E-Mailflut bewältigen

18.02.1999
Der Gang ins World Wide Web will wohlüberlegt sein, denn er zieht eine Menge elektronischer Post nach sich. So sind 500 Anfragen pro Tag bei einem Versandhaus keine Seltenheit. Eine neue Gattung von Managementsoftware hilft, das Problem in den Griff zu bekommen.

Das Internet bietet die Chance, viel direkter und individueller auf Kunden einzugehen. Diese Weisheit beten die Marketingleiter großer Firmen mittlerweile im Schlaf herunter, doch oft bleibt es beim reinen Lippenbekenntnis. Mit der Präsenz im Web setzen die meisten Firmen eher auf Berieselung statt auf echten Dialog. Schickt trotzdem ein Kunde eine Anfrage per E-Mail, kann er lange auf Antwort warten.

Dies bestätigt eine aktuelle Studie von Jupiter Communications: Von 42 Prozent der Betreiber der meistbesuchten Web-Sites war auch nach fünf Tagen noch keine Antwort auf eine E-Mail in Sicht. Bei einem Teil der Firmen kam nie eine Reaktion oder es war nicht einmal möglich, per elektronischer Post Kontakt aufzunehmen. Zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen kamen schon vor einiger Zeit Studien hierzulande, unter anderem von Diebold: "Die Firmen machen sich noch zuwenig Gedanken über die organisatorische Abwicklung von E-Mailanfragen", zog Axel Glanz, bei Diebold Leiter des Kompetenzzentrums Multimedia, Bilanz.

Dabei ist E-Mail der am häufigsten genutzte Dienst im Internet. Gerade in Firmen gibt es viele Nutzer, die zwar keinen Zugriff auf das Web haben, deren internes E-Mailsystem aber über ein Gateway mit dem Internet verbunden ist. Die Vorteile liegen auf der Hand: schneller als ein Brief und günstiger als ein Telefax. E-Mail ist somit auf dem Weg, ein allgemeines, weit verbreitetes Kommunikationsinstrument zu werden.

Autoresponder auf dem Web-Server

Auch bei nicht ganz so starkem E-Mailverkehr sollte ein Unternehmen über die organisatorische Abwicklung nachdenken. Erste Maßnahmen kann man auch ohne zusätzliche Software ergreifen. Eine funktionsbezogene Adresse wie vertrieb@firma.de statt mitarbeiter@firma.de ermöglicht es, bei Urlaub oder Krankheit einzelner Mitarbeiter digitale Post ohne Verzögerung zu beantworten. Auch Autoresponder kann man auf den meisten Servern einrichten. Bei einer Anfrage an eine bestimmte Adresse schickt der Rechner dann selbsttätig eine Antwort mit vorher definiertem Inhalt. Eine automatische Bestätigung des E-Maileingangs ist so ebenfalls leicht zu realisieren. Unterstützung bieten auch die gängigen Programme: Filterfunktionen ermöglichen das Vorsortieren der eingegangenen Nachrichten, Textbausteine erleichtern das schnelle Beantworten von Standardanfragen.

Reichen solche Hausmittel nicht mehr aus, um der E-Mailflut Herr zu werden, muß man das Problem strategisch anpacken. Was ist das Ziel des Kundendialogs per E-Mail? Liegt es überhaupt im Interesse der Firma, mit Kunden per E-Mail in Kontakt zu treten? Oder ist es für das Unternehmen gar besser, die E-Mailkommunikation zu unterdrücken? Gerade für Hersteller von Massenkonsumgütern kann das Vermeiden durchaus plausibel sein.

Falls sich ein Unternehmen aber für dieses Medium entscheidet, gilt es zu untersuchen, mit welchen Kundengruppen es auf diese Weise kommunizieren kann und wer der richtige Ansprechpartner ist. Das bedingt, ob man eher ein zentrales E-Mail-Callcenter analog zu einem Telefon-Callcenter einrichtet oder die E-Mails direkt zu den Mitarbeitern in die Fachabteilungen durchroutet.

Kundensupport per E-Mail verwalten

An dieser Stelle ist der Übergang von den strategischen Überlegungen zur Ist-Analyse fließend. Viele Firmen, die heute im Internet aktiv sind, bekommen automatisch eine steigende Zahl von E-Mails. Eine Analyse des tatsächlichen Aufkommens hilft bei der Vorgehensweise. Der zweite Schritt ist die Bestandsaufnahme der existierenden Hard- und Software, die die Gestaltung des Kommunikationsflusses unterstützt. Dazu gehören der Mailserver, der die Nachrichten aus dem Internet annimmt, die Mailclients, mit denen die Mitarbeiter ihre E-Mail beantworten, sowie eventuell Groupware-Software, Helpdesk-Systeme oder gar ein existierendes Telefonie-Callcenter.

Mittlerweile gibt es eine Reihe von Softwareprodukten, die speziell den Kundensupport per E-Mail unterstützt. Eines der ersten Programme war "Req", das bereits 1992 an der Northeastern University entstanden ist. Es war seiner Zeit um einiges voraus, ist aber seitdem auch nicht mehr weiterentwickelt worden. Vorteil: Es unterliegt der GNU Public Licence, ist also kostenlos erhältlich und kann auf die eigenen Bedürfnisse angepaßt werden, weil der Quellcode verfügbar ist. Das war auch der Grund, warum der Münchner Internet-Provider Spacenet das Programm für den Kundensupport gewählt hat.

