Die Zeichen stehen auf Konvergenz

14.06.2002
Hinter dem Begriff "Rich-Media-Conferencing" verbirgt sich ein wichtiges Werkzeug künftiger Unternehmenskommunikation. Konferenzen zwischen räumlich entfernten Teilnehmern lassen sich aus einer integrierten Umgebung heraus aufrufen und verwenden dabei eine Mischung aus Audio, Video und Grafik, die sich an das jeweilige "Kommunikationsziel" anpassen lässt.

Von: Niels Kellerhoff, Bernd Reder

In den vergangenen zehn Jahren waren Telefon-, Video- und Datenkonferenzen einzelne, voneinander unabhängige Anwendungen. Das Zusammenschalten mehrerer Teilnehmer über leitungsvermittelte Netze ist heute immer noch die vorherrschende Technik. Bei der Videokommunikation galt lange Zeit ISDN als Trägermedium erster Wahl. Die Grundlage für das gemeinsame Bearbeiten von Daten und deren Austausch bildete der komplexe T.120-Standard.

Nun führen neue Techniken und Anwendungen zu einschneidenden Veränderungen bei computer- und netzwerkgestützten Konferenzsystemen. Vor allem paketorientierte Netze auf Basis des Internetprotokolls (IP) geben der Konferenzindustrie einen neuen Schub, der insbesondere dem Sorgenkind Video zugute kommen könnte. Obwohl viele Mängel behoben wurden, leidet diese Technik noch unter dem negativen Image, das sie in den 90er Jahren erwarb.

Kinderkrankheiten überwunden

Tatsache ist, dass Videokonferenzsysteme heute nicht mehr teuer in der Anschaffung, unzuverlässig im Betrieb oder kompliziert in der Wartung sind. Fortschritte waren in den vergangenen fünf Jahren auch in Bezug auf Qualität, Kosten und Zuverlässigkeit zu verzeichnen. All diese Faktoren sprechen dafür, den Einsatz von Videokonferenzsystemen neu zu bewerten.

Doch auch neue Internetanwendungen, etwa Web-Conferencing, Streaming Media und Instant Messaging (IM), verändern die Konferenzlandschaft. Häufig werden diese Techniken mit herkömmlichen Konferenzlösungen kombiniert. So können heute beliebig viele entfernte Teilnehmer mittels Web-Conferencing über das Internet auf Präsentationen zugreifen, beispielsweise einen Powerpoint-File. Parallel dazu kommunizieren die Teilnehmer über Telefon. Durch diese Kombination von Web- und Telefonkonferenz entsteht eine Präsentations- und Besprechungsrunde, die Teilnehmer an unterschiedlichen Standorten miteinander verbindet. Sie benötigen dazu lediglich einen Rechner mit Internetverbindung und ein Telefon.

Die Präsentation wird auf den Web-Conferencing-Server eines Unternehmens oder Serviceproviders deponiert. Um auf die Datei zuzugreifen, müssen die Teilnehmer ihren Internet-Browser in einen Web-Conferencing-Client umfunktionieren. Dies erfolgt durch das einmalige Herunterladen eines Java-Applets.

Auch Instant Messaging kann zur Ergänzung von Fernkonferenzen eingesetzt werden. Mithilfe von IM ist ein Anrufer beispielsweise in der Lage, im Voraus zu klären, ob ein Besprechungsteilnehmer überhaupt verfügbar ist. Mit Streaming Media können größere Zielgruppen via Internet an Audio- oder Videoübertragungen teilnehmen. Allerdings schränkt die Verzögerung von mehreren Sekunden zwischen dem Senden und Empfangen des Streams sowie die Ein-zu-Mehrpunkt-Charakteristik dieser Technik die Interaktivität zwischen Teilnehmern ein. Dennoch wird auch diese Kommunikationsform künftig zu einem festen Bestandteil des Konferenz-Portefeuilles.

Mittelfristig werden die unterschiedlichen Kommunikationsarten in einer integrierten Rich-Media-Conferencing-Umgebung miteinander kombiniert, denn alle Techniken weisen unterschiedliche Eigenschaften in Bezug auf Interaktivität und Reichweite auf. Einerseits fordert eine hohe Interaktivität die Vollduplex-Echtzeitfähigkeit des Übertragungsmediums, andererseits stoßen echtzeitfähige Audio- und Videokonferenzlösungen hinsichtlich der maximal möglichen Teilnehmerzahl schnell an ihre Grenzen. Dies wiederum schränkt ihre Reichweite ein.

Einige der neuen Kommunikationsarten sind allerdings nur über paketorientierte Netze verfügbar. Das bedeutet, dass Konferenzsysteme künftig nicht mehr an IP vorbeikommen werden.

Videokonferenzen: Eins zu eins oder Gruppe

Nach dem Terroranschlag am 11. September 2001, als viele Firmen ihren Mitarbeitern Flugreisen untersagten, rückten Videokonferenzen stärker ins Rampenlicht. Doch dies erwies nur als ein kurzlebiges Phänomen. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass Video- oder Rich-Media-Konferenzen zumindest einen Teil der Dienstreisen ersetzen können, was wiederum Zeit und Geld spart.

Aus der Sicht der Marktforschungsfirma Wainhouse Research gibt es zwei Szenarien für den Einsatz von Videokonferenzen:

- Gruppenkonferenzen, die typischerweise in einem Besprechungsraum stattfinden, sowie

- Meetings zwischen Personen, die direkt von ihrem Arbeitsplatz aus miteinander kommunizieren (Desktop-Conferencing).

