Rettung & Prävention

Erste Hilfe für sechs typische Datenverlust-Szenarien

28.11.2015 von Hermann Apfelböck
Ihre Daten sind in Gefahr, denn digitale Inhalte sterben milliardenfach. Schuld sind Datenträgerhardware, Medien, Schnittstellen oder fehlende Software-Interpreter – am häufigsten aber Benutzerfehler.

Verglichen mit Aufzeichnungen auf Papyrus, Pergament oder Papier sind moderne digitale Informationen extrem fehleranfällig und flüchtig. Anders als beim traditionellen Verschriftlichen und Drucken muss man bei der digitalen Aufzeichnung zu 100 Prozent davon ausgehen, dass die Daten nicht langfristig überleben, sofern ihr Überleben dem Zufall überlassen bleibt. Die Lesbarkeit elektronisch verarbeiteter Daten hängt von diversen technischen Komponenten ab: von der Integrität des Datenträgers (Medium), vom Funktionieren des Lesegeräts (Hardware), von der Anschlussmöglichkeit des Lesegerätes (Hardwareschnittstelle), vom Software-Interpreter (Anwendungsprogramm) und von der Systemsoftware (Betriebssystem). Letztlich kann allerdings nur aktive Pflege die Dateien bewahren. Lesen Sie hier einen Sensibilisierungsartikel, der die wichtigsten und nicht immer offensichtlichen Ursachen für digitales Datensterben anspricht.

1. Benutzerfehler und Schädlinge

Um digitale Daten in beliebiger Menge zu zerstören, genügt bekanntermaßen ein falscher Befehl oder ein versehentlicher Tastendruck bei einem unpassenden Dateiobjekt. Die Papierkorb-Rückversicherung aktueller Systeme hilft lediglich bei lokalen Datenträgern, ferner nur, wenn das Dateiobjekt in den Papierkorb passt, und darüber hinaus nur, wenn man den Fehler rechtzeitig bemerkt. Wenn nicht, werden die in den Papierkorb-Ordner verschobenen Daten bald endgültig gelöscht. Mit einer manuell vergrößerten Papierkorb-Kapazität erhöhen Sie die Sicherheit nur relativ.

Eine verbreitete Methode der Datenvernichtung sind voreilige Neuinstallationen, wenn das Betriebssystem nicht fehlerfrei läuft. Die Tatsache, dass ein System nicht mehr lädt, ist kein Anlass für eine Installation, die bekanntlich die Zielpartition oder Festplatte komplett überschreibt. Sofern kein Hardwaredefekt das Problem verursacht, kommen Sie mit dem Windows-Notfallsystem („Computer reparieren“) oder mit einem Linux-Live-System auf jeden Fall noch an die Benutzerdaten heran.

Moderne Viren und Trojaner verfolgen im Unterschied zu ihren historischen Vorgängern selten das Ziel der Datenvernichtung. Die Möglichkeit, das zu tun, besteht natürlich weiterhin.

Das am stärksten gefährdete System Windows bringt aber in den neueren Versionen 7 und 8 im Prinzip ausreichende Schutzmaßnahmen mit (Firewall, Defender, Smartscreen-Filter, Benutzerkontensteuerung und Auto-Update).

2. Mediendefekte und Haltbarkeitsdaten

Größere Firmen speichern Daten via Streamer auf Magnetbänder mit langfristiger Haltbarkeit Ansonsten gibt es kaum Medien, die sich für eine Langzeitarchivierung eignen (mehr als zehn Jahre). Mit den Magnetbändern mithalten kann nur Iomegas Jaz-Nachfolger Rev mit etwa 30 Jahren Haltbarkeit. Der verbreitete Rest der Medien hält die Daten höchstens zehn Jahre sicher. Wie die nachfolgende Übersicht zeigt, besteht bei wichtigen Daten auf den meisten digitalen Medien Handlungsbedarf:

Alte Disketten sichten und kopieren: Preisgünstige externe Laufwerke machen alte 3,5-Zoll-Disketten wieder lesbar.
Foto: Amazon.de

Disketten sollten theoretisch Daten fünf bis zehn Jahre sicher halten. Die Ausfälle beginnen jedoch bereits viel früher, nämlich nach zwei bis drei Jahren. Was alte Disketten anbelangt, so geht die Ausfallkurve stetig auf 100 Prozent.

