Dünn und dünner

14.04.1999
Alle Daten immer und überall verfügbar, noch dazu schnell, sicher und zuverlässig? Das erfüllt allenfalls eine Infrastruktur, die sich rund um "fette" Server und "schlanke" Clients rankt. Das "dicke" Terminal jedenfalls, der PC, hat als Ein- und Ausgabekonsole schon wieder ausgedient.

Instabile PCs und häufige Abstürze, ausgefallene Server und unausgereifte Failover-Strategien, neue Versionen und Patches, Patches, Patches - kaum ein Netzwerkverwalter dürfte nicht über irgendeinen Mangel dezentraler Datenhaltung stöhnen. "Management by Adidas" ist noch der geringste Vorwurf, umschreibt er doch lediglich das enorme Wanderpensum der Administratoren und, darauf fußend, ihre Neigung zu besonders bequemen Turnschuhen.

Nicht zuletzt aufgrund der angedeuteten Schwächen setzen viele Unternehmen auch heute noch auf zentrale Rechenzentren. 80 bis 90 Prozent aller wesentlichen Geschäftsdaten befinden sich auf Systemen, die 15 Jahre und älter sind. Die darauf abgelegten Informationen in neu entstehende Strukturen einzubetten, ist eine der Herausforderungen, der sich die Systemverantwortlichen heute stellen müssen.

Bestandteil solcher Integrationsbemühungen ist selbstredend auch die Suche nach der besten Desktop-Lösung. Sie ist von folgenden Randbedingungen geprägt:

- Die Gesamtkosten (TCO = Total Cost of Ownership) sollten möglichst niedrig sein.

- Die neuen Desktop-Lösungen sollten vorhandene Hard- und Software unterstützen.

- Sie sollten die Produktivität der Anwender steigern.

- Sie sollten den Aufwand bei der Wartung verringern.

- Und sie sollten sich flexibel an neue Benutzerprofile anpassen lassen.

Ein PC oder eine Workstation, die sogenannten Fat Clients, sind als Desktop-Lösungen überdimensioniert, so daß sich in der Vergangenheit ein ganzer Reigen von Alternativen etabliert hat, die sogenannten Thin Clients. Dazu zählen:

- der Net-PC: eine Desktop-Lösung mit einem residenten Betriebssystem; er führt die Applikationen vor Ort aus;

- der Java-Net-PC: ein Net-PC, der lediglich Java-Applets verarbeiten kann;

- der universelle Thin Client: eine Desktop-Lösung mit Zugriff auf verschiedene Netzwerkressourcen; er läßt die Applikationen von einem Server ausführen.

- das Windows-basierte Terminal (WBT): eine Desktop-Lösung mit Windows CE als Betriebssystem; das WBT läßt die Applikationen von einem Windows-NT-Server ausführen.

Der Begriff Thin Client ist im übrigen an seine Verwendung im sogenannten Client/Server-Modell angelehnt. Es sieht eine Aufteilung der Aufgaben auf Clients und Server vor: Erst im Zusammenspiel erfüllen sie eine gestellte Aufgabe. Im PC-Bereich übernimmt der Client die Anzeige und meist auch die Ausführung der Applikation, während der Server im wesentlichen als externe Harddisk fungiert. In seltenen Fällen leistet er auch einen Teil der Ausführung. Dabei wäre es nur konsequent, den Server alles erledigen zu lassen und den Client lediglich als Datensichtgerät zu verwenden. Naheliegend ist eine Kategorisierung der Clients, wie sie in Bild 2 dargestellt ist.

Wie dünn ist dünn?

Die Thin Clients unterscheiden sich allenfalls darin, wie mager sie sind (Bild 3). Die Grenze zum Fat Client ist fließend, selbst typische "Dickerchen" wie PCs oder Workstations werden oftmals schon als "dünn" bezeichnet. Die Dünnsten der Dünnen sind solche, die lediglich als Datensichtgeräte dienen. Etwas dicker sind die Net-PCs, auf deren serverangepaßten Betriebssystemen lokal Programme ablaufen. Und schließlich folgen solche, die über eigenständige, umfangreiche Betriebssysteme verfügen und umfangreiche Applikationen lokal ausführen. Wenn im weiteren von Thin Clients die Rede ist, so sind damit stets die Dünnsten der Dünnen gemeint. Sie kommen mit wenig Speicher, einer geringen Rechenleistung und gänzlich ohne Harddisk aus.

Diese "nur anzeigenden" Thin Clients gibt es derzeit in zwei Varianten. Eine davon ist konsequent aus den Netzwerkcomputern hervorgegangen. Sie haben eine mehr oder weniger eigenständige Logik, die es ihnen ermöglicht, grafische Oberflächen zu emulieren und die Datenströme der Server anzuzeigen. Als Übertragungsprotokoll verwenden sie in der Regel "X11" oder "Citrix ICA" (ICA = Intelligent Console Architecture) oder sie benutzen eine Telnetvariante auf TCP/IP-Basis, um an Großrechnern zu arbeiten.

Die zweite und neuere Variante geht auf Microsoft zurück: die Windows-based Terminals (WBTs). Sie laufen unter dem zunächst für Handhelds entwickelten Betriebssystem "Windows CE" und wandeln die bei den Servern angeforderten RDP-Informationen (RDP = Remote Desktop Protocol) in Bildschirmanzeigen um. Die Server selbst laufen unter Windows NT 4.0 Terminal Server Edition (TSE), ein Multiuser-Betriebssystem, das RDP unterstützt; RDP selbst ist ein von Microsoft entwickeltes Protokoll.

