Dornröschen erwacht

29.01.1999
Jahrelang hatten Funk-LANs gegen das Image anzukämpfen, bestenfalls für Nischenanwendungen zu taugen. Das hat sich geändert, vor allem deshalb, weil mit IEEE 802.11 ein Standard vorliegt und Funk-LANs mit Datenraten bis 11 MBit/s im Kommen sind.

Im Gegensatz zu ihren kabelgestützten Kollegen spielten Funk-LANs in den vergangenen Jahren eine untergeordnete Rolle. Das hatte mehrere Ursachen:

- Es gab bis 1997 keinen Standard; der Anwender hatte nur die Wahl zwischen proprietären Lösungen;

- die Datenraten der meisten Systeme betrugen 0,5 bis 1 MBit/s, ein Zehntel der Bandbreite von kabelgestützten Ethernet-LANs;

- es gab Vorbehalte gegenüber der Funktechnik, unter anderem wegen möglicher gesundheitsschädlicher Wirkungen;

- Vorschriften, beispielsweise der Deutschen Bundespost, schränkten den Einsatz von Funk-LANs ein. So war es nicht erlaubt, zwei LANs mittels einer Funkstrecke über öffentlichen Grund hinweg zu koppeln;

- Anwender hegten die Befürchtung, bei Funk-LANs sei der Datenverkehr leichter abzuhören als bei Kabelnetzen.

Inzwischen sind einige der angesprochenen Hemmnisse überwunden. So lockerten viele Länder die Vorschriften, die bislang den Einsatz von Funk-LANs begrenzten. Heute ist es auch in Deutschland möglich, Funkstrecken zwischen Gebäuden zu betreiben und auf diese Weise lokale Netze miteinander zu verbinden (siehe die Beiträge über die Uni Tübingen auf Seite 25 und über das Moerser Bildungsnetz ab Seite 34)

IEEE-Standard für drahtlose LANs

Besonders wichtig für den Funk-LAN-Markt war jedoch, daß das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) nach langem Hin und Her im Juni 1997 mit IEEE 802.11 einen Standard für drahtlose LANs verabschiedete. IEEE 802.11 definiert drei physikalische (PHY = Physical Layer) und Medienzugriffsschichten (MAC = Media Access Control Layer): zwei für die Spread-Spectrum-Übertragung über Funk und eine für Infrarot. "Direct Sequence Spread Spectrum" (DSSS) und "Frequency Hopping Spread Spectrum" (FHSS) verwenden jeweils das Frequenzband zwischen 2,4 und 2,483 GHz; die maximale Sendeleistung beträgt 1 W. Die Datenraten bei DSSS betragen 1 oder 2 MBit/s, bei FHSS 1 MBit/s. Für Infrarot-LANs sieht die IEEE-Norm den Spektralbereich 850 bis 950 nm vor; die Datenrate liegt bei 1 oder 2 MBit/s.

Das MAC-Protokoll von IEEE 802.11 basiert auf dem Verfahren "Carrier Sense Multiple Access/Collision Avoidance" (CSMA/CA). Es ähnelt dem Standardzugriffsverfahren CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access/Collision Detection) von Ethernet (IEEE 802.3), kann jedoch keine Kollisionen von Paketen feststellen. Die "Väter" des Wireless-Standards verzichteten aus zwei Gründen auf Collision Detection:

- Zum einen wäre dazu ein Vollduplex-Funkverfahren notwendig gewesen,

- zum anderen kann in einem Wireless LAN nicht davon ausgegangen werden, daß alle Stationen einander "hören". Das ist jedoch die Voraussetzung der Kollisionserkennung.

Bei CSMA/CA klären die physikalische Schicht und der MAC-Layer gemeinsam ab, ob ein Kanal frei ist.

Ein weiterer Bestandteil des Funk-LAN-Standards sind Sicherheitsfunktionen. Der "Wired Equivalent Privacy Algorithm" (WEPA) verhindert beispielsweise, daß andere Stationen Datenpakete entschlüsseln. Der Zugang zum Netz ist außerdem nur über eine Systemidentifikation möglich. Hinzu kommt, daß bei Direct-Sequence-Systemen die Daten "zerhackt" werden (Scrambling), und bei Frequency Hopping erschwert der ständige Wechsel der Sende- und Empfangsfrequenzen einem potentiellen Lauscher die Arbeit.

