Die Zukunft gehört Ethernet

27.04.2001
Rund 1100 Netzwerkspezialisten trafen sich Mitte März zur 69. Sitzung der Projektgruppe 802 des "Institute of Electrical and Electronics Engineers" (IEEE). Die wichtigsten Themen waren wieder einmal Ethernet in allen Varianten, "Resilient Packet Ring" und die drahtlose Datenübertragung, die nach Anlaufschwierigkeiten in Fahrt kommt.

Von: Dirk S. Mohl, Bernd Reder

Wie die Veranstaltungen zuvor verzeichnete auch das 69. Treffen der IEEE-Gruppe 802 mit 1100 Besuchern einen Rekordbesuch. Tagungsort war dieses Mal Hilton Head an der Ostküste der USA. Und wieder einmal war Ethernet das beherrschende Thema. Diese Technik dringt mittlerweile in alle Netzwerkbereiche vor, ins Weitverkehrs-Backbone-Netz in Form von 10-Gigabit-Ethernet, zu den Service Providern und in die Haushalte als "Ethernet in the First Mile" (EFM).

Die 10-Gigabit-Ethernet-Projektgruppe 802.3ae arbeitet zügig an der Vollendung des Standards. Jonathan Thatcher, der Leiter der Gruppe, ist mit dem Stand der Arbeiten zufrieden. Gegenwärtig ist Version 3.0 des Drafts verfügbar, welcher der Ethernet-Arbeitsgruppe (802.3) zur Abstimmung vorgelegt werden wurde. Da bei 10GE die Spezifikation "steht" und die harte Arbeit am Standard begonnen hat, nahmen etwas weniger Interessenten als bisher an den Meetings teil: etwa 100 bis 150. Während des Treffens diskutierte die Gruppe über Details wie die Jitter-Definition und das Management (MDC/MDIO).

Eine Spezifikation wurde aus dem Draft entfernt: 10GBASE-LW4 für 10GE über Multimode-Glasfaser mit 1310 Nanometer. Als Übertragungsverfahren war "Wide Wavelength Division Multiplexing" (WWDM) vorgesehen, als maximale Distanz 300 Meter. Dieser Ansatz stieß aber sowohl bei der In-dustrie als auch bei den Mitgliedern der Task Force auf geringes Interesse. Deshalb hat die Gruppe einmütig beschlossen, ihn fallen zu lassen.

Parallel zu 10GE laufen intensive Arbeiten an 10-Gigabit-Fibre-Channel, allerdings nicht innerhalb der IEEE-802-Gruppe. Betrachtet man deren Zeitplan, so fällt auf, dass er dem von 802.3ae ähnelt. Das ist nicht verwunderlich, denn für die physikalische Schicht (Physical Layer) sollen dieselben Chips verwendet werden.

Vormarsch ins Weitverkehrsnetz nicht zu stoppen

Unstrittig ist, dass die 10-Gigabit-Variante von Ethernet im lokalen Netz erfolgreich sein wird. Zum einen deshalb, weil es dort die dominierende Technik ist, zum anderen weil es für Hochgeschwindigkeitsverbindungen schlichtweg keine Alternative gibt. Verfahren wie Highspeed-Token-Ring oder ATM konnten sich im LAN nicht durchsetzen. Etwas anders sieht es im Weitverkehrsbereich und in Metro-Netzen aus. Dort spielt ATM eine wichtige Rolle. Im Vergleich zu Ethernet ist diese Technik zwar wesentlich komplexer, stellt dafür aber zusätzliche Funktionen zur Verfügung, wie etwa Quality of Service (QoS).

Wenn jedoch IP das einzige Protokoll ist, das über eine ATM-Verbindung übertragen werden soll, stellt sich folgende Frage: Warum nicht Echtzeitdaten direkt über IP und Ethernet transportieren? Denn auch diese Kombination stellt Funktionen bereit, mit denen sich der Datenverkehr managen und nach Prioritäten sortieren lässt. Hinzu kommt, dass es umständlich ist, Daten auf ihrem Weg über ein Weitverkehrsnetz in ein anderes LAN ständig zu übersetzen - von Ethernet-Paketen in ATM-Zellen und umgekehrt.