Für optische Medien (CD, DVD, Blu-ray) sind nicht nur Kratzer, sondern auch Aufkleber sowie direkte Sonneneinstrahlung Gift. Selbst gebrannte CDs, DVDs und Blu-rays sollten zwar bei optimaler Lagerung (konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit, kein Lichteinfall) etwa 50 Jahre halten. In der Praxis erfüllen sie das aber nicht annähernd. Künstliche Alterungstests sowie Erfahrungswerte legen es nahe, optischen Medien selbst bei sachgemäßer Lagerung schon nach drei bis fünf Jahren zu misstrauen.

Iomegas Zipund Jaz-Disketten halten Iomega zufolge zehn Jahre – eine Herstellerangabe, die ausnahmsweise realistisch ist. Die bereits genannten Iomega-Rev-Medien bringen es dagegen auf geschätzte 30 Jahre.

USB-Sticks und Flash-Speicher-Medien allgemein haben den großen Vorteil, dass sie sehr robust gegenüber physikalischen Einflüssen sind (Aufprall, Transport). Ein Problem ist aber die begrenzte Zugriffshäufigkeit: Die Lebensdauer sinkt bei intensiver Nutzung, und abhängig davon sind zwei bis zehn Jahre zu veranschlagen. Mechanische Festplatten zeigen bei der Ausfallstatistik eine Kurve, die einer Badewannenform ähnelt: Zu Beginn ist die Ausfallquote recht hoch, in der mittleren Phase sinkt sie für etwa fünf Jahre deutlich ab, um danach wieder kontinuierlich anzusteigen. Wenn eine Festplatte also das erste Betriebsjahr überlebt („Säuglingssterblichkeit“), läuft sie wahrscheinlich auch die nächsten Jahre zuverlässig. Erst dann beginnt die kontinuierlich steigende „Alterssterblichkeit“. Bei Festplatten spielt jedoch die Nutzung eine erhebliche Rolle: Eine reine Datenfestplatte hat selbst bei intensiver Nutzung kaum ein Zehntel dessen zu leisten, was das Betriebssystem auf seiner Partition fordert. Daher ist eine physikalisch unabhängige Datenplatte immer von Vorteil.

3. Obsolete Schnittstellen und Medien

Obsolete IDE-Festplatten: Ein IDE-to-USB-Adapter holt alte Datenbestände auf moderne Rechner, die nur noch SATA-Anschlüsse enthalten.
Foto: Amazon.de

Intakte Datenträger nützen nichts, wenn die passende Hardware fehlt oder die Hardwareschnittstelle veraltet ist. Was alten Schallplatten, Videokassetten und Magnettonbändern schleichend widerfährt, gilt beschleunigt für digitale Speichermedien: Die 5,25-Zoll-Floppy ist komplett out, ebenso die 3,5-Zoll-Diskette, weil die passenden Laufwerke fehlen. Bei den 100-MB- und 250-MB-Disketten für Iomegas Zip-Laufwerke muss nicht nur das alte Zip-Laufwerk noch funktionieren: Auf neueren PCs fehlt außerdem die parallele Schnittstelle zum Anschließen. Für alle genannten Probleme gibt es preisgünstige Laufwerke und Adapter (5 bis 20 Euro), die den Datenzugriff über USB ermöglichen. Die Qualität dieser Hilfsmittel ist meist allenfalls ausreichend, genügt aber zur Rettung alter Datenbestände.

4. Dateien mit veralteten Datenformaten

Dbase IV unter Windows 8.1: 32-Bit-Windows besitzt immer noch das veraltete 16-Bit-Subsystem. Damit laufen auch uralte Veteranen.

