Die Folgen von Cloud-Computing

Die Cloud schafft und vernichtet Arbeitsplätze

24.02.2012 von Dietmar Müller
Cloud Computing bringt die IT-Arbeitswelt in Bewegung. Neue Jobs entstehen, andere verschwinden. Uneins sind sich die Experten in der Frage, wie die Rechnung unterm Strich aussieht. Lesen Sie, welche Einschätzungen Analysten zum Thema Arbeitsplätze durch die Cloud haben.

Ende 2011 meldete sich ein Mann von Gewicht zu Wort. Roland Berger, der Unternehmensberater mit dem guten Kontakt zum Kanzleramt, erteilt dem Cloud Computing seinen Segen. Laut einer Studie seiner Firma wird die Wolken-IT jede Menge neue Jobs bringen und Umsätze aller Art abwerfen. Dass für IT-Anbieter mit der Cloud Geld zu verdienen ist, ist wohl unbestritten. Kein Consultant dieser Welt verspricht auf absehbare Zeit weniger als zweistellige Wachstumsraten.

Bergers Studie Survival of the Fittest - Wie Europa in der Cloud eine führende Rolle übernehmen kann entstand in Zusammenarbeit mit SAP. Die Studie beziffert das weltweite Umsatzvolumen der Cloud Economy bis 2015 auf stolze 73 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 wurden weltweit rund 21,5 Milliarden Dollar in Cloud Computing und dazu passende Dienstleistungen investiert.

Jeder zweite Arbeitsplatz weg

Mit dem sprunghaften Umsatzwachstum verbunden soll in den kommenden Jahren ein neues wirtschaftliches Ökosystem sein. "Cloud Computing wird vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen eine echte Revolution darstellen", meint Peter Lorenz, Leiter des Bereichs On-Deman-Solutions bei SAP und Mitherausgeber der Studie. Diese Betriebe würden nun Zugriff auf IT-Architekturen erhalten, die bislang Großunternehmen vorbehalten gewesen seien. Dadurch ergäben sich neue Marktchancen für IT-Anbieter, ihren Kunden maßgeschneiderte Lösungen und flexible Dienstleistungen anzubieten.

Roger Albrecht, Orgsource: "Cloud Services werden zu weniger Administrations- und Entwicklungsarbeiten führen."
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Hört sich nach viel Arbeit an. Und nach neuen Jobs. Aber kann das wirklich so einfach funktionieren? Oder stellt sich nicht vielmehr die Frage: Wird die Cloud nicht doch mehr Arbeitsplätze vernichten als schaffen? Schließlich steckt ein Standardisierungs- und Rationalisierungsversprechen hinter Cloud Computing. IT soll "Commodity" werden, zu etwas völlig Selbstverständlichem also, für das kaum noch Fachkräfte gebraucht werden. Oder wie es Nicholas Carr, viel diskutierter Analytiker der IT-Industrie, in seinem Besteller The Big Switch: Rewiring the World, from Edison to Google beschrieben hat: Während Unternehmen im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Regel über einen eigenen Stromgenerator verfügten, beziehen sie heute ihren Strom aus der Steckdose. Die Angestellten, die sich um die Generatoren in den Unternehmen kümmerten, sind längst entlassen. Neue Jobs findet man nur noch in den Kraftwerken, die nun die Energie liefern.

Roger Albrecht, langjähriger Deutschland-Chef von Gartner Consulting und aktueller Geschäftsführer von Orgsource, stimmt Carr zu. Cloud-Services würden in noch größerem Umfang Investitionen in Hard- und Software sowie lokalen Support ersetzen, als dies von Berger aufgezeigt worden sei. Albrecht geht von einem regelrechten Kahlschlag unter den IT-Fachleuten aus. "Integrierte Cloud-Services werden beim Anwender zu weniger Administrations- und Entwicklungsarbeiten führen", prophezeit er.

Seiner Meinung nach spaltet sich der Fachkräftemarkt. Hochqualifizierten und zertifizierten IT-Fachkräften eröffnen sich, anders als angelernten IT-Generalisten mit Administrations- und Entwicklungsjobs, zusätzliche Chancen in einem erweiterten Markt. "Qualifizierung gewinnt für die in den User-Unternehmen verbleibenden IT- und Organisationsrollen vermehrt an Bedeutung. Gleichzeitig können Anbieter aus einem wachsenden Angebot an qualifiziertem und zertifiziertem IT-Fachpersonal wählen", meint Albrecht. Der Schlüssel zu positiven Beschäftigungseffekten liege in der Schnelligkeit, in der etablierte und neue europäische Anbieter den Unternehmen innovative und hochwertige Cloud-Angebote machen könnten.

