EU fördert Ortungsforschung

11.10.2002
Wissenschaftler, Hardwarehersteller und Serviceanbieter suchen in Projekten wie Elba, Ambiesense oder Kodi gemeinsam nach geeigneten Schnittstellen, lukrativen Betreibermodellen und nutzerfreundlichen Anwendungsszenarien für kontextsensitive Dienste. Europäische Union und Landesregierungen unterstützen diese Bemühungen mit finanziellen Mitteln.

Von: Dr. Thomas Hafen

Offensichtlich mit Sorge betrachtet die Europäischen Union die Entwicklung auf dem Mobilfunkmarkt. Während die Einführung der UMTS-Netze (Universal Mobile Telecommunications System) europaweit hinter den Roll-out-Plänen hinterherhinkt und die finanzielle Belastung aus Schuldendienst und Netzinvestitionen den Betreibern die Luft abdrückt, sind die viel beschworenen "Killerapplikationen" immer noch nicht in Sicht. Im Rahmen des IST-Programms (Information Society Technologies) hat die EU deshalb mehrere Projekte aufgelegt, die der Industrie bei der Suche nach geeigneten Diensten behilflich sein sollen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Weiterentwicklung so genannter Location Based Services (LBS), also Diensten, bei denen die Position des Nutzers eine Rolle spielt.

Marketing für mobile Nutzer

Mit ortsbezogenem Marketing beschäftigt sich beispielsweise das Programm "European Location Based Advertising" (Elba, www.e-lba.com). Es wurde im Mai 2002 gestartet und ist bis Ende Oktober 2003 befristet. Zu den Projektteilnehmern gehören unter anderem der Diensteanbieter Vodafone Mobile Systems, die LBS-Spezialisten Yellow Map und CT Motion, die Stadt Grenoble und die Universität von Toulouse-Le-Mirail. Zusammen wollen sie mobile Marketing-Möglichkeiten in GPRS- (General Packet Radio Service) und UMTS-Netzen demonstrieren und die Nutzerakzeptanz solcher Angebote testen. Ziel des Projektes ist es außerdem, die Integration und Interoperabilität zwischen Technologien zu verbessern und neue Einnahmemöglichkeiten für Content Provider, Serviceanbieter und Netzbetreiber aufzuzeigen. Die beteiligten Partner tragen eine Hälfte der Kosten, die andere übernimmt die EU.

In Karlsruhe, Dublin und Grenoble testet das Elba-Team Anwendungsszenarien für ortsbezogene Informationen in Nahverkehrsmitteln, Location Based Advertising (LBA) im städtischen Bereich und kontextsensitive Angebote in Einkaufszentren. Beim ersten Projekt, das in Karlsruhe stattfindet, erhalten die Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr auf großen Displays Hinweise zu Museen, Ausstellungen oder Veranstaltungen, aber auch zu Sonderaktionen beteiligter Geschäfte. Die Informationen werden zeitgerecht präsentiert, sodass der Fahrgast bei Interesse die Möglichkeit hat, an der nächsten Haltestelle auszusteigen und das Angebot zu nutzen. Die Standortbestimmung erfolgt zunächst über das General Positioning System (GPS). Später sollen Ortungssysteme der Mobilfunkbetreiber zum Einsatz kommen (siehe auch NetworkWorld 09/02 und 10/02, jeweils Seite 36).

Beim LBA-Projekt in Grenoble handelt es sich ebenfalls um einen Push-Service. Nutzer, die sich über ein WAP-Portal angemeldet haben, erhalten automatisch zu ihrem Profil passende Informationen, wenn sie sich in der Nähe eines Point of Interest befinden. Im Vordergrund stehen dabei die Bereiche Sport und Unterhaltung. Die Standortinformationen liefert Vodafone durch passives Tracking, das heißt, die Position des Users wird über die Funkzelle bestimmt, in die sich sein Endgerät eingebucht hat.