Proprietäre Binärformate wie Dbase, Ami Pro oder Word sind nur nutzbar, solange die dazugehörigen Software-Interpreter noch existieren. Die Probleme verschärfen sich, wenn zum Betrieb dieser Programme ein veraltetes 16-Bit-Subsystem wie eine virtuelle DOS-Maschine erforderlich ist. Software- und Betriebssystemherstellern wie Microsoft ist in diesem Punkt bislang nicht viel vorzuwerfen, weil sie solche Subsysteme bis dato mitschleppen und durch Konverter auf Abwärtskompatibilität achten. Trotzdem schlägt natürlich für jedes veraltete proprietäre Datenformat irgendwann das letzte Stündlein.

Konkret bieten 32-Bit-Varianten von Windows bis zum aktuellen Windows 8.1 nach wie vor ein 16-Bit-Subsystem, die 64-Bit-Varianten hingegen nicht mehr. Hier sind uralte Programme wie beispielsweise Dbase oder 16-Bit-Compiler folglich nicht mehr lauffähig. Liegt kein 32-Bit-Windows mehr vor, hilft auch ein Linux mit den Werkzeugen Wine und Playonlinux, da die betreffenden Alt-Programme selbst wenig Ansprüche erheben und häufig ohne Installation durch schlichtes Kopieren in die Wine-Laufzeitumgebung startfähig sind.

Software-Museum zum Download: Die Site www.vetusware.com sammelt Interpreter für längst ausgestorbene Datenformate (Lat. vetus = alt).

Fehlt die alte Software selbst, gibt es mit der Website www.vetusware.com eine gute Anlaufstelle. Die wichtigsten Oldies werden Sie dort finden. Der Download erfordert eine Registrierung mit gültiger Mailadresse.

5. Verschlüsselte Dateien und Verlust des Schlüssels

Datenverschlüsselung hat Hochkonjunktur, seit das Ausmaß der internationalen Spionage bekannt ist und Daten auf Cloud-Servern als mehr oder weniger öffentlich gelten müssen. Der löbliche Trend zur Verschlüsselung hat jedoch eine Kehrseite: Unzählige verschlüsselte Dokumente werden unbrauchbar, weil die Anwender den Zugangsschlüssel verlieren. Am häufigsten geschieht das dadurch, dass die Kennwörter vergessen werden. Ein weiterer Grund ist die Verwendung eines Verschlüsselungsprogramms, das es Jahre später nicht mehr gibt oder an das man sich nicht mehr erinnert. Hinzu kommen Sonderfälle wie beispielsweise die interne EFS-Verschlüsselung unter Windows, die nach einer Neuinstallation oder einem Wechsel des Benutzerkennworts die Daten nicht mehr preisgibt.

Gegen dieses fehlerhafte Aussperren hilft nur der bewusste Umgang wie bei allen kryptografischen Handlungen: Verwenden Sie am besten nur eine bewährte Software, und dokumentieren Sie die benutzten Kennwörter (oder den Wiederherstellungsschlüssel) an einem sicherem Ort. Denken Sie an das Entschlüsseln der Daten vor einem Systemwechsel: Windows versteht kein Linux-LUKS oder EncFS, Linux kein Bitlocker oder EFS.
Digitale Rechte: Ein Sonderfall verschlüsselter Daten sind Film- oder Audiodaten mit digitalen Rechte-Informationen (Digital Rights Management, DRM). Auch diese verursachen Haltbarkeitsprobleme. Erstens müssen sowohl die Abspielhardware als auch die Software das jeweilige DRM-Konzept unterstützen, zweitens ist einfaches Kopieren ohne die Lizenzinformation zwecklos. Und drittens steht es in den Sternen, ob ein heutiger Lizenzserver auch in 20 Jahren noch existieren wird. Vermeiden Sie deshalb DRM-geschützte Daten. So besteht etwa bei Audioformaten mit DRM immer die Möglichkeit, die Daten auf Audio-CD zu brennen und dann in ein offenes OGG oder in ein DRM-freies MP3 zu rippen.

