Ex-CompuServe-Chef Felix Somm im Interview

17.05.2000 von NICO ERNST 
Felix Somm war von 1991 bis 1997 Geschäftsführer von CompuServe in Deutschland. Am 22. November 1995 wurden überraschend die Geschäftsräume von CompuServe von der Staatsanwaltschaft München durchsucht, da die Polizei in den Internet-Newsgroups von CompuServe illegale Pornographie mit Kindern und Tieren gefunden hatte.

Somm liess zuerst die fünf beanstandeten, und später 282 weitere Newsgroups bei CompuServe weltweit sperren. Diese freiwillige Selbstbeschränkung wurde in den USA als "Zensur" missverstanden. Unter den gesperrten Newsgroups befanden sich beispielsweise auch Foren, in denen betroffene Frauen über Brustkrebs diskutierten. Diese Gruppen waren nur wegen des Wortes "breast" im Namen der Newsgroup gesperrt worden. Außer den fünf ursprünglichen Foren wurden die 282 Gruppen nach Einführung der Filter-Software CyberPatrol durch CompuServe USA am 13. Februar 1996 wieder geöffnet. Weitere Gruppen mit illegalem Material wurden in den folgenden Monaten von CompuServe selbstständig geschlossen.

Als die Beamten schließlich bis März 1996 insgesamt 13 illegale Bilder in Newsgroups und drei indizierte Spiele in CompuServe-Foren fanden, erhob man gegen Somm am 26. Februar 1997 Anklage. Obwohl Verteidigung und Staatsanwalt während des Verfahrens im Mai 1998 Freispruch forderten, wurde Somm völlig überraschend zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 100.000 Mark Geldstrafe verurteilt. Das Urteil zog internationale Reaktionen nach sich und wurde von Politikern, Juristen und Wirtschaftsvertretern teils scharf kritisiert. Amtsrichter Wilhelm Hubbert hatte unter anderem das seit 1997 in Kraft befindliche Teledienste-Gesetz (IuKDG) nur teilweise angewandt. In der Berufungsverhandlung wurde Somm am 17. November 1999 vom Landesgericht München freigesprochen. TecChannel traf Felix Somm zwei Stunden nach Urteilsverkündung in einem Münchner Hotel. Im folgenden Interview nimmt er zum ersten Mal seit vier Jahren ausführlich zu den Ermittlungen gegen ihn Stellung.

tecChannel: Was ist Ihnen als Erstes durch den Kopf gegangen, als Sie das Urteil gehört haben: "Herr Somm wird freigesprochen?"

Somm: Ich hab mir nur gesagt: Gott sei Dank! Beim letzten Urteil war es ja so, dass ich es zehn Minuten lang einfach nicht glauben konnte.

tecChannel: Als Sie im Mai 1998 verurteilt wurden, sollen Sie auf die Anklagebank gespuckt haben. Wie zornig und persönlich betroffen waren Sie damals?

Somm: Ich war persönlich sehr getroffen und schockiert. Nach den Plädoyers hatte es ja keine Anzeichen gegeben, in irgendeiner Form, dass eine Verurteilung ansteht. Ich habe mich nur hingesetzt und gesagt: Ich verstehe die Welt nicht mehr.

"Ich würde das Gleiche heute noch tun"

tecChannel: Was haben Sie im Mai 1998 direkt nach dem Urteil gemacht?

Somm: Ich bin nach Hause in die Schweiz gefahren, und brauchte ein paar Tage, um erstmal den Kopf freizuräumen. Ich habe zum Glück viel Zuspruch bekommen, auch von der Verteidigung. Ich habe dann mit Herrn Middelhoff telefoniert, die Industrie ist also wie ein Mann hinter mir gestanden. Es war beruhigend, wenn einem jemand hilft, wenn man so eine Durststrecke vor sich hat.

tecChannel: Was hat Ihnen Herr Middelhoff, Vorstandsvorsitzender des Bertelsmann-Konzerns, zu dem nun auch CompuServe gehört, denn gesagt?

Somm: Er hat sehr viel persönliches Verständnis gezeigt, und mir versichert, dass die Unterstützung durch CompuServe auch weitergeht. Unser Ziel war es, das Ganze gemeinsam durchzustehen und letztlich auch zu gewinnen. Für mich war damals sehr wichtig, dass er das nicht nur als Industrie-Thema gesehen hat, sondern auch als eine persönliche Angelegenheit.

tecChannel: Der Richter selbst hat heute nochmals betont, dass Sie 1995 und 1996 alles getan haben, um den Strafverfolgungsbehörden zu helfen. Haben Sie das jemals bereut?

