Die Pakete kommen

07.04.2000
Der "General Packet Radio Service" (GPRS) ist das Bindeglied zwischen der zweiten und dritten Mobilfunkgeneration. Mit ihm hält die paketorientierte Datenübertragung Einzug ins GSM-Netz. Neben mehr Bandbreite bietet GPRS ein neues Abrechnungsmodell: Der Anwender zahlt nur noch für die Bandbreite, nicht mehr für die Verbindungszeit.

Von: Kai-Oliver Detken

GPRS ist eine paketorientierte Technik. Sie benötigt etwa 500 Millisekunden, um ein 500 Byte großes Datenpaket zu übertragen. Der Standard unterstützt sowohl IP als auch X.25, wobei das Internet-Protokoll als Vermittlungsprotokoll fungiert. Allerdings bietet GPRS alleine noch keine höhere Transfergeschwindigkeit, sondern vereinfacht lediglich die Anbindung an ein Datennetz. Realisiert werden die Bandbreiten bei GSM durch den "High Speed Circuit Switched Data"-Service (HSCSD).

Bei GPRS teilen sich alle Teilnehmer einer Funkzelle die zur Verfügung stehende Übertragungskapazität. Die Funkstrecke wird einem Sender nur dann zugeteilt, wenn dieser tatsächlich Pakete überträgt. Damit alle Teilnehmer zum Zuge kommen, regeln spezielle Protokolle den Zugriff auf die Kanäle.

Dienste: Punkt zu Punkt oder Punkt zu Multipunkt

Ein Sender kann bei GPRS Informationen an einen oder mehrere Empfänger gleichzeitig übermitteln. Dabei spielt es keine Rolle, wo sich die Kommunikationsteilnehmer befinden. Sie können über eine Basisstation direkt an das GPRS-Netz angeschlossen sein, aber auch an externe Datennetze.

Prinzipiell stehen bei GPRS zwei Dienstkategorien zur Verfügung:

- Point-to-Point-Services (PTP) und

- Point-to-Multipoint-Dienste (PTM).

PTP-Dienste übertragen IP-Pakete zwischen zwei Benutzern, PTM-Services unterstützen die Datenübermittlung von einem Absender zu einer Empfängergruppe, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Gebiet aufhält. Jeder GPRS-Teilnehmer hat die Möglichkeit, sich für eine oder mehrere Teilnehmergruppen registrieren zu lassen. Diese Gruppen sind entweder Dienstanbietern oder Applikationen zugeordnet. Die Point-to-Multipoint-Services lassen sich nochmals in zwei Klassen einteilen:

- PTM Multicast (PTM-M): Die Daten werden in alle Regionen übertragen, die der Absender angegeben hat, entweder an alle Empfänger oder nur an spezielle Teilnehmergruppen.

- PTM Group Call (PTM-G): Die Informationen gehen nur an eine bestimmte Gruppe von Teilnehmern, und zwar ausschließlich in die Zellen eines Gebietes, in denen sich Teilnehmer der Gruppe befinden. Das Netz muss also - anders als bei PTM-M - alle Teilnehmer der Gruppe kennen, die sich zum Sendezeitpunkt innerhalb des Gebietes befinden. Diesen Raum legt bei PTM-G der Absender des Gruppenrufs für alle Datenübertragungen fest, die sich auf diesen Ruf beziehen.

GPRS erfordert Veränderungen der GSM-Netzarchitektur. Die wichtigste ergibt sich aus der Einführung der "GPRS Support Nodes" (GSN). Sie sind für die Paketvermittlung zuständig und dienen als Gateway zu den Paketnetzen. Außerdem übernehmen die GSN das Mobilitätsmanagement (Mobility Management) der Teilnehmer.

Diese Funktionen spiegeln sich in zwei Subsystemen wider. Die Gateway-Funktion wird vom "Gateway GPRS Support Node" (GGSN) wahrgenommen, während der "Serving GPRS Support Node" (SGSN) für das "Mobility Management" zuständig ist. Weil jeder Mobilstation eine temporäre, dynamische Adresse zugeordnet ist, kann das SGSN beim Mobility Management einen Teilnehmer eindeutig identifizieren. Aus dessen Sicht erfolgt die Adressierung wie gewohnt über seine Netz- beziehungsweise IP-Adresse.

Beim Datenfluss unterscheidet die GPRS-Netzarchitektur zwei Pfade. Die Nutzinformationen nehmen den direkten Weg zwischen "Base Station Controller" (BSC) und GSN. Die für die Signalisierung notwendigen Informationen werden dagegen über das "Mobile Switching Center" (MSC) übertragen. Für den Betreiber bedeutet dies, dass er sein Netz entsprechend umbauen muss.

