Droht ein neuer Browserkrieg?

10.05.2001 von Michael Swaine
Mit dem webbasierten .Net schafft Microsoft sich eine neue Basis im Kampf um das Browsergeschäft. Ein kursierendes AOL-Memo deutet nun darauf hin, dass Bill Gates Hauptkonkurrent auf die .Net-Initiative reagieren will.

In diesen Tagen macht ein vertrauliches Dokument die Runde, das angeblich ein internes AOL-Memo darstellt und mögliche Reaktionen von AOL auf Microsofts neueste Herausforderung durchspielt. Einige der genannten möglichen Reaktionen sind dabei durchaus von Interesse.

Die neueste Herausforderung durch Microsoft sieht AOL natürlich in Microsofts Plänen für eine webbasierte Software. Windows XP und .Net drohen all jene grundlegenden Features, die AOL anbietet, gleich in das Betriebssystem zu integrieren, inklusive E-Mail, Instant Messenger, Chat, Surfen, Media Player etc.

Das Memo skizziert Strategien, die von einfachen OEM-Deals zugunsten von AOL bis hin sogar zu solchen Überlegungen reichen, den Microsoft-Desktop durch eine Alternative zu ersetzen. Warnungen an die Nutzer werden in Betracht gezogen, dass Windows XP voller Bugs stecke und ihre Privatsphäre zerstöre. Und selbst ein bis zum Äußersten geführtes Kopf-an-Kopf-Rennen im Wettlauf der Betriebssysteme scheint denkbar.

Kriegerische Auseinandersetzungen

Solche internen Firmen-Memos gelangen von Zeit zu Zeit an die Öffentlichkeit und meist ist ihre Bedeutung gleich null. Auch wenn sie die betroffene Firma bloßstellen, haben sie bezeichnenderweise doch nur selten etwas mit der eigentlich aktuellen Politik des Hauses zu tun. Berücksichtigt man allerdings die Geschichte der Beziehung zwischen AOL und Microsoft, erscheinen die eher radikalen Überlegungen des Memos so abwegig nicht mehr. Und sollten AOL und Microsoft einen Feldzug gegeneinander führen, kann dieser blutig ausfallen.

Das haben beide Firmen bereits bewiesen. Mitte der neunziger Jahre griff Microsoft AOL mit dem Launch seines Online-Services MSN frontal an. Und die AOL-Verantwortlichen reagierten prompt. Sie stellten einen "Kriegs-Stab" ab, der allen Einbrüchen Microsofts in AOL-Territorium akribisch nachspürte, beriefen "Microsoft-Beobachter", die über jede Bewegung des Feindes berichteten, und hielten Reden vor ihren Mitarbeitern, die von Kriegsmetaphern nur so strotzten. Und dies war nicht einmal eine übertriebene Maßnahme. Denn schließlich bezeichnete Microsoft MSN als seinen "AOL-Killer", und Bill Gates erklärtes Ziel war es gewesen, MSN mit mehr Content zu präsentieren als es AOL zum eigenen Launch gelungen war.

Taktischer Kopfschuss

Doch MSN war eine Enttäuschung und bald schon umwarb Microsoft den Feind mit dem Vorschlag, das AOL-Icon auf dem Windows-Desktop zu platzieren - ein Schritt, den Gates in einem internen Papier den "Kopfschuss für MSN" nannte. Bill Gates war bereit, den Abzug zu drücken, wenn die Kugel nur auch Netscape direkt ins Herz traf. Denn Netscape war zur neuen Zielscheibe der Zerstörung geworden. Nach Ansicht von AOL-Vorstand Steve Case war Netscape zwar Microsofts Internet Explorer weit überlegen und er wusste auch, dass er half, die bessere Technologie zu vernichten. Doch Microsoft hatte ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte.

AOL wich der Kugel aus. Dieses Glück war Netscape allerdings nicht beschieden, und es dauerte nicht lange, da erwarb AOL den Browser für ein Minimum seines früheren Wertes. Doch dies war nicht das erste Mal, dass AOL die Bedrohung durch Microsoft zu spüren bekam. Diese Bedrohung geht zumindest bis zu einem Treffen zwischen Bill Gates und AOL-Vorstand Steve Case im Jahr 1993 zurück, bei dem Gates zu Case wörtlich sagte: "Ich kann 20 Prozent von euch kaufen oder ich kann euch komplett kaufen. Oder ich steige selbst in das Geschäft ein und begrabe euch."

Aller guten Dinge sind drei

Auch wenn AOL vergangene Angriffe abgewehrt hat und heute viel größer und mächtiger dasteht als damals, gibt es dennoch gute Gründe für AOL, Microsoft jetzt erneut zu fürchten. Denn Bill Gates hat bereits zwei Mal gegen AOL verloren. 1993 hat Microsoft AOL weder gekauft noch zerstört. Und 1997 hat der Konzern seinen eigenen AOL-Killer MSN gekillt. Zwei solche Niederlagen sind genug, und wenn Microsoft AOL nun wieder als Zielscheibe ins Visier nimmt, wird Bill Gates über eine dritte Niederlage sicher nicht glücklich sein.

Und jeder weiß schließlich, dass es bei Microsoft immer erst die dritte Version ist, die dann endlich funktioniert. (bmu)

Über den Autor

Michael Swaine ist Redaktionsdirektor des Dr. Dobb's Journal. Er lebt im Silicon Valley und schreibt seit 1980 über PC-Technologie. Sie erreichen Michael Swaine über seine Website.