Fristlos gekündigt, alle neun – nie hätten sie das erwartet. Dabei fing alles so harmlos an. Auf der Community-Plattform StudiVZ gründeten die neun Lehrlinge des Luxushotels „Zur Bleiche“ im Spreewald ein privates Lästerforum. Niemand sollte erfahren, was in dem Forum vor sich ging – vor allem der Chef nicht. Doch es kam anders.
Im Dezember 2007 kratzte ein unerklärlicher Vorfall am bis dahin makellosen Image des Vorzeigehotels. Im Wellnessbereich trat Reizgas aus, mehrere Gäste mussten ärztlich behandelt werden. Der aufgebrachte Hotelbesitzer schaltete sofort die Polizei ein. Dort fiel auf, dass neun Angestellten des Hotels eine Gemeinsamkeit aufwiesen: Alle waren Mitglied bei StudiVZ, und in jedem Profil befand sich eine Gruppe namens „Der Storch muss hängen“ – eine Anspielung auf das Tier im Wappen des Hotels.
Doch was in der Gruppe diskutiert wurde, das erfuhren die Polizisten erst Ende Februar, als StudiVZ seine AGB änderte. Die Verantwortlichen der Internet-Community erklärten sich ab sofort bereit, Behörden jedes Detail von verdächtigen Nutzern zu verraten. Was die Polizisten in der Gruppe fanden, wunderte sie nicht. Dort schimpften die neun jungen Hotellehrlinge munter über schäbige Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung und Schikanen des Chefs. Außerdem wurde über den Reizgasvorfall gewitzelt. Als der Hotelbesitzer davon erfuhr, war für ihn Schluss. Er vermutete einen direkten Zusammenhang zwischen der Internetgruppe und dem Reizgasvorfall. Er kündigte allen neun Lehrlingen fristlos.
Persönliche Daten sind heiß begehrt
Wer heute Informationen über Personen sucht, muss nicht erst die Polizei einschalten, um fündig zu werden. Oft gibt Google schon explizite Informationen preis. Reicht das nicht, helfen Personensuchmaschinen wie Yasni und Spock weiter. Aber für den Schutz persönlicher Daten besonders kritisch sind Communities, auch Social Networks genannt. Nirgendwo präsentieren User mehr persönliche Informationen als hier, und gerade Personalabteilungen interessieren sich vermehrt für die Profile ihrer Job-Aspiranten.
Kerstin Krockauer, Director Human Resources der IDG Communications Media AG weiß: „Nach einem Bewerbungsgespräch ist es je nach ausgeschriebener Stelle durchaus üblich, in der Business-Community Xing zusätzliche Informationen über die Person einzuholen.“ Es sei zwar „unseriös, in Social Networks wie StudiVZ“ zu recherchieren, dennoch ist Krockauer davon überzeugt, dass dies „in Zukunft einen höheren Stellenwert“ einnehmen wird.
Deutschlands größte Community ist das ursprünglich nur für Studenten gegründete StudiVZ. In Amerika war das Prinzip der Communities bereits ein alter Hut, als StudiVZ das System kopierte und etablierte. Innerhalb von nur fünf Monaten nach der Gründung war die Zahl der StudiVZ-Mitglieder von 50.000 auf über eine Million gewachsen. Heute hat die Plattform mehr als fünf Millionen Mitglieder – doppelt so viele, wie es Studenten in Deutschland gibt. Und wer sich mit dem Studentenportal nicht identifizieren kann, versucht es eben im fast genauso großen SchülerVZ für Schüler, der riesigen Business-Community Xing, ehemals OpenBC, MySpace – oft von Promis und Musikern genutzt, den mittlerweile städteübergreifenden Lokalisten oder eben mit dem Original von StudiVZ – Facebook, um nur ein paar wenige zu nennen. Insgesamt waren im April 2008 knapp neun Millionen Deutsche in mindestens einer Community aktiv. Bis zum Jahr 2012 wird fast ein Viertel aller Deutschen solche Communities nutzen, prognostiziert eine Studie vom Branchenanalyst Datamonitor.
Öffentliche Privatsphäre
Diese sozialen Netzwerke sind meist kostenlos. Bei der Anmeldung legt das neue Mitglied nach der Eingabe allerlei persönlicher Daten ein individuelles Profil an. Dort finden sich meist Name, Wohnort, Geburtsdatum, Job, politische Einstellung, Religionsangehörigkeit, Beziehungsstatus, Hobbys, persönliche Bilder und vieles mehr.