Somm: Eigentlich nicht. Für mich war immer das Ziel: Wir wollten etwas dagegen tun. CyberPatrol war sicher die beste damals mögliche Lösung, wenn wir andere gehabt hätten, hätten wir auch das noch gemacht. Jeden, den man irgendwo erwischen konnte, wollten wir erwischen. Wir haben bei der ersten Durchsuchung schon gesehen: Die Polizei hat sehr, sehr wenig Ahnung, wie das Internet funktioniert. Sie hatte Null Ahnung, wie man irgendeine Spur zurückverfolgen kann. Und damals haben wir gesagt: Wir haben die Experten da, also nutzt die, denn wir haben ein Interesse, dass die gefasst werden. Ich würde das Gleiche heute noch tun. Wenn wir irgendjemandem helfen können, einen Verbrecher zu finden, und wir haben auch in der heutigen Firma die Experten, dann bin ich der Erste der sagen würde: Die Zeit ist gut investiert

"Die standen mit drei Bussen vor der Tür"

tecChannel: Wann haben Sie zum ersten Mal davon erfahren, dass man über CompuServe strafbare Inhalte aus Newsgroups abrufen kann? Erst dann, als die Staatsanwaltschaft Sie angeschrieben hat?

Somm: Die haben uns nicht angeschrieben. Die standen mit drei Bussen voller Polizisten vor der Tür, und hatten wohl gedacht, dass es da viel abzutransportieren gäbe. (Anm. d. Red: CompuServe unterhielt damals in Deutschland kein eigenes Rechenzentrum.) Dass im Internet grundsätzlich Probleme da sind, das kann niemand verleugnen - das hat jeder gewusst. Das Interessante war ja auch, dass mir der Staatsanwalt das vordemonstrieren wollte an dem Tag, und es nicht konnte. Von daher haben wir im Anschluss der Durchsuchung gesagt, da muss irgendwas sein, und haben gesucht. Aber keiner der Beamten konnte während der Durchsuchung etwas finden oder uns etwas aufzeigen. Wir haben dann die Problematik erkannt: Die Polizei hatte andere Newsreader und andere Grafiksoftware eingesetzt. Wenn ich natürlich ganz konkret den Hinweis habe, bis auf den Punkt genau - dann finde ich das Zeug. Das war sicher auch ein Problem im Nachhinein: Wir haben die Pädophilie-Newsgroups gesperrt, auf Grund eines konkreten Hinweises. In der Menge der News ist aber das Suchen und Sperren nicht unbedingt etwas, das ich sehr einfach und schnell tun kann.

tecChannel: Wie war die Reaktion von CompuServe in den USA, als sie selbst erst die Sperrung von fünf Newsgroups, und dann auf einen Hinweis der Behörden von ganzen 282 verlangt haben?

Somm: Absolutes Verständnis. Es ist wichtig zu verstehen: Das ist eine Midwest-Firma. CompuServe saß in Columbus, Ohio. Das ist ein Ort, wo Familien hinziehen, wenn sie ihre Kinder großziehen wollen. Dort ist Kinderpornografie genauso wie hier etwas schockierendes, das jeder verdammt. Deshalb ist die Reaktion genau so gewesen: Das ist schockierend, das darf nicht sein - was können wir tun?

"Das ist dann natürlich alles auf Eis gelegt worden"

tecChannel: Hatte Ihr Ausscheiden bei CompuServe mit dem Prozess zu tun, oder wollten Sie sich ohnehin selbstständig machen?

Somm: Eigentlich nicht, ich wollte zu dem Zeitpunkt meine eigene Firma gründen. Ich habe mich mit Internet beschäftigt, seit ich 1988 von der Uni abgegangen bin. Damals gab es noch kein World Wide Web. Es war spannend. Darum bin ich dann zu CompuServe gegangen. Im Juni 1997 hat das Internet eine Entwicklung genommen, wo ich mir gesagt habe, das ist sicherlich eine Chance, etwas Neues anzufangen. Wissensmodelle haben sich geändert und der Zeitpunkt war richtig, denke ich. Wenn die Umstände anders und die Motivation besser gewesen wäre, dann hätten wir gesagt, gut, warum nicht noch ein Jahr länger. Aber mein Ziel war grundsätzlich, ich wollte das machen. Ich habe die Chance gesehen und wollte sie ergreifen. Manchmal braucht es einen kleinen Anlass, um das ganze Ding dann letztendlich auf die Kante zu bringen.

tecChannel: Hat CompuServe Inc. jemals daran gedacht, die deutsche Niederlassung zu schließen, weil man dort den Geschäftsführer vor den Kadi zerrt?

Somm: Nein, weil die deutsche Niederlassung jahrelang die prosperierendste in Europa war. Wir hatten damals - das kann man auch noch nachlesen - die Absicht, in ein relativ großes Gebäude in Unterhaching zu ziehen. Wir hatten damals auch noch die Idee, ein Rechenzentrum aufzubauen mit Internettechnik, um besser auf die lokalen Bedürfnisse eingehen zu können. Das ist damit natürlich alles auf Eis gelegt worden. Die Entwicklung ist dann ganz anders gegangen. Wie sie sonst gelaufen wäre, kann heute keiner einschätzen. Damals sind wir von einem Unternehmen unterstützt worden, das mit Hundertprozent Volldampf in die Zukunft gefahren ist. Schließlich hat man dann gesagt: Wollen wir in Deutschland investieren? Wir haben ja noch England, wir haben ja noch Paris. Wo ist der richtige Standort? Und das war natürlich nicht mehr das Argument, dass wir sagen können, wir haben hier alle Unterstützung der Welt...

