Ethernet bis ins Hotelzimmer

08.06.2001
Die starke Konkurrenz bei Telekommunikationsdiensten führt dazu, dass sich Service Provider nach neuen Geldquellen umsehen müssen. Besonders viel versprechend sind kostengünstige Breitbanddienste für größere Geschäfts- und Wohngebäude. Einen interessanten Ansatz hat hier Cisco mit "Long-Reach Ethernet" vorgestellt.

Von: Bernd Reder

Die Zahl der Nutzer von Breitband-Internetzugängen wächst in den USA und Europa ständig. Marktforscher gehen davon aus, dass in Westeuropa im Jahr 2004 rund elf Prozent der Haushalte über einen solchen Anschluss verfügen werden. Derzeit sind es ganze ein Prozent. Northpoint Communications, eine amerikanische Beratungsfirma, schätzt das Marktpotenzial in drei Jahren auf über 23 Milliarden Dollar.

Hintergrund dieser optimistischen Einschätzung ist, dass nicht nur Firmenmitarbeiter immer schnellere Verbindungen für immer komplexere Internet-Anwendungen benötigen, sondern auch Hotelgäste und die Bewohner von Wohngebäuden. Je mehr "Content" mit Video- und Audio-Inhalten über das Internet oder IP-Netze transportiert wird, desto höhere Bandbreiten sind erforderlich. Service Provider sehen darin die Chance, Millionen neuer Kunden zu gewinnen, indem sie Breitbandanschlüsse für einzelne Gebäude anbieten. Allerdings sind die meisten Büro- und Wohngebäude nicht mit Kabeln der Kategorie 5 ausgestattet. Fast alle Gebäude, die vor 1985 errichtet wurden, haben keine Verkabelung, über die sich beispielsweise Ethernet mit 10 MBit/s bereitstellen ließe. Service Provider haben folgende Alternativen:

- Asymmetric Digital Subscriber Line (ADSL),

- Symmetric Digital Subscriber Line (SDSL),

- Kabelnetze,

- die HPNA-Technik (Home Phoneline Networking Alliance) und

- Etherloop.

Die ersten drei Techniken sind bereits im Beitrag auf den Seiten 22 und 23 beschrieben. Nur bedingt für den professionellen Anwender interessant ist Home Phoneline Networking. Die Technik kombiniert IP und DSL. Die erste Version der HPNA-Spezifikation sah eine Bandbreite von 1 MBit/s vor. In HPNA 2.0, die im Herbst vergangenen Jahres verabschiedet wurde, ist eine Datenrate von 10 MBit/s über Telefonleitungen festgelegt. Wegen der begrenzten Skalierbarkeit gelten Einfamilienhäuser als wichtigstes Einsatzgebiet von HPNA.

Relativ neu ist Etherloop, ein Verfahren, das die Übertragung von Ethernet-Paketen mit Burst-Technologie sowie ADSL und HDSL (High Data Rate DSL) kombiniert. Entwickelt wurde es von Elastic Networks, einer Firma, die aus Nortel Networks hervorging. Ähnlich wie Ethernet übermittelt Etherloop Daten in "Bursts" und erreicht Datenraten zwischen 128 kBit/s und 6 MBit/s im Up- und Downstream-Betrieb über Distanzen von bis zu sieben Kilometern. Auch bei Etherloop stellt sich die Frage nach der Skalierbarkeit, etwa in Bezug auf höhere Datenraten.

Volle 15 MBit/s bis zum User

Im vergangenen April brachte auch Cisco mit "Long-Reach Ethernet" (LRE) eine Technik auf den Markt, die den Breitband-Zugang in Gebäuden erlaubt. LRE setzt, wie etliche der Konkurrenten, auf einer DSL-Variante auf, in diesem Fall "Very High Bit Rate DSL" (VDSL). Über vorhandene Kabel der Kategorien 1, 2, und 3 lassen sich Ethernet-Pakete im Vollduplex-Modus über Distanzen bis zu 1500 Meter übertragen. Bei 15 MBit/s beträgt die Reichweite 1 Kilometer, bei 10 MBit/s sind es 1,2 Kilometer, und bei 5 MBit/s werden 1,5 Kilometer erzielt. Damit verlängert LRE die Reichweite von Ethernet, die normalerweise pro Segment bei 100 Meter über Kupferleitungen liegt. Neben Daten und Videos lassen sich mit LRE auch Sprachinformationen in Echtzeit übertragen. Damit sind integrierte Anwendungen möglich, beispielsweise Streaming Media oder Voice over IP.

