Anbieter und Anwender

Die Folgen der großen Cloud-Verunsicherung

05.03.2014 von Frank Sempert
Cloud Computing hat es gerade schwer. Wegen der NSA-Affäre investiert der Mit-telstand nicht in Cloud-Projekte und Provider entwickeln zu wenig neue Lösungen. Eine fatale Entwicklung.

Unter den Technologiethemen beherrscht in diesem Jahr die "Sicherheit" die Agenden, allerdings nicht nur wegen der NSA-Affäre. Die zunehmende Digitalisierung führt dazu, dass IT-Ausfälle und Sicherheitslücken für Unternehmen immer teurer und risikoreicher werden, so dass alle Anstrengungen unternommen werden, um Probleme zu vermeiden.

Allerdings weckt der Weg in die Zukunft einer digitalen Welt Besorgnisse und Ängste. So ist es unvermeidbar, dass zunächst reale Themen wie eben die Sicherheit vorgezogen werden. Die Cloud wiederum ist kein Individuum, sondern Teil des Ganzen und somit in einem Boot zusammen mit Mobile, Cloud, Social & Advanced Analytics (MCSA) und wird kaum über Bord gehen können.

Trends 2014
Natürlich zählen Cloud, Mobility und Big Data zu den wesentlichen Trends 2014. Die Experton Group hat darüber hinaus sieben weitere Themen identifiziert, die IT-Organisationen im Blick behalten sollten.
Mobile Workspace und Apps
Seit Jahren ist Mobilität der treibende Faktor für Veränderungen im Arbeitsumfeld und für die IT-Organisation. Über mobile Arbeitsgeräte wie Laptops bis hin zu den Smartphones und Tablets, sind Themen wie Bring your own Device (BYOD) zu Schlagwörtern geworden. <br><br>2014 ist es notwendig, nicht mehr den Arbeitsplatz sondern die Arbeitsumgebung in den Fokus zu rücken, also vom Workplace zum Workspace. Die Mobile Apps gewinnen damit an Bedeutung. Voraussetzung für den Wandel sind eine passende Entwicklungsumgebung, die Unterstützung mehrerer Betriebssysteme, der Zugriff auf Enterprise Daten und Sicherheitsaspekte. Ohne professionellem Mobile Device Management und Service-Partnern sind diese Punkte kaum zu bewerkstelligen.
Cloud Computing
Das Hype-Thema Cloud verschwindet nicht einfach wieder, sondern stellt die neue IT-Architektur des Jahrzehntes dar. Die IT-Organisation versuchen mit hybriden Cloud-Modellen das Konzept unter Kontrolle zu bringen, andere schieben Sicherheitsbedenken vor um de Trend abzuwenden. <br><br> Doch für Anwender aus Leitungsebenen und Fachbereichen ist das Angebot genau das, was sie immer schon wollten – IT aus der Steckdose. Damit obliegt der IT-Organisation die Herausforderung, die IT-Infrastruktur - und hier insbesondere die Server- und Speichersysteme – in eine IaaS-Umgebung zu überführen, also zu „cloudifizieren“.
Dynamic Infrastructure
Von der internen Cloud-Installation führt der Weg direkt in eine Dynamic Infrastructure. Sie umfasst vorhandene Rechenzentren und beachtet zukünftigen Anforderungen, die etwa im Zug von Big-Data-Projekten sowie von intelligenten Produkten und Services entstehen können. Ziel ist es, für die nächste fünf bis 15 Jahre eine RZ-Strategie mit größtmöglicher Flexibilität zu erarbeiten, die unterschiedlichsten Anforderungen standhält. <br><br> Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob und wie viele eigene Rechenzentren noch gebraucht werden? Oft wird diese Antwort „strategisch“ entschieden, sprich emotional. Aber auch das lässt sich sehr gut mit einer zukünftigen Dynamischen-Infrastruktur-Strategie vereinbaren. Hybride Clouds und zumindest ein eigenes RZ werden bis 2020 die dominierenden Lösungen sein.
Social Business
Viele Unternehmen stehen dem ausufernden E-Mail-Verkehr hilflos und frustriert gegenüber und suchen neue Lösungen. Bei Social Business geht es nicht darum, bekannte Social-Media-Anwendungen (Facebook etc.) zu nutzen, sondern deren Prinzipien wie zum Beispiel Collaborative Writing, File Sharing, Blogs, Activity Streams, Wikis und Microblogging im Unternehmen anzuwenden. Größtes Hindernis für die Einführung ist aus Sicht der IT, dass kein Bedarf existiert. Die Fachabteilungen hingegen geben als Hauptgrund die Ablehnung durch die IT-Abteilung an.
Big Data
