Ein Rahmen für Fachdaten

24.03.2000
Mit der Meta-Sprache XML wird das E-Business auf eine neue Basis gestellt. Mit Hilfe der anwendungsspezifischen Tags lassen sich Daten ohne Einschränkung austauschen. Viele Hersteller haben bereits erste XML-Server und -Tools auf den Markt gebracht.

Von: Frank Jung

Die Experten sind sich einig: Der neue Web-Standard XML hat das Zeug, die Zukunft des Web auf eine ganz neue Basis zu stellen. Der "alte" Standard HTML, der die Darstellung der Web-Seiten und die Links zu anderen Seiten steuert, ist für die kommenden Anforderungen nicht mehr ausreichend. Mit den Anwenderzahlen sind auch die Ansprüche gewachsen und HTML stieß allmählich an seine Grenzen.

Hier setzt XML an. Die Sprache stellt nur einen Rahmen, ein Definitionsmuster zur Verfügung, mit dem jeder Anwender seine eigenen Tags festlegen kann. Es ist also eine Metasprache, eine Art Grammatik, mit der Markup-Sprachen eingerichtet werden können, die wegen ihrer gemeinsamen Basis aber untereinander kompatibel bleiben.

Was im Einzelnen als konkrete XML-Anwendung festgelegt wird, darauf müssen sich die für Anwendungsbereiche zuständigen Industrievereinigungen, Fachverbände und so weiter einigen. Es gehört zu den Grundgedanken von XML, Inhalt und Darstellung völlig zu trennen. Eine direkte Umsetzung von XSL in HTML ist möglich.

Während bisher Suchmaschinen das Web mehr oder weniger wahllos im Volltextmodus absuchen, können Suchmaschinen auf XML-Basis Dokumente ganz gezielt nach bestimmten Inhalten durchsuchen.

Die anwendungsspezifischen Tags sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn alle in Frage kommenden Nutzer sie kennen und sich daran halten. Die Benutzergruppen sind deshalb bei der Ausgestaltung von XML von entscheidender Bedeutung. Mittlerweile arbeiten daher zahlreiche Institutionen, Gremien oder Verbände an spezifischen XML-Anwendungen. Es existieren bereits Definitionen für das Gesundheitswesen, für kommerzielle Informationen, für geografische Daten, für chemische Strukturen und andere Bereiche.

XML und XML-Server

Für den Einsatz im Rahmen von E-Business-Anwendungen ist wichtig, dass XML die unmittelbare maschinelle Weiterverarbeitung von Daten möglich macht. Eine Applikation kann sich Informationen direkt aus dem Web holen, sie verarbeiten und das Ergebnis wieder bereitstellen. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise ganze Supply-Chains über das Web realisieren.

Bisher werden XML-Dokumente konventionell gespeichert und verwaltet, vor allem in File-Systemen.

Auch die Speicherung von XML-Informationen in relationalen SQL-Datenbanken ist keine Lösung von Dauer, denn die Konvertierung der XML-Objekte, die meist komplexe Strukturen aufweisen, in relationale Tabellenstrukturen ist aufwändig und unflexibel. Die dynamische Selbstbeschreibung der Dokumente ließe sich im relativ starren Tabellen- und Relationengerüst der SQL-Datenbanken nicht adäquat abbilden. Auch die Implementierung von Baumstrukturen stellt in einem relationalen Datenmodell ein Problem dar. Um die hierarchische Staffelung von Informationen, die XML in beliebiger Tiefe unterstützen, in relationalen Datenbanken wiederzugeben, müssten umfangreiche Tabellenverknüpfungen nicht nur eingerichtet, sondern auch verwaltet werden. Gerade die spezifischen Vorteile von XML würden so verloren gehen. Für die kommenden Anforderungen im Bereich E-Commerce oder E-Business reicht das nicht aus, denn hier fallen XML-Dokumente in solchen Mengen an, dass Performance-Probleme unvermeidlich sind.