Wege für die Daten

Der Datenfluss lässt sich folgendermaßen beschreiben: Die Daten wandern von der Basisstation des Netzbetreibers zum "Serving GPRS Support Node" (SGSN). Das ist die Schaltzentrale innerhalb der GSM-Struktur, die für den Empfang und das Versenden der Daten zu den mobilen Geräten zuständig ist. Dieser Knoten verwaltet zudem die Anfragen aller mobilen Geräte innerhalb seines Einzugbereiches. Der SGSN kennt immer die temporäre oder feste Adresse des Mobilfunkteilnehmers. Um die Daten des Teilnehmers zu erhalten, sendet er Anfragen an das "Home Location Register" (HLR). Außerdem identifiziert der Knoten alle neu hinzukommenden GPRS-Terminals in seinem Zuständigkeitsbereich.

Der SGSN kommuniziert mit dem "Gateway GPRS Support Node" (GGSN), einem System, das über Standleitungen mit anderen Netzen, wie beispielsweise dem Internet, verbunden ist. Es konvertiert die Daten in das für das jeweilige Netz typische Format. Eine weitere Aufgabe des GGSN besteht darin, eingehende Daten zu verarbeiten und für den Versand an das Handy vorzubereiten. Die Kommunikation zwischen SGSN und GGSN erfolgt über das "GPRS Tunnel Protocol". Wie der Name sagt, bauen die beiden Instanzen für die Kommunikation einen Tunnel auf. Der SGSN leitet die vom GGSN gesendeten Pakete dann an die richtige Basisstation weiter.

Die Daten werden im GPRS-Netz zwischen dem mobilen Teilnehmer (MS) und der Basisstation (BSS) über die Luftschnittstelle "Um" übertragen. Der Base Station Controller erkennt den GPRS-Datenverkehr und leitet ihn zum SGSN weiter. Gegenwärtig geschieht dies meist über eine Frame-Relay-Verbindung; es kommen jedoch auch andere Techniken in Frage, wie etwa ATM. Der SGSN übermittelt die Daten dann über den GPRS-Backbone zum GGSN, der als Bindeglied zwischen dem GPRS- und dem öffentlichen, paketvermittelnden Netz (Internet oder Datex-P) dient.

Das mobile GPRS-Endgerät setzt auf der Netzwerkschicht auf, das heißt auf TCP/IP oder X.25. Die IP- oder X.25-Pakete werden vom "Sub-Network Dependent Convergence Protocol" (SNDCP) direkt auf die "Link Layer Control"-Schicht (LLC) abgebildet. SNDCP kann von der Netzwerkschicht kommende Datagramme beziehungsweise Pakete in einzelne Segmente aufteilen, mehrere Datagramme der Netzwerkschicht multiplexen und über eine einzelne virtuelle Verbindung übertragen. Zusätzlich lassen sich die Daten bei Bedarf verschlüsseln oder komprimieren.

LLC garantiert sichere Übertragung

Die LLC-Schicht spielt bei GPRS eine ähnliche Rolle wie die "Link Access"-Prozedur auf dem Dm-Kanal (LAPDm) bei GSM: Sie ist für die Flusskontrolle und Fehlerkorrektur zuständig, das heißt, sie garantiert die zuverlässige Übertragung der Nutzdaten zwischen dem Mobilteilnehmer und dem SGSN. Zusätzlich werden Punkt-zu-Mehrpunkt-Verbindungen unterstützt. Die "Radio Link Control"- (RLC-) Schicht übernimmt die Daten von der LLC-Schicht und stellt eine zuverlässige logische Verbindung über die Luftschnittstelle zwischen Mobilteilnehmern und den Basisstationen her.

Den Zugriff auf die GSM-Kanäle steuert die MAC-Schicht (Media Access Control). Ähnlich wie bei Shared-Ethernet im lokalen Netz regelt die Zugriffssteuerung, wer wann welchen Zeitschlitz auf der Trägerfrequenz nutzen kann. Zusätzlich ist die MAC-Schicht für das Multiplexen der Teilnehmer zuständig und soll Kollisionen vermeiden. Außerdem wacht sie über die Reservierungsstrategien hinsichtlich einer vereinbarten Dienstgüte. Die GPRS-MAC-Schicht kann einer Mobilstation gleichzeitig mehrere physikalische Kanäle zuweisen und dadurch die Datenrate erhöhen. Die Daten, die von der MAC-Schicht kommen, werden anschließend für die Funkübertragung vorbereitet und durch einen GSM-Rahmen an die Basisstation übertragen.

GPRS-Backbone mit den G-Schnittstellen

Das Kerngeschäft der Mobilfunk-Carrier ist die Sprach-, und nicht die Datenkommunikation. Deshalb muss eine dynamische Ressourcenverwaltung auf der Luftschnittstelle sicherstellen, dass sich im selben Netz gleichzeitig durchschaltvermittelte und paketvermittelte Kanäle nutzen lassen. Die Lösung ist eine unterschiedliche Priorisierung von GSM/HSCSD- und GPRS-Diensten. Hier kommen die G-Schnittstellen ins Spiel.

