Vom Videoroom zur Webcam

Es muss nicht immer TelePresence sein

06.07.2014 von Harald Karcher
Zum Tele-Konferieren kann man ein Videostudio für 300.000 Euro nutzen, oder Skype und eine Webcam für 30 Euro. Dazwischen gibt es UCC-Lösungen wie WebEx, Lync und GoToMeeting. Halten sich alle Hersteller an Standards, lassen sich die großen mit den kleinen Konferenzsystemen per Video-Bridging koppeln.
Dieses TelePresence System TX9000 nutzt Anbieter Cisco selbst in der Leopoldstrasse 240 in München-Schwabing.
Foto: Harald Karcher

Teure Tele-Präsenz-Räume für den Vorstand sind der Rolls Royce in der Video-Tele-Kommunikation. Typischerweise hängen drei riesige Full-HD-Bildschirme an der Wand, auf denen jeweils bis zu zwei Gesprächspartner in Echtgröße erscheinen können, in Summe also sechs. Gezeigt wird natürlich nur die obere Körperhälfte, das reicht für Business-Meetings.

Die Sprecher erstrahlen in HD-Fernseh-Qualität und klingen zum Greifen nah: Wenn jemand aus dem linken Monitor gestikuliert und spricht, dann kommt der Ton halt auch von links. Das Gleiche gilt für Mitte und für Rechts. Solche Tele-Präsenz-Studios konnten wir bei British Telekom, Cisco, der Deutschen Telekom und weiteren Anbietern probieren und erleben. Sie überzeugen binnen weniger Sekunden.

Links schaut Nena Jorgic, Leiterin Customer Experience Center Munich, gerade in die WebCam ihres Notebooks. Rechts wird ihr Live-Bild gerade in die Video-Tele-Presse-Konferenz zugeschaltet.
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Elegant getarntes Video-Studio

In diesem Telepräsenz-Studio bei Sixt in Pullach ist die Audio-Video-Technik so elegant versteckt, dass man auf den ersten Blick nur einen ganz normalen Konferenzraum der edleren Sorte vermutet. (Foto: Roswitha Model)
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Sehr geschmackvoll fanden wir den Video-Raum am Sixt-Konzernsitz Pullach bei München. Auf den ersten Blick meint man, in einem ganz normalen Konferenzraum der nobleren Version zu sitzen. Irgendwann bemerkt man aber kleine Mikrofone, die im Tisch verbaut sind. Dann eine auffällig glatte, weiße Wand. Darin eine versenkte Videokamera. Dann einen unauffälligen Projektor in der Decke: Aha, da sitzen wir doch wohl in einem gut kaschierten Tele-Präsenz-Studio.

In diesem Raum hat Alexander Sixt uns kürzlich mal erklärt, warum Office 365 samt Lync und Yammer im Sixt-Konzern an 6.000 Arbeitsplätzen eingeführt wurde: Um das Audio-Video-Conferencing jetzt auch in allen relevanten Büros und in über 1.000 Autovermietstationen nutzen zu können. Das schicke Kommunikations-Studio auf der Chef-Etage wird oft für Videokonferenzen in die USA genutzt und erspart dem Management zeitraubende Übersee-Flüge. Außerdem wird die transatlantische Kommunikation im Sixt-Konzern dadurch viel schneller, spontaner und flexibler.

One-Man-TelePresence-Studio CTS-500

Cisco-Deutschland-Chef Oliver Tuszik diskutiert mit dem Autor über das Thema Telekonferenz - natürlich via Telekonferenz.
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Ein deutlich kleineres Tele-Präsenz-Studio für ein bis zwei Personen konnten wir in einem Interview mit Oliver Tuszik erleben, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung von Cisco Deutschland. Herr Tuszik, vormals Vorstandsvorsitzender bei Computacenter, hat ein Cisco TelePresence Model CTS-500 mit einem 37-Zoll-1080p-Display direkt in seinem Bonner Büro.

Der Autor hat in seiner Münchner Schreiberbude nicht solchen Luxus, durfte aber in den TelePresence-Raum Harmonia im Cisco-Office Hallbergmoos pilgern. Dort stand ebenfalls ein Model CTS-500. Was soll man sagen? Die Audio-Videoqualität war einwandfrei. Für ein Zwei-Personen-Meeting sind 37 Zoll auf jeder Seite mehr als groß genug. Herr Tuszik war zum Greifen nah und wirkte trotz der Ferne sehr verbindlich, vielleicht auch wegen seiner hochgekrempelten Hemdsärmel. Naja, nicht ganz zum Greifen: Es fehlte der Händedruck.

