IT-Infrastruktur wird zur Altlast

Die Dritte Cloud-Phase bricht an

09.07.2015 von Werner Kurzlechner
Anwender wollen die IT-Infrastruktur modernisieren. Der Weg führt meist in die Cloud. Doch oft durchkreuzen ROI-Berechnungen und Budgetmangel die Pläne, so Saugatuck.
Wichtigster und von 27 Prozent der Befragten an erster Stelle genannter Treiber für die geplanten Infrastruktur-Upgrades ist die Verbesserung des IT-Services.
Foto: Saugatuck Technology

Eine neue Phase in der Cloudifizierung der IT-Infrastruktur ist angebrochen. Zu diesem Befund kommen die Analysten von Saugatuck Technology auf Basis der Studie "Cloud Infrastructure Survey", für die 327 IT-Verantwortliche aus aller Welt befragt wurden. Indikatoren für das Erreichen der nächsten Stufe sind die zunehmende Migration von bisherigen On-Premise-Workloads in die Cloud und die wachsende Schaffung und Nutzung von Cloud-nativen Workloads.

Mischung aus internen und gehosteten Private Clouds

Nach einer ersten Periode, in der Customer Relationship Management (CRM), Human Capital Management (HCM) und Marketing-basierte SaaS-Lösungen dominierten, und einer zweite Phase mit immer mehr Cloud-basierten Finance-Angeboten ist dies nach Einschätzung von Saugatuck-Analyst Alex Bakker nun die dritte Welle der Entwicklung.

Unabhängig von der Cloud- oder On-Premise-Frage möchten laut Studie viele Firmen in den kommenden beiden Jahren ihre Infrastruktur-Kapazitäten ausbauen. Das bisher vorherrschende Modell der On-Premise-Virtualisierung wird laut Saugatuck unterfüttert mit einer Mischung aus internen und gehosteten Private Clouds. Diese werden häufig durch Containerisierungs-Technologien der nächsten Generation unterstützt.