Dominanz der Spreizbandtechnik

Die meisten Funk-LANs verwenden die Spreizbandtechnik (Spread Spectrum). Sie wurde im 2. Weltkrieg vom amerikanischen Militär entwickelt. Das Signal wird über mehrere Frequenzbereiche "gespreizt". Standardisierte Spread-Spectrum-Zugangsknoten (Access Points) und -Brücken haben bei einer Bandbreite von 2 MBit/s eine Reichweite von bis zu 150 m.

Neben Spread Spectrum sind Schmalbandsysteme im Einsatz. Sie verwenden zur Übertragung der Daten nur eine Frequenz, sind jedoch weniger zuverlässig und haben eine geringere Reichweite. Einige Hersteller nutzen dieses Verfahren für WLAN-Produkte, die im Frequenzbereich 5 GHz arbeiten. Eine dritte Alternative sind Mikrowellensysteme. Mehrere Hersteller bieten Komponenten an, die mit 18,8 bis 19,2 GHz arbeiten und Datenraten bis 10 MBit/s zur Verfügung stellen, etwa für die LAN-Kopplung.

Zu den Firmen, die Schmalband-Mikrowellen-Produkte entwickelt haben, gehört Radiolan. Das System arbeitet im 5-GHz-Band (5,8 GHz) und hat eine Datenübertragungsrate von 10 MBit/s.

Eine untergeordnete Rolle spielt gegenwärtig die Datenübertragung via Infrarot. Im IEEE-Standard ist dafür der Wellenlängenbereich zwischen 850 und 950 nm reserviert. Die Datenraten betragen 1 und 2 MBit/s. Ein Manko von Infrarotnetzen ist, daß zwischen den Stationen eine Sichtverbindung erforderlich ist oder die Signale von den Wänden reflektiert werden müssen. Die Technik eignet sich daher beispielsweise für Großraumbüros ohne Sichthindernisse und weniger für Gebäude mit Einzelbüros. Nach einer Studie des Marktforschungsunternehmens IDC von 1998 sind mehr als 99 Prozent aller WLAN-Adapterkarten der Spreizbandtechnik zuzurechnen. Knapp zwei Drittel der Systeme verwenden das Frequenzsprungverfahren (FHSS), etwas mehr als 34 Prozent Direct Sequence (DSSS).

Frequenzsprung oder Direct Sequence

Bei DSSS wird das Signal nach einem Pseudozufallsverfahren über mehrere Frequenzen gespreizt. Ist die Differenz zwischen der Bandbreite des Ursprungssignals und des "gespreizten" Signals sehr groß, reagiert das System unempfindlich auf Interferenzen. In WLANs ist die verfügbare Bandbreite jedoch limitiert, so daß dieser Vorteil nicht im gleichen Maße zum Tragen kommt. Als ideales "Spreading Ratio" hat sich in der Praxis der Wert 10 herauskristallisiert; das heißt ein 2-MBit/s-Signal wird über einen Bereich von 20 MHz gespreizt.

FHSS-Systeme "springen" mehrmals pro Sekunde zwischen mehreren schmalen Frequenzbändern; in Europa sind mindestens 20 "Hops" vorgeschrieben. Die Befürworter von FHSS führen ins Feld, daß solche Systeme einfacher und damit preiswerter sind. Außerdem böten sie eine vergleichbare Sicherheit und dieselben Datenraten. Details zu beiden Techniken finden sich in [1] und [2]. Die Firma Artem aus Ulm, die sowohl FHSS- wie DSSS-Funk-LANs anbietet, vertritt den Standpunkt, daß die Wahl der "richtigen" Technik von der Anwendung und den Einsatzbedingungen abhängt. Eine pauschale Aussage sei nur für den Bereich Bridging möglich, wo DSSS aufgrund der größeren Bandbreitenkapazität den Vorzug erhalte.

