten Bereich des Faserspektrums einsetzbar ist. Bei der Produktion der Leitungen blieb bisher immer ein bestimmter Anteil an Wasser in Form von Hydroxid-Ionen in der Faser zurück, sodass bestimmte Lichtregionen im Faserspektrum aufgrund von Absorption nicht genutzt werden konnten. Mit Hilfe eines neuen patentierten Reinigungsverfahrens entfernt Lucent bei der "Allwave"-Glasfaser praktisch alle Wasseranteile. Damit stehen 100 nm mehr Bandbreite als bei herkömmlichen Einmodenfasern zur Verfügung und das gesamte Faserspektrum kann genutzt werden.

Von WDM zu DWDM

Um hohe Übertragungskapazitäten zu erreichen, gibt es drei Möglichkeiten:

- die Installation zusätzlicher Glasfaserverbindungen - eine kostspielige und häufig nicht durchführbare Alternative;

- den Einsatz von TDM-Systemen (TDM = Time Division Multiplexing) der nächsten Generation - eine traditionelle Methode der Kapazitätserhöhung von 10 GBit/s auf 40 GBit/s, die in naher Zukunft jedoch nicht möglich sein wird;

- Wellenmultiplex-Systeme (WDM) bilden die Grundlage für TDM-Systeme - mit WDM (Wavelength Division Multiplexing) lassen sich die Transportkapazitäten bestehender Glasfasernetze auf wirtschaftliche Weise erhöhen. Durch die Nutzung optischer Multiplexer und Verstärker werden beim WDM mehrere optische Signale miteinander kombiniert, als Gruppe verstärkt und zum Zwecke der Kapazitätssteigerung gemeinsam über eine einzige Glasfaser übertragen. Ein WDM-gestütztes System ermöglicht diese Steigerung unter Beibehaltung der Leistung, Zuverlässigkeit und Stabilität des Systems.

WDM ist ein optisches Multiplexverfahren, bei dem die einzelnen Kanäle auf Wellen unterschiedlicher Länge durch das Übertragungssystem "laufen". Dies ist möglich, weil sich Lichtwellen unterschiedlicher Länge nicht gegenseitig stören. Bei der WDM-Übertragung wandeln lichtemittierende Dioden oder Laser die elektrischen Signale in Lichtsignale einer bestimmten Wellenlänge (Lichtfarbe) um. Ein passives optisches Koppelelement (Sternkoppler) führt die Signale der einzelnen Kanäle zu einem optischen Multiplexersignal zusammen, das anschließend über die Leitung geht. Am Empfangsort teilen wellenlängenabhängige passive Filter oder opto-elektrische Empfangselemente den Input wieder in einzelne Kanäle auf. Da sich die Lichtwellen gegenseitig nicht beeinflussen, lassen sich unterschiedliche Datenformate und Bandbreiten gleichzeitig übertragen.

Mit WDM als Transporttechnik bauen Netzbetreiber eine Infrastruktur auf, die sie später je nach Bedarf erweitern können. Dabei lassen sich die Kapazitäten in beliebigen Teilbereichen des Netzes ausbauen - ein Vorteil, den keine andere Technik bietet.

Im Vergleich zu Repeater-gestützten Systemen ergeben sich bei WDM größere Abstände zwischen den Netzelementen. Darüber hinaus lassen sich mit der optischen Verstärkerkomponente des WDM-Systems Kosten sparen, da die optischen Signale für die Übertragung und Verstärkung nicht in elektrische Signale umgewandelt werden müssen. Außerdem ermöglicht WDM die Nutzung eines breiten Wellenlängenbereichs im 1550-nm-Fenster. Durchstimmbare Laser, die mit mehreren Wellenlängen arbeiten können, erleichtern es, solche Netze aufzubauen.

Die verfügbare Übertragungskapazität ergibt sich aus der Zahl der Wellenlängen und der Datenrate pro Wellenlänge. Eine Erweiterung von WDM heißt "Dense WDM" (DWDM), eine Technik zum Übertragen von 80 Wellenlängen über eine Glasfaser, die siebenmal dünner als ein menschliches Haar ist.

Wichtig ist, dass WDM und DWDM keine besonderen Glasfasern benötigen, sondern lediglich Standardkabel. Mit Hilfe von optischen Verstärkern überwinden optische Komponenten laut Siemens Strecken von mehr als tausend Kilometern, ohne dass die einzelnen Signale zwischendurch aufgespaltet und elektrisch verstärkt werden müssen. Deswegen dient WDM heute in Weitverkehrsnetzen - vor allem in den USA, weil dort angesichts des Internet-Booms die Glasfasern schon knapp sind. Aber auch die Deutsche Telekom investiert in diese Technik und will bis zum Jahr 2002 ein DWDM-Transportnetz mit einer Übertragungskapazität von 40 GBit/s aufbauen.

Auch in City-Netzen werden DWDM und WDM verstärkt zum Einsatz kommen; allerdings nicht aus denselben Gründen wie auf der Langstrecke, denn im Stadtnetz gelten andere ökonomische Rahmenbedingungen. Es geht dort nicht darum, möglichst viele Daten möglichst weit zu transportieren, sondern flexible Netze kostengünstig anzubieten. "Flexibel" heißt, dass die Leitungen verschiedene Protokolle und Formate übertragen. Und hier erscheint vor allem Gigabit-Ethernet interessant, obwohl Ethernet von den Erfindern als eine Technik für lokale Netze und nicht für längere Strecken entwickelt wurde. Ursprünglich war das Verfahren dafür ausgelegt, möglichst vielen Teilnehmern den Zugriff auf ein einziges Netz, das "Shared Medium", zu erlauben. Die physikalische Ausdehnung des Systems war auf wenige hundert Meter begrenzt und die nutzbare Bandbreite betrug weit weniger als 10 MBit/s. Die aktuelle "Gigabit-Ethernet"-Technik knüpft Punkt-zu-Punkt-Verbindungen im Voll-Duplex-Betrieb, sodass keine Reichweitenbeschränkungen mehr bestehen. Siemens hat bereits die Übertragung von Gigabit-Ethernet auf einer Strecke von 1570 Kilometern zwischen München und Wien demonstriert.