Ähnlich wie bei einem "realen" Treffen von Personen in einem Konferenzraum müssen Gruppenkonferenzen im Vorfeld geplant und aufgesetzt werden. Die Endgeräte bieten mittlerweile eine gute Audio- und Videoqualität, die der von Fernsehgeräten nahe kommt. Heute werden noch über 80 Prozent aller Gruppenvideokonferenzen über ISDN-Netze geführt. Allerdings ist eine Trendwende in Sicht: Je mehr Unternehmen ihre Besprechungsräume mit Videokonferenzanlagen ausstatten, desto wichtiger wird die Forderung nach der Fernwartung dieser Geräte und einer Netzwerküberwachungs- und Management-Software, die eine reibungslose Steuerung der Konferenzen erlaubt. Diese Managementsysteme verlangen eine ständige Verbindung zum Endgerät - eine Anforderung, die paketorientierte Netze unterstützen. So ist es nicht verwunderlich, dass über 90 Prozent aller verkauften Gruppenkonferenzsysteme heute mit leitungsgebundenen ISDN- wie auch paketorientierten IP-Schnittstellen ausgerüstet sind und sowohl die Protokolle H.320 (ISDN) als auch H.323 (IP) unterstützen.

Bessere Qualität bei IP-Systemen

Einer der größten Vorteile der IP-Videokommunikation im Vergleich zu ISDN sind die geringeren Betriebskosten, weil die Verbindungsabrechnung nicht entfernungs- oder zeitabhängig erfolgt. Zudem lässt sich eine höhere Audio- und Videoqualität erzielen, weil größere Bandbreiten zur Verfügung stehen. Eine für Unternehmen ausreichende Videoqualität wird durch sechs zusammengeschaltete ISDN-B-Kanäle mit insgesamt 384 kBit/s erreicht. Firmeninterne IP-Netze bieten dahingegen mindestens 10 MBit/s Übertragungsgeschwindigkeit, sodass ein Videoanruf durchaus mehr als 512 kBit/s belegen kann.

Allerdings gibt es noch einige Hürden, welche die Videokommunikation über IP zu überwinden hat. So ist es auch innerhalb von Unternehmensnetzen (Corporate Networks) erforderlich, eine angemessene Dienstgüte (Quality of Service) zu garantieren; außerdem müssen die Daten Firewalls passieren können. Ein weiterer heikler Punkt ist der Transport von Echtzeit-Videodaten über öffentliche IP-Netze, sprich über das öffentliche Internet. Wainhouse Research glaubt allerdings, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis IP-Videokommunikation die ISDN-Variante ersetzt.

Noch keine Erfolgsstory: Desktop-Videoconferencing

Die Entwicklung des Desktop-Videokonferenzmarktes verlief bisher enttäuschend. Im Gegensatz zu Gruppenlösungen wurden in den vergangenen Jahren immer weniger Desktopsysteme ausgeliefert. Ein Grund dafür ist, dass die Hersteller ihre Systeme anfangs als abgespeckte Gruppenlösung im Markt positionierten. Sie übersahen dabei die Tatsache, dass die persönliche Videokommunikation ebenso einfach zu handhaben sein sollte wie ein normales Telefonat, das bedeutet: Anrufe ohne vorheriger Reservierung, die Unterstützung von Merkmalen wie Besetztzeichen, Weiterleiten, Anrufbeantworter, et cetera. Diese Erwartungen wurden bisher nicht erfüllt, und die Anwender reagierten nach anfänglicher Euphorie mit Desinteresse.

Allerdings stehen die Chancen nicht schlecht, dass "Personal Video Conferencing" ein Comeback feiert. Dafür spricht, dass Probleme wie mangelhafte Videoqualität, komplizierte Installation und zu hohe Kosten überwunden sind. Haben Unternehmen erst einmal den Übergang zu einer reinrassigen IP-Kommunikationsumgebung vollzogen, könnte Video zudem als Ergänzung von Voice-over-IP-Gesprächen dienen.

Webbrowser als zentrale Schaltstelle

Parallel dazu zeichnet sich ab, dass Unternehmen und Serviceprovider eine integrierte Konferenzumgebung für die reibungslose Zusammenarbeit zwischen Teilnehmern anstreben. Eine einzige Browser-gestützte Benutzerschnittstelle soll es dem User ermöglichen, alle angebotenen Audio-, Video- und Webkonferenzoptionen aufzurufen. Wichtig dabei ist, dass die Anwender eine solche Konferenz spontan initiieren können, also ohne Planung oder Reservierung. Das ist eines der wesentlichen Voraussetzungen für den Erfolg von Konferenzen auf persönlicher Ebene.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Konferenzindustrie die erste kritische Entwicklungsphase überwunden hat. Nun steht Phase zwei an, in der die Anwender beispielsweise Managementsysteme verlangen, mit denen sich unterschiedliche Konferenz-Endgeräte überwachen und steuern lassen. Auch die Benutzerschnittstellen gewinnen an Bedeutung. Sie sollten den intuitiven Einsatz von Konferenzen fördern. Dazu gehört auch, dass die Systeme den Benutzer nicht dazu nötigen, sich mit technischen Details herumzuplagen, etwa Netzwerkprotokollen oder Übertragungsstandards.

Zur Person

Niels Kellerhoff

leitet das europäische Büro von Wainhouse Research. Die amerikanische Marktforschungsgesellschaft konzentriert sich auf den Sektor Rich-Media-Conferencing.