Dynamische IT-Infrastruktur

Dynamic IT mit Cloud Computing

30.05.2008 von Wolfgang Herrmann
Wer Cloud Computing nur als neues Buzzword abkanzelt, vergibt eine Chance zur Optimierung seiner IT-Infrastruktur. Denn die abstrahierte Infrastruktur von Cloud Computing bietet handfeste Vorteile wie die dynamische Anpassung der Rechenleistung ohne Investition in eigene Hardware.

Bislang mangelt es zwar noch an einer genauen Definition von Cloud Computing. Je nach Businessmodel verwenden es Software-, Service- oder Infrastrukturanbieter in einem anderen Zusammenhang. Die Cloud-Vision von Salesforce.com etwa lehnt sich stark an das altbekannte Paradigma der Software as a Service (SaaS) an. IBM dagegen stellt mit "Blue Cloud" in erster Linie die zugrundeliegende IT-Infrastruktur in den Mittelpunkt. "Die Cloud ist im Grunde genommen eine Kombination aus Grid-Computing, wo es um reine Rechenleistung geht, und SaaS", sagt dagegen Dennis Byron, Analyst des Marktforschungsunternehmens Research 2.0.

Gartner definiert Cloud Computing als "Bereitstellen skalierbarer IT-Services über das Internet für eine potenziell große Zahl externer Kunden". Die Gartner-Analysten arbeiten derzeit an etlichen Berichten und Studien zu diesem Thema. Das mit dem Konzept verbundene Veränderungspotenzial sei immens, so die Auguren, Cloud Computing werde sich zum "Buzzword des Jahres" entwickeln.

Die Konkurrenten von Forrester Research haben rund 30 Unternehmen befragt, die sich in dem neuen Marktsegment tummeln, und daraus ihre eigene Definition entwickelt. Cloud Computing steht demnach für einen "Pool aus abstrahierter, hochskalierbarer und verwalteter IT-Infrastruktur, die Kundenanwendungen vorhält und nach Verbrauch abgerechnet wird". Zugleich ziehen die Forrester-Experten eine scharfe Trennlinie zum SaaS-Paradigma:

Die ganze IT-Welt in einer Wolke

Auch Frank Sempert vom Marktforschungs- und Beratungshaus Saugatuck Technology verweist auf diese Unterscheidung. Während SaaS-Anbieter sich nur auf die Anwendung konzentrierten, bündelten Cloud-Provider eine ganze Reihe von Komponenten für den Kunden. Dazu zählten unter anderem Netz-, Rechen- und Speicherresourcen samt entsprechenden Verträgen mit Zulieferern. Unterm Strich fasse die "Cloud" damit ganze IT-Welten zusammen.

Doch warum flammt der Hype gerade jetzt auf? Brauchen die Analysten nur ein neues Thema, die Hersteller eine Marketing-Hülle, in der sie altbekannte Konzepte servieren? Vieles spricht dafür, dass die Zeit für Cloud Computing gekommen ist, weil mehrere Schlüsseltechnologien - die viel zitierten Enabler - inzwischen ausgereift und praxiserprobt sind. Dazu gehört Virtualisierung in verschiedenen Ausprägungen ebenso wie Grid Computing oder ausgefeilte Provisioning-Software. Aber auch die allgemein verfügbaren hohen Bandbreiten für den Zugang zur "Compute Cloud" machen anspruchsvolle Angebote erst möglich.

Dennoch gibt es auch unter den Softwareanbietern kritische Stimmen. Jan Wildeboer etwa, Solution Architect bei Red Hat, sieht Cloud Computing als Teil des typischen "Buzzword-Bingo". Ebenso gut könne man das Phänomen "Outsourcing für Compute-Ressourcen" oder schlicht "Grid for Rent" nennen. Für Red Hat stecke hinter Cloud Computing letztlich nur eine neue Deployment-Plattform. Der Unterschied zu hergebrachten Ansätzen liege in der Abstrahierungsebene, die durch Virtualisierungstechniken gelegt werde.

Praxisbeispiele

Ganz anders Alfred Zollar, Chef der Tivoli-Sparte in IBMs Software Group. Bei Cloud Computing gehe es im Kern darum, Ressourcen dynamisch zur Verfügung zu stellen, erläutert der Manager im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. Im Vergleich zu älteren Konzepten könnten Nutzer mit erheblich schnelleren Reaktionen auf Kapazitätsanfragen rechnen. IBM etwa nutze intern eine Cloud. Sie ermögliche es Mitarbeitern, sich mit wenigen Mausklicks eine gewünschte Rechenkapazität inklusive Speicher und sonstiger Komponenten zusammenzustellen. Die komplette Infrastruktur stehe nach zirka 20 Minuten bereit; Anwender würden automatisch per Mail benachrichtigt.