"Die Staatsanwaltschaft hat das in den Aktenschrank gesteckt"

tecChannel: Zum Thema der indizierten Spiele. Wussten Sie wirklich nicht, dass man über CompuServe in Deutschland indizierte Spiele abrufen und sogar per Kreditkarte kaufen konnte?

Somm: Gut, wir hatten einen Fall, der ist dokumentiert worden, Wolfenstein 3D, das ist gelöscht worden. Wir hatten da nie eine Chance, das in der Masse zu kontrollieren. Wenn uns Einer das gemeldet hat, wie bei Wolfenstein, dann ist das entfernt worden. Bei den anderen Spielen muss man sagen: Wir haben das gemacht, sobald wir davon gehört haben. Da ist auch Unterstützung dafür gekommen. Nur, was die Staatsanwaltschaft gemacht hat, war: Sie hat es gefunden und in den Aktenschrank gesteckt. Wir haben gemacht, was wir konnten. Ich denke, wir hätten mit Sicherheit in einigen Bereichen schneller reagieren können, wenn in dem Fall, wo es gefunden worden ist, ein Fax oder Telefonanruf von der Staatsanwaltschaft gekommen wäre. Wir wollten die ja eigentlich auch unterstützen. Wenn in einem Verfahren ein Verdacht war, dass ein CompuServe-Mitglied in Kinderpornografie verwickelt war, dann haben wir der Polizei sogar einen Ansprechpartner genannt.

tecChannel: Wie oft kamen diese Anfragen?

Somm: Die sind gekommen, seit wir diese Durchsuchung hatten. Ich würde mal hoffen, dass der Dialog heute noch funktioniert.

tecChannel: Wie verlief die Zeit von der Anklageerhebung bis heute für Sie? Wurde der Name "Felix Somm" immer wieder mit dem Prozess um Kinderpornografie verknüpft?

Somm: Das ist leider so. Aber innerhalb der Industrie kann ich zum Glück auf viel Verständnis zählen. Ich war vor zwei Wochen in Amerika, habe mit Geschäftspartnern geredet, und eine der ersten Fragen war immer: "Was ist mit dem Prozess?" Auch bei der Finanzierung meiner Firma musste ich Investoren erst klar machen: Sie können Risikokapital in diese Firma stecken, der wird nämlich nicht zwei Jahre hinter Gittern verschwinden. Das sind halt Dinge, die haben mir letztendlich geschäftlich nicht geschadet. Persönlich ist es halt immer so, dass ich auch nicht gern jeden Tag mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht werde. Das ist sehr belastend. Wenn ich irgendwo hingehe und sage, "Grüß Gott, ich bin Felix Somm", dann heißt es: "Sind Sie der Felix Somm?" Ich sage dann: "Ja, ich bin der Felix Somm, der nichts mit Kinderpornografie zu tun hat."

"Man muss seine Kunden aufmerksam machen"

tecChannel: Hat sich mit dem heutigen Freispruch für Sie das Teledienstegesetz als Rechtsgrundlage bewährt?

Somm: Wir haben sogar vorher in den Anhörungen mitgearbeitet. Ich denke, das Gesetz ist eine gute, solide Grundlage. Es muss nur in der Praxis angewendet, es muss verstanden werden. Es ist heute zum ersten Mal sauber und direkt umgesetzt worden. Wenn das so weitergeht, ist das ein gutes, solides Gesetz, das seinen Zweck erfüllt.

tecChannel: Was raten Sie anderen Service Providern? Der Richter hat heute mehrfach betont, das Internet sei gefährlich. Wie sollte man mit diesen ganzen Problemen, auch mit anderen Straftaten, als Service Provider umgehen?

Somm: Der Professor Pfitzmann hat eigentlich schon Recht, man hat keine Chance, es zu kontrollieren. (Anm.d.Red.: Prof. Pfitzmann von der TU Dresden trat im Verfahren als Sachverständiger auf.) Man muss im Prinzip seine Kunden aufmerksam machen. Man sollte auf jeden Fall in der Firma eine Stelle bestimmen, die als Ansprechpartner da ist, die was immer von Außen kommt, seien es Polizeianfragen, sei es Kunden-Feedback, seien es Hotline-Anfragen, entgegennimmt, nachprüft und entsprechende Konsequenzen ergreift. Der soll nicht alibimäßig benannt werden. Das muss sein Job sein, der sollte sich vielleicht auch mal beim Herrn Möwes vorstellen, dann weißt der gerade, mit wem er reden muss. (Anm.d.Red.: Kriminalhauptkommissar Möwes leitet das Kommissariat zur Bekämpfung von Computerkriminalität in München)

tecChannel: Herr Somm, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. (nie)