Für potenzielle Anwender ist die Long-Reach Ethernet vor allem deshalb interessant, weil es zusammen mit der bestehenden Kommunikations-Infrastruktur funktioniert: TK-Nebenstellenanlagen (PBX), "Plain Old Telephone Services" (POTS), ISDN und Digital Subscriber Line. Für einen Service Provider heißt das, dass er nicht, wie bei anderen Techniken, zunächst in eine neue Infrastruktur investieren muss, sondern auf die vor Ort vorhandenen Ressourcen zurückgreifen kann.

Mit LRE will Cisco folgende Zielgruppen ansprechen:

- die Hotelindustrie, Kongresszentren und Flughäfen sowie

- Unternehmen, die größere Gebäude mit mehreren Büros oder Wohnungen unterhalten.

Ein Teil der Hotels und Flughäfen stellt bereits heute Anschlüsse an lokale Netze und das Internet zur Verfügung. Doch selbst in den USA, die auf diesem Gebiet Vorreiter sind, waren nach einer Untersuchung von Jupiter Ende 2000 nur 15 Prozent der 39 Millionen Hotelzimmer mit einem Highspeed-Internetzugang ausgestattet. Bis zum nächsten Jahr sollen es nach Schätzung der Marktforscher bereits 50 Prozent sein.

Das zweite Marktsegment für Breitbanddienste sieht Cisco in Privat- und Bürogebäuden mit mehreren Parteien. Zur ersten Kategorie gehören beispielsweise Häuser mit Eigentumswohnungen, Wohnblöcke oder Studentenwohnheime. Thomas Boele, Product Development Manager bei Cisco Deutschland, führt an, dass in Europa im Jahr 1996 rund 45 Prozent der Bevölkerung in solchen Gebäuden lebten. In Westeuropa gab es bereits 1991 mehr als 55 Millionen Gebäude mit mehreren Wohnungen - ein Potenzial für Service Provider und deren Systemlieferanten, das in den vergangenen Jahren sicherlich noch angewachsen ist.

Mindestens ebenso lukrativ ist der gewerbliche Immobiliensektor. Erst in jüngster Zeit gehen die Bauherren dazu über, bereits bei der Planung von Bürogebäuden eine strukturierte Verkabelung für Sprach- und Datendienste sowie die Haustechnik zu berücksichtigen. Mit LRE - so zumindest die Vorstellung von Cisco - können die Eigentümer von Gebäuden den Mietern Ethernet-Verbindungen mit 15 MBit/s zur Verfügung stellen, ohne eine neue Verkabelung zu installieren. Dies sei insbesondere in älteren oder denkmalgeschützten Immobilien ein Vorteil, so Thomas Boele.

Alleingang oder Standard

Wie ist nun Long-Reach Ethernet zu bewerten? Aus technischer Sicht ist das Konzept zweifellos interessant. Ethernet ist eine erprobte Technik, die künftig noch an Bedeutung gewinnen wird, Stichwort Gigabit- und 10-Gigabit-Ethernet. Die 15 MBit/s, die LRE anbietet, sind zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die meisten Highspeed-Dienste mehr als ausreichend. Trotzdem stellt sich auch bei LRE die Frage nach der Skalierbarkeit.

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft die Standardisierung. Es stimmt nachdenklich, dass Cisco LRE just zu dem Zeitpunkt vorgestellt hat, als sich eine Gruppe innerhalb der IEEE-802.3-Sektion anschickt, einen Standard für Ethernet als Zugangstechnik zu entwickeln. Es drängt sich somit der Verdacht auf, Cisco wolle einen Alleingang starten und dieses Marktsegment besetzen, ehe Normen vorliegen und damit auch andere Hersteller entsprechende Produkte auf den Markt bringen. Allerdings dürfte selbst ein Branchenriese wie Cisco im Zweifelsfall klug genug sein, sich nicht gegen einen IEEE-Standard zu stellen.