Big Data ist eine unweigerliche Entwicklung, weil Informations- und Kommunikationstechnologien schon jetzt fast alle Lebens- und Geschäftsbereiche durchdrungen haben. Für Datenmengen, die bei großen Unternehmen künftig leicht Terabytes und Petabytes umfassen können, sind neue Verfahren, Algorithmen und Geschäftsprozesse hinsichtlich der Verwaltung, Verarbeitung, Analyse und Verteilung erforderlich. <br><br>So lassen sich Mehrwerte aus Informationen in einer heute nicht immer vorstellbaren Art und Weise gewinnen. Big Data erweitert klassische Business-Analytics-Anwendungen. Die Zahl der an Datenquellen wird deutlich zulegen. Gleiches gilt für interne und externe Datennutzer und Verarbeitungsgeschwindigkeit.
Identity Management und Cybersecurity
Die Vernetzung via Internet hat den Bedarf nach bewusster Anonymität verstärkt. Der verantwortungsvolle mit der eigenen digitalen Identität gestaltet sich komplex. In Unternehmen ist daher ein Identity-Management mit Schnittstellen zum Access Management sinnvoll. Damit lassen sich Zugriffsrechte verwaltet, Single-Sign-On-Konzepte (SSO) umsetzen und Security-Policies verwalten. <br><br> Die Anforderungen an die Cybersecurity im Unternehmen sind Bestandteil eines alles umfassenden Risiko-Managements. Zu den Aufgaben zählen etwa Risiken identifizieren und bewerten, Richtlinien zu verfassen und zu kontrollieren, Berichtswege etablieren, die Risikosteuerung umzusetzen sowie die Gefahrenlage im Geschäftsbericht zu beschreiben.
ERP, CRM, SCM of the Future
Die ERP-Systeme in den meisten Unternehmen ranken sich um SAP-Lösungen. Ob eine ERP-zentrische Applikationswelt für nicht produzierende Unternehmen die richtige Architektur ist, oder vielleicht das CRM – sprich der Kunde – im Mittelpunkt stehen sollte, bleibt dahingestellt. <br><br> In der Zukunft wird es darum gehen, das vernetzte Chaos zu orchestrieren. Die Flexibilisierung der Alt-Systeme mit neuester S-BPM-Methoden (Subjektorientiertes Business Process Management), steht bei vielen Unternehmen auf der Wunschliste. Erst dadurch wird eine schnelle und individuelle Prozessänderung zu günstigen Kosten ermöglicht. <br><br> Das ist wichtig weil der Kostendruck weiter steigen wird. Bislang beliefen sich die ERP-Kosten auf durchschnittlich rund ein Prozent vom Gesamtumsatz. Künftig sollten sich die gemittelten Wert laut Experton-Empfehlung zunächst auf unter 0.8 Prozent und spätestens bis 2017 auf weniger als 0,5 Prozent reduzieren. Damit werden Finanzmittel frei, die sich in innovative Projekte investieren lassen.
Software as a Service (SaaS)
SaaS ist ein besonders beachtenswerter Trend, weil er von den Fachabteilungen vorangetrieben wird. Während sich ihr Bedarf an Computing-Power aus öffentlichen IaaS-Plattformen zumeist auf wenige, sehr spezielle Anwendungen etwa für Rendering beschränkt, ist die Nachfrage nach Applikationen aus der Cloud gewaltig.<br><br><br>SaaS erfüllt den schon immer vorhandenen Wunsch, Anwendungen schnell und frei von Beschaffungsbedenken der IT-Organisation nutzen zu können. <br><br> Aber der IT-Organisation ermöglichen SaaS-Lösungen komfortable Wege. Sie erleichtern beispielsweise einen internationale Rollout von Applikationen.
Consumerization
Spätestens mit der Einführung des iPhones hielt die IT Einzug in Massenmarkt. Den Anbietern eröffnen sich damit völlig neue Dimensionen. Statt tausende von Unternehmen als Kunden zu gewinnen, geht es nun darum, Milliarden von Nutzern weltweit zu erreichen. Über das Privatkundengeschäft dringen mobile Geräte und Anwendungen in die Unternehmen vor und verändern sowohl die interne IT, als auch das ITK-Geschäft nachhaltig. <br><br> Als Beispiel seien die häufig in Smartphones verbauten ARM-Prozessoren (Advanced RISC Machine) genannt: Sie sind heute auch schon in hoch-performanten, massiv parallelen Server-Systemen zu finden. Das Wettbewerbsumfeld verändert sich demnach, ausgelöst durch Erfolge im Privatkundengeschäft. <br><br> Im Unternehmens-internen Umfeld steigen die Ansprüche. Die privat angeschafften IT-Geräte und Anwendungen übertreffen oftmals die Unternehmens-IT in Sachen Komfort, Innovation, Mobilität und Multi-Media. Zudem sind sie auch noch günstiger. Dieser Entwicklung muss sich die IT-Organisation stellen.
Digitalization - IT als Produkt
Die Digitalisierung unseres täglichen Lebens und der Arbeitswelt schreitet unaufhörlich voran. Verbreitung und Durchdringung haben bereits nie gekannte Höhen erklommen, und das Ende ist nicht absehbar. M2M-Anwendungen (Maschine-zu-Maschine) steht in den Startlöchern. Intelligente Werkzeuge, Maschinen und Dienstleistungen schaffen eine Basis dafür, sich gegenüber Wettbewerbern zu differenzieren.