CIOs und Consultants über Cloud-Marktplätze
Cloud-Marktplätze
Die Deutsche Börse hat im Mai 2015 einen herstellerneutralen Cloud-Marktplatz eröffnet. Der Business Marketplace der Deutschen Telekom ist bereits am Start. Wir haben CIOs und Consultants gefragt, wie sie die Chancen von Cloud-Marktplätzen in Deutschland einschätzen.
Andreas Miehle, CIO bei der Constantia Flexibles Group
Andreas Miehle, CIO bei der Constantia Flexibles Group aus Wien, sagt: "Ich nutze Cloud-Marktplätze und halte das für eine gute Idee, Firmen, Menschen und Ideen zusammen zu bringen. Das ganze Thema steckt noch in den Kinderschuhen und leidet - wie es bei neuen Technologien häufig der Fall ist - an der Verschlossenheit und mangelnder Vision potenzieller Marktteilnehmer." Trotzdem zeigt er sich optimistisch: "Diese Cloud-Marktplätze werden sich bestimmt durchsetzen. In anderer Definition gibt es ja bereits etablierte Lösungen in geschlosseneren Formen. Daher sehe ich hier keine grundsätzliche Neuerung, sondern viel mehr eine Prozessverbesserung dank neuer Technologien."
Constantia Flexibles Group
Über Bedenken in puncto hohem Integrationsaufwand, Datensicherheit oder zu geringem Bedarf sagt Miehle: "Diese Art von Gründen wird immer dann angeführt, wenn man neue Technologien verhindern will und diese Zeiten sollten eigentlich vorbei sein. Fakt ist jedoch, dass man in seiner Applikationslandschaft immer Altsysteme mit sich herumschleppt, die für neue Technologien ungeeignet sind. Wann die Wechselkosten mögliche Vorteile rechtfertigen, muss man natürlich vorab prüfen."
Rolls-Royce Power Systems
Dietmar von Zwehl ist CIO bei Rolls-Royce Power Systems. Er sagt: "Wir nutzen aktuell private Clouds und halten Ausschau (konservativ) nach public Clouds. Security ist ein zentraler Faktor."
Karsten Leclerque, PAC
Für Karsten Leclerque, Principal Consultant Outsourcing & Cloud bei PAC (Pierre Audoin Consultants), sind die verschiedenen Marktplätze kaum vergleichbar, weil sie sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Was sie eint, ist das Kundenversprechen der einfachen Nutzung von Lösungen ohne Vorabinvestition.
Aufwand für den Anwender
Nach Beobachtung von Leclerque verlangen Cloud-Marktplätze dem Anwender zumindest derzeit noch einiges ab. Das gilt etwa für die Integration. „Oft werden Insel-Lösungen nebeneinander angeboten, ohne dass Kompatibilität der Angebote untereinander gewährleistet ist“, sagt er. „Ebenso unterscheiden sich die Vertragsmodalitäten, etwa bezogen auf die Abrechnung der SaaS- und IaaS-Bestandteile, oder bezüglich der End-to-End-Verantwortung gegenüber dem Kunden.“
Daniel Just, Sopra Steria
Daniel Just, Outsourcing-Experte bei Sopra Steria Consulting, sagt: "Die Digitalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens benötigt immer flexiblere Infrastrukturleistungen. Getrieben durch disruptive Technologien sowie den Einzug des Internets in immer mehr Produkte, ist eine permanente digitale Innovation erforderlich. Um in diesem dynamischen Umfeld die Übersicht zu behalten und eine möglichst optimale Entscheidung für einen Partner zu treffen, werden Cloud-Marktplätze zunehmend wichtiger werden. Da standardisierte Infrastrukturleistungen bald als reine Commodity wahrgenommen werden, sollte eine solche Plattform für den Kunden einen Mehrwert zum Beispiel in Form von Applikations- bzw. Softwareleistungen bieten."
Voraussetzung für den Erfolg
Weiter sagt Daniel Just von Sopra Steria: "Dazu wird es von großer Bedeutung sein, dass ein nachhaltiger Marktplatzanbieter ein möglichst umfassendes und bedarfsorientiertes Angebot in der geforderten Menge, Zeit und größtmöglichen Nutzen vermitteln kann."
Integrationsprojekte ad absurdum geführt
Sopra Steria-Experte Daniel Just führt aus: "Der Vorteil der schnellen und barrierefreien Implementierung von IaaS, PaaS und auch SaaS Lösungen führt zu einer Vielzahl von Applikationen und Services die sich jeweils in einem Silo befinden und nicht oder nicht nahtlos miteinander kommunizieren können. Bei der Einführung von Cloud-Lösungen muss man sich also bewusst machen, dass eine Verlagerung von Applikationen in die Cloud einer Integration von Unternehmensapplikationen entgegenwirkt, d.h.: Die Integrationsprojekte, die in den letzten 15 Jahren durchgeführt wurden, um Informationssilos aufzubrechen, werden durch die Cloud-Lösung ad absurdum geführt."
Integration jedes Mal neu herstellen
Weiter erklärt Daniel Just von Sopra Steria: "Anwendungsfälle wie zum Beispiel der kurzfristige Zukauf von Rechnerleistung, etwa für eine zeitlich befristete Kampagne, lassen sich durch Cloud-Marktplätze sicher gut abdecken. Allerdings ist dafür die Integration zu den führenden, also datenenthaltenen Systemen jedes Mal neu herzustellen. Ein relativ hoher Aufwand, der angemessen zum Nutzen sein muss."
Matthias Kraus, IDC