10 Thesen
In ihrem Kompendium "Cloud Services" stellt Fujitsu 10 Thesen zur Weiterentwicklung der Cloud-Computing-Technologie vor.
Inwieweit diese 10 Thesen bereits heute zutreffen, darüber lässt sich sicherlich streiten. Ob die von Fujitsu aufgestellten Prognosen Realität werden, das wird sich in den nächsten zwei bis drei Jahren zeigen.
1. IT als Gebrauchsgut wie Gas, Strom und Wasser
Cloud Computing lässt Konzepte wie "IT auf Knopfdruck" oder "IT aus der Steckdose" Wirklichkeit werden. Die Art und Weise, wie IT-Ressourcen bereitgestellt und genutzt werden, ändert sich grundlegend. Das gilt sowohl für Unternehmenskunden als auch den für Privatanwender, die digitale Bilder, Videos oder Musik-Dateien in den "Wolkenspeicher" auslagern. Gewerbliche Kunden bietet Cloud Computing ein erhebliches Einsparpotenzial, denn die Investitionen in Hard- oder Software lassen sich drastisch senken. Der Kunde bezahlt seine IT nach Verbrauch ("pay per use"). Damit wird IT zu einem Teil seier laufenden Betriebskosten.
2. Mit Cloud Computing für das 21. Jahrhundert fit werden
Die standardisierten Angebote aus der Cloud minimieren nicht nur die Investitionskosten auf der Anwenderseite. Dank Cloud-Services erhalten Kunden jederzeit Zugriff auf IT-Expertise und Technologien, die für eine höhere Effizienz IT-basierter Geschäftsprozesse sorgen. IT aus der Cloud kann unter Umständen sogar schneller auf veränderte Business-Anforderungen – die insbesondere der globale Wettbewerb mit sich bringt – reagieren. Dank der "IT auf Knopfdruck" können Anwender IT-Ressourcen entsprechend ihren Bedürfnissen sowohl nach oben als auch nach unten skalieren.
3. Für den Mittelstand geeignet
Die Auffassung, dass Cloud Computing nur etwas für Großunternehmen sei, ist falsch. Gerade mittelständische Firmen können von dieser Technologie profitieren. Der Grund: Cloud Computing ermöglicht diesen Kunden, schneller und flexibler auf Kundenanforderungen und veränderte Marktbedingungen zu reagieren. Gehen beispielsweise die Geschäfte gut und wächst die Firma, werden einfach neue IT-Ressourcen aus der "Wolke" hinzu gebucht.
4. Hybrid Cloud ist die bevorzugte Variante der "IT aus der Wolke"
Die Abwanderung der Business-IT in die "Cloud" ist nicht mehr aufzuhalten. Das heißt aber nicht, dass Kunden ihre eigenen Rechenzentren komplett abschaffen. Die meisten Unternehmen werden zunächst ihr eigenes Rechenzentrum mithilfe von Virtualisierung in Richtung "Private Cloud" weiterentwickeln. Dort, wo es für diese Firmen sinnvoll und vorteilhaft ist, greifen sie auf Services aus einer Public oder Trusted Cloud zurück, die ein Cloud-Provider bereitstellt. Diese Services werden in die interne Infrastruktur integriert.
5. Daten- und Rechtssicherheit sind gewährleistet
Viele potenzielle Nutzer stehen Cloud-Computing-Angeboten skeptisch gegenüber. Sie zweifeln daran, dass ihre Daten und Anwendungen bei einem Cloud-Service-Provider sicher sind. Daher müssen Cloud Provider garantieren, dass die gemeinsam genutzte IT-Infrastruktur, auf ihre Kunden zugreifen, mandantenfähig ist. Das heißt, Daten und Applikationen jedes Kunden müssen strikt von denen anderer Nutzer getrennt sein. Dies lässt sich mithilfe von Virtualisierung erreichen.
6. Die Zukunft gehört der globalen IT-Fabrik
Mir der wachsenden Nachfrage nach Cloud Computing- und industrialisierten IT-Services werden die Rechenzentren von Cloud Providern in bislang unbekannte Leistungsklassen vordringen. Einige hundert Data Center mit 500.000 und bis zu einer Million installierter Maschinen werden dank Technologien wie Server-Virtualisierung den weltweiten Rechenleistungsbedarf abdecken.
7. Das Kunden eigene Rechenzentrum wird überflüssig
In etwa zehn bis 15 Jahren wird Cloud Computing so ausgefeilt sein, dass ein Unternehmen sogar komplett ohne eigenes Data Center auskommen kann. Client-Systeme wie Arbeitsplatzrechner, Notebooks, Smartphones oder Tablet-PCs greifen dann ausschließlich auf Anwendungen und Daten zu, die in der "Wolke" lagern. Realistisch ist folgendes Szenario: Kunden halten im eigenen Haus nur noch eine kompakte IT-Infrastruktur vor, sozusagen das IT-Rückgrat. Der Großteil aller weiteren Ressourcen wird aus der Cloud bezogen.
8. Der IT-Arbeitsplatz wird an Komplexität verlieren
Thin Clients und Desktop-Virtualisierung werden enorm an Bedeutung gewinnen, bis hin zu intelligenten Displays, die über ein einziges Kabel an LAN und Stromversorgung angeschlossen sind. Für die IT-Abteilung beim Kunden bedeutet dies einen geringeren Aufwand, was die Wartung von Clients und Servern betrifft.
9. Reduktion der Treibhausgase
Der Trend zu mehr IT im Unternehmen als auch im privaten Umfeld ist ungebrochen. IT wird deshalb auch künftig erheblich zu den vom Menschen verursachten CO2-Emissionen beitragen. Cloud Computing trägt angesichts dieser Tatsache dank Technologien wie Virtualisierung beziehungsweise dem Betrieb virtueller Maschinen zu einer besseren Auslastung der IT-Infrastruktur und damit verbunden zu einem Abbau des nicht benötigten IT-Equipments bei.
10. Das Ende des Systemandministrators
Cloud Services entbinden Unternehmen und deren IT-Verantwortliche nicht von der Pflicht, ihre Hausaufgaben zu machen. Sie müssen die Geschäftsprozesse klar strukturieren und entsprechende Schnittstellen schaffen, an die Cloud-Computing-Services andocken können. Das bedeutet, der CIO/IT-Leiter oder sein externer ITK-Dienstleister erffahren eine Aufwertung. Ihre Tätigkeitsfelder werde deutlich stärker als zuvor von strategischen Aufgaben geprägt sein. IT-Verantwortliche, die sich weiterhin eher als Systemverwalter verstehen, sind dagegen im Zeitalter von Cloud Computing fehl am Platz.