Alfred Zollar, IBM: „Cloud Computing stellt IT-Ressourcen dynamisch zur Verfügung.“

Auch wenn in Sachen Cloud Computing noch einiges nach Zukunftsmusik klingen mag, gibt es durchaus Praxisbeispiele mit erkennbaren Vorteilen. So nutzt etwa das amerikanische Startup-Unternehmen Powerset Amazons Elastic Compute Cloud (Amazon EC2), um Lastspitzen abzufedern. Powerset arbeitet an einer Suchmaschine für natürlichsprachige Abfragen. Dazu indexieren die Kalifornier große Teile des Web. Die benötigte Rechenleistung überschreitet zumindest zeitweise die vorhandene Kapazität bei weitem, berichtet CTO Barney Pell. Statt neue Server und weitere Infrastrukturkomponenten anzuschaffen, entschied er sich für die Amazon-Dienste EC2 und S3. Bei Letzterem handelt es sich um den Online-Speicher des Anbieters. Powerset bezahlt nach genutzten Ressourcen und spart damit nach eigenen Angaben eine größere Summe ein.

Zu den frühen Kunden Amazons gehört auch die "New York Times". Die Zeitung nutzte die Dienste, um innerhalb von 24 Stunden PDFs aus rund elf Millionen Artikeln für ihr Online-Archiv zu generieren. Dabei griff der Verlag auf 100 EC2-Instanzen zurück. Ohne den externen Dienstleister hätten die IT-Verantwortlichen zusätzliche Hardware für das Projekt einkaufen müssen. Der Unterhaltungskonzern Dreamworks schickt seine Rendering-Daten für Kinofilme auf Festplatten an Amazon, wo sie in der Cloud verarbeitet werden.

Nutzen von Cloud Computing

Forrester-Analyst James Staten sieht eine Reihe von Vorteilen, die das Cloud-Computing-Konzept kommerziellen Nutzern bringen könne. So lasse sich die Einführungszeit neuer Anwendungen drastisch verkürzen, wenn Unternehmen die dazu benötigte IT-Infrastruktur etwa in Form von Server-Kapazität von einem Cloud-Anbieter bezögen. In diesem Szenario entfielen auch die Kosten für das Beschaffen zusätzlicher Rechner.

Vorzüge erkennt der Forrester-Mann auch beim Erstellen von Prototypen im Bereich Forschung und Entwicklung, das in der Regel mit hohen Aufwendungen verbunden ist. Mit Hilfe von Cloud-Services könnten Verantwortliche rasch und kostengünstig Testprojekte aufsetzen, ohne dem Management gleich den betriebswirtschaftlichen Nutzen nachweisen zu müssen. Geeignete Kandidaten dafür seien beispielsweise neue Business-Anwendungen mit geringer Priorität oder Collaboration-Dienste.

Eigene Definition: Forrester Research beschreibt Cloud Computing als einen Pool aus abstrahierter IT-Infrastruktur, die Kundenanwendungen vorhält und nach Verbrauch abgerechnet wird.

In einer aktuellen Studie verweist Forrester unter anderem auf befragte Telekommunikationsanbieter, die bereits Erfahrungen mit Cloud-Angeboten gesammelt haben. Laut eigenen Angaben gelang es ihnen, die Kapitalaufwendungen für die beim Dienstleister gehosteten Anwendungen um 30 Prozent zu senken. Hinzu kamen Personaleinsparungen im Bereich Systemadministration. IT-Abteilungen brauchen oft zu lange, um neue Anwendungen zur Verfügung zu stellen, erklären die Marktforscher das zunehmende Interesse an den neuen Diensten. Vor allem die Kapazitätsplanung in den Rechenzentren bereite vielen Probleme.

Amazon-CTO Werner Vogels sieht darin eine Chance für die aufkommenden Cloud-Provider. "Wenn das Managen eines großen Rechenzentrums nicht zu den Kernkompetenzen Ihres Unternehmens gehört, sollten Sie diese Aufgabe an einen externen Dienstleister übertragen", empfiehlt er. Nach seiner Einschätzung bringen die führenden Anbieter von Internet-Anwendungen und -Services dafür die besten Voraussetzungen mit. Sie könnten beispielsweise beim Einkauf von Servern und Speichern erhebliche Mengenrabatte aushandeln. Gleiches gelte für Softwarelizenzen und Supportverträge.

Aufgrund ihrer Erfahrungen gelinge es den Cloud-Providern, dynamische Workloads besonders effizient abzuarbeiten, wirbt der Manager. Neben eingeschliffenen Prozessen trügen Verwaltungs- und Steuerungs-Tools dazu bei. Sie ermöglichten es, Anwendungen auf Tausende Server zu verteilen und rasch zu skalieren. Auch in Sachen Kapazitätsplanung hätten die Dienstleister die Nase vorn, so Vogels. Für sie sei es erfolgsentscheidend, wie viel Infrastruktur jede einzelne Anwendung in Anspruch nimmt. Last, but not least könnten die Anbieter Infrastrukturkosten einer Anwendung exakt messen. Damit sei die Voraussetzung für eine verbrauchsabhängige Abrechnung entsprechender IT-Dienste gegeben.