Laut Matthias Kraus, Research Analyst bei IDC, sind Cloud-Marktplätze insbesondere für Mittelständler interessant: "Mit der zunehmenden Nutzung unterschiedlicher Cloud-Services adressieren Cloud-Marktplätze den Bedarf der Anwenderunternehmen: Transparenz, einen Vertragspartner und eine zentrale Management-Plattform für unterschiedliche Cloud-Services. Cloud-Marktplätze sind insbesondere für mittelständische Kunden interessant, denn ihnen fehlt es oftmals an Ressourcen, Tools und Erfahrung. Insgesamt befinden sich die Marketplaces aber noch in einer frühen Phase."
Anwender eingelocked
Weiter sagt Matthias Kraus von IDC: "Bei herstellergebunden Markplätzen befürchten die Anwender einen Vendor Lock-In. Der technische Integrationsaufwand stellt die größte Herausforderung dar. Die Cloud-Marketplaces müssen hier erst noch den Beweis antreten, wie sich die herstellerunabhängige Verknüpfung mit der On Premise-Umgebung der Anwenderunternehmen, aber vor allem der schnelle Wechsel zwischen verschiedenen Cloud Services in der Praxis effizient realisieren und managen lässt."
Matthias Wendl, Capgemini
Matthias Wendl ist Senior Consultant, CIO Advisory Services bei Capgemini Consulting. Seine Einschätzung: "Für sogenannte Commodity-Dienstleistungen wie Infrastruktur-Services (IaaS), dazu zählen Storage oder CPU/Rechenpower, sehe ich da durchaus einen Markt. Die großen Vorteile hierbei sind eine kurzfristige Skalierbarkeit und die on-demand Abrechnung (pay-per-use). Anwendungsfälle sind zum Beispiel zusätzliche Test-Server, oder zusätzliche Rechenleistung für einen Webshop zu Spitzenzeiten. Ein weiterer Anwendungsfall sind abgrenzbare Software as a Service Angebote (SaaS) wie z.B. Kommunikationslösungen oder Projektmanagement Software, die nicht aufwändig integriert werden müssen."
Die Standort-Frage
Über die Knackpunkte sagt Wendl: „Für alle Fälle, in denen der Service mit der vorhandenen Anwendungslandschaft interagiert, ist immer ein gewisser Planungs-, Auswahl- und Integrationsaufwand zu berücksichtigen. In Punkto Datensicherheit sind andere Punkte wichtig, wie bestehende Zertifizierungen, der Standort und die Größe des Cloudanbieters sowie seiner Rechenzentren und vor allem die Art der Datenübermittlung.“
Holger Röder, A.T. Kearney
Holger Röder, Partner bei A.T. Kearney, sagt über Cloud-Marktplätze: "Der Cloud-Providermarkt ist sehr intransparent und proprietär, also stellenweise wenig effizient. Auf der anderen Seite wird „Infrastructure as a Service“ (IaaS) erst langsam in Zentraleuropa etabliert, gewinnt aber zunehmend an Größe."
Frage der Definition
Holger Röder von A.T. Kearney nennt jedoch Schwierigkeiten: "Die Integration und Sicherheit von Clouds lassen sich durch geeignete Konzepte in den Griff bekommen. Es stellt sich jedoch die Frage – da es bei der Börse um strukturierte Produkte geht – welcher Anteil des Cloud-Marktes strukturierbar ist (Definition eindeutiger Produkte beziehungsweise Services) und damit handelbar. Gefühlt ist das nur die Spitze des Eisberges, da vieles was unter Cloud (insbesondere der sogenannten „private Cloud“) läuft, sehr unternehmensspezifisch und „Neuverpacktes“ ist. Interessant ist, dass sich Service-Marktplätze rund um typische Cloud-Rechenzentren (zum Beispiel eShelter und Interxion in Frankfurt) sehr gut entwickeln und damit den CIOs viel mehr Flexibilität für die Gestaltung ihres Operating Models geben – insbesondere Zugang zu knappen Know-how-Ressourcen rund um Digitalisierung."
Sebastian Paas, KPMG
Sebastian Paas, Partner CIO Advisory Service bei KPMG, erklärt: „Der Handel mit IaaS-Leistungen wird sicherlich zunehmen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass gerade kleine und mitteständische sowie Unternehmen, die ein hohes Unternehmenswachstum erwarten, interessant ist. Oft sogar Bestandteil deren Wachstumsstrategie. Auf der anderen Seite sind die Anbieter von IaaS-Leistungen häufig hochmoderne Rechenzentren, die es auszulasten gilt."
Peter Wirnsperger, Deloitte
Peter Wirnsperger, Partner Cyber Risk Services bei Deloitte, sagt: "Cloud-Marktplätze werden auf jeden Fall eine wichtige Option darstellen, wo effizient und kostengünstig Ressourcen gesucht und kurzfristig eingesetzt werden sollen. Der Bedarf an schnell verfügbaren und einfach nutzbaren Infrastrukturservices ist groß und wird noch weiter ansteigen, was auch das Wachstum der bestehenden Cloud-Player zeigt."
Detaillierte Bewertung
Peter Wirnsperger von Deloitte schränkt jedoch ein: "Sicherlich sind die Lösungen nicht für alle Bereiche anwendbar. Aber überall, wo Geschwindigkeit, Speichermenge und Verfügbarkeit in der Breite eine Rolle spielen, sind sie eine gute Alternative. Bei kritischen Informationen und komplexen Anwendungen muss man im Detail bewerten, ob und wie die Services nutzbar sein können. Aus Kostengesichtspunkten lohnt es sich auf jeden Fall die Ansätze im Detail zu bewerten."