Weil Ethernet als Basis von Firmennetzen dient, die alle Internet- und Intranet-Anwendungen mit Hilfe des Internet-Protokolls (IP) realisieren, ist die Technik für Fernübertragungen interessant. Ethernet (10 MBit/s), Fast Ethernet (100 MBit/s), Gigabit-Ethernet (1000 MBit/s) und sehr bald auch 10-GBit/s-Ethernet verbinden einzelne Computer, Server, Workgroups, Stockwerke und Gebäude auf dem firmeneigenen Campus miteinander. Der Zusammenschluss mehrerer Filialen erfolgt häufig über Festverbindungen, zum Beispiel eine gemietete 2-MBit/s-Standleitung, die Gigabit-Ethernet-Übertragungen wie ein Flaschenhals behindern und Voice- oder Video-over-IP-Anwendungen unmöglich machen.

Die direkte Verbindung der Geschäftsstellen mittels Gigabit-Ethernet über DWDM hat für das Firmennetz einige Vorteile. Zunächst kann das Unternehmen auf IP-Switches verzichten, die das Signal auf das Format der Standleitung konvertieren. Vielmehr verbinden sie den Ethernet-Anschluss direkt mit dem City-Netz. Alle Applikationen des lokalen Netzes funktionieren standortübergreifend. Im Grunde genommen gibt es nur noch einen großen virtuellen Campus, weil die gleiche Technik - in diesem Fall Ethernet - auf dem Campus und zwischen den Campus-Netzen verwendet wird. Gleichzeitig hat sich das Thema Flaschenhals erledigt. Und bei Bedarf fügt der Anwender per WDM oder DWDM sukzessive weitere Übertragungskanäle hinzu.

Eine flexiblere Gestaltung der rein optischen Netze erlauben Add/Drop-Multiplexer beziehungsweise Abzweigmultiplexer. Bei Add/ Drop-Multiplexern bestimmt der Administrator bereits im Vorfeld, welche Wellenlängen bei jedem Netzknoten abzweigen und welche hinzukommen. Denn bestimmte Signale will man vielleicht nicht über die gesamte Strecke übertragen, sondern bereits unterwegs weiterverarbeiten. Und anders als elektronische Systeme steuern solche Multiplexer den Verkehr, ohne von der optischen auf die elektronische Ebene zurückzuwechseln. Ein weiterer Entwicklungsschritt sind "rekonfigurierbare" Add/Drop-Multiplexer. Sie steuern den Verkehr in Echtzeit und ermöglichen eine dynamische Bandbreitenzuweisung. Benötigt ein bestimmter Netzknoten mehr Wellenlängen, so kann er sie auch bekommen.

Optische Router für Hochgeschwindigkeitsnetze

Die erste rein optische Vermittlung, der "Lambda"-Router von Lucent, eröffnet die Ära der rein optischen Kommunikationsnetze. Das System hat eine Gesamtvermittlungskapazität von mehr als 10 TBit/s. Mikroskopische Spiegel lenken die optischen Signale verzögerungsfrei von einer zur nächsten Glasfaser eines Netzes. Da dieser Vorgang ohne Umwandlung in elektrische Signale stattfindet, lässt sich zudem ein Viertel der Betriebskosten sparen.

Der optische Router basiert auf der "Microstar"-Technologie der Bell Labs. In der Vermittlung sind winzige Spiegel so angebracht, dass jeder einzelne von ihnen nur für eine Wellenlänge zuständig ist. Diese frei beweglichen Spiegel sind um Mikroscharniere drehbar gelagert. Der Anwender kann alle optischen Verbindungen jederzeit über Ersatzspiegel laufen lassen. Außerdem justiert er auf Wunsch jeden einzelnen Spiegel mit Hilfe einer Software-gesteuerten Elektronik.

Auf der Ausgangsseite lässt sich dann durch Verstellen der Spiegel eine einzelne Wellenlänge zu einer von 256 Glasfasern weiterleiten. Dazu sind 256 Spiegel auf einem Siliziumstück mit einer Größe von weniger als sechs Quadratzentimetern untergebracht. Im Vergleich zu heutigen elektrischen Systemen ermöglicht diese kompakte Struktur eine mehr als 32-mal höhere Vermittlungsdichte.

Das System verarbeitet beliebige Sprach-, Daten- oder Videosignale, und jeder der 256 Kanäle unterstützt Wellenlängen mit SONET/ SDH- beziehungsweise OC/STM-Übertragungsraten bis zu 40 GBit/s. Damit ist der Lambda-Router 16-mal schneller als heutige elektronische Vermittlungen. Mit zusätzlichen "Circuit-Packs"-Modulen lässt sich das System innerhalb eines Routers auf höhere Kapazitäten erweitern. Auf dieser Basis können auch Crossconnect-Systeme tausend Ein- und Ausgänge verwalten. Zum Herstellen der drehbar gelagerten, auf Silizium montierten Spiegel dienen konventionelle lithografische Verfahren. Die Geräte sind laut den Sandear Labs sehr zuverlässig und haben Schaltgeschwindigkeiten im Bereich von Millisekunden. (kpl)

Zur Person

Achim Scharf

arbeitet als freiberuflicher Fachjournalist in München. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Telekommunikation, Internet und E-Commerce.