Auch die amerikanische Softwarefirma Forté stand vor dem Problem, E-Mailanfragen schnell und zuverlässig bearbeiten zu müssen. Der Erfolg der via Internet vertriebenen Newsreader "Free Agent" und "Agent" verursachte eine wahre E-Mailflut. Forté löste das Problem mit einer selbst entwickelten Software, die unter dem Namen "Adanté" zum Hauptprodukt wurde. Zu den Nutzern gehören mittlerweile so renommierte Namen wie der PC-Direktversender Dell und die amerikanische Buchhandelskette Barnes & Nobles. Beides Firmen, die im Internet sehr aktiv sind und dementsprechend viele E-Mails zu bewältigen ha-ben. Mittlerweile ist Adanté ein Geschäftsbereich des Callcenter-Softwareanbieters Genesys Telecommunications Laboratories, der seit kurzem auch eine Niederlassung in München hat.

Bei Adanté landen die digitalen Anfragen in einer Warteschlange, die alle zugriffsberechtigten Mitarbeiter abfragen. Bei großem Nachrichtenaufkommen kann der Verwalter auch mehrere, thematisch gegliederte Warteschlangen anlegen. Hat sich ein Mitarbeiter eine Anfrage aus der Warteschlange genommen, bekommt er automatisch Einblick in die bisherige Korrespondenz mit diesem Kunden. Außerdem kann er weitere Informationen über den Kunden hinterlegen. Ein Hilfsmittel für Supportmitarbeiter ist eine zentrale Datenbank, in der immer wieder vorkommende Fragen und Antworten gespeichert werden. Für das Controlling des Callcenters lassen sich regelmäßig Berichte über E-Mailaufkommen und -antwortverhalten erstellen.

Der Markt für diese neue Softwaregattung ist noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. IDC hat für 1998 einen Umsatz von 27 Millionen Dollar geschätzt, geht aber davon aus, daß die Nachfrage boomen wird. Für 2002 erwarten die Analysten eine Umsatzsteigerung auf 210 Millionen Dollar.

Neben spezieller Software für E-Mail-Callcenter gibt es noch eine ganze Reihe von Programmem zur Unterstützung von Helpdesk-Funktionen. Immer mehr Anbieter integrieren Funktionen für das Verteilen von eingehenden E-Mails in ihre Produkte. Wichtig dabei ist aber, daß dies nicht nur als einfaches Routing realisiert ist. Dann besteht die Gefahr, daß eine Anfrage in der Mailbox eines Mitarbeiters landet, der zur Zeit nicht zur Verfügung steht. Gerade wenn die Mitarbeiter nicht permanent für den Support eingeteilt sind, ist ein Pull-Prinzip vorzuziehen, wie die Warteschlange bei Adanté.

Zentraler Punkt bei einem Helpdesk oder Callcenter ist das Koordinieren und Verteilen der Anfragen. Da liegt es nahe, auf Groupware wie Lotus Notes zurückzugreifen, die genau hier ansetzt. Neben fertigen Lösungen kann man sich eine Notes-Anwendung aber auch ganz auf die eigenen Anforderungen maßschneidern lassen.

Sehr kontrovers eingestuft wird zur Zeit Software, die das automatische Beantworten von Kundenanfragen verspricht. Solche Programme unterziehen die Anfrage eines Kunden automatisch einer Textanalyse und gleichen sie mit einer Wissensdatenbank ab. Erste Ergebnisse sind durchaus erfolgversprechend. So hat der Onlinedienst "Blue Window" der Swiss Telecom die Effizienz des Kundensupports um 400 Prozent gesteigert. Der elektronische Kundensupport namens "Tellme" basiert auf dem Produkt "E-Serve" der Schweizer Firma AAA-Sim AG. Bei über 1000 Anfragen pro Tag bedürfen nur noch 20 Prozent einer persönlichen Beantwortung. Gerade die immer wieder gestellten Fragen werden so automatisch behandelt und geben den Mitarbeitern Zeit für kompliziertere Probleme der Nutzer.

Software zur Bewältigung der E-Mailflut ist also vorhanden. Aber das ist nur der erste Schritt. "Aus den Besonderheiten der Kommunikation mittels E-Mail ergeben sich zahlreiche Fragen für das Management des Kundendialogs", so Harald Meißner, der an der Universität Eichstätt zu diesem Thema promoviert. "Hierzu gehört neben der Definition von Zielen und Zielgruppen insbesondere die Planung, Steuerung und Kontrolle des Ablaufs der einzelnen Dialogschritte." Erleichtern wird diese Art des Kundendialoges seiner Ansicht nach das Informationsmanagement: "Die Dialogbeiträge sind bereits im Moment des Sendens beziehungsweise des Empfangs vollständig elektronisch erfaßt. Das ermöglicht weitergehende Analysen, die bei den anderen Kommunikationskanälen nicht praktikabel sind."

Letztendlich ist eine umfassende Integration der E-Mail in den internen Kommunikationsfluß wichtig. Ein so alle Kommunikationswege integrierendes Callcenter ist dann der zentrale Ansprechpartner. Dabei darf dieses Communication Center aber nicht vom Rest des Unternehmens abgekoppelt sein.

(cep)