Erste Meile bereitet Kopfzerbrechen

16.08.2002
Die drahtlose Datenübertragung und Ethernet in the First Mile, kurz EFM, waren die zentralen Themen auf dem 73. Treffen der Projektgruppe 802 des "Institute of Electrical andElectronics Engineers". Wie sich herausstellte, sind vor allem bei EFM noch etliche technische Hürden zu überwinden.

Von: Dirk S. Mohl, Bernd Reder

Für die 10-Gigabit-Ethernet-Gruppe von Jonathan Thatcher war das jüngste Treffen des IEEE-802-Gremiums Mitte Juli in Vancouver (Kanada) geradezu erholsam. Denn am 12. Juli verabschiedete das Review Committee (Revcom) der Organisation, das für die Freigabe von Normen zuständig ist, den 10-Gigabit-Ethernet-Standard. So konnten die führenden Köpfe des Gremiums entspannt diverse Ehrungen entgegennehmen. Wohl zurecht, haben sie doch in einem 540 Seiten starken Werk beschrieben, wie die Datenübertragung mit 10 GBit/s über Ethernet funktioniert. Dafür legte sich die Gruppe noch einmal kräftig ins Zeug. Sie schaffte es, den Standard trotz einiger Schwierigkeiten mit der Jitter- und Taktgenauigkeit sowie der technischen Realisierung mit nur dreimonatiger Verspätung fertig zu stellen. Bei einer Projektlaufzeit von nur drei Jahren ist das ein respektables Ergebnis.

Um den Markt nicht zu verunsichern, gab es in Vancouver keine Anläufe, die Spezifikation zu erweitern. So wurde ein "Call For Interest" zurückgestellt, die Distanz beim Transfer über Lichtwellenleiter mit 1310 nm auf 40 beziehungsweise 80 Kilometer auszuweiten. Ebenfalls nicht auf der Tagesordnung standen höhere Datenraten. Das ist verständlich, weil derzeit die Backbone-Netze im Weitverkehrs- und Metrobereich nicht ausgelastet sind.

Erster Draft für Ethernet in the First Mile

Die Mannschaft von Howard Frazier, die Spezifikationen für Ethernet auf der Ersten Meile (Ethernet in the First Mile, EFM) erarbeitet, hat mittlerweile damit begonnen, den ersten Draft mit Inhalten zu füllen. Wie bei 10-Gigabit-Ethernet einigten sich die Mitglieder von IEEE 802.3ah darauf, nur eine Vollduplex-Übertragung vorzusehen. Die Gruppe hat sich in vier Untergruppierungen aufgeteilt: Die erste beschäftigt sich mit der Punkt-zu-Multipunkt-Übertragung, kurz P2MP, die zweite mit der physikalischen Schicht bei Punkt-zu-Punkt-Verbindungen über Lichtwellenleiter (P2P) und bei P2MP. Die dritte Sparte konzentriert sich auf "Operation, Administration and Maintenance" (OAM), die vierte auf den Datentransfer über Kupferkabel.

Am einfachsten hat es der Fachkreis, der Normen für EFM über optische Medien definiert, auch deshalb, weil dort kaum technisches Neuland betreten werden muss. Im Mittelpunkt steht der Datentransport mit 100 und 1000 MBits/s über Singlemode-Fasern. Natürlich geht es auch hier nicht ganz ohne Neuerungen: So ist angedacht, einen erweiterten Temperaturbereich festzulegen, der den Außeneinsatz erlauben soll. Zusätzlich werden Medien-Interfaces definiert, welche die Daten bidirektional über nur eine Faser übertragen. Die Verteilerstation (Optical Networking Unit, ONU) sendet dabei downstream immer im Bereich 1300 nm und empfängt Daten über 1500 nm. In der Empfangsstation (Optical Line Terminal, OLT) werden die Wellenlängen dann umgekehrt zugeordnet.

Derzeit versucht die Gruppe, das "Baseline-Wander-Problem" zu lösen. Es tritt auf, weil 100Base-X einen nicht ausbalancierten 4B/5B-NRZI-Code verwendet. Dieser kann bei bestimmten Bit-Kombinationen im originalen Datenstrom zu einer Überzahl an Nullen oder Einsen führen.

Probleme mit dem Schichtenmodell

Die OAM-Gruppe befasst sich mit der Definition der Managementfunktionen. Dazu zählt die "Remote Failure Indication". Es geht dabei um das Erkennen eines Downstream-Fehlers. Wird beispielsweise die Verbindung von der Verteilerstation zur Endstation unterbrochen, erkennt nur die Endstation den Fehler. Sie sendet daraufhin "remote" die Information über den Fehler über die noch funktionierende Upstream-Leitung zurück. In der nächsten Stufe kommt der "Remote Loop-back" hinzu. Dies sind Tests mithilfe von Pings und Loop-back-Paketen. Sie geben Aufschluss darüber, ob eine Verbindung in beiden Richtungen funktioniert. Der dritte Punkt, den die Arbeitsgemeinschaft behandelt, ist das Link Monitoring. Vorgesehen ist, auf die Attribute des entfernten Partners zugreifen zu können, um so aus der Ferne den Zustand der Verbindung zu überwachen.