6. Tipps für das Archivieren und Konvertieren

Professionelle Ansprüche an eine Langzeitsicherung sind erstens verlustfreie Lesbarkeit durch periodische Migration auf neue Plattformen und Medien, zweitens Fälschungssicherheit durch Zugangskontrolle und drittens Erhalt des Dokumentformats. Für normale Anwender ist der einzige maßgebliche Anspruch die verlustfreie Lesbarkeit: Die Daten sollten komplett und in voller Qualität zugänglich bleiben.

Fälschungssicherheit ist in einem praktikablen Rahmen wünschenswert: Änderungen am Bestand sollten möglichst kontrolliert stattfinden.

Dies und die genannten Ursachen für das Datensterben führen zu folgenden, zum Teil trivialen Regeln:

1. Von wirklich wertvollen Benutzerdateien benötigen Sie mindestens eine Kopie, besser zwei, und zwar auf unabhängigen Datenträgern.

Eines der Backups sollte räumlich getrennt vom Original aufbewahrt werden – entweder im Büro oder bei Verwandten oder auch (verschlüsselt) bei einem Cloud-Anbieter. Kostenlose Cloud-Anbieter wie Google oder GMX übernehmen jedoch keine Garantie, und die erlaubte Datenmenge, vor allem aber die Upload-Geschwindigkeit, ist relativ mager. Nicht zuletzt müssen Sie durch Verschlüsselung für Zugangssicherheit sorgen. Deshalb eignen sich Backups auf kostenlose Cloud-Speicher nur für geringe Datenmengen.

2. Externe Festplatten sind im privaten Umfeld sowie im Kleinbetrieb das bevorzugte Backup-Medium: Sie sind zuverlässiger als optische Medien und kostengünstiger als Streamer, darüber hinaus bieten sie wahlfreien Zugriff beim Austausch einzelner neuer oder geänderter Dateien. Durch große Kapazitäten entfällt viel Organisationsaufwand (Nummerierung, Medienwechsel). Möglichst gleich große Platten mit demselben Dateisystem verringern zusätzlich den Aufwand und Fehlerquellen. Mechanische Backup-Festplatten sollten Sie alle drei Monate anschließen, um die Viskosität der Lagerflüssigkeit zu erhalten.

3. Ein Raid-Verbund mehrerer Platten automatisiert zwar eine erste Datenspiegelung, bringt allerdings auch Nachteile mit sich. Denn das Backup ist räumlich nicht getrennt, und Fehler werden gespiegelt. Eine unabhängige dritte Kopie ist unerlässlich.

4. Digitale Daten können verloren gehen, ohne dass man es zunächst bemerkt. Daher müssen Sie vor jedem Datenabgleich die Vorschaufunktion von Synchronisierungssoftware nutzen. Selbst einfache Bordmittel wie Xcopy und Robocopy (Schalter /L) bieten solche Optionen. Besonders wichtig ist ein solcher Testlauf vor einer Mirror-Synchronisierung, wie sie etwa „robocopy /mir“ unter Windows oder „rsync –delete“ unter Linux anbieten. Hier wird nicht nur Fehlendes im Zielpfad ergänzt, sondern auch Überzähliges gelöscht, und das macht die Aktion ohne Vorschaukontrolle immer wieder zur Massenvernichtungswaffe.

5. Analysieren Sie vor dem Umstieg auf neue Anwendungs- oder Systemsoftware, ob damit wichtige Datenformate unzugänglich werden. Wer vor dem Umstieg konvertiert, ist später nicht auf fremde Hilfe oder auf kostenpflichtige Dienstleister angewiesen.

6. Ein marginales Problem sind Dateisysteme: Festplatten mit Apples HFS+ lassen sich nicht einfach unter Windows mounten und das Linux-Dateisystem Ext2 nicht ohne Weiteres unter Windows. Auch hier hilft rechtzeitiges Umkopieren auf ein Dateisystem wie FAT(32), das alle Systeme verstehen. Ein ernstes Problem stellt ein nicht lesbares Dateisystem jedoch nicht dar: Es gibt Zusatzkomponenten, um solche Fremdpartitionen zu mounten, und es handelt sich um verbreitete Dateisysteme, deren Daten Sie notfalls auch bei Bekannten oder Kollegen schnell kopiert haben.

(PC-Welt/ad)