El Dorado oder Groschengrab

16.10.1998
Kein anderer Bereich wird mit soviel öffentlicher Aufmerksamkeit verfolgt wie die Internet-Telefonie. Auf den Einsatz im Unternehmen bezogen gelten aber andere Maßstäbe. Deshalb gilt es hier, zu differenzieren, um kostengünstige und akzeptable Anwendungen der Computertelefonie herauszufiltern - zum Beispiel Unified Messaging oder Fax über IP.

Von: Hans-Jörg Schilder

Nach zwei Gateway-Aktionen, auf denen die Internet-Telefonie unseren Lesern vorgestellt wurde, läßt sich eines feststellen: Das Interesse war riesengroß. Aber das Fachwissen über die Technik, Sprache in Paketen zu versenden, unterschied sich immens. Es reichte von dem Hardware-Experten, der sich genau nach den technischen Funktionen erkundigte, bis hin zum Laien, der sich nicht vorstellen kann, ein Telefonat über das Internet zu führen.

Darüber hinaus gab es auch eine Nachfrage von Unternehmen, die sich für die preiswerte Übertragung interessierten. So wollten beispielsweise die EDV-Experten einer ostdeutschen Klinik ihre internen Sprachverbindungen über Internet-Telefonie abwickeln. Das macht aber nur Sinn, wenn die betreffenden TK-Anlagen über ein Telefonie-Gateway, das an einer Nebenstelle angeschlossen ist, miteinander verbunden werden. So läßt sich der Verkehr umleiten. Hier muß jedoch ein Vertrag mit dem Internet-Service-Provider (ISP) ausgehandelt werden, der einen hohen Quality of Service (QoS) garantiert. Darüber hinaus läßt sich dieser Anschluß nur für Punkt-zu-Punkt-Verbindungen nutzen, ohne zusätzliche Services wie Rufnummernübermittlung oder Makeln, die beispielsweise im ISDN selbstverständlich sind. Alternativ ist für diesen Einsatzfall wohl die Anwendung eines Multiplexers angeraten.

Wählverbindung oder Paketübertragung?

Die Kernfrage bei der Internet-Telefonie betrifft immer die Methode: Soll eine geschaltete Wählverbindung mit einer definierten Bandbreite und vorhandenen Services wie zum Beispiel im ISDN üblich benutzt werden, oder reicht eine paketweise Übertragung über das Intranet/Internet aus? Oft reichen nämlich für interne Gespräche oder für ein Schwätzchen mit Freunden geringere Übertragungsqualitäten aus. Allerdings muß dafür neben dem normalen Telefon eine zweite Ausrüstung (entweder Headset/Soundkarte oder ein an den PC angeschlossenes Telefon) vorgehalten werden.

Technisch steckt hinter der IP-Telefonie die Aufteilung des Sprachflusses in Pakete, die zehn bis 50 Millisekunden gesprochene Informationen enthalten. Für einen normalen Anruf entstehen auf diese Weise 20 bis 40 Sprachpakete pro Sekunde. Diese Informationen werden mit einem Header versehen und an die Gegenstelle verschickt. Auf diesem Weg passieren die Pakete etwa zwei bis maximal 30 Router, was jedesmal Zeit kostet.

Deshalb läßt sich in einem Unternehmensnetz die Qualität besser kontrollieren als im globalen Internet. An diesem Punkt gehen auch die Expertenmeinungen auseinander. Die meisten stimmen darin überein, daß sich das Internet in seiner jetzigen Form nicht für Sprach- oder Faxübertragungen eignet. Einige vergleichen das Intranet mit dem "Klima im Gewächshaus" und das Internet mit dem globalen Wetter. Folgende Faktoren beeinflussen die Übertragungsqualität:

Packet Delay (Paketlaufzeit): Die Zeitspanne in Sekunden, den Host A braucht, um über den Link L ein Bit an den Host B zu senden. Im Telefoniebereich wird damit die Zeit bezeichnet, die verstreicht, sobald der Partner zu reden beginnt und der Angerufene die erste Silbe versteht. Jitter: Die Summe der Abweichungen, gemessen in Sekunden, die bei der Übertragung von Host A zu B in der Ende-zu-Ende-Übertragungszeit entsteht. Meistens ist der Jitter direkt proportional zum Zeitversatz. Packet Loss (Paketverlust): Anzahl der Pakete (in Prozent), die zwar den Host A verlassen, aber beim Host B nicht ankommen. Dank ausgeklügelter Interpolationstechniken lassen sich drei bis fünf Prozent an verlorenen Paketen akzeptieren.