Cisco MX300-G2 mit puristischem Design

Das Cisco TelePresence System MX300 G2 mit 55-Zoll-LCD-Monitor aus dem Jahr 2014 wirkt im Vergleich zum älteren Cisco CTS-500 schon viel schlanker.
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Das Cisco System CTS-500 ist schon etwas älter. Im Jahre 2014 kam das System MX300-G2 hinzu, ein Vertreter einer neuen Serie von Videokonferenzsystemen, zu denen auch die kleinere Variante MX200-G2, sowie die MX700- bzw. die MX800-Modelle zählen. Dazu Anton Döschl, Leiter Collaboration bei Cisco in Deutschland: "Diese Serie erstrahlt in einem modernen und hochwertigen, fast schon puristischem Design. Sie besticht durch Ästhetik, gepaart mit Funktionalität, nicht nur durch hochwertige HD-Video- und Audioqualität, sondern auch durch eine Reihe von Zusatzfunktionen: z.B. Intelligent Proximity für die Einbindung von Tablets oder Smartphones. Und das alles bei einfacher Bedienbarkeit und hoher Benutzerfreundlichkeit."

Video für alle Mitarbeiter

Vier Dinge braucht der Mensch für UCC-Video-Meetings: 1. Rechner, Tablet oder Smartphone. 2. Headset oder Mikrofon und Lautsprecher. 3. Eine Kamera oder WebCam.4. Einen Audio-Video-Cloud-Service (Skype, Google Hangouts, Cisco WebEx, Microsoft Lync oder Citrix)GoToMeeting
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Tele-Präsenz-Studios um die 300.000 Euro können selbst größere Firmen oft nur fürs obere Management anschaffen. Mittelständler, Kleinbetriebe, Home-Office-Worker, Freiberufler und Abertausende normaler Mitarbeiter in großen Firmen dürfen sich derweil auf Cloud-Video-Meeting-Dienste direkt für den Arbeitsplatz freuen: Dafür werden einfach nur vorhandene PCs und Laptops mit Mikrofon und WebCam nachgerüstet, sofern sie das nicht eh schon eingebaut haben.

Einige Cloud-Meeting-Dienste wie Microsoft Skype und Google Hangouts sind kostenlos. Profi-Angebote wie Cisco WebEx, Microsoft Lync und Citrix GoToMeeting kosten einige Dutzend Euro pro Monat und Gastgeber. Hinzu kommen Kosten für einen halbwegs schnellen PC oder Laptop, für eine gute WebCam und für ein Headset.

Auch diese kleine Variante der Audio-Video-Kommunikation per Cloud steht im Verdacht, die Produktivität der Mitarbeiter zu erhöhen. Sie erlaubt spontane Meetings, von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, ohne Stress, Reisekosten oder langer Anreise - ganz im Sinne einer guten Work-Life-Balance.

Im Vergleich zu eingesparten Reisezeiten und Reisekosten sind Material und Cloud-Abo-Kosten kaum der Rede wert. Ganz zu schweigen von der erhöhten Reaktions-Schnelligkeit, von virtuellen Teambildungen und von mehr Flexibilität in der Ansprache von Kunden, Partnern und Kollegen.

Die meisten Online-Video-Meeting-Dienste erfordern die einmalige Installation eines Plug-Ins auf dem lokalen Rechner. Danach ist die weitere Bedienung meist intuitiv einfach
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Von Unified Communications & Collaboration (UCC) spricht man, wenn Audio (meist Stimmen), Video (meist Gesichter) und Bildschirminhalte (Daten und Applikationen) direkt von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz in Echtzeit übertragen und geteilt werden. Beim Bildschirminhalt kann entweder der gesamte Desktop, oder nur der Inhalt eines bestimmten Programm-Fensters übertragen werden. Das UCC-Terminal kann ein stationärer PC mit Mikrofon und Webcam sein, neuerdings auch ein Smart-TV-Fernsehgerät mit Quad-Core-CPU samt Android, Kamera und Skype ab Werk, oder auch mobile Geräte wie Laptops, Tablets oder Smartphones mit scharfen Video-Displays.

Vorsicht Kamera! Wer oft Video-telefoniert, sollte nicht an WebCam und Beleuchtung sparen und sich am besten eine perfekte Video-Meeting-Ecke einrichten v.l.n.r. Georg Maikler von Yammer, Diana Heinrichs von Microsoft und der Autor.
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Gastgeber und Moderator

CW-Redakteur Jürgen Hill erklärt dem fünf Kilometer entfernten Autor über Videokonferenz (oben) und Web-Collaboration (unten) in groben Zügen, wie das Layout der gedruckten Computerwoche entsteht.
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Wie im echten Leben gibt es auch bei virtuellen UCC-Konferenzen einen Gastgeber, der zum Gespräch einlädt, und einen Moderator, der die Gäste begrüßt, das Meeting steuert, die Agenda einhält, und am Schluss abmoderiert. Je größer die virtuelle Gruppe, desto wichtiger ist eine gute Moderation für einen effektiven Verlauf.

Aufzeichnung aller Inhalte

Viele UCC-Cloud-Dienste bieten eine Aufzeichnungsoption für den Audiostream und für die übertragenen Bildschirminhalte. Der Videostream wird aber nicht von allen Diensten aufgezeichnet, weil dadurch gewaltige Datenmengen zusammen kommen. Außerdem wollen nicht alle Mitarbeiter für alle Ewigkeit in High-Definition aufgezeichnet werden.