Um Flexibilität und Performance in der Datenspeicherung zu sichern, bedarf es spezieller Server, die XML direkt verarbeiten können, ohne Konvertierung in andere Modelle. Allerdings gibt es darüber, was ein XML-Server eigentlich ist und wofür er sich einsetzen lässt, noch recht unterschiedliche Auffassungen. Die Marktforscher der Giga Group haben eine erste Sichtung der verfügbaren Konzepte vorgenommen und eine Marktsegmentierung versucht. Nach Ansicht der Analysten lassen sich die Server in vier funktionelle Gruppen einteilen:

Die erste sind Server zur Formatierung und Präsentation von XML-Dokumenten. Wer bereits jetzt XML-Dokumente verwendet, ist auf die Umsetzung in HTML angewiesen, um die Daten verfügbar zu haben. Zahlreiche Anbieter von Produkten im Bereich Web-Publishing stellen XML-Support zur Verfügung, darunter etwa Inso, Vignette, Broadvision und Omnimark. Künftig müssen auch Server XML-Dokumente parsen und bearbeiten können. Die Software AG lizenziert die ihren Produkten zugrunde liegende XML-Speichertechnik auch an Dritte. Das ermöglicht auch anderen Servern oder Anwendungen, Informationen direkt im XML-Format zu speichern.

Die zweite Gruppe besteht aus Servern, die eine Verbindung zu bestehenden Systemen bieten. Wie bei allen neuen Standards muss XML Anschluss an die Welt der bestehenden Informationssysteme finden, beispielsweise ERP (Enterprise Resource Planning) oder EDI (Electronic Data Interchange). Niemand kann und will seine Systeme von heute auf morgen komplett auf einen neuen Standard umstellen. Andererseits müssen aber auch bestehende Systeme oder relationale Datenbanken mit XML-Anwendungen kommunizieren oder damit zusammengeführt werden. Daher sind spezielle XML-Tools erforderlich, welche die Formate integrieren können. Eine Reihe von Tools unterstützt das Mapping von vorhandenen und XML-Daten. Im Vordergrund steht dabei die Kommunikation mit ERP-Systemen, die über spezielle Adapter für XML erschlossen werden. Da derzeit noch die wenigsten ERP-Systeme über eine direkte Verbindung zum neuen Standard verfügen, gibt es auf diesem Gebiet zahlreiche Aktivitäten, auch in Verbindung mit EDI. Allerdings weist Giga auch darauf hin, dass die ERP-Systeme sich früher oder später für XML öffnen werden, sodass dann Tools von Drittanbietern überflüssig werden. XML-Transformationen werden dann verstärkt zur Konversion unterschiedlicher XML-DTDs eingesetzt.

Datenbank-Unterstützung

Zu der dritten Gruppe gehören die Server zur lang- und kurzfristigen Datenspeicherung. Zahlreiche Datenbank-Anbieter haben bereits XML-Produkte oder deren Unterstützung angekündigt. Einige ergänzen dabei bestehende Produktlinien um entsprechende Schnittstellen, andere bieten neue, originäre XML-Technik. Poet und Ardent, seit kurzem bei Informix, haben dokumentenorientierte XML-Datenbanken vorgestellt, Excelon mit dem gleichnamigen Produkt und die Software AG mit "Tamino" legen das Schwergewicht auf Anwendungsdaten, vor allem in Verbindung mit E-Business. Wichtig für alle Produkte ist auch in diesem Segment die Anbindung existierender Datenbanksysteme jedweder Art. In Tamino gibt es speziell dafür das Schnittstellenmodul "X-Node".

Als vierte Kategorie macht die Giga Group Server zur Ausführung von Geschäftsanwendungen aus. Im Rahmen einer mehrschichtigen Architektur spielen diese eine wichtige Rolle. Sie stellen die Funktionalität der Anwendungen zur Verfügung. Giga sieht in diesem Bereich derzeit noch eine geringe Verbreitung von XML. Bluestone bietet bereits eine Verbindung zwischen dem XML- und dem Application-Server, IBM hat "Websphere" um einen XML-Parser erweitert, die Software AG hat inzwischen ihre Entwicklungs- und Ablaufumgebung "Bolero" ebenfalls XML-kompatibel gemacht und bietet diese zusammen mit Tamino an.

Die XML-Technik steht noch am Anfang, aber schon gibt es anspruchsvolle Produkte, die über die anfänglich dominierenden Parser und Browser weit hinausgehen. Allmählich wird sich die IT-Welt bewusst, dass mit XML strukturierte Dokumente mehr sein können, als White Papers mit vielen Verweisen auf die Zukunft oder Verkaufsbroschüren: Der Einsatzbereich der Metasprache ist nahezu unbegrenzt, er reicht von der Speicherung von Röntgenbildern über CAD-Files bis zur Verarbeitung von Transaktionsdaten. Aufgrund ihrer Flexibilität bleibt der Sprache praktisch kein Anwendungsgebiet verschlossen. Für alle diese vielfältigen Anwendungen braucht es neben pfiffigen Konzepten natürlich auch die entsprechenden Systeme. (sf)

Zur Person

Frank Jung

ist Produktmanager bei der Software AG in Darmstadt.