Etwas höhere Anforderungen als das menschliche Ohr hat die Faxübertragung an die Übertragungsqualität. Hier hat beispielsweise die ITU im Standard G.114 einen Wert von 200 Millisekunden für die Sprachübertragung festgelegt. Das Faxprotokoll T.30 reagiert sehr sensibel auf Delays. So benötigt die Bestätigung, daß eine Seite vollständig übertragen ist, zwischen 200 bis 300 Millisekunden. Die Netzwerkperformance sollte einen Paketverlust von weniger als vier Prozent aufweisen. Tests haben gezeigt, daß Paketverluste von 15 Prozent zu einem 100prozentigen Ausfall führen. Der Technologie-Konzern Lucent hat zu dieser Thematik eine eigene Web-Site aufgebaut, die sich unter http://www.lucent.com/internet_telephony erreichen läßt.

Faxservices über das Internet

Die Kombination von E-Mail und Fax propagiert der amerikanische Service-Anbieter Unifi als seine Spielart des Unified Messaging. Mit dem "E-F@x" soll dem Mitarbeiter der Weg zum Faxgerät und zum Drucker erspart werden. Dies soll zu Einsparungspotentialen von 60 Prozent der Kosten führen, die mit der Faxkommunikation zusammenhängen. Der Dienstleister reduziert die Zeit für den Versand einer Faxseite von 6,8 Minuten auf 1,8 Minuten. Die Datenübertragung selbst erfolgt über das Unifi-eigene weltweite Netzwerk. Ein nochmaliges Absenden durch den Anwender bei diesen Übertragungsgeschwindigkeiten ist nicht vonnöten und seine Verbindung steht sofort wieder für andere Dienste zur Verfügung. Einmal abgeschickt übernimmt der Service-Anbieter sämtliche Aufgaben wie mehrmalige Wählversuche, die Weiterleitung von Empfangsbestätigungen oder den Hinweis auf nichtexistente Faxnummern.

Unified Messaging mit Virenschutz

Welche Funktionen die Kommunikationsserver beherrschen, zeigt der "C3-Messenger" von Comon in Hamburg. Da über den C3-Server sowohl Daten aus dem Internet als auch aus dem ISDN geroutet werden, ist gerade hier der Virenschutz ein Thema. Deshalb verfügt die Version 3.0 über ein Virenscan-Modul, arbeitet aber auch mit allen gängigen Virenscan-Produkten zusammen.

Das Virenscan-Modul schützt den C3-Server mit der Adreß- und Dokumentendatenbank gegen Viren aus allen Richtungen. Alle Eingänge, die über ISDN, Internet oder über andere Dienste kommen, werden von der Antivirensoftware gescannt. Jede Datei wird vor der Ablage in der Datenbank untersucht und je nach dem Ergebnis entweder durchgelassen oder in einem vordefinierten Quarantäne-Verzeichnis geparkt. Falls Viren gefunden werden, geht dem Systemadministrator eine Meldung zu, die Aufschluß über die Herkunft der virusbefallenen Datei gibt.

Aber auch Sendeaufträge, die am C3-Client oder am Mail-Client unter MS-Exchange, Lotus Notes oder SAP anfallen, werden untersucht. Damit läßt sich zum einen vermeiden, daß über Diskettenlaufwerke Viren in Umlauf und auf den Server in die Datenbank geraten, zum anderen gelangen keine virusbefallenen Dateien an außenstehende Empfänger.

Doppelte Leitung mit Sprechverbindung

Die bessere Ausnutzung der Internet-Verbindung hat sich Ericsson auf die Fahnen geschrieben. In diesem Sinne bietet der "Phone Doubler" eine zusätzliche Nutzung der Verbindung zum Internet an. Lediglich mit einer kostenlosen Client-Software lassen sich auf diese Weise Sprachverbindungen zu analogen Gegenstellen aufbauen.

Voraussetzung ist jedoch ein Internet-Voice-Gateway, das beim Provider sitzt. Damit sollen sich etwa 5000 Internet-Nutzer auf einem Server mit Sprachdiensten versorgen lassen. Dabei richtet sich die Kapazität des Servers nach der benutzten Hardware: Entweder 23 oder 30 gleichzeitige Verbindungen lassen sich managen. Die Übertragungsqualität soll besser als die eines GSM-Handys sein.

Literaturhinweise

[1] Schilder, Hans-Jörg: Zwischen Gimmick und Größenwahn; Gateway 7/97, Seite 40 [2] Martens, Robert: Faxe in Paketen; Gateway 1/98, Seite 88 [1] Lucent Technologies: Impact and Performance of Lucents Internet Telephony Server over IP Networks; November 1997