Die 50 Minuten Mitschnitt der Audio- und Videoübertragung belegten knapp 70 MByte auf der lokalen Festplatte. Eine Video-Recording-Funktion haben wir im getesteten Citrix-System allerdings nicht gefunden
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Vorteile des Recordings sieht Anton Döschl von Cisco etwa bei Schulungen, die später aus der Konserve bei Bedarf am PC wiederholt werden können. So können verhinderte Teilnehmer verpasste Meetings später ganz oder in Auszügen am PC betrachten. Selbstverständlich muss das Recording vor Beginn der Konferenz aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre der Teilnehmer und aus Datenschutzgründen angekündigt werden. Zudem werde den Teilnehmern durch ein Symbol signalisiert, dass ein Recording stattfindet, so Döschl.

Dem Manager zufolge kann mit WebEx, aber auch mit der Cisco Telepresence-Lösung, jedes Meeting per Knopfdruck aufgezeichnet werden. Gespeichert werden alle Inhalte, wie Audio, Video und die geteilten Daten, sprich Präsentationen, Applikationen, Excel, Word, et cetera, was immer an Inhalten über Desktop-Sharing geteilt wird. Sprache braucht im Schnitt 30 MB Speicherplatz pro Stunde, 720p-Video dagegen 987 MB: Das ist das 33-Fache. Video ist ein Speicher- und Bandbreiten-Fresser.

Viel mehr als bunte Videobilder

So ein Web-Collaboration-Tool birgt große Rationalisierungs-Chancen, erhöhte Reaktionsfähigkeit, aber auch enorme Gefahren für die Datensicherheit in sich, wenn externe Mitarbeiter nach entsprechender Freigabe durch den Klick einer Maus auf interne Rechner in der Zentrale zugreifen können. Das ist viel mehr, als nur mal eine schöne, bunte Videokonferenz, bei der man sieht, wer gerade mal wieder wie schön geschminkt oder wie gut rasiert ist. Die auf den ersten Blick eher harmlos wirkende Collaboration-Komponente hat es in sich, denn wer von extern die Kontrolle über Maus und Tastatur eines internen Mitarbeiter-PCs bekommt, kann damit vielleicht viel Gutes, aber sicher auch viel Blödsinn anstellen.

Also Vorsicht bei dessen Einsatz! Das Web-Collaborating erfordert Mitarbeiter, die genau wissen, was sie tun, wenn sie externe Mitarbeiter ganz legal an ihre internen Rechner heran lassen. Dagegen ist das bunte Nur-Video-Conferencing geradezu harmlos: Da sieht man "nur" Gesichter, Wandkalender, Papierstapel und vielleicht ein paar Blümchen auf dem Sideboard, aber keine wirklich unternehmenskritischen Daten wie beim echten Web-Collaborating.

BT verkoppelt große und kleine Meeting-Systeme

Viele UCC-Clients eignen sich nicht nur für Punkt-zu-Punkt-Konferenzen mit derselben Lösung an beiden Enden. Man kann damit auch Home-Office-Mitarbeiter sehr gut in die Firmen-Infrastruktur einbinden. "Wir machen das regelmäßig mit unserem Video-Bridging-Service, der ja unterschiedlichste Endgeräte kombinieren kann", sagt Boris Kaapke, Pressesprecher von BT Germany: "Gestern zum Beispiel: Cisco TelePresence in München, Hamburg und Stuttgart sowie Polycom OTX in München, das sind die großen Systeme für Konferenzräume. Dazu Home-Office-Kollegen, die sich per WebEx via DSL einwählen. Geht prima. Und die Home-Worker sind nicht mehr vom Geschehen abgeschnitten".

Philips-4K-Ultra-HD-Fernseher für Video-Konferenzen

Die jüngsten Philips-4K-Ultra-HD-Fernseher mit Quad-Core- und Hex-Core-Prozessoren könnten dank Android-Betriebssystem und Skype-App auch bald an dienstlichen Telekonferenzen teilnehmen
Foto: Harald Karcher

Inzwischen gibt es auch die ersten Philips-4K-Ultra-HD-Fernseher mit Quad-Core- oder Hex-Core-Prozessoren. Darauf läuft ein Android-Betriebs-System. Das bietet Zugang zu beliebten Google Diensten und Funktionen, wie Google Chrome Browser, YouTube, Google Movies, Google Music und Google Search. Natürlich laufen auf einer so starken Hardware-Basis auch Apps wie Maxdome, Spotify, Dropbox und Skype flott und flüssig, sofern der Internet-Anschluss schnell genug ist und die Server im Web nicht überlastet sind. Vielleicht werden die ersten Home-Office-Worker ja bald vom 4K-Fernseher an dienstlichen Tele-Konferenzen teilnehmen. Allerdings soll es Firmen geben, die Endgeräten mit Skype und Google Chrome gar keinen Zugang zum Unternehmensnetz gewähren. Der Sicherheit wegen. (mb)