Allerdings sagt Albrecht unmissverständlich, dass den vielleicht 70.000 zusätzlichen Arbeitskräften enorme Einspareffekte in den Anwenderunternehmen gegenüber- stünden. Dort stehe auf Dauer jeder zweite IT-Arbeitsplatz zur Disposition. Und Albrecht denkt weiter: "Da die angesprochenen wirtschaftlichen Vorteile in Anwenderunternehmen wohl nur dann gewährt werden, wenn die Anbieter mit ihren Services Geld verdienen, werden sich die europäischen Anbieter auch außerhalb Europas durchsetzen müssen." Facebook sei vielleicht nicht mit seinem Geschäftsmodell, aber mit der raschen Internationalisierung seines Angebots ein Vorbild.

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Neue Jobs beim Dienstleister

Das Zwischenergebnis lautet also: Die Cloud wird in Deutschland viele Administratoren in Anwenderunternehmen überflüssig machen, dafür aber die Personaldecke bei den Dienstleistern vergrößern. Ob sich unterm Strich ein Plus oder Minus bei den Beschäftigtenzahlen ergibt, ist ungewiss.

Entsprechend geteilt sind die Meinungen über die Auswirkungen von Cloud Computing auf IT-Jobs. Neben Roland Berger und Roger Albrecht haben sich viele andere Experten den Kopf über dieses Problem zerbrochen, sagt Frank Niemann, Principal Consultant von Pierre Audoin Consultants (PAC), unter Verweis auf eine Studie, die sein Beratungsunternehmen gemeinsam mit Berlecon Research, der International Business School of Service Management (ISS) und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) im November 2010 veröffentlicht hat.

Ziel der Studie war es, das wirtschaftliche Potenzial der unter dem Sammelbegriff "Internet der Dienste" zusammengefassten Technologien für den Standort Deutschland zu ermitteln. Um es kurz zu machen: Sie alle kamen im Prinzip zum selben Ergebnis wie Berger und Albrecht - während in Cloud-nahen Bereichen zusätzliche Arbeitsplätze entständen, würden in anderen Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnik, etwa der Hardwareindustrie oder der Wartung von Software und Hardware, Stellen abgebaut. Die Autoren ziehen jedoch ein eindeutig positives Fazit: "Es ist davon auszugehen, dass durch Cloud Computing kurz- und mittelfristig die Zahl der Arbeitsplätze im IKT-Sektor deutlich zunimmt." Vor allem die Integration der Cloud-Dienste in die IT-Welten der Anwender soll für Arbeitsplätze sorgen: "Mit der weiteren Verbreitung des Cloud-Konzepts werden vor allem Integrationsspezialisten gefragt sein."

