Die 64-er Generation

12.10.2001
Der Unix-Markt galt lange Zeit als wenig schlagzeilenträchtig, doch in der jüngsten Vergangenheit haben zwei Themen für dauerhafte Bewegung und neue Impulse gesorgt: Linux und die 64-Bit-Plattform IA-64.

Von: Susanne Franke

Alles dreht sich um Linux. Das freie Unix-artige Betriebssystem hat mittlerweile einen Reifegrad erreicht, der zum Aufstieg in die höchste Profi-Liga ausreicht. Neben technischen Aspekten sind es bei den etablierten Anbietern wie IBM oder Hewlett-Packard vor allem unternehmenspolitische Entscheidungen, die das Zusammenspiel der hauseigenen Unix-Derivate mit dem Open-Source-OS bestimmen. Die beiden genannten Häuser engagieren sich zurzeit zwar heftig bei der Weiterentwicklung der eigenen Lösungen (AIX beziehungsweise HP-UX), fahren allerdings dabei einen zeitweise recht schlingernden Kurs um den Linux-Pinguin. Dass es in manchen Fällen zu einer Kollision kommt, lässt sich nicht ausschließen.

raum des Vorjahres insgesamt um mehr als ein Drittel zurück. Bei den reinen Unix-Maschinen führt Sun mit 43,9 Prozent.

Die Zukunft von Compaqs Tru64-Unix aus dem Digital-Erbe sieht durch die geplante Fusion mit HP nach Ansicht vieler Marktbeobachter relativ düster aus. Sun Microsystems mit Solaris auf der Sparc-Plattform musste zwar kürzlich ebenfalls recht harsche Kritik von Kunden und Analysten wegen nicht ausreichend leistungsfähiger Prozessoren einstecken, kann im Gegenzug allerdings auf eine schlüssige und überschaubare Modellpolitik in puncto Unix und passende Rechner verweisen.

IBMs Kurs zwischen AIX und Linux

Die Äußerung eines hochrangigen IBM-Managers, Linux könne AIX und andere Derivate ablösen, sorgte Ende August für einiges Aufsehen. Zwar dementierten die Big-Blue-Verantwortlichen postwendend und erklärten, das Zitat sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Dennoch wird deutlich, dass der Spagat zwischen Open-Source-Betriebssystem und dem angestammten hauseigenen Derivat zur schmerzhaften Grätsche ausarten kann, wenn Ankündigungen zur Unzeit an die Öffentlichkeit gelangen. In den momentan durchweg schwierigen Zeiten kann es sich kein Unternehmen leisten, Kunden durch nebulöse Aussagen zur Zukunft einer bestimmten Plattformlinie zu verunsichern. Eine aktuelle Studie der Analysten von Dataquest/Gartner vom zweiten Quartal dieses Jahres belegt, dass es zum Beispiel im prestigeträchtigen Server-Geschäft auch finanziell nicht um "Peanuts" geht: Auf dem amerikanischen Markt konnte allein IBM zulegen und - mit einem Umsatz von mehr als 1,2 Milliarden Dollar - 28,6 Prozent Marktanteile erreichen. Bei den reinen Unix-Servern reichte es zu einer Steigerung des Anteils von 15,6 Prozent im Referenzzeitraum des Vorjahrs auf nun 21,2 Prozent. Der Wert für Sun fiel dagegen von 47,4 auf noch immer beachtliche 43,9 Prozent. Wichtiges Detail der Untersuchung: Die Marktforscher ordnen alle mit Linux erzielten Einnahmen ausdrücklich dem traditionellen Unix-Geschäft zu.

Als erfolgreichster Vertreter der freien Betriebssysteme hat Linux das einstige Bastlerimage überzeugend abgelegt. Als Beispiel für den Einsatz auf Unternehmens-Level kann die New Yorker Börse dienen, wo künftig ein Teil der Software unter dem Open-Source-OS auf IBM-Großrechnern der z900-Serie arbeitet. Das Programmpaket "Artmail" prüft und verarbeitet dort tagesaktuell die Daten von bis zu 20 Millionen Käufen und Verkäufen. Bislang lief das System auf Sun-Servern. Warum Linux auch für Aufgaben dieser Größenordnung heute eine attraktive Alternative darstellt, wird durch die Implementierungszeit deutlich, die das Börsenprojekt benötigte: Der damit betrauten Securities Industry Automation Association, einem Technikpartner der New York Stock Exchange, genügten nach eigenen Angaben ganze zweieinhalb Tage für die Umstellung. In Deutschland planen aktuellen Meldungen zufolge unter anderem Lufthansa und Bayer, demnächst auch unternehmenskritische Anwendungen auf einer Kombination von Mainframe und Linux laufen zu lassen.