Einsatzgebiete von 10-Gigabit-Ethernet

ATM setzt auf SDH auf. Das kann 10GE auch, allerdings beträgt dann die Nutzdatenrate 9,58464 MBit/s. Einige Carrier spielen jedoch bereits mit dem Gedanken, neue Netze nicht mehr auf Grundlage von SDH aufzubauen, sondern dazu gleich die LAN-Version von 10-Gigabit-Ethernet zu verwenden. Dennoch macht es Sinn, für Ethernet den SDH-Anschluss zu spezifizieren, weil ein Anwender dann weiterhin die bestehende und erprobte SDH-Architektur verwenden kann.

Anders sieht es bei sprachorientierten Diensten aus. Bei den Telekommunikationsfirmen dominiert immer noch eine verbindungsorientierte Sichtweise. Sie geht davon aus, dass zwischen zwei Teilnehmern explizit eine Verbindung aufgebaut wird, für die eine exakt definierte Dienstgüte gilt, sprich Erreichbarkeit und Sprachqualität. Eine wichtige Rolle spielen zudem die Abrechnungsverfahren und Tarife.

Hellhörig wurden die Telefonfirmen, als das Projekt "IEEE 802.3 EFM" (Ethernet in the First Mile) anlief. Besonders für kleinere Gesellschaften könnte das ein interessanter Ansatz sein, um die Kosten zu reduzieren. Die Voraussetzung ist, dass die speziellen Anforderungen von Carriern Berücksichtigung finden. Deshalb stellte bei IEEE-Meeting eine lokale Telefongesellschaft ihr Netz vor und legte anhand dieses Beispiels dar, was Ethernet auf der "Ersten Meile" leisten muss, um als Zugangstechnik in Frage zu kommen, etwa in Bezug auf die Verfügbarkeit oder Echtzeitfähigkeit.

Brad Booth von Intel wies in einem Vortrag nochmals darauf hin, dass es sich bei EFM um ein völlig neues Einsatzgebiet für Ethernet handelt. Um einen Standard zu entwerfen, müsse sich die Arbeitsgruppe genau die Zielgruppe und deren Anforderungen anschauen. Und das seien nicht mehr nur die Provider von Datendiensten, sondern auch Carrier, Anbieter für Kabelfernsehen und insbesondere Haushalte.

Die Studiengruppe IEEE 802.3 EFM hat mittlerweile ihre Arbeit aufgenommen. An ihrer Spitze steht Howard Frazier von Dominet Systems. Er war bis zu diesem Plenary Meeting Schriftführer im IEEE-802-Vorstand.

Glasfaser als Übertragungsmedium

Ursprünglich war vorgesehen, für EFM die bestehenden Kupferleitungen in Büros und Haushalte zu verwenden, sprich Telefonleitungen und TV-Kabel. Die neueren Ansätze gehen aber darüber hinaus: So ist jetzt "Fiber to the Home" ein zentrales Thema. Während des Plenary Meetings haben die Mitglieder ihren "Project Authorization Request" (PAR) fertig gestellt, also den Antrag zur Freigabe des Projekts. Über ihn will das IEEE-Komitee für neue Standards, kurz Nescom, im September entscheiden. Parallel dazu wurde festgelegt, welche Spezifikationen EFM umfassen soll (siehe oben).

Bis zu 200 Teilnehmer verfolgten die Meetings der Studiengruppe. Dabei signalisierten 121 Personen und 77 Firmen, dass sie an einem Standard mitarbeiten möchten. Diese Zahlen sind für ein Meeting einer neuen Gruppe sehr hoch und lassen auf ein großes Interesse seitens der Hersteller und Anwender schließen. Allerdings muss sich EFM gegen starke Konkurrenz durchsetzen, beispielsweise Digital Subscriber Line (DSL). Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass letztlich der Preis den Ausschlag geben wird - und hier ist Ethernet bis jetzt unschlagbar.

Stromversorgung über das LAN-Kabel

Ein zweites Kernthema der Plenarsitzung war die Stromversorgung von Geräten im lokalen Netz über Twisted-Pair-Datenkabel. Die Gruppe "802.3af - DTE Power via MDI" legte Anfang des Jahres den Draft 1.1 vor, der die bis jetzt festgelegten Spezifikationen enthält, wie Spannung, Strom und Kabelpaare. Außerdem wird nun 1000Base-T unterstützt. Bei der Kennung für die Endgeräte legten sich die Fachleute auf die "Widerstandsmethode" fest. Die Gruppe schlägt dafür einen Widerstand mit 25 000 Ohm vor. Optional ist die "Autopolarity"-Funktion; sie stellt sicher, dass ein Geräte auch dann funktioniert, wenn die Pole der Stromversorgung vertauscht wurden.