In einigen Jahren sei es eine Kombination aus Private Cloud- und Public Cloud-Infrastrukturen, die produktive Workloads unterstützt, die Norm. Ergänzt würden diese Infrastrukturen durch SaaS-Lösungen, die für eine ganze Palette an funktionalen Bereichen zur Verfügung stehen, prognostizieren die Analysten. Ausschließlich in der Public Cloud werde hingegen kaum ein Unternehmen positioniert sein.

Klassische On-Premise-Infrastruktur im Sinkflug

Bis 2019 werde der Marktanteil von klassischer On-Premise-Infrastruktur mit Virtualisierung von derzeit 72 Prozent auf 18 Prozent fallen, so Saugatuck weiter. Zwei Fünftel des Marktes machten dann Internal & Hosted Private Clouds aus. Ein Drittel entfällt in fünf Jahren laut Prognose auf Hybrid Cloud-Modelle mit Anteilen an On-Premise und Public Cloud. Nur 9 Prozent der Firmen werden bis dahin alleine auf die Public Cloud setzen.

Die enorme Menge an firmeneigenen Rechenzentren entwickelt sich nach Einschätzung der Analysten immer mehr zur Altlast. IT-Chefs begreifen ihre Data Centers demnach häufig als Bremse bei der Modernisierung von Workloads und beim Ergreifen von neuen Chancen, die sich durch Software der jüngsten Generation und durch Mobility eröffnen. Und diese Einordnung sei völlig zutreffend, so Saugatuck - sowohl unter dem Gesichtspunkt der Agilität als auch unter den Aspekten Kosten und Personal.

Mitarbeiter für Legacy-Systeme fehlen

Know-how für die Unterstützung von Legacy-Systemen werde immer knapper und dadurch teurer. Mitarbeiterschulungen zum Betrieb alter Systeme seien kaum zielführend und passten auch nicht in Rekrutierungsstrategien, die auf die Generation der Millennials zugeschnitten seien.

"Unsere Untersuchung zeigt klar, dass die Mehrheit der IT-Führungskräfte den Wandel von Support-orientierten IT-Abteilungen hin zu kollaborativen und innovativen Organisationsmodellen möchte", kommentiert Bakker. Der Fokus verschiebe sich vom IT-Betrieb hin zum Service für Business.

Infrastruktur-Upgrade wichtigster Treiber

Wichtigster und von 27 Prozent der Befragten an erster Stelle genannter Treiber für die geplanten Infrastruktur-Upgrades ist die Verbesserung der IT-Services. Jeweils 15 Prozent nennen als Haupttreiber die Senkung der Infrastruktur-Kosten und die Optimierung der Sicherheit. Die drei Argumente werden jeweils von etwa zwei Fünftel der Unternehmen als einer der wichtigsten drei Treiber genannt.

Security-Investitionen alternativlos

"Die IT steht weiterhin unter Druck, ohne steigendes Budget wertvollere Dienste anbieten zu müssen", so Analyst Bakker. Neben der Suche nach alternativen Plattformen mit geringeren Kosten bleibe da das Upgrade von Legacy-Anwendungen der naheliegende Ausweg. Die chronische Unterfinanzierung der IT-Sicherheit in vielen Firmen habe mittlerweile den Handlungsbedarf so sehr vordringlich werden lassen, dass an Investitionen in diesem Bereich kein Weg mehr vorbeiführe.

Was hindert Firmen an Infrastruktur-Upgrades? Die Grafik verrät: zu wenig Geld und das komplizierte Wesen ROI.
Foto: Saugatuck Technology

Die größten Hürden für die Cloud

Als größtes Hindernis wider eine Veränderung der IT-Infrastruktur nennen 30 Prozent der Befragten ihr begrenztes Budget, 12 Prozent ungeklärte Szenarien für den Return-On-Investment (ROI). Wiederum um die 40 Prozent führen diese beiden Punkte als eines der drei wichtigsten Hemmnisse an.

Limitiertes Budget beschränke in der Tat viele Unternehmen bei der Modernisierung, so Saugatuck. Die Wahrheit sei allerdings: IT-Abteilungen müssen Geld ausgeben, um Geld sparen zu können. Investitionen beispielsweise in eine Cloud-Infrastruktur könnten zu reduzierten Betriebskosten und besseren Service Levels führen.

Cloud rechnet sich nicht immer

Komplizierter verhält es sich nach Meinung der Analysten bei der ROI-Frage. Der ROI sei bei technologischen Investitionen oftmals schwierig aufzuzeigen. Der Schuss gehe oft sogar nach hinten los. Etwa dann, wenn sich bislang konservative IT-Abteilungen dazu herausgefordert fühlten, abenteuerliche Business Cases zu präsentieren. Auch die Betriebskosten in der Cloud inklusive Support seien häufig hoch, so Saugatuck. Nicht immer also rechnet sich der Abflug in die Wolke.

Ohnehin führten Anwender mit viel Erfahrung in der Wolke nur selten Kostensenkung als entscheidenden Vorzug des Cloud Computings an, so Saugatuck weiter. Entscheidender seien in der Realität die größere Flexibilität und Agilität, ebenso günstigere und schnellere Wege zur Entwicklung und zum Einsatz von Applikationen und die Möglichkeit, die Vorzüge einer neuen Master Architecture in vollem Umfang ausnutzen zu können.