Bei welchen technischen Features konnte Linux in der jüngsten Vergangenheit zulegen? Viele der neuen Fähigkeiten des Anfang des Jahres erschienenen 2.4er Kernels sind für die meisten Applikationen im Unternehmensumfeld von untergeordneter Bedeutung. Die Tatsache, dass das Betriebssystem durch das neue Herz weiter an Stabilität gewinnen konnte, werten Experten schon eher als ausschlaggebend. Hinzu kommt zum Beispiel ein Journaling-fähiges Dateisystem, für das wiederum IBM verantwortlich zeichnet. Die Fähigkeit, auch große Rechner-Cluster zu unterstützen, erbt Linux vom Compaq-Derivat Tru64. Diese Unix-Variante aus dem Digital-Nachlass genießt unter Experten seit jeher einen besonders guten Ruf beim Aufbau von Verbundsystemen. Der Einsatz der Branchengrößen ist ohnehin nicht zu unterschätzen: Die Zukunft von Tru64 selbst ist durch die geplante Fusion von Compaq und Hewlett-Packard relativ ungewiss. Sollte es tatsächlich zum Zusammenschluss kommen, gehen viele Branchenkenner davon aus, dass nur eines der beiden Hausderivate überleben wird. Ob es sich dabei um HP-UX oder Tru64 handelt, ist derzeit reine Spekulation.

Am Beispiel von Tru64 lässt sich gut verdeutlichen, welchen Einfluss das Thema IA-64 auf die Produktpolitik bei den Herstellern und damit auf die Entwicklung der Unix-Systeme hat. Nachdem Compaq der Windows-Plattform für den Alpha-Chip bereits vor einiger Zeit den Rücken gekehrt hatte, wurde durch eine Meldung Mitte des Jahres deutlich, dass das Gespann Alpha-CPU und Tru64 ebenfalls nicht ungeschoren davonkommt. Per Vereinbarung über einen "Technologieaustausch" zwischen Compaq und Intel soll nahezu das komplette Alpha-Know-how der Texaner an den Prozessorbauer übergehen. Dies schließt den Arbeitsplatzwechsel einiger Hundert CPU-Spezialisten mit ein. Ab dem Jahr 2004 werden dann IA-64-Prozessoren als Herzen in den 64-Bit-Servern von Compaq schlagen und damit die Alpha-Reihe ablösen.

Sollte der Plan durch den Deal mit Hewlett-Packard nicht jede Basis verlieren, bietet er aus technischer Sicht einige Vorteile: Das zweifellos vorhandene Leistungspotenzial der Alpha-Bausteine fließt möglichst schnell und nahtlos in die kommenden IA-64-Generationen ein. Der Zeitrahmen für das Vorhaben ist zudem geschickt gewählt, denn die dann verfügbaren Vertreter der neuen CPU-Familie werden vermutlich eher die hohen Ansprüche erfüllen können, die der Itanium-Chip als aktueller Repräsentant bislang noch schuldig bleibt.

HP-UX ist mittlerweile bei Release 11.i angelangt. Auch Hewlett-Packard wirbt für sein Derivat mit Linux-Kompatibilität, die das Gesamtpaket in Form von APIs (Application Programming Interfaces) mitbringt. Entwickler sollen in der Lage sein, Anwendungen auf Linux-Systemen zu erstellen und anschließend durch ein bloßes Rekompilieren auf HP-UX-Maschinen zu portieren. Als Plattform lassen sich dann ebenfalls IA-64-gestützte Maschinen oder auch PA-RISC-Rechner einsetzen. Zu den Neuerungen in Version 11.i zählt außerdem die Unterstützung des Journal-Dateisystems JFS 3.3. Diverse Open-Source-Werkzeuge gehören mittlerweile ebenfalls zum Lieferumfang, zum Beispiel Gnu-Emacs, der Gnu-C/C++-Compiler sowie Umgebungen für die bei der Web-Applikationsentwicklung beliebten Skriptsprachen Perl und Python.

Traditionsderivate bieten Sicherheitsfeatures

Das Sun-eigene Derivat steht Kunden aktuell als Solaris 8 zur Verfügung. Im Vergleich mit der Vorgängerversion sticht vor allem die Unterstützung des erweiterten Internet-Protokolls IPv6 hervor. Gesicherten Datentransfer über IPsec unterstützt Solaris 8 nun mit den beiden Varianten IPv4 und IPv6. Die so genannte Authentication Management Infrastructure (AMI) soll mit ihren PKI-Diensten außerdem für eine sichere Benutzererkennung und eine effektive Schlüsselverwaltung sorgen. Für besonders sicherheitskritische Umgebungen bietet die McNealy-Company eine Trusted-Version von Solaris 8 an. Dieses Derivat zeichnet sich unter anderem durch ein ausgeklügeltes System an Zugriffsrechten für gewöhnliche Nutzer und für den Administrator aus. Weiteres Feature ist ein so genanntes Anti-Spoofing-Programm, das nichtregistrierte Applikationen daran hindert, auf den Desktop zuzugreifen.

Caldera stellte Mitte des Jahres AIX 5L vor, ein 64-Bit-Unix, das auf dem Itanium läuft. AIX 5L basiert auf einer Kooperation zwischen IBM und SCO. Der Linux-Distributor will mit speziellen APIs und Header-Dateien ermöglichen, dass Linux-Anwendungen nach einer Neuübersetzung ohne Änderungen auf dem System laufen. Für größere Applikationen liegen bislang noch keine Erfahrungswerte dazu vor, ob dies in der Praxis funktioniert.