Gegenwärtig arbeitet die Gruppe an einem Verfahren, das automatisch Endgeräte erkennt, die eine Stromversorgung über das Datenkabel unterstützen. An den Sitzungen der 802.3af-Arbeitsgruppe nahmen zwischen 30 und 40 Fachleute teil.

Ethernet in der Fabrikhalle

Speziell in Europa kristallisiert sich ein weiteres Einsatzfeld für Ethernet heraus, nämlich Fertigungsumgebungen. Auch dort besteht Bedarf an einer einfachen, einheitlichen und zuverlässigen Methode für die Datenübertragung. Zurzeit gibt es eine Vielzahl von teilweise proprietären Feldbussen. Alle diese Protokolle haben aber das Problem, dass sie beim Anwachsen des Bandbreitenbedarfs nicht mehr mithalten können, zum Beispiel dann, wenn neue Anwendungen auf Grundlage von TCP/IP auch in den Fabrikhallen Einzug halten, etwa Management über das Web oder Voice over IP.

Für Anwender in der Industrie sind vor allem folgende Punkte wichtig:

- Zuverlässigkeit,

- Redundanz und

- Ausfallsicherheit.

Hier weist Ethernet teilweise Defizite auf und muss noch entsprechend ergänzt werden. Erste Produkte sind aber bereits verfügbar. Mehrere Organisationen, wie etwa die "Industrial Automation Open Networking Alliance" (IAONA), bemühen sich um Standards für "Industrial Ethernet".

Rückenwind für die "Wireless-Fraktion"

Stark angewachsen sind in den vergangenen Monaten die Gruppen, die sich mit Funkübertragung beschäftigen: 802.11 - WLAN, 802.15 - WPAN und 802.16 - BWA. Zusammen dürften sie mittlerweile fast die Hälfte der Teilnehmer an den IEEE-802-Meetings stellen. Das wachsende Interesse der Netzwerkfirmen an Wireless-Techniken ist darauf zurückzuführen, dass die Nachfrage nach solchen Lösungen steigt. Zum einen geben immer mehr Anwender ihre Vorbehalte gegenüber Funknetzen auf, zum anderen haben Funktechniken ihre Kinderkrankheiten überstanden und bieten akzeptable Übertragungsraten von bis zu 11 MBit/s.

Inzwischen sind Standards für noch höhere Geschwindigkeiten in Arbeit. IEEE 802.11g soll beispielsweise mehr als 20 MBit/s zur Verfügung stellen. Die Arbeitsgruppe 802.16 (Wireless MAN) entwickelt funkgestützte Zugangstechniken, die größere Distanzen überbrücken. Mit einfacheren und preiswerteren Lösungen für Kurzstrecken-Netze beschäftigt sich die Working Group 802.15, etwa Bluetooth mit 200 kBit/s.

Wie bei den vorangegangenen Meetings stand den Teilnehmern auch in Hilton Head ein Funk-LAN zur Verfügung. Die Veranstalter hatten ein Wireless LAN auf Basis von IEEE 802.11 installiert, so dass die Fachleute in jedem Sitzungssaal drahtlos auf die Server und das Internet zugreifen konnten. Da aber viele Rechner mit einer Funk-Netzwerkkarte ausgestattet waren, gab es zeitweise deutliche Engpässe.

Generell lässt sich sagen, dass durch die Entwicklungen in der Netzwerktechnik in den letzten Jahren hin zu Ethernet und der drahtlosen Kommunikation die Bedeutung des Standardisierungsgremiums IEEE 802 deutlich gestiegen ist. Dies zeigt auch die Zahl der Teilnehmer, die sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt hat.

Dieser Entwicklung trägt auch das IEEE Rechnung: So sollen die IEEE-802-Standards zukünftig in elektronischer Form öffentlich und ohne Gebühr zur Verfügung stehen. Sie werden sechs Monate nach Erscheinen ins Internet gestellt. Die gedruckten Versionen können dabei wie bisher gegen eine Gebühr bezogen werden. (re)

Zur Person

Dirk S. Mohl

ist Projektleiter im Entwicklungsbereich von "Highspeed Networks Division Automation and Network Solutions" bei der Hirschmann Electronics GmbH & Co. in Neckartenzlingen.