Mit ganz anderen Schwierigkeiten sieht sich die Punkt-zu-Multipunkt-Gruppe konfrontiert. Sie "kämpft" gerade damit, diese Funktion in das bestehende Schichtenmodell zu integrieren. Punkt zu Multipunkt bedeutet zwar physikalisch die Verbindung von einem Punkt mit mehreren anderen. Logisch betrachtet, finden jedoch auf der MAC-Schicht mehrere parallele Punkt-zu-Punkt-Übertragungen statt. Deshalb müssen auf Seite der ONU mehrere logische MAC- Einheiten gebildet werden. Leider ließ sich bisher noch keine Einigkeit darüber erzielen, wie dieses neue Schichtenmodell aussehen soll. Da diese Funktion stark in den Bereich der Bridge-Funktionen hineinspielt, findet ein intensiver Informationsaustausch mit der Gruppe 802.1 (Higher Layer Interface) statt.

Probleme ergaben sich bei EFM auch im Zusammenhang mit der Übertragungstechnik. Bei den vergangenen Meetings hatten sich die Mitglieder der EFM-Gruppe darauf verständigt, Distanzen von bis zu 750 Meter über Kupferkabel mithilfe des Very-High-Speed-Digital-Subscriber-Line-Verfahrens (VDSL) zu überbrücken. VDSL unterstützt Datenraten von 10 MBit/s. Eine Untersuchung der Telecommunications Industry Association (TIA) ergab jedoch, dass dann in Nordamerika nur etwa 16 Prozent der Teilnehmer erreicht würden. Ähnliche Resultate sind für Europa zu erwarten. Deshalb beschloss die Arbeitsgruppe, zusätzlich eine Spezifikation für 2700 Meter auszuarbeiten, jedoch nur für eine Datenrate von 2 MBit/s.

Doch nun stellte sich die Frage, welches Übertragungsverfahren für diese Entfernung gewählt werden sollte. Dies ist eine technische Entscheidung, und in solchen Fällen schreibt das IEEE-Reglement vor, dass 75 Prozent der Mitglieder einer Arbeitsgruppe zustimmen müssen. Um einen Abstimmungsmarathon zu verhindern, einigte sich die EFM-Gruppe darauf, nur noch ADSL (Asymmetric Digital Subscriber Line) und SHDSL (Single-Pair High-Speed Digital Subscriber Line) in Betracht zu ziehen. Beide Verfahren erlauben bei Entfernungen von 2700 Metern die gewünschte Datenrate von 2 MBit/s. In diesem Fall ist zudem noch genügend Bandbreite vorhanden, um über die Verbindung zusätzlich herkömmliche Telefonservices (Plain Old Telephone Services) bereitzustellen.

Ehrgeiziger Zeitplan

Version 1.0 des Normentwurfs soll in Kürze fertig sein. Vorläufig geht die Gruppe davon aus, dass der Standard im September 2003 verabschiedet wird. Es ist jedoch fraglich, ob dieser ehrgeizige Zeitplan einzuhalten ist.

Funknetze im Aufwind

Der Aufwärtstrend bei der drahtlosen Datenübertragung ist auch am IEEE-802-Gremium nicht spurlos vorüber gegangen. So nahmen alleine an den Sitzungen der für Wireless LANs zuständigen Working Group 802.11 etwa 400 Experten teil, mehr als an den Meetings der Ethernet-Gruppe 802.3. Alle Arbeitskreise, die sich mit drahtlosen Übertragungstechniken beschäftigen, haben in den vergangenen Monaten Standards vorgelegt, darunter 802.11b für WLANs mit 11MBit/s bei 2,4 GHz und 802.11a bis 54 MBit/s bei 5 GHz. Zusätzlich steht IEEE 802.15.1 für Wireless Personal Area Networks (WPANs) zur Verfügung, eine Adaption der Bluetooth-Spezifikation, außerdem mit 802.16 (Broadband Wireless Access, BWA) eine Spezifikation für Wireless Metropolitan Area Networks (WMAN).

In der Diskussion sind derzeit höhere Datenraten, beispielsweise 20 MBit/s bei Wireless LANs. An Bedeutung gewonnen hat zudem das Thema Mobilität, das die Arbeitsgruppe 802.16 aufgegriffen hat. Sie arbeitet an Lösungen für die Datenkommunikation von bewegten Objekten. Dazu zählen Fußgänger, aber auch fahrende Autos. Für das IEEE-802-Komitee ist dieses Thema so wichtig, dass es erwägt, es einer neuen Hauptprojektgruppe zuzuordnen, die direkt unter IEEE 802 angesiedelt ist.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der Wireless-LAN-Spezialisten ist die Zusammenarbeit mit den nationalen Regulierungsbehörden. So ist beispielsweise zu klären, welche Frequenzbänder des 5-GHz-Bandes für WLANs gemäß dem Standard 802.11a in Europa bereitgestellt werden. Im Juli gab die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) einen Teil dieses Bereichs für Funknetze frei. Ein weiterer Punkt betrifft die interne Organisation der Wireless-Fraktion innerhalb der IEEE-802-Gruppe: Es hat sich herausgestellt, dass es dringend geboten ist, die Arbeit der einzelnen Teams aufeinander abzustimmen, zumal einige an Techniken arbeiten, die das gleiche Frequenzband nutzen. Deshalb hat das IEEE-802-Komitee die Projektgruppe 802.18 eingerichtet, die Radio Regulatory Technical Advisory Group (RRTAG). Sie soll verhindern, dass sich 802.11, 802.15 und 802.16 gegenseitig "ins Gehege kommen".

Zur Person

Dirk S. Mohl

ist Leiter der Softwareentwicklung im Bereich Ethernet Networks im Unternehmensbereich Automation and Network Solutions der Hirschmann Electronics GmbH & Co. KG.