Auch neue Tätigkeitsfelder

Cloud Computing werde bis zum Jahr 2025 für massives Beschäftigungspotenzial sorgen. Langfristig über die Jahre 2020 bis 2025 hinaus dürfte die Beschäftigung in der IKT-Industrie durch die zunehmende Industrialisierung der IT jedoch leicht rückläufig sein, so PAC und die Studien-Mitautoren.

Dieser Trend veranlasste den Analysten Andreas Zilch von der Experton Group zu einer Schrift, die er "Der Untergang der klassischen Software-Industrie 2012-2017" nannte. Der Grund dafür sei - natürlich, die These ist mittlerweile allgemein anerkannt - die zunehmende Ausbreitung des Cloud-Paradigmas: Aus "Software" wird langfristig "Service". Dies führe, so Zilch analog zu seinen Zunftkollegen, zunächst zu einer positiven Beschäftigungsentwicklung.

Der Analyst geht näher auf die Gründe ein: Zum einen seien in Anbieterunternehmen erhebliche Investitionen notwendig, um die Software zu modernisieren und "SaaS-ready" zu machen - das sei gerade in der jüngsten Vergangenheit oft unterschätzt worden. Diese heute schon sichtbaren Entwicklungen würden in den nächsten fünf bis zehn Jahren den Markt und die Anbieterlandschaft stark verändern. Neue Wettbewerber kommen hinzu, einige Softwareanbieter schaffen die Transformation, andere wiederum verschwinden in der Bedeutungslosigkeit.

Karin Henkel, Sapientia: "Cloud Computing ist alter Wein in neuen Schläuchen."
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Zu den Experten, die ein Minus unter die Rechnung setzen, zählt dagegen Karin Henkel, Chefin der Sapientia GmbH und Senior Research Director bei Strategy Partners International: "Cloud Computing ist eigentlich alter Wein in neuen Schläuchen - früher nannte man das ASP, SaaS und Hosting. Die Auswirkungen sind immer die gleichen. Jede zentrale Verwaltung von Ressourcen braucht weniger Administration und damit weniger Arbeitsplätze. Das heißt, langfristig werden Jobs verloren gehen." Allerdings, und da stimmt sie mit den Beraterkollegen überein, "werden auch neue Fachgebiete erschaffen, so dass es da auch neue Tätigkeitsfelder gibt und damit eventuell zusätzliche Arbeitsplätze".

Formularbürokratie stirbt aus

Noch deutlicher hat es Thomas Sprenger formuliert, Sprecher des deutschen Cloud-Anbieters Pironet NDH: "Cloud Computing killt tatsächlich Jobs - aber die langweiligen." Er verweist auf Gunter Dueck, ehemaliger Vordenker der IBM Deutschland GmbH und einer der Präsidenten der Gesellschaft für Informatik (GI): "Folgt man der Argumentation von Dueck, werden Cloud Computing und der Technologiedrift, den es repräsentiert, Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Allerdings nicht nur beziehungsweise weniger in der IT."

Mit der Zusammenlegung und Standardisierung von IT-Ressourcen ließen sich viele Dienstleistungsprozesse automatisieren. So könnten weite Teile der "Formularbürokratie als Jobgarant für Hunderttausende" zu einem Gutteil verschwinden, denn in der Datenverwaltung seien Computer nun einmal schneller und vor allem kostengünstiger als menschliche Sachbearbeiter.

Thomas Sprenger, Pironet: "Cloud Computing killt Jobs - aber die langweiligen."
Foto: Pironet NDH

Während also in der IT-Branche die Nachfrage nach Cloud-Experten in naher Zukunft kaum befriedigt werden könne, so Sprenger, "würde ich mir als Finanzbeamter, als Versicherungsreferent oder als Mitarbeiter einer Krankenkasse mehr Sorgen machen denn als IT-Experte im Unternehmen". Es ist demnach der klassische Sachbearbeiter, der dank Cloud Computing um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Aber diese Prognose gibt es schon seit der Erfindung des Computers.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche. (cvi)