KPMG-Studie: Cloud-Projekte auf Eis gelegt

Unternehmen, weitestgehend SMBs, die Cloud in der Praxis einsetzen, berichten überwiegend, positive Erfahrungen gemacht zu haben. Alle Analysten prognostizieren auch weiterhin ein Wachstum des Cloud-Marktes. Doch die Enthüllungen über die Abhörmethoden der US-Geheimdienste haben viele Cloud-Nutzer nachdenklich gemacht. Immerhin 18 Prozent der beim aktuellen Cloud-Monitor der KPMG befragten Unternehmen haben geplante oder sogar bestehende Cloud-Projekte auf Eis gelegt.

Unter dem Strich ist der Einsatz von Cloud Computing in der deutschen Wirtschaft aber erneut gewachsen. 40 Prozent der Unternehmen nutzten 2013 die Technologie, im Jahr zuvor waren es 37 Prozent (Bitkom).

Bis zu 60 Prozent nehmen Abstand von Cloud Computing

Cloud verbreitet sich auch weltweit und trägt zur Agilität und neuen Geschäftsmodellen bei. Doch plant und investiert der Deutsche Mittelstand konform zu diesen industrieweiten Befragungsergebnissen? Das Geschehen um die NSA hat im Mittelstand in der Tat eine tiefe Delle des Wachstums der Cloud erzeugt. Anderen Studien zufolge haben bis zu 60 Prozent der typischen Mittelstandunternehmen zunächst Abstand von der Cloud genommen.

Vergleiche mit Ergebnissen aus weltweiten Surveys zeigen aber, dass SMBs hier weitaus aggressiver die Vorteile der Cloud nutzen beziehungsweise planen diese zu einzusetzen. Analysten sprechen davon, dass die internationalen SMBs bis etwa 2016 die maßgeblichen Wachstums-Treiber der Cloud-Verbreitung sein werden (Saugatuck). In dieser globalen Wirtschaft, die sich zu einer digitalen Wirtschaft wandeln wird, kann das Nachzügeln der Mittelständler durchaus als ein Nachteil für das Wachstum der Deutschen Wirtschaft werden.

Die Auswirkungen auf Cloud-Anbieter

Für die ISVs (Independent Software Vendor) in Deutschland sind die Zeiten härter geworden. Das Projektgeschäft mit On-premise-Software-Lösungen wächst nicht mehr, ist eher rückläufig. Und das Geschäft mit der Cloud, also weitestgehend SaaS-Lösungen anzubieten, zieht noch nicht richtig an. Auch die sogenannten Marktplätze für Cloud-Geschäftslösungen, eigentlich eine smarte Geschäftsidee - anprobieren, einkaufen und nutzen - haben zunächst mangels Nachfrage gefloppt.