Diese Profile sind in der Regel für alle Mitglieder frei zugänglich und zeichnen ein klares Bild von der Person. Dadurch entsteht ein hohes Interesse von Außenstehenden an diesen Profilen, weiß Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaft im Gespräch mit Spiegel.de: „In den 90er-Jahren glaubte man noch, dass sich im Cyberspace eine völlig neue Welt entfalte, ganz losgelöst vom wahren Leben. Bei StudiVZ oder Xing besteht ein enger Kontakt zur Realität. Man kann nicht mehr in eine ganz neue Rolle schlüpfen.“
Die in den Communities praktizierte Offenheit und die einfache Erreichbarkeit der Daten können erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Im Sommer 2007 berichteten amerikanische Medien von Stacy Snyder aus Pennsylvania. Der angehenden Lehrerin mit ausgezeichnetem Abschluss an der Millersville University wurde die Zulassung verweigert, weil Dr. Jane Brey, Dekan der Universität, bei MySpace.com auf ein altes Foto von ihr stieß. Auf dem ist sie verkleidet und hält einen Pappbecher. Darunter steht: „Betrunkener Pirat“. Nach Meinung von Dr. Jane Brey ist Stacy Snyder damit ein schlechtes Vorbild für die heranwachsenden Schüler und deshalb als Lehrerin untragbar. Da half auch der Fachanwalt für Arbeitsrecht nichts mehr.
Die heimlichen Community-Spione
Und tatsächlich werden nirgendwo mehr persönliche Informationen unter dem löchrigen Deckmantel der Anonymität preisgegeben als in Communities. In erster Linie junge und unerfahrene Internetnutzer präsentieren sich auf solchen Plattformen oft freigiebiger, als gut für sie ist. Christoph Neuberger befragte 1500 Mitglieder von StudiVZ über ihr Nutzungsverhalten und fand Überraschendes heraus. So sollen etwa 80 Prozent der StudiVZ-Mitglieder das Netzwerk zum heimlichen Auskundschaften von anderen Personen nutzen.
Besonders die auf der Profilseite aufgelisteten Gruppen verraten viel über die jeweilige Person. In den meisten Communities gibt es unzählige dieser Diskussionsgruppen, in denen alle erdenklichen Themen kommentiert werden. Doch auf der Vorzeige-Community StudiVZ gibt es Gruppen, mit denen manch anderer nicht freiwillig in Verbindung gebracht werden will.
Verräterische Gruppenzugehörigkeit
1184 Mitglieder mit der Zugehörigkeit zu der Gruppe „Kiffen ist ´ne Leidenschaft“ geben bei StudiVZ ihren Drogenkonsum offen zu. 1713 Mitglieder tragen in der Gruppe „Ich mag Sex von hinten – da können beide fernsehen“ offenherzig ihre bevorzugten sexuellen Praktiken zur Schau. 1514 Personen sind Mitglied der Gruppe „Rauchen – Saufen – Rumhuren“. Und 6078 offenbaren ihre Arbeitsmoral mit der Gruppe „Eigentlich sollte ich arbeiten, aber stattdessen bin ich online“. Dass die Mitgliedschaft in solchen Gruppen nicht immer ganz ernst gemeint ist, sei dahingestellt. Solche expliziten Statements können dennoch negativ ausgelegt werden und so manchen potenziellen Arbeitgeber abschrecken.
Das Internet ist nicht anonym und wirkt sich zwangsläufig auf die reale Welt aus – ob gerechtfertigt, oder nicht. Um Missverständnisse auszuschließen, muss eine neue Medienkompetenz entstehen. Doch bevor tatsächlich eine kollektive Bewusstseinsveränderung im Umgang mit Informationen möglich wird, werden noch viele unvorsichtige Community-Mitglieder erhebliche Probleme bekommen, weil sie in der falschen StudiVZ-Gruppe Mitglied sind. Oder die falschen Bilder präsentieren, an den falschen Gott glauben, im falschen Land geboren wurden oder eine falsche politische Meinung offenbaren.
Bei den gekündigten Hotellehrlingen vermutete der Chef einen Zusammenhang zwischen der Mitgliedschaft in der Gruppe und dem Reizgasvorfall im vergangenen Jahr. Dass diese Vermutung weit hergeholt war und sich nicht beweisen ließ, bestätigte jetzt auch das Arbeitsgericht Cottbus. Anfang Juni wurde die Kündigung in vier Fällen für unwirksam erklärt – die Klage der anderen fünf wird Mitte Juli behandelt.