Die Gb-Schnittstelle sitzt zwischen dem Basisstationssystem (BSS) und dem SGSN. Dabei sind BSS und SGSN über Frame Relay (FR) verbunden. Die Basisstation setzt die Daten des Mobilfunkteilnehmers um, sodass die LLC-Schicht statt auf RLC auf das "Base Station System GPRS Protocol" (BSSGP) aufsetzt. BSSGP bearbeitet die Routing-Informationen und die Angaben zur Dienstgüte (Quality of Service) der Datenpakete. Diese BSSGP-Anforderungen übersetzt die "Network Service"-Teilschicht (NS) dann in das Frame-Relay-Transportprotokoll (Q.922).

Der GPRS-Backbone verbindet über ein IP-Netz das Gateway GGSN und den Serviceknoten SGSN. Als Transportprotokoll kommen ATM oder SDH in Frage. Wegen des Mangels an IP-Adressen und der QoS-Mechanismen war zuerst angedacht, IPv6 einzusetzen. Allerdings gibt es bislang noch keinen konkreten Vorschlag zugunsten dieser IP-Version, sodass vorläufig beide Varianten in Betracht gezogen werden müssen.

SGSN extrahiert die Daten, die der Mobilfunkteilnehmer sendet, und verpackt sie mit Hilfe des "GPRS Tunneling Protocol" (GTP) in IP- oder X.25-Pakete. Das erfolgt auch dann, wenn eine Anwendung bereits beim Teilnehmer die Daten in IP-Pakete umsetzt. Sie werden in diesem Fall dann doppelt verpackt. Alle GPRS Supporting Nodes (GSN) verwenden für die Signalisierungs- und Datenübertragung das GTP, unabhängig vom Standort der Knoten.

Die GTP-Signalisierung steuert den Aufbau- und Abbau der Tunnel, mit deren Hilfe die GSNs Daten austauschen. Dabei haben weder die GPRS-Mobilteilnehmer noch die Server im Internet oder das X.25-Netz etwas mit dem Tunnelprotokoll zu tun, weil die Kommunikation ausschließlich zwischen den GSNs stattfindet. Das Gateway GGSN entpackt lediglich die Datenpakete, die vom Mobilfunkteilnehmer kommen und reicht beispielsweise die IP-Pakete an einen IP-Router weiter.

Auch nach Einführung von GPRS werden Sprachverbindungen über die "Mobile Switching Centers" (MSCs) der GSM-Infrastruktur geführt. Da man mit der Einführung von IP allerdings paketvermittelnde Datendienste aufsetzen möchte, muss GPRS zwangsläufig auf einem paketvermittelnden IP-Datennetz basieren. Grundlegende Bedeutung besitzen dabei die Komponenten GGSN, SGSN, BG und PTM-SC. Während GGSN die Schnittstelle zu anderen Datennetzen, wie Internet und X.25, darstellt, übernimmt SGSN im GPRS-Backbone im Wesentlichen die Funktion des MSC. Das "Border Gateway " (BG) dient als Schnittstelle zwischen den GPRS-Netzen verschiedener Netzbetreiber. Sind mehrere BGs erforderlich, so ist es aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, sie an einem Ort zu installieren.

Mit Hilfe des Point-to-Multipoint Service Center" (PTM-SC) lässt sich GPRS um Gruppenfunktionen erweitern. Aus Kostengründen müssen die Basisstations-Subsysteme dabei unverändert bleiben. In den Basisstationen sowie dem Home Location Register (HLR) und Visitor Location Register (VLR) ist dadurch nur ein Software-Update nötig. Auch bei GPRS sind Signalisierung und Datenübertragung streng voneinander getrennt: Das SS7-Netz bildet die Schnittstelle zwischen MSC, SGSN und HLR und SMS. Im Datenbereich erfolgt noch keinerlei Signalisierung, hier müssen die Daten mit Hilfe von Routing den Weg zum Teilnehmer finden. Dies erfolgt auf Hop-by-Hop-Basis, wobei die Zieladresse im Paketkopf verwendet wird. Das GPRS-Tunnelling-Protocol hat die Aufgabe, die IP- oder X.25-Adresse in eine GPRS-Adresse umzuwandeln. Diese kann einem Server im GPRS-Backbone zugeordnet sein oder einem GGSN für den Übergang in andere Datennetze.

Mobile Teilnehmer, die Daten übertragen wollen, werden innerhalb eines GPRS-Abdeckungsbereichs über den VLR geortet und beim zuständigen MSC registriert. Die SGSNs tauschen die Daten über die Teilnehmerstandorte untereinander aus. Dabei bestehen zwischen dem Teilnehmer und dem SGSN logische Verbindungen, solange sich dieser im Abdeckungsbereich befindet. Beendet der Teilnehmer eine Übertragung oder wechselt er den Bereich, wird eine neue logische Verbindung aufgebaut, worauf auch die damit verbundenen Ressourcen neu vergeben werden können. (re)

Zur Person

Kai-Oliver Detken

studierte Informationstechnik an der Universität Bremen. Heute ist er als Senior Consultant bei der WWL Internet GmbH tätig und leitet den Bereich "WWL Network Bremen".