Ein weiterer Wermutstropfen, neben dem Kampf der Technologien, ist im WLAN-Umfeld der Kampf zwischen der IEEE-Norm und herstellerspezifischen "Standards". Die amerikanische Firma Proxim, die 1997 mehr als 46 Prozent aller FHSS-WLAN-Adapter herstellte, versucht, ihre "Open Air"-Spezifikation als Standard zu etablieren - gegen die Norm des IEEE. Zu diesem Zweck rief das Unternehmen das "Wireless LAN Interoperability Forum" (WLI-Forum, (http://www.wlif.com) ins Leben. Ihm gehören mehr als 20 Firmen an, darunter Hewlett-Packard, AMP, Intermec und Motorola.

Streit um den "richtigen" Standard

Das WLI-Forum garantiert, daß alle Produkte seiner Mitglieder interoperabel sind: in bezug auf die Datenkommunikation, das Roaming ("Weiterreichen" von Verbindungen), die Sicherheit und die Konfiguration. Die Produkte arbeiten im 2,4-GHz-Band und bieten Datenübertragungsraten bis 1,6 MBit/s. Den IEEE-Standard läßt allerdings auch Proxim nicht ganz links liegen. Die Firma bietet ebenfalls 802.11-Systeme an.

Weiteres Ungemach droht der Funk-LAN-Gemeinde durch die Frage, wie IEEE 802.11 in Richtung höherer Datenraten, sprich 10 oder 11 MBit/s, erweitert werden kann. Aironet stellte jüngst eine Bridge für DSSS vor, die 11 MBit/s verarbeiten kann. Aus technischen Gründen ist bei FHSS ein Upgrade auf Datenraten von 10 MBit/s und mehr wesentlich komplizierter. Deshalb überlegen einige Hersteller aus diesem Lager, künftig auf Hiperlan zu setzen. Diese Technik nutzt den Frequenzbereich 5 GHz und sieht Datenraten bis 23 MBit/s vor. Welche Regelung sich letztlich bei High-Speed-WLANs durchsetzt, ist noch völlig offen. Zu den klassischen Einsatzgebieten von Funk-LANs gehören laut Compulan, einem deutschen Spezialisten für Wireless LANs, unter anderem Krankenhäuser, Restaurants, Warenhäuser, Fabriken, Universitäten und "Ad-hoc-LANs" in Büros. Compulan vertreibt hierzulande die Produkte der israelischen Firma Breezecom, die sich vor allem mit Bridges für die Verbindung von Gebäuden einen Namen gemacht hat. In diesem Segment sind zudem Aironet und Proxim stark vertreten.

Den Markt der FHSS-Adapter dominierten laut IDC 1997 Proxim, Symbol und Aironet. Unternehmen wie Breezecom und die Cabletron-Tochter Netwave spielen eine Nebenrolle. Noch klarer sind die Verhältnisse bei Adaptern für DSSS-Systeme: Mehr als 60 Prozent stammten aus der Produktion von Lucent Technologies, jede dritte Karte kam von Aironet.

Der Umsatz mit WLAN-Komponenten (Adaptern, Access Points und Bridges) wird nach Schätzung der IDC-Experten weltweit von 700 Millionen Dollar in diesem Jahr bis 2003 auf 1,6 Milliarden Dollar wachsen. Micrologic Research ist optimistischer: Für den gleichen Zeitraum erwartet das Beratungsunternehmen Umsätze von 774 Millionen Dollar (1999) beziehungsweise 2,630 Milliarden Dollar (2003).

Noch ein Hinweis: Etliche Hersteller haben WLANs mit 10 MBit/s und mehr angekündigt. Wir planen deshalb für die zweite Jahreshälfte eine Marktübersicht zum Thema Funk-LANs.

Literatur

[1] Wireless LAN Systems - Technology and Specifications; White Paper der Firma NDC: http://www.ncdlan.com/wlanw2.htm

[2] Wavelan Wireless LAN - Technolgoy and Market Backgrounder; White Paper der Firma Lucent Technologies: http://www.wavelan.com/about/wavelan.html