Hürden für Cloud-Nutzer

Trotz solcher Vorzüge sehen Experten vor allem für größere Unternehmen mit gewachsenen IT-Strukturen eine Reihe von Hürden, wenn sie Cloud Computing betreiben wollen. IBM-Manager Zollar etwa verweist auf Sicherheitsrisiken. Deshalb seien wirksame Mechanismen für ein Identity-Management in Cloud-Computing-Szenarien besonders wichtig. Forrester sieht in den Sicherheitsbedenken potenzieller Nutzer ein zentrales Hindernis. In einer Befragung erklärten etliche Unternehmen, Cloud-Services seien weniger sicher als andere Dienste. Tatsächlich aber könnte das Gegenteil zutreffen, kommentiert Studienautor Staten. Sicherheit gehöre für Cloud-Provider zu den Kernkompetenzen. Anwenderunternehmen dagegen sähen sie häufig nur als notwendiges Übel an.

Dessen ungeachtet kritisiert Forrester die Stabilität der angebotenen Infrastruktur. Die meisten Cloud-Provider gäben keine Verfügbarkeitsgarantien, Service-Level-Agreements seien in dem jungen Markt die Ausnahme. Hinzu komme die mangelnde Unterstützung von unabhängigen Softwareanbietern. Bei den Clouds handele es sich in der Regel um einzigartige Infrastrukturen, über die Anbieter wie Amazon nicht viele Informationen preisgeben wollten. Die Mehrzahl der kommerziellen Betriebssysteme und Anwendungen sei für die Cloud-Plattformen nicht zertifiziert. Weil die meisten Infrastrukturen zudem virtualisiert sind, stelle sich für Kunden auch noch das Problem der Lizenzierung.

Erschwerend hinzu kommt aus der Sicht von Forrester, dass Kunden keinen Einfluss darauf haben, wo der Cloud Provider Daten vorhält. Vor allem in einigen europäischen Ländern gibt es gesetzliche Vorgaben, die verlangen, dass Services oder bestimmte Kundendaten nicht außerhalb des Geltungsbereichs gespeichert werden dürfen. Red-Hat-Manager Wildeboer verweist in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Datenschutzgesetze in den USA und der Europäischen Union.

Er sieht zudem ein kulturelles Problem: Insbesondere deutsche Unternehmen täten sich schwer, hochkritische Anwendungen oder Daten an einen Dienstleister auszulagern. Auch Adam Selipesky, bei Amazon verantwortlich für das Produkt-Management, erkennt darin eine Hürde: "Manche Manager fürchten schlicht, die Kontrolle zu verlieren." Bis solche Ängste abgebaut seien, werde noch einige Zeit vergehen.

Entsteht ein neuer Markt?

Umstritten ist bislang die Prognose einiger Experten, mit Cloud Computing könne ein neuer Markt mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen entstehen. "Immer mehr neue Cloud-Provider werden sich in dem Segment positionieren", erwartet etwa Wildeboer. "Dadurch sinken die Preise. Der Druck auf etablierte Dienstleister wie T-Systems oder IBM Global Services steigt." Rüdiger Spies vom Marktforschungs- und Beratungshaus IDC glaubt nicht an diese These: "Dafür sind die technischen Anforderungen an Cloud Computing zu komplex." Wahrscheinlicher sei es, dass die großen Player aus der geplatzten Dotcom-Blase, allen voran Google, Amazon und Yahoo, das Geschäft unter sich ausmachten.

Neue Anbieter könnten nach seiner Einschätzung noch am ehesten aus der Telekommunikationsbranche kommen. Konzerne wie British Telecom (BT) beispielsweise wollten mit Cloud Computing neue Geschäftsbereiche etablieren, weil ihnen das anstammte Telefongeschäft wegbreche. Hinzu kämen die großen Hardwareanbieter, die bereits über die passende Infrastruktur verfügten. Spies: "IBM hat mit seiner Infrastruktur sicher einen Riesenvorteil, sich als mächtiger Player aufzustellen." Auch Sun Microsystems eröffne Cloud Computing womöglich eine neue Chance im Dienstleistungsgeschäft.

Das Rechenzentrum der Zukunft

Forrester-Analyst Staten jedenfalls prognostiziert gravierende Veränderungen in der Unternehmens-IT: "Das Rechenzentrum der Zukunft könnte in der Cloud stehen." Web-Schwergewichte wie Google hätten riesige Cloud-Infrastrukturen aufgebaut und nutzten daraus entstehende Größenvorteile. Eines Tages werde der Punkt erreicht sein, an dem es sich für viele Unternehmen nicht mehr lohne, eigene Server zu betreiben. Dann müssten sich die Verantwortlichen fragen, ob sie Cloud-Anbieter oder -Kunde sein möchten. Philipp Huber, COO des Cloud-Providers XCalibre Communications, drückt es so aus: "Es wird wahrscheinlich nur noch ein bis zwei Jahre dauern, bis Cloud Computing effizienter ist als die weltweit bestgeführten IT-Organisationen in Unternehmen." (ala)

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