Was wird durch Thin Clients besser?

Nicht unerwähnt bleiben sollte, daß auf den WBTs auch "Metaframe" von Citrix läuft. Damit steht ihnen das ICA zur Verfügung, und selbst ein RDP/ICA-Mischbetrieb ist möglich. Fehlt eigentlich nur noch X11, das bekannte Fenstersystem von Unix. Doch auch diese Lücke wird längst geschlossen, und zwar von "Wincenter für Metaframe", eine Software von NCD (Bild 4)

Damit alle Applikationen gut handhabbar vom Arbeitsplatz aus zugänglich sind, müssen die DV-Abteilungen sicherstellen, daß alle benötigten Emulationen gleichermaßen von Clients und Servern unterstützt werden und daß die Leistung der Server auch in Stoßzeiten nicht einbricht, insbesondere dann, wenn alle Thin Clients gleichzeitig einen einzigen Server fordern. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, hat das Thin-Client/Fat-Server-Modell zahlreiche Vorteile gegenüber anderen serverentlastenden, dafür aber clientbelastenden Modellen:

- geringere Gesamtkosten (TCO = Total Cost of Ownership),

- einfacheres, weil zentralisiertes Management,

- flexiblere Erweiterbarkeit (Skalierbarkeit),

- unkompliziertes Backup,

- reduziertes Sicherheitsrisiko und

- höhere Zuverlässigkeit.

Das sollten Sie beachten

Für welchen Thin Client Sie sich auch immer entscheiden, folgende Fragen sollten Sie stets mit "ja" beantworten können:

- Unterstützt der Thin Client alle geforderten Emulationen?

- Ist er Multisession-fähig, kann er also unterschiedliche Protokolle gleichzeitig interpretieren?

- Läßt er sich remote verwalten?

- Lassen sich Peripheriegeräte wie Drucker, Scanner, Barcodeleser und Touchscreens daran anschließen?

Bei WBTs ist das stets der Fall, allerdings setzen sie eine Microsoft-lastige Infrastruktur voraus. Sollten andere Betriebssysteme im Netzwerk überwiegen, sind Netzwerkcomputer die bessere Wahl.

Was die Leistung des Servers betrifft, so sind auch hier einige Punkte zu beachten - schließlich sollen die Thin Clients ohne Wartezeiten bedient werden. Microsoft und Citrix informieren auf den jeweiligen Homepages ausführlich über Anforderungen, die ein Rechner bei vorgegebener Belastung erfüllen sollte. Einen ersten Überblick verschafft jedoch bereits die Tabelle "Richtwerte der Serverauslastung", angelehnt an den "Administrators Guide" von "Microsoft Windows NT 4.0 Server - TSE"

In der Praxis haben sich darüber hinaus folgende Faustregeln bewährt: Der benötigte Serverspeicher setzt sich aus den 32 MByte RAM für das Betriebssystem und jeweils 10 MByte RAM pro Office-Benutzer zusammen; die Ausstattung darf großzügig bemessen sein, zumal RAM-Bausteine inzwischen ohnehin sehr günstig sind. Eine einzelne CPU kann bis zu 25 Anwender bedienen, Intel-basierende Serverplattformen skalieren in der Regel bis zu vier CPUs und versorgen somit maximal 100 Anwender. Bei einer großen Anzahl von Benutzern lohnt sich der Einsatz mehrerer Server, die mitunter auch redundant ausgelegt werden sollten. Eine Lastenausgleichssoftware wie "Load Balancing" von NCD oder Metaframe von Citrix übergibt neue Clientanfragen automatisch an die am wenigsten ausgelasteten Server.

Was sagen die Experten?

Consultants und Analysten im IT-Bereich sind sich einig: Die Anzahl der Thin Clients nimmt aufgrund der genannten Vorteile stetig zu!

- Die Yankee Group behauptet, daß 17 Prozent aller Unternehmen bereits Mittel für NCs eingeplant hätten; davon befänden sich 54 Prozent bereits in der Vorlaufphase und 65 Prozent wollten die Anschaffungen binnen der nächsten zwei Jahre tätigen.

- Die Gartner Group schätzt, daß im Jahre 2000 20 Prozent aller Desktops zur Klasse der Net-PCs gehören.

- Dataquest sagt für das Jahr 2002 den Absatz von weltweit 2,5 Millionen Thin Clients voraus. Und die

- International Data Corporation (IDC) prophezeit, daß im Jahre 2005 die Hälfte aller Desktops mit Thin Clients bestückt sein werden.

Die Einschätzungen sind also durchweg optimistisch. Ausschlaggebend dürfte nicht zuletzt der Einstieg von Microsoft ins Thin-Client-Geschäft gewesen sein. Die Geräte sind mittlerweile in der Industrie anerkannt, und es gibt bereits Überlegungen, sie im Privatbereich einzusetzen. Sicher werden viele Merkmale, die heute nur PCs auszeichnen, eines Tages auch auf die Thin Clients übergehen. Ja, der Thin Client der Zukunft wird all das können, was ein PC oder eine Workstation auch kann - er wird nur viel einfacher zu handhaben sein.