Im dritten Pilotprojekt wird in einem Einkaufszentrum Dublins ein Bluetooth-System getestet, vergleichbar dem auf Seite 45 beschriebenen Führer durch den Botanischen Garten Berlin. Die Besucher können sich Bluetooth-fähige Geräte wie den HP "Jornada" oder das Sony-Ericsson-Handy "T68i" ausleihen und sich abhängig von ihrem Standort über Sonderangebote oder Spezialaktionen in ihrer unmittelbaren Nähe informieren.

Ein wichtiges Ziel des Elba-Projektteams ist es, die Marktmöglichkeiten für Inhalteanbieter und Provider aufzuzeigen. Da bei den bisherigen Serviceangeboten rund 72 Prozent der Umsätze beim Netzbetreiber verbleiben (siehe Grafik), ist der Anreiz für spezialisierte Dienstleister gering, Informationen zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer Hinderungsgrund für die Anbieter liegt in den proprietären und von den Betreibern kontrollierten Plattformen, die einen hohen Anpassungs- und Integrationsaufwand nötig machen. Zukünftig soll dies anders werden. Nach Auffassung des Elba-Teams könnten bis zu 38 Prozent der Umsätze beim Content Provider verbleiben. Standardisierte Schnittstellen und flexible Abrechnungsmodelle machen es demnach attraktiv, auch lokal oder zeitlich begrenzte Angebote für wenige Interessenten anzubieten.

Kontext ist mehr als nur Ortsbezug

Ebenfalls an einheitlichen Standards arbeiten die Teilnehmer im Programm "Kontextsensitive Dienste in globalen UMTS-Netzen" (Kodi). Neben der Forschungsabteilung Corporate Technology des Netzausrüsters Siemens und dem Mobile-Business-Spezialisten Apollis Interactive ist auch das Institut für Informatik der Ludwig-Maximilians-Universität München an dem Projekt beteiligt. Das Projekt ist bis Frühjahr 2004 befristet und wird von der Bayerischen Staatskanzlei gefördert. Als erstes wollen die Teilnehmer einen Kriterienkatalog entwickeln, auf dessen Basis sich Kontexte klassifizieren lassen. Mithilfe dieser Kriterien will das Kodi-Team dann ein Referenzmodell entwickeln, das Umsetzung, Betrieb und Nutzung kontextsensitiver Dienste über einheitliche Schnittstellen ermöglicht. Auf Basis dieses Modells soll dann die konkrete Umsetzung in die Praxis erfolgen. Apollis Interactive will anhand der Ergebnisse Dienste für den Massenmarkt entwickeln und diese Geschäftskunden anbieten.

Context Tags in Kleidung und Gebäuden

Einen Schritt weiter geht das von der EU geförderte "Ambiesense"-Projekt (www.ambiesen se.com). An ihm sind neben Yellow Map und Siemens auch der Reisebuchverlag Lonely Planet und die Nachrichtenagentur Reuters beteiligt. Die Robert Gordon Universität von Aberdeen und die Norwegische Universität für Naturwissenschaften und Technologien (NTNU) begleiten das Projekt wissenschaftlich. Kleine elektronische "Context Tags" sollen in Gebäuden, Fahrzeugen oder Kleidungsstücken installiert werden und dem Ambiesense-System den Kontext übermitteln, in dem ein Nutzer einen bestimmten Service nutzen will. Intelligente Softwareagenten sollen dann entsprechend der Interessen des Nutzers, seiner Position und der Tageszeit passende Informationen zur Verfügung stellen. Die Applikationen werden am Osloer Flughafen und in Sevilla getestet.

Fazit

Wie die Projekte zeigen, sind für den Erfolg mobiler ortsbezogener Dienste drei Faktoren entscheidend: Offene Schnittstellen, die eine leichte, schnelle und kostengünstige Integration neuer Services und Ortungsmöglichkeiten ermöglichen, Betreibermodelle, die allen Beteiligten einen lukrativen Anteil am Gesamtumsatz belassen und attraktive Dienste, die dem Nutzer einen echten Mehrwert bringen. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, steht dem Erfolg von Location Based Services und ande-ren kontextsensitiven Diensten nichts mehr im Wege.