Rückblickend auf die Cloud-Transition der ISVs stellt sich die Diskussion über Details des Überganges in die Cloud, um den Business-Kontext verstehen zu können. Dies dient als Rahmen für ein Verständnis der Möglichkeiten, denn die Cloud verändert alles - das betrifft sowohl den Anbieter als auch den Käufer:

Der Übergang zur Cloud ist für die ISVs unvermeidlich. Mehr und mehr Unternehmen haben Cloud-first-Strategien implementiert, da immer weniger Gründe für einen Aufschub der Cloud existieren.

Unternehmen setzen international auf neue Architekturen, die dem "grenzenlosen Unternehmen" näher kommen. Sie beginnen damit, indem sie ihre Organisation überdenken und neu definieren, die Nutzung mobiler, sozialer und analytischer Technologien einzusetzen. Für den ISV ist diese Veränderung des Marktes allerdings sehr herausfordernd. Und für ISVs, die noch am Anfang des Weges stehen, macht jede ungenutzte Woche die Lernkurve immer steiler und anspruchsvoller.

Diese geschäftlichen und technologischen Herausforderungen werden sowohl Pure-Play-Start-ups wie etablierte, lokale ISVs beim Übergang in eine Cloud-fähige Umgebung beeinflussen. Der Erfolg in der Cloud ist immer von dem Wert einer Leistung bei kosteneffektiven Verfahren, verbunden mit effizienten Methoden des Managements, abhängig.

Besserung nicht vor Ende 2014

Zusammengefasst ergibt sich dieses Szenario: SMBs in Deutschland, von denen die Meisten ja bereits in geringem Maße Cloud-Lösungen einsetzen, sind in der Phase einer weiteren Annäherung an die Cloud durch den NSA-Skandal erheblich verunsichert worden, was Gefahren für ihre Daten betrifft.

Verglichen mit den USA, Asien aber auch den Scandics, fällt Deutschland mit seinen über zwei Millionen SMBs damit um wahrscheinlich 6 bis 9 Monate zurück. Es ist davon auszugehen, dass wirksames Zugehen des Mittelstandes auf die immer zahlreicheren Cloud-Lösungsangebote, erst gegen Ende 2014 wieder zunimmt.

Deutsche Internet-Infrastruktur Schlusslicht

Zudem gehört die deutsche Internet-Infrastruktur zu den Schlusslichtern der Industrienationen (Platz 27). Das veranlasste sogar den BDI dazu, diesen Rückstand als "gewaltig" zu bezeichnen. Die Boston Consulting Group spricht gar von verschenkten 120 Milliarden Euro Wachstum in Deutschland.

Schwere Zeiten für ISVs, die bereits Cloud-Lösungen anbieten können, denn der wichtigste Markt ist der Mittelstand; die meisten Lösungen sind sogar auf bestimmte Mittelstands-Sektoren zugeschnitten. Wer allerdings meint, das Abwarten war die richtige Entscheidung, der irrt.

Cloud-Transition dauert lang und kostet viel

Erfahrungsgemäß benötigt die Transition, die mit immensen Veränderungen einer Neuausrichtung in der Technologie, in Sales & Marketing, Partnering, und in der Organisation und Unternehmenskultur einhergeht, um die 18 Monate und Investitionen im 6 bis 7-stelligen Umfang.

Wenn die Bahn also gegen Ende des Jahres klingelt, können nur die ISVs aufspringen, die Lösungen anbieten. Die anderen müssen wohl bis 2016 warten, wobei sich der Markt in dieser Zeit volatile verhalten wird.

Mit anderen Worten, die Cloud lebt und wird zusammen mit ihren Schwestern und Brüdern (Mobile, Cloud, Social & Advanced Analytics) ein wohl langes IT-Leben erwarten können. Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland zögern, Unternehmensdaten auszulagern, was wiederum Einfluss auf den Geschäftserfolg der ISVs hat. Die Mechaniken des Marktes werden dieses Problem zwar schon lösen, aber die Politik könnte helfen.